Der türkische Staatschef sieht im Pontifex einen Verbündeten in der Jerusalem-Frage. Franziskus dürfte seinen Gast in Rom derweil ermahnen, die Rechte der christlichen Minderheit zu respektieren.
Das türkische Staatsoberhaupt hat sein Reiseprogramm für Februar gestrafft. Ein geplanter Abstecher nach Lateinamerika wurde auf unbestimmte Zeit verschoben, vermutlich wegen der türkischen Armeeoffensive in Nordsyrien. Festhalten wollte Recep Tayyip Erdogan indes am Termin im Vatikan, wo ihn Papst Franziskus am Montag erwartet. Er erwidert damit den Besuch Franziskus' von 2014, der als erster ausländischer Gast Erdogans Prunkpalast in Ankara betreten hatte. Seit sechs Jahrzehnten hat kein türkischer Staatschef mehr den Vatikan besucht.
Dass der türkische Autokrat gerade jetzt ein Treffen mit dem Oberhaupt der katholischen Kirche wünscht, steht im Zusammenhang mit der Kontroverse um den Status Jerusalems. Die Anerkennung der Stadt als israelische Hauptstadt durch die Vereinigten Staaten hat Erdogan scharf verurteilt. Er führt in der muslimischen Welt den Chor der Entrüsteten an. Im Papst sieht er offenkundig einen Verbündeten in dieser Frage. Franziskus äusserte sich im Dezember «tief besorgt» über die Statusänderung der für Christen, Muslime und Juden gleichermassen heiligen Stadt. Erdogan initiierte zum Jahreswechsel ein Telefongespräch mit dem Pontifex. Nach einem Empfang für das Diplomatische Korps im Apostolischen Palast liess der türkische Botschafter im Januar verlauten, der Papst freue sich auf eine baldige Begegnung mit Erdogan.
Franziskus hat der türkischen Regierung wiederholt dafür gedankt, dass sie über drei Millionen syrischen Kriegsflüchtlingen Gastrecht gewährt. Allerdings hat sich die Situation nach der türkischen Intervention in Syrien markant verändert. Ankara will das kurdische Gebiet in Nordsyrien von «Terroristen befreien» und danach dort Flüchtlinge unterbringen. Im Vatikan empfängt ein auf Aussöhnung und Annäherung bedachtes Kirchenoberhaupt einen wenig kompromissbereiten Kriegsherrn.
Ein weiteres Spannungsfeld stellen die Rechte der christlichen Minderheiten in der Türkei dar, wo sich 99 Prozent der Bevölkerung zum Islam bekennen. Zwar können die schätzungsweise 100 000 Christen, unter ihnen 30 000 Katholiken, ihren Glauben weitgehend frei praktizieren. Allerdings erkennt der Staat Kirchen nicht als Körperschaften des öffentlichen Rechts an, was es erschwert, religiöse Ausbildungsstätten oder Gotteshäuser zu errichten. Auch bekunden ausländische Geistliche Probleme, in der Türkei eine Arbeitserlaubnis zu erhalten. Franziskus hatte bei seinem Besuch 2014 Ankara ins Gewissen geredet und sich für die Gleichberechtigung von Muslimen, Juden und Christen starkgemacht.
Obwohl die Verfassung der Türkei ein säkulares Staatsverständnis vorgibt, hat die Rolle des Islams seit der Machtübernahme der konservativ-religiösen AKP vor 15 Jahren an Bedeutung gewonnen. Vorgelebt wird dies von Staatspräsident Erdogan, der in öffentlichen Auftritten den Islam als Teil der nationalen Identität beschwört. Religiös konnotiert ist selbst die Operation in Syrien. Der Parlamentspräsident Ismail Kahraman bezeichnete die Operation «Olivenzweig» als «Jihad» (heiligen Krieg) – die beiden Begriffe passen schwer zusammen.
Als geradezu symptomatisch für die Islamisierung des Landes erachtet die christliche Gemeinde die schleichende Umnutzung der Hagia Sophia in Istanbul. Während eines Jahrtausends Zentrum der orthodoxen Kirche, wurde sie 1453, nach dem Fall Konstantinopels, von den Ottomanen mit Minaretten ausgestattet und in deren Hauptmoschee umfunktioniert. In den dreissiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts machte die Regierung aus der Hagia Sophia dann ein Museum. Anhänger Erdogans drängen darauf, das monumentale Bauwerk wieder als Moschee auferstehen lassen. Seit zwei Jahren veranstaltet die staatliche Religionsbehörde während des Ramadans Koranlesungen in der Hagia Sophia, was geharnischte Reaktionen der orthodoxen Kirche provozierte.
In seiner Anfangszeit als Ministerpräsident, in den Jahren 2003 bis 2014, war Erdogan für religiöse Minderheiten ein Hoffnungsträger. So lud er Christen ein, in das Land ihrer Vorfahren zurückzukehren. Diesem Ruf folgten unter anderem zahlreiche Aramäer, eine der ältesten Christengemeinden der Welt, aus der Schweiz und Deutschland. Gleichzeitig erleichterte die islamisch-konservative Führung die Rückgabe von Gebäuden, die im vergangenen Jahrhundert vom Staat konfisziert worden waren. Allerdings macht sich inzwischen Ernüchterung breit, da Versprechen zur Übertragung von Eigentumstiteln nicht eingelöst wurden. Erdogan wird zunehmend als islamischer Herrscher wahrgenommen, der sich nicht um andere Glaubensgemeinschaften schert.
Vor dem Hintergrund der Repression, die sich nach dem Putschversuch von 2016 massiv verschärfte, hat Erdogans Ruf in der demokratischen Welt generell stark gelitten. Er wird auffällig oft von anderen Autokraten eingeladen. Umso symbolträchtiger ist für Erdogan eine Audienz beim Papst. Er verbindet den Besuch in Rom mit Gesprächen mit der politischen Führung Italiens.