Erdogan umwirbt den Papst

Der türkische Staatschef sieht im Pontifex einen Verbündeten in der Jerusalem-Frage. Franziskus dürfte seinen Gast in Rom derweil ermahnen, die Rechte der christlichen Minderheit zu respektieren.

Marco Kauffmann Bossart, Ankara
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Papst Franziskus begrüsst den türkischen Präsident Erdogan. (Bild: Alessandro di Meo / EPA)

Papst Franziskus begrüsst den türkischen Präsident Erdogan. (Bild: Alessandro di Meo / EPA)

Das türkische Staatsoberhaupt hat sein Reiseprogramm für Februar gestrafft. Ein geplanter Abstecher nach Lateinamerika wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, vermutlich wegen der türkischen Armeeoffensive in Nordsyrien. Festhalten wollte Recep Tayyip Erdogan indes am Termin im Vatikan, wo ihn Papst Franziskus am Montag erwartet. Er erwidert damit den Besuch Franziskus' von 2014, der als erster ausländischer Gast Erdogans Prunkpalast in Ankara betreten hatte. Seit sechs Jahrzehnten hat kein türkischer Staatschef mehr den Vatikan besucht.

Lob für Flüchtlingsaufnahme

Dass der türkische Autokrat gerade jetzt ein Treffen mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche wünscht, steht im Zusammenhang mit der Kontroverse um den Status Jerusalems. Die Anerkennung der Stadt als israelische Hauptstadt durch die Vereinigten Staaten hat Erdogan scharf verurteilt. Er führt in der muslimischen Welt den Chor der Entrüsteten an. Im Papst sieht er offenkundig einen Verbündeten in dieser Frage. Franziskus äusserte sich im Dezember «tief besorgt» über die Statusänderung der für Christen, Muslime und Juden gleichermassen heiligen Stadt. Erdogan initiierte zum Jahreswechsel ein Telefongespräch mit dem Pontifex. Nach einem Empfang für das Diplomatische Korps im Apostolischen Palast liess der türkische Botschafter im Januar verlauten, der Papst freue sich auf eine baldige Begegnung mit Erdogan.

Franziskus hat der türkischen Regierung wiederholt dafür gedankt, dass sie über drei Millionen syrischen Kriegsflüchtlingen Gastrecht gewährt. Allerdings hat sich die Situation nach der türkischen Intervention in Syrien markant verändert. Ankara will das kurdische Gebiet in Nordsyrien von «Terroristen befreien» und danach dort Flüchtlinge unterbringen. Im Vatikan empfängt ein auf Aussöhnung und Annäherung bedachtes Kirchenoberhaupt einen wenig kompromissbereiten Kriegsherrn.

Islamisierung der Gesellschaft

Ein weiteres Spannungsfeld stellen die Rechte der christlichen Minderheiten in der Türkei dar, wo sich 99 Prozent der Bevölkerung zum Islam bekennen. Zwar können die schätzungsweise 100 000 Christen, unter ihnen 30 000 Katholiken, ihren Glauben weitgehend frei praktizieren. Allerdings erkennt der Staat Kirchen nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts an, was es erschwert, religiöse Ausbildungsstätten oder Gotteshäuser zu errichten. Auch bekunden ausländische Geistliche Probleme, in der Türkei eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Franziskus hatte bei seinem Besuch 2014 Ankara ins Gewissen geredet und sich für die Gleichberechtigung von Muslimen, Juden und Christen starkgemacht.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l.) weilt am Montag (5.2.) zu Besuch bei Papst Franziskus in Rom. Seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl 1960 ist Erdogan der erste türkische Staatschef, der offiziell den Vatikan besucht. (Bild: Alessandro di Meo / EPA)
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Die Audienz dauerte rund 50 Minuten, das sind gut 30 Minuten länger als gewöhnlich. Über den Inhalt des Gesprächs ist noch nichts bekannt. Ein wichtiges Gesprächsthema für Erdogan ist die Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA, die er scharf verurteilt hat und über die sich der Papst «tief besorgt» äusserte. (Bild: Alessandro di Meo / EPA)
Des weiteren will Erdogan mit Franziskus über den Krieg in Syrien, Flüchtlinge, den Kampf gegen den Terrorismus und Islamophobie sprechen. (Bild: Alessandro di Meo / EPA)
Mit dem Treffen erwidert Erdogan den Besuch Franziskus' von 2014, der als erster ausländischer Gast Erdogans Palast in Ankara betreten hatte. (Bild: Alessandro di Meo / Reuters)
Vor dem Vier-Augen-Gespräch werden Geschenke ausgetauscht. Erdogan (2.v.l.) und dessen Frau Emine (r.) sind seit Sonntag (4.2.) in Rom und treffen sich im Verlauf des Montags (5.2.) mit Staats- und Wirtschaftsführern. (Bild: Alessandro di Meo / EPA)
Am Montagmorgen (5.2.) werden Erdogan und seine Frau Emine vor dem Vatikan empfangen. (Bild: Gregorio Borgia / AP)
Die Päpstliche Schweizergarde, die für Ordnungs- und Ehrendienste sowie als Palastwache zuständig ist, steht für den historischen Besuch bereit. – Erdogans Frau Emine Erdogan ist mit nach Rom gereist. (Bild: Alessandro Bianchi / Reuters)
Die Kundgebung des Netzwerks «Rete Kurdistan» nahe der Engelsburg ist genehmigt worden, obwohl sonst ein 24-stündiges Demonstrationsverbot gilt. (Bild: Alessandra Tarantino / AP)
Einige der rund 150 Teilnehmer seien nach Angaben der Polizei handgreiflich geworden. (Bild: Massimo Percossi / EPA)
Nach den Zusammenstössen ist die Aktion beendet worden. (Bild: Massimo Percossi / EPA)
Der Besuch wird von höchsten Sicherheitsvorkehrungen begleitet. Die Angst vor Terror und gewalttätigen Demonstrationen ist in der italienischen Hauptstadt gross. 3500 Sicherheitskräfte sollen im Einsatz sein. (Bild: Gregorio Borgia / AP)
Vom Vatikan quer durch Roms Zentrum bis zum Hauptbahnhof wurde ein Demonstrationsverbot verhängt. (Bild: Fabio Frustaci / EPA) Zum Artikel

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (l.) weilt am Montag (5.2.) zu Besuch bei Papst Franziskus in Rom. Seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit dem Heiligen Stuhl 1960 ist Erdogan der erste türkische Staatschef, der offiziell den Vatikan besucht. (Bild: Alessandro di Meo / EPA)

Obwohl die Verfassung der Türkei ein säkulares Staatsverständnis vorgibt, hat die Rolle des Islams seit der Machtübernahme der konservativ-religiösen AKP vor 15 Jahren an Bedeutung gewonnen. Vorgelebt wird dies von Staatspräsident Erdogan, der in öffentlichen Auftritten den Islam als Teil der nationalen Identität beschwört. Religiös konnotiert ist selbst die Operation in Syrien. Der Parlamentspräsident Ismail Kahraman bezeichnete die Operation «Olivenzweig» als «Jihad» (heiligen Krieg) – die beiden Begriffe passen schwer zusammen.

Als geradezu symptomatisch für die Islamisierung des Landes erachtet die christliche Gemeinde die schleichende Umnutzung der Hagia Sophia in Istanbul. Während eines Jahrtausends Zentrum der orthodoxen Kirche, wurde sie 1453, nach dem Fall Konstantinopels, von den Ottomanen mit Minaretten ausgestattet und in deren Hauptmoschee umfunktioniert. In den dreissiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts machte die Regierung aus der Hagia Sophia dann ein Museum. Anhänger Erdogans drängen darauf, das monumentale Bauwerk wieder als Moschee auferstehen lassen. Seit zwei Jahren veranstaltet die staatliche Religionsbehörde während des Ramadans Koranlesungen in der Hagia Sophia, was geharnischte Reaktionen der orthodoxen Kirche provozierte.

Symbolträchtige Audienz

In seiner Anfangszeit als Ministerpräsident, in den Jahren 2003 bis 2014, war Erdogan für religiöse Minderheiten ein Hoffnungsträger. So lud er Christen ein, in das Land ihrer Vorfahren zurückzukehren. Diesem Ruf folgten unter anderem zahlreiche Aramäer, eine der ältesten Christengemeinden der Welt, aus der Schweiz und Deutschland. Gleichzeitig erleichterte die islamisch-konservative Führung die Rückgabe von Gebäuden, die im vergangenen Jahrhundert vom Staat konfisziert worden waren. Allerdings macht sich inzwischen Ernüchterung breit, da Versprechen zur Übertragung von Eigentumstiteln nicht eingelöst wurden. Erdogan wird zunehmend als islamischer Herrscher wahrgenommen, der sich nicht um andere Glaubensgemeinschaften schert.

Vor dem Hintergrund der Repression, die sich nach dem Putschversuch von 2016 massiv verschärfte, hat Erdogans Ruf in der demokratischen Welt generell stark gelitten. Er wird auffällig oft von anderen Autokraten eingeladen. Umso symbolträchtiger ist für Erdogan eine Audienz beim Papst. Er verbindet den Besuch in Rom mit Gesprächen mit der politischen Führung Italiens.

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