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Religionsfreiheit contra Gottesrecht? Teil 1

Religionsfreiheit contra Gottesrecht?
Gibt es für die Konzilserklärung
Dignitatis humanae eine Hermeneutik der Reform in Kontinuität mit der
überlieferten Lehre der Kirche?
Von Wolfgang Schüler.

Teil 1.

Problemstellung

Martin Rhonheimer lehrt Ethik und politische Philosophie an der Päpstli-
chen Universität Santa Croce in Rom und hat in der Ausgabe August 2011
in der Zeitschrift Die neue Ordnung einen Artikel mit dem Titel „Religionsfreiheit – Bruch mit der Tradition?“ veröffentlicht.
In diesem Artikel verteidigt der Autor die Religionsfreiheit, die das Pastoralkonzil in seiner Erklärung Dignitatis humanae vorgetragen hat.
Zu Beginn seiner Abhandlung kennzeichnet er zutreffend die gegensätzlichen Positionen mit folgenden Worten:

„Die Lehre des Zweiten Vatikanums über die Religionsfreiheit bedeute einen
Bruch mit dem traditionellen Kirchenverständnis: So behaupten, mit entgegengesetzten Wertungen, sowohl ‚Progressisten’ wie auch ‚Traditionalisten.
Um den innerkirchlichen Sprengstoff ‚Religionsfreiheit’ zu entschärfen, versuchen andere wiederum die Lehre des Zweiten Vatikanums und diejenige der
Vergangenheit mit der Behauptung zu versöhnen, wenn man es richtig betrachte, bestünde hier in Wirklichkeit bruchlose Kontinuität und lehrmäßige Harmonie.

Doch auch solche Spurenverwischung vermag nicht zu befriedigen. Abgesehen davon, daß sie den wahren Gehalt der Lehre des Konzils verdunkelt, erscheint sie als Vertuschungsmanöver und ist letztlich kontraproduktiv. Sie
wird weder Progressisten noch Traditionalisten zu überzeugen vermögen, sind doch die Gegensätze zwischen vorkonziliarer Lehre über die Religionsfreiheit und derjenigen des Konzilsdekrets [es müsste heißen: der Konzilserklärung;

eine „Erklärung“ hat einen niedrigeren Rang als ein „Dekret“] Dignitatis humanae allzu offensichtlich.“ (R1, 244)

Rhonheimer versucht eine Lösung dieser Problematik, indem er sich auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Weihnachtsansprache von Benedikt XVI. an die römische Kurie vom 22. Dezember 2005 stützt, worauf wir später eingehen werden.
Er ist davon überzeugt, dass seine Darlegungen die Bemerkungen des
Papstes zu der Problematik in dieser Ansprache „ausleuchten“, und darin
scheint uns auch die besondere Bedeutung der Studie von Rhonheimer zu
liegen. Denn es spricht vieles dafür, dass man sie tatsächlich, zumindest in
ihren Grundzügen, als eine ausführliche Beschreibung dessen betrachten kann, was Benedikt XVI. in jener Weihnachtsansprache über die Religionsfreiheitsproblematik in Bezug auf Dignitatis humanae sagte.

Auf den oben genannten Artikel von Martin Rhonheimer folgte in derselben Nummer der Zeitschrift Die neue Ordnung ein Artikel von Pater Matthias Gaudron, einem Mitglied der Priesterbruderschaft St. Pius X., mit
dem Titel: „Ein klarer Traditionsbruch:

Die Religionsfreiheit des II. Vatikanums – Eine Antwort auf Prof. Martin Rhonheimer“.

Pater Gaudron war jahrelang Dozent für Dogmatik und Exegese in ihrem
Priesterseminar Herz Jesu in Zaitzkofen.
Auf diesen Artikel antwortete Rhonheimer in der Ausgabe Dezember 2011
derselben Zeitschrift unter der Überschrift: „Replik auf P. Matthias Gaudron.“
Auf diese Replik konnte Pater Gaudron in dieser Zeitschrift nicht antworten, weil diese keine Weiterführung der Auseinandersetzung wünschte.
Aber die Replik von Pater Gaudron findet man auf der Homepage der
Priesterbruderschaft St. Pius X.: pius.info. unter dem Datum 13. Januar 2012.
Bei unseren Überlegungen werden wir den Hauptartikel von Rhonheimer
systematisch untersuchen und dabei die anderen Artikel berücksichtigen.1
Da Rhonheimer in seinem Hauptartikel sowohl über die vorkonziliare Lehre über das Verhältnis von Kirche und Staat als auch über die diesbezügliche Lehre des Pastoralkonzils urteilt, sollen zunächst Grundzüge beider Lehren dargestellt werden, um eine tragfähige Basis für die Auseinandersetzung mit seinen Thesen zu gewinnen.

Grundzüge der vorkonziliaren Lehre
über das Verhältnis von Kirche und Staat.

Rhonheimer versucht die Lehre von Dignitatis humanae als einen epochalen Fortschritt gegenüber der vorkonziliaren Lehre der Kirche über das Verhältnis von Kirche und Staat zu erweisen.
Dabei stellt sich zunächst die Frage, ob er die vorkonziliare Lehre korrekt wiedergibt. Um das beurteilen zu können, legen wir bei unserer Darstellung derselben den Akzent auf diejenigen Punkte, die in Bezug auf die
Ausführungen von Rhonheimer eine
besondere Rolle spielen.
Bei unseren Überlegungen stützen wir uns auf den Entwurf, den der damalige Präfekt des Hl. Offiziums, Kardinal Ottaviani, als 9. Kapitel des geplanten Konzilsdokuments De Ecclesia ausgearbeitet und zu Beginn des
Konzils allen Konzilsvätern zugeleitet hatte. An diesem durch die Angabe eines umfangreiches Quellenmaterials (das
wir aus Platzgründen nicht angeben) bestens fundierten Entwurf wird deutlich, von welcher Lehre sich die Konzilsväter mehrheitlich verabschiedet haben, indem sie diesen Entwurf als Grundlage ihrer Beratungen über das Verhältnis von Kirche und Staat ablehnten.

Der Entwurf trägt die Überschrift Die Beziehungen zwischen Kirche und
Staat und die religiöse Toleranz. Übrigens war Kardinal Ottaviani ein ausgewiesener Fachmann für das öffentliche Recht der Kirche, welches das Verhältnis von Kirche und Staat zum Gegenstand hat. In diesem Entwurf – im folgenden Ottaviani-Entwurf genannt – fasst der Autor die diesbezügliche vorkonziliare Lehre der Kirche ausgezeichnet zusammen.

Das Recht Gottes, nicht nur von den
einzelnen Personen, sondern auch durch das staatliche Gemeinwesen verehrt zu werden.
Dieses Gottesrecht auf Verehrung durch das staatliche Gemeinwesen hebt der Ottaviani-Entwurf wie folgt hervor, wobei er zugleich die Begründung für die geschuldete Verehrung angibt:

„Die der göttlichen Majestät geschuldeten Ehrerweise müssen nicht nur von den
einzelnen Bürgern, sondern auch von den Staatsorganen, welche die bürgerliche
Gesellschaft bei den öffentlichen Akten repräsentieren, erbracht werden. Gott ist ja der Urheber der bürgerlichen Gesellschaft und die Quelle aller Wohltaten,
die sie an ihre Mitglieder austeilt. Demnach muß auch die bürgerliche Gesellschaft Gott ehren und verehren.“ (21)
Die Kirche hat, nachdem sie die Freiheit unter Kaiser Konstantin (etwa 275
– 337) erlangt hatte, allezeit sowohl die private als auch die öffentliche
Verehrung Gottes eingefordert. Sie folgt u.a. aus der Vater-unser-Bitte:

„Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.“
Dieses also auch auf Erden bringt nämlich eine generelle Unterwerfung
unter den Willen Gottes zum Ausdruck, von der kein Bereich ausgeschlossen bleibt, also auch nicht der staatliche Bereich. Man bedenke wohl, dass Christus, indem Er uns dieses Gebet gelehrt hat, mit dieser Vater-unser-Bitte einschlussweise auch Seinen Herrschaftsanspruch über den Staat zum
Ausdruck gebracht hat.
Darüber hinaus ist der Herrschaftsanspruch Christi über die Völker auch in
Seinen Worten enthalten:

„Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden.“ (Mt 28,18)
Der hl. Paulus spricht das universelle Herrschaftsrecht Christi über die Welt mit den Worten aus:
„Er ist der Anfang, der Erstgeborene von den Toten. So sollte Er in allem den
Vorrang haben“ (Kol 1,18).
„ … Christus … der allein machtvolle Gebieter, der König der Könige und der
Herr der Herren …“ (1Tim 6,15)

Wenn Christus in allem den Vorrang haben soll, wenn Er der König der Könige und der Herr der Herren ist, dann soll Er den Vorrang auch in der bürgerlichen Gesellschaft haben.
Die Liturgie der Kirche hebt dieses Recht Gottes in der Oratio des Christkönigsfestes hervor:

„Allmächtiger ewiger Gott, Du hast in Deinem geliebten Sohne, dem König des Weltalls, alles erneuern wollen; so gib denn gnädig, daß alle Völker, die durch das Unheil der Sünde entzweit sind, sich Seiner so milden Herrschaft unterwerfen:
der mit Dir lebt und herrscht.“
Die vorkonziliaren Päpste haben übereinstimmend das Königtum Christi
hervorgehoben:

So sagt Leo XIII. dazu in seiner Enzyklika Humanum genus:
„In der Tat: die menschliche Gesellschaft, für welche wir von Natur aus bestimmt sind, ist ausgegangen von Gott, dem Urheber der Natur; Er ist Quelle und Grund all der zahllosen Güter, die wir immerdar durch diese empfangen.
Wie darum dem Drang der Natur gemäß jeder Einzelne daran erinnert wird,
Gott eine religiöse Verehrung zu erweisen, von dem er das Leben und alles Gute, was er zugleich mit diesem empfing, erhalten hat:
so verhält es sich in gleicher Weise die Völker und die Staaten betreffend.“ (Freude an der Wahrheit, Nr. 63, 16)

Wenige Jahre später bekräftigt der Papst noch einmal diese Pflicht des
Staates in seiner Enzyklika Libertas praestantissimum:

„Darum hat die bürgerliche Gesellschaft, gerade weil sie Gesellschaft ist, Gott
als ihren Vater und Urheber anzuerkennen und Ihm als ihrem Herrn und Gebieter in Ehrfurcht zu dienen.“ (Freude an der Wahrheit, Nr. 73,16)
In gleichem Sinne sagt Pius X. in seiner Ansprache an das Konsistorium
am 21.2.1906:

„Gott ist aber nicht nur der Herr und Gebieter der Menschen als Einzelwesen,
sondern auch der Völker und Staaten; demnach müssen diese Nationen und ihre
Regierungen ihn anerkennen, ihn achten und ihn öffentlich verehren.“ (Ottaviani Entwurf, 21)

In seiner Enzyklika Quas primas vom 11.12.1925, in der Pius XI. das
Christkönigsfest einführt, begründet auch dieser Papst mit klaren Worten den Königsanspruch Christi über die Völker.

Dabei weist er darauf hin, dass die Vollmacht Christi zur Königsherrschaft
auf einem doppelten Fundament steht, nämlich Christus ist König kraft eines angeborenen Rechtes, da er der Gottmensch ist, und er ist König aufgrund eines erworbenen Rechtes, weil er die Welt erlöst und alle Menschen mit seinem Blut erkauft hat. (Heilslehre, 63)

In dieser Enzyklika, die dem Königtum Christi gewidmet ist, macht sich Pius XI. die folgenden Worte seines Vorgänger Leo XIII zu eigen:

„Seine Herrschaft erstreckt sich nicht nur auf die katholischen Völker, auch nicht nur auf jene, die durch …