Die Blockaden der Klimawandelgläubigen

Bild: Extinction Rebellion /Attribution 4.0 International (CC BY 4.0)

Die Bewegung ist so irrational, wie die Verhältnisse im Spätkapitalismus. Es liegt auch an einer Linken, die nicht fähig ist, ihre Inhalte in die Bewegung zu tragen

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Seit drei Tagen blockieren nun Aktivisten der Bewegung Extinction Rebellion in Berlin Straßen und Brücken. Die Folge sind vor allem verstopfte Straßen an anderen Stellen und aggressiv hupende Autofahrer. Schließlich hat sich durch die Aktionen das tägliche Verkehrschaos in Berlin nur verstärkt.

Wer heute schon manchmal mehr als eine Stunde Stehverkehr in Kauf nimmt, um mit seinem Auto durch die Stadt zu fahren, obwohl es in vielen Fällen zeitsparende Alternativen im Nahverkehr gibt, lässt sich durch die Blockaden auch nicht den Tritt aufs Gaspedal verwehren. Warum also kommen in der ganzen Welt Menschen zusammen, nehmen einige Strapazen auf sich, um an einer Aktion teilzunehmen, von der ziemlich klar ist, dass sie zur realen Wirkung wenig beiträgt? Zumal es schon längst wirkungsvollere Aktionen gibt, wie die Blockaden bei VW in Wolfsburg oder die Proteste vor der Automobilausstellung in Frankfurt?

Die Antwort liegt im Bewusstsein von Teilen der Klimawandelgläubigen. Das sind Menschen, die Greta Thunbergs Aufforderung: "Ich will, dass ihr in Panik geratet" ernst nehmen.

Zutiefst irrationale Bewegung

Es sind Menschen, für die es keine Metapher ist, wenn sie von Ausrottung allen Lebens reden, die wirklich die Apokalypse erwarten und zwar in ihrer eigenen Lebenszeit. Damit gleichen sie irrationalen Bewegungen des Spätmittelalters und der frühen Neuzeit, die sich auf Schiffen oder an Plätzen versammelt haben, um den Weltuntergang gemeinsam zu erleben oder zu erleiden. Es ist eine irrationale Bewegung von Klimawandelgläubigen, die sich in den Metropolen sammelt.

Der Begriff Klimagläubigkeit stammt von dem Zeitgeist-Autor Jonathan Safran Foer, der natürlich zum aktuellen Klimahype gleich ein Buch auf dem Markt geworfen hat, das schon im Titel "Wir sind das Klima" deutlich macht, dass den hier Leser Gefühle, aber keine Gedanken erwarten. Zustimmung bekam er prompt vom Taz-Kolumnisten Peter Unfried, der ihn in seiner aktuellen Kolumne so rezipiert:

Der New Yorker Schriftsteller Jonathan Safran Foer hat eine spektakulär logische These, was unsere bisherige Unfähigkeit angeht, die immer größer werdende Bedrohung durch die Erderhitzung ernst zu nehmen. Wir glauben es nicht. Doch, doch: Wir wissen es. Aber wir glauben es nicht. …

Peter Unfried, Taz

Nun ist auch Peter Unfried aufgefallen, dass die Klimabewegung doch immer besonders stolz darauf war, angeblich fast 100 Prozent der Wissenschaftler auf ihrer Seite zu haben. Was soll dann der fehlende Glaube? Darauf gibt Foer keine Antwort, sondern wechselt auf das Terrain der jüdischen Verfolgungsgeschichte seiner Vorfahren.

Foer erzählt die Geschichte seiner jüdischen Familie, die in einem polnischen Dorf lebte. Alle wussten, was die Nazis tun würden. Aber nur seine Großmutter packte 1941 ihre Sachen und floh. Der Rest blieb, weil er dachte, das würde schon irgendwie weitergehen. Sie wurden alle ermordet. Warum konnte die Großmutter sich aufraffen und die anderen schafften es nicht? Foer sagt: Sie wusste es nicht nur, sie hatte auch das Gefühl, handeln zu müssen. Die anderen wussten es nur, aber sie glaubten es nicht. Seine Folgerung: Erst wenn das Wissen mit Gefühlen verknüpft wird, wenn wir etwas spüren, werden wir handeln können.

Peter Unfried, Taz

Es ist zutiefst irrational, dass hier ein wissenschaftliches Phänomen wie der Klimawandel mit der Shoah, der planmäßigen Auslöschung der europäischen Juden durch die Deutschen, in Verbindung gebracht wird. Ein solcher Vergleich dient nur dazu, nun auch den Klimawandel als Holocaust zu bezeichnen, wie in den letzten Jahrzehnten der drohende Atomkrieg und andere prognostizierten Katastrophen oft bezeichnet wurden. Damit wurde die reale Shoah relativiert und eingeebnet in eine globale Katastrophengeschichte.

Das wird nicht dadurch besser, dass Nachkommen von Shaoh-Überlebenden diese Vergleiche anbringen. Damit ist das Tor geöffnet für Katastrophengläubige aller Art, die sich natürlich sofort angesprochen fühlen, wenn die Extinction-Rebellion ihre Zelte aufschlägt. Daher heben die Ökosozialistin Jutta Ditfurth oder Blogs wie die Ruhrbarone den Sektencharakter der Bewegung hervor.

Für ein richtiges Leben im Falschen

Doch Ditfurth belässt es nicht dabei, sondern informiert über den Zusammenhang zwischen linker Ökologie und Antikapitalismus. Das ist auch notwendig. Denn es bringt nichts, alle Extinction-Aktivisten jetzt in die rechte Ecke stellen. Wenn man ihr Camp in der Nähe des Berliner Kanzleramts besucht, wird man keine rechten Thesen, aber viele Menschen mit großer Angst treffen, die sich trotzdem bemühen, achtsam miteinander umzugehen. Es stimmt, dass sie ein offenes Ohr für religiöse und irrationale Ideen aller Art haben.

Das liegt aber auch an den Zuständen im Spätkapitalismus. Eine wahrnehmbare Linke, die auch Erfolge hat, ist selten erfahrbar. Der Alltag der Menschen ist geprägt von Individualismus und Konkurrenzdruck. Auch am Arbeitsplatz ist es eher die Regel, dass über die Gehälter der Kollegen nicht geredet werden darf, manchmal wird das vertraglich geregelt. Das sind keine guten Grundlagen für eine solidarische Praxis.

In diesen Zeiten können sich viele Menschen eher das Ende des Planeten als das Ende des Kapitalismus vorstellen. Es liegt an den Menschen, die sich Letzteres noch vorstellen können, zu intervenieren, und an den Menschen, die nach Auswegen suchen, Alternativen zum Irrationalismus anzubieten. Da gäbe es als Beispiel das jüngste Buch des Philosophen Michael Hirsch mit dem Titel "Richtig Falsch". Im Klappentext geht es um die Fragen, die auch viele der Klimaaktivisten bewegen:

Wenn die Änderung der Welt ausbleibt und mit der Zeit eher unwahrscheinlicher als wahrscheinlicher wird (und darin liegt wohl eine entscheidende Erfahrung unserer Zeit) - was sollen wir dann tun? Wenn die Emanzipation aufgeschoben ist, was nützt uns dann das Bewusstsein des Falschen? Müsste man dann nicht Adornos ethisch-politische Postulate noch genauer reformulieren: Es bleibt uns nichts anderes übrig, als, im Allgemeinen wie im Besonderen, nach Formen oder Spuren des richtigen Lebens zu suchen - und zwar im Bewusstsein der Unmöglichkeit, aber eben auch der Möglichkeit des Unmöglichen.

"Richtig Falsch"

Der Philosoph hat im Gespräch mit der Jungle World gut auf dem Punkt gebracht, dass wir heute alle Möglichkeiten für ein vernünftiges Leben hätten und der Kapitalismus daran hindert:

Fortschritt hat noch gar nicht angefangen - obwohl mittlerweile alle Elemente für eine fortschrittliche Einrichtung der Gesellschaft vorhanden sind. Die Produktivkräfte, die materiellen Verhältnisse, die Institutionen des Rechtsstaats, die demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten, Versammlungsrechte, Arbeiterrechte, Sozialstaat - alle diese Errungenschaften, um gesellschaftliche substantielle Änderungen zum Besseren durchzusetzen, sind da - nicht für alle Menschen, aber für sehr viel mehr Menschen, als es früher der Fall gewesen ist -, aber irgendwie hat sich Fortschritt immer noch nicht ereignet. Das wäre aber jederzeit möglich. Durch unser Zutun und gewissermaßen auch durch so eine Art magisches Quentchen wäre jederzeit ein qualitativer Umschlag, ein ganz anderer Gebrauch all dieser Potentiale, die wir haben, möglich. Wir leben in einem Anachronismus. Es gibt unfassbare Überschüsse an Potentialen, an Möglichkeiten, an Reichtümern. Die sind nur falsch eingerichtet, falsch gebraucht, falsch justiert, die benutzen wir nicht auf die richtige Art und Weise. Wir könnten sie aber jederzeit anders benutzen.

Michael Hirsch, Jungle World

Es wäre die Aufgabe von Linken, solche aufklärerischen Gedanken in die Masse der Klimaaktivisten zu bringen, wie es vor 130 Jahren gelang, die Grundlagen des Marxismus in der Arbeiterbewegung zu verankern.

"Vorwärts zum postfossilen Kapitalismus"

Sonst gewinnt neben dem Irrationalismus der postfossile Kapitalismus, der mit Uber und Co. schon jetzt zu den Förderern der Klimabewegung zählt. Zu den Extinction-Rebellion-Anhängern gehört auch der britische Umweltforscher Keven Anderson, der die Illusion eines ökologischen Kapitalismus so zusammenfasst: "Ich will nur den Status quo - die gleiche Welt, aber mit stabilem Klima. Was ist daran so radikal?"

Natürlich überhaupt nichts. Doch trotzdem wird von einen Großteil der Medien entgegen jede Logik diese Klimabewegung mit Radikalismus in Verbindung gebracht. Dabei heißt radikal, an die Wurzeln gehen.

Doch was ist radikal, wenn sich der Grüne Realo Ralf Fücks und seine Parteifreundin und Klimaaktivistin Luisa Neubauer in einem Gespräch in der Wochenzeitung Die Zeit in der Parole "Vorwärts zum postfossilen Kapitalismus" einig sind?

Es gäbe also viel zu tun für eine linke Bewegung, um mit den Menschen, die vor dem Klimawandel Angst haben und aktiv werden wollen, in Kontakt zu kommen. Wenn man dann aber sieht, wie einigen jungen Autonomen in einer Friedrichshainer autonomen Kiezkneipe nichts Besseres einfällt, als sich immer über die Klimaaktivisten lustig zu machen, dann muss man aber bezweifeln, ob das geschehen wird. Da macht es schon Hoffnung, wenn aus dem Lübecker Gewerkschaftshaus ein Transparent mit der Aufschrift "Ein toter Planet braucht keine Arbeitsplätze" heraushängt.

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