Hans-Georg Maassen: «Die Parteileitung der CDU benutzt uns als Buhmann für das Versagen der eigenen Politik»

Nach der Wahl in Thüringen ist in der CDU ein neuer Streit um die Werteunion entfacht. Ein CDU-Politiker bezeichnete die konservative Splittergruppe als Krebsgeschwür, das bekämpft werden müsse.

Benedict Neff, Berlin
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Hans-Georg Maassen, der ehemalige Chef des deutschen Verfassungsschutzes, äussert sich kritisch gegenüber der eigenen Partei.

Hans-Georg Maassen, der ehemalige Chef des deutschen Verfassungsschutzes, äussert sich kritisch gegenüber der eigenen Partei.

Uwe Meinhold / EPA

Die meisten CDU-Politiker, zumal in Berlin, haben sich für die Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen geschämt. Unverzeihlich nannte die deutsche Bundeskanzlerin die Wahl, weil die Thüringer CDU mit der AfD einem FDP-Politiker ins Amt verholfen hatte. Die Werteunion, eine Gruppe konservativer Christdemokraten, sieht es anders. «Hauptsache, die Sozialisten sind weg», sagte Hans-Georg Maassen, ehemaliger Chef des deutschen Verfassungsschutzes und prominentes Mitglied des Vereins. Er gratulierte dem Wahlsieger Thomas Kemmerich zu seinem «Riesenerfolg».

An sich wäre die CDU mit der Suche nach einem neuen Parteichef ausgelastet, trotzdem scheint man dem innerparteilichen Streit nicht aus dem Weg gehen zu wollen. Die Werteunion sei wie ein «Krebsgeschwür», sagte der CDU-Politiker Elmar Brok, der fast dreissig Jahre lang Mitglied des Europäischen Parlaments war. «So etwas muss man im Vornherein mit aller Rücksichtslosigkeit bekämpfen.» Das Geschwür, so Brok, dürfe nicht in die Partei hineinwachsen.

Der CDU-Aussenpolitiker und Bundestagsabgeordnete Norbert Röttgen twitterte: «Aus den gleichen grundsätzlichen Erwägungen, die auf die AfD zutreffen, muss es für die CDU eine glasklare politische Trennung zur Werteunion geben.» Der saarländische CDU-Ministerpräsident Tobias Hans sagte: «Ein Bekenntnis zur Werteunion ist eine Beleidigung für alle CDU-Mitglieder.»

Ein kleiner Verein

Die Werteunion ist ein Verein, der nach eigenen Angaben rund 4000 Mitglieder hat – bei der CDU sind es 400 000. Die meisten Mitglieder der Werteunion sind nicht prominent. Neben Maassen und dem Gründer des Vereins, Alexander Mitsch, hat der Dresdner Politikwissenschafter Werner Patzelt eine gewisse Bekanntheit. Die Gruppe verschafft sich vor allem in den sozialen Netzwerken Gehör, manchmal überdreht sie da und klingt allzu schrill. Popularität erlangen sie aber vor allem auch durch all jene, die sie öffentlich bekämpfen.

Ihre CDU-internen Kritiker betonen gern, der Verein habe kaum Einfluss in der Partei. Umso mehr wundert man sich über die Aufmerksamkeit, die sie der Werteunion zukommen lassen. Im vergangenen Jahr hat die CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer in einem Interview einen Parteiausschluss von Maassen ins Spiel gebracht, schliesslich krebste sie wieder zurück. Die völlig unterschiedliche Bewertung der Wahl in Thüringen hat nun aber den Ton gegenüber der Werteunion verschärft.

Von den Medien als «ultrakonservativ» gehandelt

In den Medien wird die konservative Splittergruppe wie eine Sekte behandelt. Im «Spiegel», in der «Süddeutschen Zeitung» oder im ZDF wird der Verein als «ultrakonservativ» bezeichnet. Ein bekannter Podcaster aus Berlin nennt die Werteunion auch rechtsradikal. «Die Medien vergleichen uns mit der Tea Party und stellen uns wie fundamentalistische Hinterwäldler dar», sagt Hans-Georg Maassen am Telefon, «als würden wir mit schwarzem Talar und schwarzen Hüten ins Feld ziehen, um Abtreibungen zu bekämpfen.» Das sei fernab jeder Realität.

Der Verein versteht sich als christlich, freiheitlich und patriotisch. Er wurde im Frühjahr 2017 gegründet, vor allem aus Ärger über Merkels Flüchtlingspolitik. Die Werteunion fordert einen starken Rechtsstaat, Assimilation statt Integration von Einwanderern, eine Wiedereinführung der Wehrpflicht und stärkeren Grenzschutz. Dem Atomausstieg steht sie kritisch gegenüber. Das meiste, was sie fordert, ist konservativer Mainstream.

Eine Sprache, die man aus Diktaturen kenne

Maassen sieht drei Gründe, warum der Verein von der eigenen Partei bekämpft wird. «Die Parteileitung der CDU benutzt uns als Buhmann für das Versagen der eigenen Politik», sagt er, das habe man schon nach den Europa-Wahlen und den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen beobachten können. Zum anderen sehe die Parteispitze die Werteunion als Bedrohung für die eigene Autorität, und schliesslich bekämpfe man ihre Positionen, die noch bis vor einigen Jahren unbestrittener Grundkonsens in der Union gewesen seien.

«Dass uns Herr Brok als Krebsgeschwür bezeichnet und uns damit entmenschlicht, ist verstörend», sagt Maassen. «Das ist eine Sprache, die man sonst nur aus Diktaturen gegenüber politischen Abweichlern kennt.» Es mache ihm Sorgen, dass die Parteiführung dies zu dulden scheine.

In der Wahl von Thüringen will Maassen nichts Skandalöses sehen. Er halte nichts von einer Zusammenarbeit mit der AfD, dazu gebe es eine klare Beschlusslage. «Wenn ich aber für ein Amt kandidiere, kann es nicht entscheidend sein, wer mich wählt und ob der Wähler ein Ehrenmann ist oder ob er mich nur aus taktischen Gründen wählt», sagt er. «In Deutschland fordern manche Kreise schon die Abschaffung der geheimen Wahl im Parlament, damit die Herkunft der Stimmen immer eruiert werden kann. Ich finde das bedenklich.»

Trotz allen Widerständen und Differenzen gegenüber der CDU-Führung denke er aber nicht daran, sein Engagement einzustellen. Er wolle helfen, die Partei zum Besseren zu verändern.

Alexander Mitsch will sich nicht abschrecken lassen

Alexander Mitsch, Gründer und Chef der Werteunion, sieht es ähnlich: «Ich lasse mich von solchen Beleidigungen nicht abschrecken.» Die Vorwürfe, die sein Verein gerade erlebe, zeigten ihm nur, dass man ihn nicht mehr ignorieren könne. Nach der Wahl von Thüringen habe die Werteunion Hunderte neue Mitgliederanträge erhalten.

Auch Mitsch verteidigt die Thüringer CDU. Eine Partei könne nur für ihr eigenes Stimmverhalten Verantwortung übernehmen. «Wenn ein Kandidat der AfD, der Linkspartei und der FDP zur Wahl stehen, entscheiden wir uns natürlich für den Liberalen», sagt er. «Alles andere wäre auch fatal, wir dürfen uns politisch nicht verbiegen.» Stimme die AfD dann mit der CDU, so bleibe aber «ein bitterer Nachgeschmack».

Wolfgang Bosbach warnt vor Ausgrenzung

Es läge nahe, dass sich Mitsch für Friedrich Merz als neuen CDU-Chef aussprechen würde. Dieser hat die Werteunion im vergangenen Jahr als «Hilferuf von unten» bezeichnet, damit sich die Parteiführung wieder intensiver mit bestimmten Themen beschäftige. Verglichen mit Broks Statement klingt das geradezu freundlich. Mitsch will sich aber nicht festlegen, wichtiger als die Person sei der politische Inhalt, und dieser müsse sich ändern, und zwar so: zugunsten von Steuersenkungen und einer Steuerung und Begrenzung der Einwanderung.

Die Werteunion wird im Wettbewerb um die Nachfolge von Kramp-Karrenbauer keine grosse Rolle spielen. Wie die CDU aber mit der Werteunion umgeht, ist wegweisend für die Partei. Wolfgang Bosbach, langjähriger CDU-Abgeordneter im Bundestag und selbst nicht Mitglied der Werteunion, sagte es so: «Wer die AfD noch stärker machen will, drängt jetzt die Mitglieder der Werteunion aus der Partei.» Werden Leute wie Mitsch und Maassen auch in CDU-Kreisen zu Radikalen erklärt und ausgeschlossen, müsste man sich Gedanken machen, wo Konservativismus in Deutschland beginnt und endet.

Sprecher der Werteunion tritt wegen Drohungen zurück

(dpa) Der Bundessprecher der Werteunion, Ralf Höcker, legt wegen Bedrohungen alle seine politischen Ämter nieder. «Mir wurde vor zwei Stunden auf denkbar krasse Weise klar gemacht, dass ich mein politisches Engagement sofort beenden muss, wenn ich keine ‹Konsequenzen› befürchten will», schrieb der Kölner Rechtsanwalt am Donnerstag auf Facebook. «Die Ansage war glaubhaft und unmissverständlich. Ich beuge mich dem Druck und lege mit sofortiger Wirkung alle meine politischen Ämter nieder und erkläre den Austritt aus sämtlichen politischen Organisationen.»

Der Vorsitzende der Werteunion, Alexander Mitsch, bestätigte den Rücktritt. «Ich kann nachvollziehen, dass er unter dem Druck nicht mehr weitermachen möchte und bedauere und verurteile zutiefst, dass solche Dinge in Deutschland möglich sind», sagte Mitsch. Zuvor hatte der Deutschlandfunk über Höckers Rücktritt berichtet. (Aktualisierung vom 13. Februar, 17 Uhr 50)