Copertino
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Eine Schlagzeile, und warum die Himmelfahrt kein frommes Märchen ist. Ich liebte in jungen Jahren die Titelseiten des "Spiegels". Zwar provozierten mich die Schlagzeilen eher meinen Widerspruchsgeist,…Mehr
Eine Schlagzeile, und warum die Himmelfahrt kein frommes Märchen ist.

Ich liebte in jungen Jahren die Titelseiten des "Spiegels". Zwar provozierten mich die Schlagzeilen eher meinen Widerspruchsgeist, aber die Aufmacher brachten mir bei, was visuelle Kommunikation eigentlich ist: den Kern einer Sache mit den Mitteln von Bild und Wort auf die knappst mögliche Formel zu reduzieren. Dazu ist oft genug Provokation und das Kokettieren mit Kontrasten ein Mittel zum Zweck. Die Frontseite einer Zeitschrift gibt ihr ein Gesicht und dient natürlich dazu, Leser zum Kauf zu animieren.

Das können auch jene Leser sein, die mit dieser Aussage nicht einverstanden sind, auch nicht mit der logisch sich ergebenden Antwort auf die rhetorische Frage, die Ende April vor einem Jahr den Titel zierte: "Wer glaubt denn sowas? (Warum selbst Christen keinen Gott mehr brauchen)". So übertitelte der "Spiegel" jenes Bild, das mir aus der Kunstgeschichte so vertraut war: Es stammt von berühmten italienischen Maler Raffael.

Die Transfiguration (Verklärung Christi) ist Raffaels letztes Gemälde, an dem er bis zu seinem Tod 1520 gearbeitet hat. In dem Bild sind in einzigartiger Weise zwei Szenen aus dem Neuen Testament, die Verklärung Christi auf dem Berg Tabor und die Heilung des mondsüchtigen Knaben, in Beziehung gesetzt. Vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts galt es übrigens als das berühmteste Gemälde der Welt, und das mit gutem Grund. Mit der Himmelfahrt Christi schliesst sich der Kreis, der mit der Ankündigung des Engels in Nazareth oder spätestens bei der Geburt Jesu in Bethlehem begonnen hatte.
de.wikipedia.org/wiki/Transfiguration_(Raffael)

Ich fühlte mich von Spiegel natürlich provoziert, kaufte mir die Nummer, schrieb trotzig "ICH!" unter die Frage. Die Titelseite bezog sich auf einen Artikel, dem eine Umfrage in Deutschland zugrunde liegt. Danach ist der Glaube der Deutschen an einen persönlichen Gott ständig am Sinken. "Der Himmel ist leer" lautete der Spiegel-Innentitel, und der Text fuhr fort: "Gott, die Auferstehung und das ewige Leben stehen im Mittelpunkt des Christentums - doch Millionen Katholiken und Protestanten in Deutschland mögen daran nicht mehr glauben. Selbst aktive Kirchenmitglieder tun sich heute schwer mit der chirstlichen Lehre", so Autor Dietmar Pieper in seinem Artikel.

55% der Befragten glaubten gemäss der Umfrage vor einem Jahr noch an einen Gott, 2005 waren es noch zwei Drittel aller Deutschen gewesen. Bei den Katholiken war der Wert von 85% auf 75% gesunken, bei den Protestanten von 79% auf 67%, und unter den Konfessionslosen der Wert von 28% auf 20% geschrumpft. Nur 54% der Gottgläubigen glaubten an eine Auferstehung Jesu von den Toten.

Dass Gott alles, was es gibt, erschaffen habe, glaubten mit 49% nicht einmal mehr die Hälfte, und eine Minderheit von 40% glaubte noch an ein Leben nach dem Tod. Man kann sich davon beeindrucken lassen. Doch hätte sich vor zweitausend Jahren jenes kümmerliche Häufchen galiläischer Fischer, Zöllner und was die Menschen damals alles so arbeiteten von Umfragen bestimmen lassen, so hätten Sie nie etwas von jenen Ereignissen erfahren.

Die Mehrheit dachte auch damals völlig anders, und jene seltsame Botschaft von einem Menschen, der nach seinem Verbrechertod wiederauferstanden sein soll, und den seine Anhänger nach vierzig Tagen in den Himmel entschwinden sehen haben sollen, entsprach auch damals nicht den Bedürfnissen des römischen Weltmarktes. Rein natürlich betrachtet schreckt allein die Vorstellung eines gekreuzigten Menschen als Zentrum eine religion ab.

Wer sich nämlich am grünen Tisch eine marktgerechte Religion zusammenschustern will muss ganz anders vorgehen. Er sollte von den Bedürfnissen der Menschen her denken, wie zeitgeistige Theologen es gerne zu tun pflegen oder amerikanische Freikirchen mit ihrem Wohlstandschristentum. So erstaunt auch nicht die Reaktion der gebildeten Athener auf die Rede des Paulus, der ihnen von Tod, Auferstehung und Himmelfahrt jenes Jesu von Nazareth erzählte: "Als sie aber von Toten-Auferstehung hörten spotteten die einen, die anderen aber sprachen: Wir wollen dich darüber ein Andermal hören."

Es ist offenkundig, dass es da eine historische Religion gibt, die so gar nicht zu den natürlichen Bedürfnissen der Menschen passt, was übrigens täglich das Heer jener beweist, welche ihr Leben als "gottloses Glück" leben, so der Titel eines vor Jahrzehnten veröffentlichten Buches der Autorin Gisela Rudolf Salzmann oder der Titel "Gottlos glücklich - Warum wir ohne Religion besser dran wären" von Philipp Möller.

Es gab eine Zeit in jungen Jahren, wo ich das auch probiert hatte. Ich gestehe, ich bin daran gescheitert. Jene Geschichte hatte mich auf verschiedene Weisen immer wieder eingeholt. Alle die bekannten Erklärungs- und Deutungsversuche, wie die Kirche und die christliche Religion entstanden sein sollen ohne das Einbrechen jener anderen Dimension in diesen unseren so normalen und erklärbaren Alltag hinein, einer Religion, die so quer zu unseren Bedürfnissen nach Friede, Freude, Eierkuchen, Essen, Trinken, Sex und Seineruhehaben steht, veranlassten mich irgendwann, die historischen Grundlagen der biblischen Texte zu prüfen, dann auch Biographien unzähliger Menschen zu verschlingen, in denen jener Einbruch aus der anderen Dimension sich so überdeutlich zeigt, dass ich kapitulierte vor jener Evidenz.

Schliesslich gab es da noch jene Erlebnisse und Begebenheiten, die man nicht in sozialen Netz auszubreiten pflegt, und die dennoch zu den stärksten Erfahrungen gehören. Sie zeigten mir glasklar, dass es sie gibt, jene andere Welt, und auch wie nah sie uns täglich ist, ja dass uns nur eine dünne Scheidewand, der Tod, von ihr trennt. In diesem Zusammenhang hat für mich letztlich auch die Himmelfahrt Jesu Christi eine besondere Bedeutung bekommen. Sie steht nämlich für die Erfahrung, dass es sich lohnt über die leibliche Dimension des Menschen vor dem Hintergrund jenes Ereignisses vertieft nachzudenken, von dem die Apostelgeschichte und das Markusevangelium berichten. Mehr möchte ich an dieser Stelle gar nicht sagen und wünsche allen Mitlesenden einen sonnigen Auffahrtstag.

Übrigens heisst das Fest im Lateinischen "ascensio domini", also "Aufsteigen des Herrn", man könnte es auch übersetzen mit "Herrliches Hinaufschwingen". Das wünsche ich allen auch geistigerweise, nachdem ich heute einer Zeitung entnommen habe, dass im Zuge des Corona-Lockdowns Depressionen und Suizidgefährdungen stark am Zunehmen seien. In diesem Sinn verweist die "ascensio" auch auf eine letzte Bestimmung, die den Menschen als leib-geistig-seelische Einheit und ihr Auseinanderreissen im Tod als etwas Vorläufiges wahrnimmt; und das ist gut so.
SvataHora
Wohltuend, immer wieder mal Artikel zu lesen, die "to the point" sind (ich meine damit Ihren Artikel) fernab von allem Herunterspielen der Coronakrise und all dem Verschwörungsgedöns.
Lutrina
Wer liest denn sowas?
Warum selbst Linke kennen Spiegel mehr brauchen.
Endor
Shalom ! Das Blatt bleibt seinen braunen Geburtshelfern treu ! Shalom !
Copertino
Dazu gibt es auch eine Art Lexikon von Thierry Wolton: "ROT BRAUN - Der Pakt gegen die Demokratie von 1939 bis heute" , erschienen 2000 bei Hoffmann und Campe. Aus dem Klappentext:
"Die überaus genaue und überzeugende Entzifferung - und zuweilen auch Aufdeckung - historischer Abläufe, die Wolton leistet, führt so manche eingefahrene Vorstellung ad absurdum und liefert den Schlüssel zum Verständnis …Mehr
Dazu gibt es auch eine Art Lexikon von Thierry Wolton: "ROT BRAUN - Der Pakt gegen die Demokratie von 1939 bis heute" , erschienen 2000 bei Hoffmann und Campe. Aus dem Klappentext:
"Die überaus genaue und überzeugende Entzifferung - und zuweilen auch Aufdeckung - historischer Abläufe, die Wolton leistet, führt so manche eingefahrene Vorstellung ad absurdum und liefert den Schlüssel zum Verständnis aktueller totalitärer Bestrebungen", meint Le Temps.
Das Buch veranschaulicht eine subtile Verwandtschaft kommunistischer und faschistischer Denkungsart, die auch heute noch nicht überwunden ist.
der Logos
Jesus, der in den Himmel aufgefahren ist 🤔 🤔 AUFGEFAHREN? - HIMMELFAHRT? 🤔 🤔
Copertino
Danke für den Link. Das Bild zeigt nicht die Himmelfahrt, sondern die Verklärung von Raffael. Der Spiegel verwendete das Bild für seine Osterausgabe vor einem Jahr.
der Logos
@Copertino Danke für den Hinweis 😉 ---> BILDQUELLE: www.adam-online.de/christi-himmelf…