"Anne Will" zur Landtagswahl in Bayern:Jeder konstruiert sich seine Welt

Anne Will

Anne Will ließ über das Ergebnis der Landtagswahl in Bayern debattieren - es gab erstaunliche Deutungen.

(Foto: NDR/Wolfgang Borrs)

Das Publikum lacht über die CSU, die AfD kriegt "'ne Klatsche", auch der HSV und Darth Vader sind dabei: über einen kuriosen Abschluss der bayerischen Landtagswahl bei "Anne Will".

TV-Kritik von Thomas Hummel

Einmal mussten die Zuschauer bei "Anne Will" sogar lachen. Das war der Moment, als CSU-Frau Dorothee Bär begründete, warum das historisch schlechte Ergebnis ihrer Partei bei der bayerischen Landtagswahl in Wahrheit gar nicht so schlecht ist. Die CSU diese Erkenntnis aber mehr oder minder aus Bescheidenheit zurückhält. Die Staatsministerin für Digitales aus Bamberg rechnete vor: Gut 37 Prozent? Das sei ja nur ein Prozent weniger als vor einem Jahr bei der Bundestagswahl. (Damals lag die CSU bei 38,8 Prozent.) Und das trotz der ebenfalls bürgerlichen Freien Wähler als Mitkonkurrent, trotz der Querelen in der Partei und in Berlin, trotz steigender Wahlbeteiligung. Dorothee Bär schloss: "Wir hätten das Ergebnis auch besser darstellen können. Haben wir aber nicht."

Vielleicht erwartete sie jetzt ein Lob für so viel Zurückhaltung. Es folgte Gelächter.

Auch US-Präsident Donald Trump musste sich zuletzt auslachen lassen, vor den Vereinten Nationen, als er sich wieder einmal größer machte, als er ist. Genauso erging es in der ARD-Talkshow am Ende dieses Wahlabends Dorothee Bär. Doch sie ließ sich nicht beirren. In Richtung des AfD-Vorsitzenden Jörg Meuthen sagte sie, dessen Partei sei doch unzufrieden mit den zehn plus x Prozent - "sie haben doch 'ne Klatsche gekriegt". Auch Meuthen lachte.

Hätte es nicht noch schlimmer werden können?

Nun weiß jeder Soziologie-Student nach dem ersten Semester, dass es auf dieser Welt nicht die eine Wahrheit gibt. Sondern sich jeder seine eigene Wirklichkeit zusammenkonstruiert. Und was sich da zurzeit im politischen Deutschland hinkonstruiert wird, ist manchmal tatsächlich zum Lachen. Wer hätte in diesem Bayern jemals damit gerechnet, dass sich die allmächtige CSU ein Ergebnis 40 minus x schönreden würde. Doch genau das passiert, Dorothee Bär war da nur der krönende Abschluss. Man hatte es an diesem Abend rund um München zuvor schon häufiger gehört: Die CSUler wirkten irgendwie ganz zufrieden mit dem zweitschlechtesten Wahlergebnis nach dem Krieg. Hätte es nicht noch schlimmer werden können? Und war die AfD nicht viel stärker erwartet worden?

Wie viele Menschen für eine Partei stimmen ist das eine. Das andere ist, welche Deutung sich danach durchsetzt. Wer hat nun gewonnen? Wer hat verloren? Wer trägt die Schuld? Bei "Anne Will" bietet sich da eine schöne Bühne vor einem Millionenpublikum.

Die CSU also fühlt sich verschont, darf mit den Freien Wählern eine Koalition bilden, und muss sich demnach überhaupt nicht ändern. Der Streit zwischen dem Vorsitzenden Horst Seehofer und dem Ministerpräsidenten Markus Söder? "Hätt' ich fast flappsig gsacht: Männer!", fränkelte Dorothee Bär. Ach so. Ja, dann. Alles halb so schlimm.

Für die völlig abgestürzte SPD durfte Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius die Deutung des Abends erneuern: Horst Seehofer ist schuld an den 10 minus x Prozent und soll doch bitteschön zurücktreten. Denn so lange Seehofer nur streitet und zankt, sieht niemand, welch gute Arbeit die Sozialdemokraten in der Großen Koalition machen. Ach so. Ja, klar. Ob Andrea Nahles noch die richtige Parteivorsitzende sei? Pistorius antwortete, dass der Hamburger SV in den vergangenen Jahren oft den Trainer gewechselt habe und jetzt trotzdem in der zweiten Liga spiele. Um nicht abzusteigen, solle die SPD also an Nahles festhalten.

Es war ein Lehrbeispiel, warum Sprachbilder aus dem Fußball selten bis nie in der Politik eingesetzt werden sollten. Die Grünen-Vorsitzende Annalena Baerbock forderte Pistorius und dessen SPD stattdessen platt auf, mal ordentliche Politik zu machen. Dass Pistorius darauf nur verschämt schwieg, sagt viel über die altehrwürdige SPD Deutschlands.

Wenn die AfD von den Grünen fordert, sich zu distanzieren

Für die AfD durfte mal wieder der Wohlfühl-Vorsitzende Jörg Meuthen in den Talkshow-Ring. Der ist geübt darin, die Frage nach rechtsextremen Tendenzen in seiner Partei elegant abzubügeln. Er wusste eh, was auf ihn zukommen würde: die rassistischen Aussagen des Rosenheimer Landtagskandidaten Andreas Winhart, der zuletzt im Beisein der AfD-Bundestagsfraktionsvorsitzenden Alice Weidel darauf angespielt hatte, Migranten aus Afrika würden Krankheiten nach Deutschland bringen. Er hatte am Mikrofon sogar das üble N-Wort für Schwarze benutzt (und dafür Applaus erhalten).

Meuthen drohte also Winhart öffentlichkeitswirksam mit dem Rauswurf. Und setzte dann sogleich zum Gegenangriff auf die politische Konkurrenz an. Er habe nämlich mit den Grünen ein Problem, sagte Meuthen, die zuletzt in Berlin bei der Demonstration #unteilbar mitmarschiert waren. Unter den 250 000 Menschen, die sich für Demokratie und Rechtstaatlichkeit und gegen Rassismus stark machten, hätten sich auch Linksextreme befunden, klagte er. Und verlangte, die Grünen sollten sich hier und jetzt distanzieren.

Die wahrlich nicht auf den Mund gefallene Baerbock reagierte perplex. Melanie Amann vom Magazin Spiegel musste einspringen, sie rief Meuthen zu: "Dass sie jetzt ausgerechnet anderen Parteien Ratschläge erteilen wollen, wen die bei ihren Demonstrationen mitnehmen, das finde ich nun wirklich amüsant."

Oskar Lafontaine, der Prototyp des Racheengels

Dass Grüne und AfD derzeit die Pole im deutschen Parteienspektrum sind, wurde auch bei "Anne Will" deutlich. Da lehnen sich zwei nicht mehr ab, das geht schon in Hass über. Meuthen deutete an, dass die Rechtspopulisten die Angriffe auf die Linksliberalen erheblich verstärken könnten. Politikwissenschaftler Michael Koß beschrieb die Trennlinie zwischen Grüne und AfD sogar zur wichtigsten im aktuellen Politikspektrum. Kosmopolitisch-flüchtlingsfreundlich gegen national-abschottend habe das typische Links-Rechts-Denken abgelöst. Wenn man mal von einigen "sozialmoralischen Milieus" in Nordwest-Deutschland absehe, wo man noch "von der Wiege bis zur Bahre SPD" wähle, wie Koß anmerkte.

Michael Koß gab den in Talkshows gerne eingeladenen "Experten". Er soll nicht streiten, sondern erklären. Soll von oben auf die Manege blicken. Koß saß dann aber sehr weit oben zwischen seinen Wissenschaftswolken. Wenn der Mann von der Universität München sprach, sahen ihn die anderen Gesprächsteilnehmer an, als würden sie kein Wort verstehen. Was phasenweise nicht verwunderlich war.

Dennoch gab Koß den Zuschauern noch ein herrliches Bild mit in die Nacht. Irgendwie führte er sich in seinem eigenen Redeschwall zu "Racheengeln" in der Politik. Zuerst zu Horst Seehofer, der sich an Angela Merkel rächen wolle. Der Prototyp des Racheengels sei aber Oskar Lafontaine, "der Darth Vader, der auf seinem Stern sitzt und einmal die Woche auf die SPD schießt".

Um es mit Koß zu sagen: Horst Seehofer ist der Oskar Lafontaine der CSU. So viel Konstruktion von Wirklichkeit kriegt nicht einmal Dorothee Bär hin.

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