Geschichte einer Seele
Am 9. Juni dieses Jahres (1895), am Fest der Heiligen Dreifaltigkeit, wurde mir die Gnade zuteil, klarer denn je zu erkennen, wie sehr Jesus sich danach sehnt, geliebt zu werden. Ich dachte an jene Seelen, die sich der Gerechtigkeit Gottes anbieten, um die über die Sünder verhängten Strafen abzuwenden und auf sich zu lenken. Diese Aufopferung erschien mir groß und hochherzig …Mehr
Geschichte einer Seele
Am 9. Juni dieses Jahres (1895), am Fest der Heiligen Dreifaltigkeit, wurde mir die Gnade zuteil, klarer denn je zu erkennen, wie sehr Jesus sich danach sehnt, geliebt zu werden. Ich dachte an jene Seelen, die sich der Gerechtigkeit Gottes anbieten, um die über die Sünder verhängten Strafen abzuwenden und auf sich zu lenken. Diese Aufopferung erschien mir groß und hochherzig, doch fühlte ich keine Neigung, Gleiches zu tun. O mein Gott, rief ich aus Herzensgrund, soll denn nur deine Gerechtigkeit Seelen empfangen, die sich als Schlachtopfer darbringen? .. Bedarf denn deine erbarmende Liebe ihrer nicht ebenso! Von allen Seiten wird sie verkannt, verworfen; die Herzen, an die du sie verschwenden möchtest, kehren sich den Geschöpfen zu und erbetteln von ihrer erbärmlichen Zuneigung das Glück, statt sich in deine Arme zu werfen und deine unendliche Liebe anzunehmen ... O mein Gott, soll deine verschmähte Liebe nunmehr in deinem Herzen verbleiben? Fändest du Seelen, die sich deiner Liebe als Ganz-Brandopfer darböten, ich meine, du würdest sie schnell verzehren; mir scheint, du wärest glücklich, die Fluten unendlicher Zärtlichkeit, die in dir sind, nicht länger zurückzudrängen ... Wenn deine Gerechtigkeit die Neigung hat, sich zu entladen, die sich doch nur auf die Erde erstreckt, wieviel mehr verlangt dann deine erbarmende Liebe danach, die Seelen zu entflammen, weil doch deine Barmherzigkeit sich erhebt bis zum Himmel ...
O Jesus, laß mich dieses glückliche Opfer sein! Verzehre dein Brandopfer mit dem Feuer deiner göttlichen Liebe!" (160)
War dieses abendliche Offizium zuende, überkam meine Seele ein Gefühl der Traurigkeit, weil ich daran dachte, daß man am folgenden Morgen den Alltag mit seiner Arbeit und seinem Lernen wieder anfangen mußte. Mein Herz wurde sich der Verbannung auf Erden bewußt. Ich hatte Sehnsucht nach der Ruhe des Himmels, nach dem immerwährenden Sonntag der wahren Heimat. (42)
Ständig klang seit diesem Tag das Wort des sterbenden Heilands: "Mich dürstet!" (Joh 19,29) in meiner Seele wider und entfachte darin einen nie zuvor gekannten, glühenden Seeleneifer. Ich wollte meinem Vielgeliebten zu trinken geben. Ja, vom Durst nach Seelen fühlte ich mich selbst geradezu verzehrt. Die Sünder wollte ich um jeden Preis der ewigen Verdammnis entreißen. (87)
Es war mir nicht unbekannt, daß mir auf der Reise manches begegnen werde, was mich beunruhigen könnte. Da ich das Böse überhaupt nicht kannte, fürchtete ich, es zu entdecken. Noch fehlte mir die erfahrung, daß dem Reinen alles rein ist (Tit 1,15) und daß die einfältige und gerade Seele an nichts Böses findet. Denn das Böse liegt ja nicht in den leblosen Dingen, sondern in den unreinen Herzen. (107)
Es gefällt Jesus, mir den einzigen Weg zu zeigen, der zu diesem göttlichen Glutofen führt: dieser Weg ist die Hingabe des kleinen Kindes, das furchtlos auf den Armen seines Vaters einschläft. "Ist jemand ganz klein, dann komme er zu mir." (Spr 9,4), hat der Heilige Geist durch den Mund Salomons gesprochen, und dieser selbe Geist der Liebe sagt auch, daß "den Kleinen Barmherzigkeit gewährt wird" (Weish 6,7). ... Und wie wenn alle diese Beweise noch nicht ausreichten, ruft dieser Prophet (Jes), dessen erleuchteter Blick bereits in die ewigen Tiefen eingetaucht ist, im Namen des Herrn aus: "Wie eine Mutter ihr Kind liebkost, so will ich euch trösten. An meiner Brust will ich euch tragen und auf meinen Knien wiegen" (Jes 13,12). - (218)
Er hat unsere Werke nicht nötig, sondern einzig unsere Liebe. Dieser selbe Gott, der erklärt, er habe keinesfalls nötig, uns zu sagen, wenn ihn hungert, hat sich nicht gescheut, etwas Wasser von der samariterin zu erbetteln ... Ihn dürstet! Aber mit diesen Worten: "Gib mir zu trinken!" (Joh 4,7) fordert der Schöpfer des Weltalls die Liebe seines armen geschöpfes. Ihn dürstet nach Liebe. (219)
Ja, damit die Liebe vollkommen zufriedengestellt werde, muß sie sich herabneigen bis zu dem Nichts und dieses Nichts in Feuer umwandeln. O mein Gott, ich weiß es: Liebe kann nur durch Liebe vergolten werden (Johannes vom Kreuz). - (226)
Aus: M. Breig: Meditationen mit Therese von Lisieux, Leutesdorf: Johannes 1988:
"Mit scheint, wenn eine kleine Blume sprechen könnte, so würde sie einfältig erzählen, was der liebe Gott für sie getan hat, und nicht seine Wohltaten zu verheimlichen suchen. Sie würde nicht unter dem Vorwand falscher Demut behaupten, sie sei ohne Anmut und Duft, die Sonne habe sie welken lassen , und die Unwetter hätten ihren Stengel geknickt, während sie doch an sich selbst das gerade Gegenteil wahrnimmt." (Autobiographische Schriften, 7)
Wahrheits-Liebe:
"Nie mache ich es wie Pilatus, der sich weigerte, die Wahrheit zu hören. Immer habe ich Gott gesagt: Mein Gott, ich bin sehr bedacht, dich zu hören. Ich bitte dich, antworte mir, wenn ich demütig frage: Was ist Wahrheit? Mache, daß ich die Dinge so sehe, wie sie sind, und daß nichts mir Sand in die Augen streue." SS 167.
"Wir werden Jesus nicht wie Pilatus fragen: Was ist Wahrheit? Wir besitzen die Wahrheit. Wir bewahren Jesus in unserem Herzen." Geschichte einer Seele, 271 f
"Ich sage immer die volle Wahrheit.Wenn man sie nicht erfahren will, soll man nicht zu mir kommen." - Céline Martin: Meine Schwester Therese, 26.
"Kommt die Wahrheit nicht aus Kindermund? Sie müssen mir also verzeihen, wenn ich die Wahrheit sage. Ich bin ein Kind, und immer will ich eines bleiben."
Sr. Céline: Sie scheute vor nichts zurück und hatte nicht die geringste Angst vor einem Kampf ... wenn es darum ging, die Wahrheit zu sagen. -
"Nur von der Wahrheit kann ich mich ernähren. Daher habe ich nie nach Visionen verlangt. Man kann auf Erden weder den Himmel noch die Engel so sehen, wie sie wirklich sind. Ich warte lieber bis nach meinem Tod." Letzte Gespräche, 146
Der Wille, innerlich klein zu bleiben wie ein Kind:
"Eine Seele ist nicht deshalb heilig, weil der liebe Gott sie als Werkzeug gebraucht ... Nichts darf man sich selbst zuschreiben, nicht das oder jenes für größer halten, sondern man muß alles auf Gott zurückführen. Kann man doch mit einer kleinen, schwachen, flackernden Flamme einen Brand verursachen; ebenso kann Gott sich bedienen, wie Er will, um sein Reich auszubreiten. Er kann ein gewöhnliches, sogar profanes Buch dazu benutzen. Deshalb darf es uns niemals stolz machen, wenn wir als Werkzeuge verwendet werden. Der liebe Gott braucht niemand dazu." - Céline Martin: Meine Schwester Therese, Wien München: Herold 1961.
Ich werde das Recht haben, bis zu meinem Tod kleine Dummheiten zu begehen, ohne Gott zu beleidigen, wenn ich demütig bin, wenn ich ganz klein bleibe. Schauen Sie auf die kleinen Kinder: sie hören nicht auf, Dinge zu zerbrechen, zu zerfetzen, fallen zu lassen, und doch lieben die Eltern sie sehr. Wenn ich in dieser Weise falle, so läßt mir dies mein Nichts noch mehr zum Bewußtsein kommen, und ich sage mir: was könnte ich fertgbringen, was würde aus mir, stützte ich mich auf meine eigenen Kräfte?
Seit einiger Zeit hatte ich mich dem Jesuskind als sein kleines Spielzeug angeboten. Ich hatte ihm gesagt, es solle mich nicht wie ein kostbares Spielzeug behandeln, das die Kinder nur anschauen, weil sie nicht wagen, es anzurühren, sondern als einen kleinen Ball von keinerlei Wert, den es auf den Boden werfen, mit dem Fuß stoßen, durchbohren, in einem Winkel liegen lassen oder an sein Herz drücken könne, wenn es ihm Freude mache. Mit einem Wort, ich wollte den kleinen jesus unterhalten, ihm Spaß machen, ich wollte mich ganz seinen kindlichen Unberechenbarkeiten überlassen. ... Er hatte mein Gebet erört. ... In Rom durchbohrte Jesus sein kleines Spielzeug (da sie vom Papst nicht die erlaubnis erhielt, mit 15 Jahren in den Karmel einzutreten). Er wollte sehen, was darin war, und nachdem er es gesehen, ließ er, von seiner Entdeckung befriedigt, seinen kleinen Ball fallen und schlief ein ... Was tat er während seines sanften Schlummers, und was wurde aus dem kleinen verlassenen Ball? ... Jesus träumte, er spiele noch immer mit seinem Spielzeug, indem er es abwechselnd fallen ließ und, nachdem er es wegrollen ließ, wieder aufnahm, er drückte es an sein Herz, ohne jemals mehr zuzulassen, daß es seiner kleinen Hand entgleite.
O kleines Kind, mein einziger Schatz, ich gebe mich deinen göttlichen Einfällen hin; ich will keine andere Freude, als dich zum Lächeln zu bringen. Schenke mir deine Gnaden und deine kindlichen Tugenden, damit die Engel und die Heiligen bei meiner geburt im Himmel in deiner kleinen Braut Therese vom Kinde Jesus erkennen. - (Quelle unbek.)
"Jesus war da und schlummerte in meinem Nachen, aber die Nacht war so schwarz, daß ich ihn nicht sehen konnte; nichts gab mir Licht, nicht einmal ein Blitz zerriß die düsteren Wolken... Sicher ist das Aufleuchten der Blitze ein kläglicher Schein, doch wäre ein Gewitter losgebrochen, so hätte ich wenigstens Jesus für einen Augenblick wahrnehmen können ... es war Nacht, tiefe Nacht der Seele ... (Autobiographische Schriften, 110)