Holen wir die Meinungspolizei!

Was die Angriffe gegen den Berliner Historiker Jörg Baberowski über den Zustand einer polarisierten Gesellschaft aussagen.

Martin Beglinger, Peer Teuwsen
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Rechtsradikal, was heisst das? Der Raum für kritische Voten wird eng, wie die Hetze gegen Jörg Baberowski zeigt. (Bild Annick Ramp / NZZ)

Rechtsradikal, was heisst das? Der Raum für kritische Voten wird eng, wie die Hetze gegen Jörg Baberowski zeigt. (Bild Annick Ramp / NZZ)

Es ist die Fassungslosigkeit eines intellektuellen Wissenschafters, die sich Bahn bricht. «Ja, lesen die denn gar nicht meine Bücher?», fragt sich Jörg Baberowski am Telefon.

Natürlich ist es kein Zufall, dass es ausgerechnet ihn getroffen hat. Baberowski formuliert gerne provokante Thesen, bricht Tabus der deutschen Vergangenheitsbewältigung, vertritt ein, je nach Weltanschauung, negatives oder realistisches Menschenbild, kurz: Er hat sich als ideales Feindbild der moralisierenden Linken positioniert. Andererseits hat es auch etwas Absurdes. Baberowski, der sich selbst als «konservativen Linken» bezeichnet, der in seinen Büchern die Schrecken des Stalinismus aufgearbeitet, der mit seiner brillanten Studie «Räume der Gewalt» die Bedingungen für Gewalt herausgearbeitet und damit ein glühendes Plädoyer für den demokratischen Rechtsstaat geschrieben hat – ausgerechnet er sieht sich nun mit Adjektiven konfrontiert, die einen, gerade in Deutschland, zum intellektuell Aussätzigen machen können. Er sei «rechtsradikal» und «rassistisch», donnert es in Zeitungen und vor allem im Internet dem Historiker entgegen, der 2012 mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde.

Über drei Jahre dauert die Kampagne nun bereits. So lange schon versucht eine trotzkistische Splittergruppe mit den Mitteln des Rufmords auf dem wissenschaftlichen Renommee Baberowskis eine eigene mediale Karriere aufzubauen. Ihre Mitglieder tapezieren etwa die Mensa der Humboldt-Universität zu Berlin, an der Baberowski als Professor für die Geschichte Osteuropas lehrt, mit aus dem Zusammenhang gerissenen Zitaten des Wissenschafters, oder sie hängen auf den Strassen sein Konterfei auf, geschmückt mit einem Hakenkreuz.

Angefangen hat alles, als Baberowski 2014 den Historiker Robert Service in ein Doktorandenseminar einlud. Der Brite ist Autor einer preisgekrönten, aber auch umstrittenen Biografie von Leo Trotzki. Er bricht darin mit der immer noch verbreiteten Vorstellung, Trotzki wäre der bessere Stalin gewesen, und zeigt auf, wie der Grossverbrecher tickte. Die Einladung für Service passte einem gewissen David North nicht, amerikanischer Historiker – und Trotzkist. Er schickte Service im Vorfeld neun Fragen, die er in Berlin zu beantworten habe. Baberowski, von Service darum gebeten, untersagte dem eigens angereisten North die Teilnahme am Seminar. Das tat er nicht ungestraft. North, Chefredaktor der World Socialist Web Site, veröffentlicht seither fast täglich im Internet Artikel gegen ihn.

Die hetzenden Wohlmeinenden

Teile der Bremer Studentenvertreter versuchten später, einen Auftritt von Baberowski an ihrer Universität zu verhindern. Die Veranstaltung musste unter Polizeischutz stattfinden. Der Historiker erreichte schliesslich vor Gericht eine einstweilige Verfügung gegen die Bremer Studenten. Sie durften ihre Vorwürfe, Baberowski verherrliche Gewalt und rechtfertige Ausschreitungen gegen Flüchtlinge, nicht mehr wiederholen. In der Berufungsverhandlung vor dem Kölner Oberlandesgericht (OLG) Anfang Juni zog Baberowski aber seinen Verbotsantrag zurück. Denn das Gericht hatte signalisiert, dass es die Verfügung aus der ersten Instanz aufheben würde – weil es die Meinungsfreiheit höher gewichte.

Nun gab es kein Halten mehr. Im «Tagesspiegel» rückte ihn der Geschichtsprofessor Wolfgang Benz in die Nähe Heinrich von Treitschkes, jenes Historikers, der 1879 die spätere Nazi-Hetzparole «Die Juden sind unser Unglück» prägte. Die «Frankfurter Rundschau» wiederum druckte unter dem Titel «Die Selbstinszenierung eines Rechten» einen Artikel von Andreas Fischer-Lescano, jenem Bremer Rechtsprofessor, der Karl-Theodor zu Guttenberg, dem damaligen Verteidigungsminister von Deutschland, nachweisen konnte, für seine Dissertation abgeschrieben zu haben. Der Tenor auch hier: «rechtsradikal».

«Selbstinszenierung eines Rechten»? Was hier stattfand, war in erster Linie die Selbstinszenierung eines Rechtsprofessors als moralischer Scharfrichter. Sie gipfelte in der Forderung, Baberowskis Humboldt-Universität müsse sich dringend von ihrem Professor distanzieren, nachdem sie ihn «voreilig reingewaschen» habe. Sonst mache sich die «Exzellenzuniversität» zur «Komplizin rechter Wissenschaft». Ja, was denn? Ist es nun eine «rechte» oder eine «rechtsradikale Wissenschaft», die Baberowski angeblich betreibt? Oder spielt das gar keine Rolle? Und wer definiert eigentlich die Grenze? Die «Sozialistische Gleichheitspartei», deren Website den Baberowski-Watch orchestriert? Oder ein Bremer Rechtsprofessor, der selber ein Linker ist?

Letzteres ist sein gutes Recht, doch würde er gleich argumentieren und protestieren, würde sich die HU zur «Komplizin linker Wissenschaft» machen? Es wirkt jedenfalls reichlich verlogen, wenn Fischer-Lescano betont, Übergriffe auf Wissenschafter und Berufsverbote seien «inakzeptabel» und «der falsche Weg», zugleich aber eine wissenschaftliche Ächtung des Historikers Baberowski durch die Universität verlangt. Es gehört zu den wenigen guten Nachrichten in dieser Geschichte, dass die Universität nicht auf die Forderung eingestiegen ist, ihr verdientes Mitglied abzustrafen.

Das Halbwissen bleibt

In der ersten Phase dieses Hickhacks erhielt Jörg Baberowski Rückendeckung von der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», von der «Welt» und nicht zuletzt von der «Zeit». Nun, nach der zweiten Runde vor Gericht, fällt der Sukkurs deutlich dünner aus, obwohl sich an der Sachlage nichts geändert hat. Die einen tauchen leise weg, den andern ist es irgendwann wurscht. Was in der flüchtigen Erinnerung hängenbleibt, ist Halbwissen. So wird möglich, dass die Spur im Netz, ursprünglich von einer trotzkistischen Sekte gelegt, zum Selbstläufer – weil immer und immer wieder verlinkt und vertwittert – wird (sogar von angesehenen Journalisten wie etwa dem Leiter des ARD-Auslandstudios in Moskau): Baberowski = rechtsradikal. So kann aus einer kruden Unterstellung eine salonfähige Meinung werden.

Das ist ärgerlich, um das Mindeste zu sagen. Doch in einer mehr oder weniger liberalen Gesellschaft wird es nicht anders gehen, als die Meinung von Andreas Fischer-Lescano neben jener von Jörg Baberowski stehen und wirken zu lassen. Der politische Streit lässt sich nicht unterbinden, auch nicht per Gerichtsbeschluss, und das ist gut so. Das Gericht anzurufen, war insofern wohl eine schlechte Idee des Historikers. «Rechts» und «rechtsradikal» sind keine objektiven Tatbestände, sondern mehr denn je Kampfbegriffe um die politische Deutungsmacht, die sich auch von Juristen nicht scharf und abschliessend voneinander trennen lassen.

Dass die Richter die Meinungsfreiheit im Fall Baberowski höher gewichteten als den Schutz vor ein paar übel hetzenden Verleumdern, ist deshalb durchaus nachvollziehbar. Nur rächt sich für Jörg Baberowski jetzt bitter, dass das Gericht dem Bremer Studentenverband im Namen der Meinungsfreiheit nicht verbot, ihn als «Rechtsradikalen» zu bezeichnen. Das heisst zwar nicht, dass die Richter ihn tatsächlich für einen solchen halten, denn darüber haben sie gar nicht geurteilt. Doch Baberowskis Kritiker deuten das Urteil natürlich genau so und berufen sich dabei freudig auf die Richter als ihre Kronzeugen.

Wie hältst du's mit Merkel?

In dem ganzen Hickhack geht es nicht nur um historische Einschätzungen von Hitler und Stalin, sondern mindestens so sehr um Politik. Tatsächlich hat Jörg Baberowski die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel im Sommer 2015 früh und scharf kritisiert, als im Land noch die «Willkommenskultur» dominierte. Im Gerichtsverfahren ging es auch um folgende Passage in einem Fernsehinterview: «Überall da, wo viele Menschen aus fremden Kontexten kommen und die Bevölkerung nicht eingebunden wird in die Regelung all dieser Probleme, da kommt es natürlich zu Aggression.» Diese Zeilen wurden von den Bremer Studenten als Beleg für die angebliche Rechtfertigung von Anschlägen auf Asylunterkünfte zitiert. Was sie jedoch verschwiegen, waren die folgenden Sätze: «Gott sei Dank ist in Deutschland noch niemand umgekommen. Zwar sind Asylbewerberheime angezündet worden. Alles schlimm genug. Aber so weit sind wir noch nicht. Ich glaube, angesichts der Probleme, die wir in Deutschland haben mit der Einwanderung, die jetzt gerade stattfindet, ist es ja noch eher harmlos, was wir haben.»

Für seine Kritiker war das nichts als Hetze und Fremdenfeindlichkeit. Doch der Historiker Götz Aly – ein Verteidiger Baberowskis – wies jüngst in der «Stuttgarter Zeitung» zu Recht darauf hin, dass dieser «die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung in einer Weise kritisiert, die heute (oft nur stillschweigender) Konsens ist: Einwanderungspolitik nicht mit Asylpolitik vermischen, zu viele Flüchtlinge überfordern die deutsche Gesellschaft.»

Mit anderen Worten: Würden die Kriterien deutscher Trotzkisten und eines Bremer Rechtsprofessors gelten, dann müsste man nicht nur den Historiker Baberowski, sondern mit ihm gleich die Mehrheit in Deutschland und wohl in ganz Europa als rechtsradikal einstufen. Für die Einsicht, dass dies schlicht Unsinn ist, brauchen wir weder Gerichte noch eine Meinungspolizei.