«Schmerzhaft, aber unvermeidlich»: Der Zürcher Regierungsrat Mario Fehr tritt aus der SP aus

Als Grund gibt er die Spannungen mit der «zunehmend ideologischen und nach links abdriftenden» Führung der Zürcher SP an. Die Partei schreibt, sie habe Fehr nicht nochmals für eine weitere Amtszeit empfehlen wollen.

Daniel Fritzsche, Fabian Baumgartner, Jan Hudec 37 Kommentare
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Mario Fehr, Ex-Sozialdemokrat.

Mario Fehr, Ex-Sozialdemokrat.

Goran Basic / NZZ

Mario Fehr und die SP, das ist seit vielen Jahren eine schwierige Beziehung. Immer wieder kam es zwischen dem Zürcher Sicherheitsdirektor und Exponenten seiner Partei zu Konflikten – sei es in der Asyl- oder der Sozialpolitik.

Nun zieht Fehr den Schlussstrich. Er tritt per sofort aus der Partei aus. «Als Regierungsrat kann ich so nicht länger arbeiten, ohne unglaubwürdig zu werden», begründet er seinen Entschluss. «Die seit längerem spürbaren Spannungen mit der zunehmend ideologischen und nach links abdriftenden Führung der SP der Stadt und des Kantons Zürich haben für mich die Zusammenarbeit immer mühevoller gestaltet, ja zunehmend verunmöglicht.»

Der politische Stil innerhalb der SP habe sich markant verändert, kritisiert Fehr. Das zeige sich in der «wachsenden Intoleranz gegenüber abweichenden Meinungen, nicht zuletzt auch in Form von Beschimpfungen, Beschwerden und Strafanzeigen». Fehr spielt damit auf eine Anzeige an, welche die Juso 2015 gegen ihn eingereicht hatten. Der Grund war der Kauf eines Staatstrojaners. Damals sistierte Fehr seine Parteimitgliedschaft für einige Monate.

Inzwischen sei es offensichtlich, dass die derzeitigen Gremien der Partei keine Unterstützung böten, ja eher «eine Behinderung» seien, was Fehrs Arbeit und die Erfüllung seiner Aufgaben betreffe. «Ich will nicht zuletzt meine Verpflichtung gegenüber allen Zürcherinnen und Zürchern nach bestem Wissen und Gewissen erfüllen können», sagt er.

In zentralen Punkten auf Abwegen

Als seine Kernaufgaben nennt Fehr den Schutz und die Sicherheit der Bevölkerung, Transparenz in der polizeilichen Arbeit (wozu auch die Nennung der Nationalität von Tätern in Polizeimeldungen zähle), eine konsequente Asylpolitik, eine gezielte Unterstützung von sozial Schwächeren (anstelle eines Giesskannenprinzips) und die Förderung der Eigenverantwortung.

Fehr sieht die SP in diesen zentralen Punkten auf Abwegen. In der kantonalen Asylpolitik fokussiere die SP-Leitung etwa «immer und immer wieder auf die 26 straffälligen abgewiesenen Männer aus dem Maghreb», die im Rückkehrzentrum Urdorf lebten. Bei seiner Ex-Partei vermisst er die Bereitschaft, das geltende Asylrecht zu akzeptieren. Zuletzt sorgte eine Medienmitteilung rund um einen Fenstersturz von zwei jungen Männern, die aus der Corona-Quarantäne in einem Zentrum hatten flüchten wollen, für Wirbel und eine Rücktrittsforderung seitens der Juso.

Bei der Nomination für die Regierungsratswahlen vor zwei Jahren hatte sich die Stadtzürcher SP gegen Fehr gestellt. Damals war sie aber von den Vertretern ländlicher Gemeinden klar überstimmt worden.

Tritt Fehr 2023 als Parteiloser an?

Der Schritt, aus der SP auszutreten, sei für ihn «schmerzhaft und bedauerlich, letzten Endes aber unvermeidlich», sagt Fehr weiter. Nach 39 Jahren politischer Arbeit habe er in der Partei viele Freundschaften geschlossen. Aber es gehe um seine «Regierungsratsfähigkeit».

Ob Fehr 2023 noch einmal zu den Wahlen antritt, hat er noch nicht entschieden. «Das ist frühestens in einem Jahr ein Thema», sagt er dazu. Sicher sei, dass er keine neue Partei gründen werde und auch keine Pläne habe, einer anderen politischen Gruppierung beizutreten. Seiner «sozial-liberalen Haltung» werde er aber treu bleiben. «Ich bleibe der Politiker, der ich bin und den Sie kennen.»

Fehr ist nicht der erste aus dem sozialliberalen Flügel, der die SP verlässt. Vor ihm wechselten etwa die frühere Nationalrätin Chantal Galladé und der frühere kantonale Parteipräsident Daniel Frei enttäuscht aus der Partei aus – und traten zur GLP über.

Ein Wechsel zu den Grünliberalen ist jedoch kein Thema, wie der Zürcher Co-Präsident Nicola Forster auf Anfrage sagt. Man habe mit Fehr nie über einen Parteiübertritt verhandelt, weshalb man den SP-internen Konflikt auch nicht kommentieren wolle. Forster hält fest: «Der Parteiaustritt aus der SP ändert nichts an unseren Plänen, 2023 mit einer eigenen Kandidatin oder einem Kandidaten anzutreten. Wir haben Anspruch auf einen Sitz in der Regierung.»

Auch die EVP wird häufig als mögliche neue politische Heimat für Fehr genannt. Der Zürcher Parteipräsident Hanspeter Hugentobler sagt auf Anfrage, dass bisher keine entsprechenden Gespräche stattgefunden hätten. «Es ist aber sicher so, dass wir in der Vergangenheit gut zusammenarbeiten konnten und auch politisch sehr viele Überschneidungsbereiche haben.» Die EVP wäre also durchaus bereit, Gespräche über einen Beitritt zu führen, die Initiative dazu müsse aber von Mario Fehr kommen. «Unsere Wahlstrategie für 2023 steht noch nicht, insofern wären wir noch offen.»

Dass Fehr zur Mitte beitritt, sei im Moment kein Thema, sagt Co-Präsidentin Nicole Barandun. Auch Gespräche in diese Richtung hätten bisher mit ihm keine stattgefunden. Sie finde es respektabel, dass Fehr nicht sofort bei einer anderen Partei Zuflucht gesucht habe. «Sollte es aber einmal ein Thema für ihn werden, wären wir sicher offen für Gespräch.» Immerhin handle es sich bei Mario Fehr um einen sehr erfahrenen und erfolgreichen Politiker.

«Es war klar, dass der Austritt kommen würde»

Fehrs Schritt hat Folgen: Die Sozialdemokraten sind ab sofort nur noch mit Jacqueline Fehr in der siebenköpfigen Zürcher Kantonsregierung vertreten. Der nun Parteilose ist der beliebteste der Zürcher Regierungsräte, nimmt man die Wahlen 2019 zum Nennwert. Damals machte er mit rund 173 000 Stimmen das beste Resultat, vor Jacqueline Fehr mit rund 150 000 Stimmen.

Die SP hat in einem Communiqué Stellung zum Parteiaustritt genommen. Fehrs Schritt sei nach intensiven Gesprächen in den letzten Wochen erfolgt. Man habe ihn dabei über den Entscheid der Geschäftsleitung informiert, ihn den Delegierten nicht mehr für eine weitere Amtsperiode zu empfehlen.

Eigentlich habe man mit Fehr vereinbart, schreibt die Partei, erst Ende Sommerferien über die gemeinsame Zukunft zu informieren. Nun habe er sich entschieden, dies früher zu tun. «Ein Austritt tut immer weh – auch wenn er wie hier eine Folge unüberbrückbarer Differenzen ist.» Und die SP hält fest, man sei überzeugt, dass man die Trennung mit Anstand vollziehen könne.

SP-Fraktionspräsident Markus Späth sagt auf Anfrage, Fehrs Austritt sei das Ergebnis eines längeren Entfremdungsprozesses. Er gibt jedoch zu, dass sich dieser zuletzt nochmals beschleunigt hat. «Mario Fehr hat die Zusammenarbeit mit der Fraktion vor einigen Wochen beendet. Ich bedaure dies, denn wir hatten zuvor gerade in sozialpolitischen Fragen sehr gut mit ihm zusammengearbeitet.» Über die Gründe will Späth nicht spekulieren. «Allenfalls hat der Entscheid der Geschäftsleitung, ihn nicht mehr für eine weitere Amtsperiode zu empfehlen, eine Rolle gespielt. Eine politische Auseinandersetzung gab es in der jüngeren Vergangenheit jedenfalls nicht.»

Wie es nun weitergeht, ist noch unklar. Späth sagt: «Wir werden mit Mario Fehr weiterhin konstruktiv zusammenarbeiten. Die Nähe, die man normalerweise zu einem eigenen Regierungsrat hat, wird aber natürlich fehlen.»

Für Lilli Rose Wiesmann, die Präsidentin der Zürcher Juso, ist der Schritt die logische Konsequenz aus den Ereignissen der letzten Jahre. «Es war klar, dass der Austritt aus der Partei irgendwann kommen würde.» Von Fehrs Kritik, abweichende Meinungen würden nicht mehr toleriert, hält Wiesmann wenig. «Wir als Juso haben immer mit offenen Karten gespielt. In der Politik gehört es dazu, für Entscheide ehrlich kritisiert zu werden. Seine Politik lässt sich nun jedoch einfach nicht mehr mit dem Kurs der SP vereinbaren.»

Auf Twitter schiesst die Juso deutlich schärfer: Fehr sei «zunehmend menschenverachtend und nach rechts» abdriftend und einer sozialen Partei wie der SP «nicht würdig».

37 Kommentare
Jürg Simeon

Bravo und endlich, Regierungsrat Mario Fehr hat die richtige Entscheidung getroffen. Mir war es seit langer Zeit ein Rätsel, das er sich das mit der dogmatischen SP antut.  

Werner Moser

Logisch und professionell sehr gut nachvollziehbar. Seine Leistungen als Zürcher Regierungsrat sind derart hilfreich, nützlich, gut und weit herum sehr geschätzt, dass er - mit Blick auf Status heute - mit sehr intakten Chancen noch einmal zur Wahl antreten sollte. Irrelevant, was die SP dannzumal aus deren Hut "zaubern" wird. Auf eine derartige Kompetenz und Erfahrung zu verzichten, käme einer Verschleuderung bester Qualitäten gleich. Eine "sozial - liberale Haltung", welche heutzutags selten in Verantwortung anzutreffen ist. Solche Politiker gibt es nicht alle Tage. Dementsprechend gilt es vom Souverän aus gesehen solche zu hegen und zu pflegen. Insbesondere dann, wenn die Sarg-Nägel à la SP es nicht ertragen, dies zu erkennen und selbst zu tun. Schlecht so!