Das wunderbare innere und äußere Leben der Dienerin Gottes Anna Katharina Emmerich

der Dienerin Gottes
Anna Katharina Emmerich
aus dem Augustinerorden
von
P. Thomas a Villanova Wegener
Mitglied des Augustinerordens
Sechste Auflage
Mit Genehmigung der geistlichen Obrigkeit
Dülmen i. W.
A. Laumann'sche Buchhandlung
Verleger des heil. Apostol. Stuhles
Imprimatur. Monasterii, die 11. Decembris 1918. Dr. Hasenkamp, Vicarius Eppi. Gnlis., Nr. 7199.
Die Drucklegung wird hiermit gestattet. Würzburg, 24. Juli 1918. P. Fr. Ambrosius Schubert, O. Fr. S. Aug. Provl., Nr. 162.
Bischöfliche Empfehlung. Regensburg, 30. Oktober 1891.
Das mir von der verehrlichen Verlagshandlung mitgeteilte Buch "Anna Katharina Emmerich" habe ich erhalten und mit großem Interesse durchgelesen. Es ist ein vortreffliches Kompendium, für dessen Ausgabe dem Verfasser wie dem Verleger volle Anerkennung gebührt. Ich wünsche ihm die weiteste Verbreitung, damit die Tugenden und das heilige Leben der Dienerin Gottes Nachahmung finden und vielen zur Auferbauung und zum Segen gereiche. +Ignatius, Bischof von Regensburg.
Der Verfasser erklärt in vollkommener Unterwerfung unter die Dekrete Urbans VIII., daß er vor dem Ausspruche der Kirche allen außerordentlichen Tatsachen und Vorkommnissen, welche in dem vorliegenden Buche behandelt werden, keine andere, als eine rein menschliche Glaubwürdigkeit beigelegt wissen will.
Vorwort für die fünfte Auflage.
Um den Lesern des wunderbaren Lebens der gottseligen Dienerin Gottes Anna Katharina Emmerich in unserer Zeit etwas zu Hilfe zu kommen, mögen folgende Worte dienen.
Von den übernatürlichen Gaben und besondern Vorkommnissen im christlichen Glaubensleben, deren es viele in der Emmerich'schen Lebensbeschreibung gibt, wird heutzutage im öffentlichen Leben wenig mehr gehalten. Dieselben werden vielmehr häufig als unmöglich und als unwahr dargestellt, so daß selbst gute Katholiken in der Annahme und Beurteilung derselben zweifelhaft und unsicher gemacht werden. Und doch sind alle die wunderbaren Züge, welche uns im Leben der gottseligen Anna Katharina begegnen, im Laufe der Jahrhunderte schon oft an einzelnen Christen vorgekommen. Nicht ein einziger Zug ist neu darin. Und alle diese außergewöhnlichen Vorkommnisse sind schon von der Kirche in früheren Heiligsprechungen und andern Erlassen als wahre Tatsachen und als übernatürliche Wirkungen Gottes erklärt worden.
In welchen Widerspruch mit der Kirche setzt sich also derjenige, der sie entweder als Tatsachen leugnet oder natürlich erklären will.
Zwar gehören die Heiligsprechnungen nicht zu den zur Seligkeit notwendigen Glaubensstücken, es ist aber für jeden katholischen Christen unerlaubt und Sünde, diese Aussprüche der Kirche als unwahr zu beanstanden, sowie das Wunderbare an jenen Tatsachen als falsch und irrig zu bezeichnen. Ja, die Kirche ist noch viel weiter gegangen in bezug auf die Sitgmatisation und auf die Sehergabe, welche zwei Punkte eine besondere Rolle im Leben von Anna Katharina spielen. Die Kirche hat die Stigmatisation des heiligen Franziskus zu einem allgemeinen Feste erhoben, so daß alle Priester der katholischen Kirche verpflichtet sind, dieses Festoffizium zu beten. Die Kirche hat ferner die Vision der heiligen Juliana aus dem Augustinerorden von Lüttich anerkannt und dazu gebraucht, das Fronleichnamsfest einzusetzen; die Kirche hat die Offenbarung Christi an die heilige Margareta Alacoque anerkannt und infolge derselben dem Feste vom heiligen Herzen Jesu den höchsten Rang gegeben und die Andacht zu demselben allen anempfohlen.
Darf hiernach ein Katholik Stigmatisation und Vision als Dinge verwerfen, welche sich mit der heutigen Wissenschaft nicht mehr vertragen? -- Die Weisheit dieser Welt ist Torheit bei Gott (I. Kor. 3, 19).
Der Herausgeber.
Vorwort für die sechste Auflage.
P. Thomas a Villanova Wegener, der Verfasser dieser in weiten Kreisen des christlichen Volkes so beliebt gewordenen Lebensbeschreibung der Dienerin Gottes Anna Kath. Emmerich, hat am 27. Januar 1918 im gottgesegneten Alter von über 86 Jahren Lebensfeierabend gemacht. Vom stillen Emmerichhause in Dülmen aus ist er zu Gott gegangen in der zuversichtlichen Hoffnung, daß Gott seine hauptsächlichste Lebensarbeit mit Erfolg krönen werde zur Verherrlichung der zu ihrer Lebenszeit schon von Gott mit den Zeichen der Erlösung geschmückten und beglaubigten Dienerin Gottes Anna Katharina und zur Freude ihrer zahllosen Verehrer in allen Weltteilen, zum Heil und Segen aller treuen Kinder der Kirche. Kaum ist der Verfasser entschlafen, da wird eine Neuauflage, die sechste dieses seines vorzüglichen Werkes, notwendig. Möge diese sechste Auflage in unveränderter Form als ein heiliges Vermächtnis des lieben Verstorbenen ihre Reise in die christlichen Familien antreten, die Kenntnis und Verehrung der Dienerin Gottes fördern, erbauen und reichen Segen stiften wie die früheren Auflagen.
Ein Mitbruder des + Verfassers.
Quellen dieses Buches.
1. Das wie als Quellenwerk abgefaßte Buch: "Das Leben der gottseligen Anna Katharina Emmerich", von P. Schmöger, Redemptorist. Approbiert vom hochseligen Peter Joseph, Bischof von Limburg. I. Band 1867, II. Band 1870. Freiburg bei Herder.
Von diesem Werke hat der hochselige Kardinalpriester Karl August, Graf von Reisach, in Rom eine Dedikation huldvollst angenommen. -- Approbation und Dedikation sind dem Werke vorausgedruckt.
Aus diesem Quellenwerke waren für den Verfasser dieses Buches namentliche Quellen: Die amtlichen bischöflichen Akten von Münster über das Leben der gottseligen Anna Katharina Emmerich, und die von Brentano während fünf Jahren gesammelten Lebenszüge von Jugend auf bei ihren Verwandten und Bekannten in Coesfeld und Dülmen.
2. Die Visionen der gottseligen Klosterfrau Anna Katharina Emmerich.
"Das Leben unsers Herrn und Heilandes Jesu Christi", herausgegeben von P. Schmöger. Approbiert vom hochseligen Peter Joseph, Bischof von Limburg. I. und II. Band 1858, III. Band 1860. Regensburg bei Pustet.
"Das arme Leben und bittere Leiden unsers Herrn Jesu Christi und seiner heiligen Mutter Maria", herausgegeben von P. Schmöger. Approbiert vom Bischof Ignatius von Regensburg. 1881. Regensburg bei Pustet.
Die Approbationen sind den Werken vorausgedruckt.
3. Der Verfasser ist im Besitze des sieben Jahre (1813-1820) umfassenden Tagebuches über die Gottselige von ihrem Arzte Dr. Wesener, sowie einer von demselben verfaßten Schrift über sie, für ein medizinisches Blatt bestimmt, welche aber ungedruckt geblieben ist.
4. Der durch den Druck veröffentlichte broschürenartige Brief von Graf Fr. Leopold von Stolberg.
5. Die Literatur in Zeitschriften und Broschüren, welche zu Lebzeiten der Gottseligen für und wider sie erschienen sind.
6. Die Lebensbeschreibung der Gottseligen, verfaßt von Klemens Brentano, dem Buche vom bitteren Leiden vorausgedruckt.
7. "Erinnerung an Anna Katharina Emmerich, nebst erster Veröffentlichung der Aufzeichnungen von Overberg", von Dr. C. Krabbe. Münster bei Regensberg 1860.
8. Besondere Abhandlungen über die Bedeutung und die Visionen von Anna Katharina Emmerich, verfaßt von P. Schmöger, General-Vikar Windischmann, Benediktiner-Abt Guéranger, der historisch-politischen Blätter im Jahrgange 1858.
9. Notizen, vom Verfasser selbst in der Heimat der Gottseligen gesammelt; er hat noch ihren leiblichen Bruder und andere Verwandte gekannt und gesprochen.
10. Als Hilfsmittel haben gedient: Lebensbild des Klemens Brentano von P. Diel, S. J., herausgegeben von P. Kreiten, S. J.
Lebensbild der Luise Hensel von Dr. Franz Binder.
Nach diesen allgemeinen Angaben hat der Verfasser, da er diese Schrift als ein Volksbuch betrachtet, sich nicht für verpflichtet gehalten, die Worte anderer nach den genauen Stellen immer zu bezeichnen.
Erster Teil:
Katharinas Lebenslauf
in der wunderbaren Vorsehung Gottes.
1. Kapitel.
Der Lebensberuf und die Zeitgeschichte Katharinas.
In den einfachen Lebensrahmen einer westfälischen Jungfrau aus der Diözese Münster, gestorben 1824, welche als Kind armer Bauersleute in der Hütte ihrer Eltern aufgewachsen, hier und bei andern in den schlichten Verhältnissen als Magd bis zu ihrem 28. Lebensjahr gedient hat, dann neun Jahre lang in der Verborgenheit Ordensschwester war und hierauf, weil ihr Kloster aufgehoben wurde, noch zwölf Jahre lang krank auf einer einsamen Stube in der Welt zubrachte, hat Gott eine innere geistige Welt eingeschlossen, welche von Wundern seiner Gnaden und seiner Gaben angefüllt ist.
Was in der Führung der Menschen seitens Gottes bisweilen geschieht, war auch bei ihr der Fall, daß er sie nämlich zu einem Werkzeuge seiner ganz besondern Vorsehung erwählt hat.
Im Alten Bunde schickte Gott die Propheten, wenn das jüdische Volk von ihm abfiel. Er tat es aus Barmherzigkeit für sein auserwähltes Volk. Jene sollten durch freimütige Verkündigung seines Wortes, durch Wunder und Weissagungen, durch Androhung seiner Strafgerichte, endlich durch das Beispiel ihres gottesfürchtigen Wandels das Volk von seinen falschen Wegen zu ihm zurückführen. In ähnlicher Weise hat der Herr in seiner christlichen Kirche oftmals dasselbe Wirken seiner barmherzigen Weisheit gezeigt, um sie in bösen Zeiten vor innern und äußern Feinden in Schutz zu nehmen. Er erweckte in ihr alsdann Menschen, welche groß waren durch Heiligkeit des Wandels oder durch Martyrtum, damit ihre Tugenden zum Beispiele für alle würden; oder er zeichnete sie aus durch übernatürliche Gaben und Wissenschaft, um den Verirrten zum Lichte und zum Zeichen zu sein, und endlich machte er sie durch die Kraft ihrer Gebete und durch die Opfer ihrer Leiden zu Vermittlern seiner Hilfe und seines Trostes an die Bedürftigen.
Als um das Jahr 400 nach Chr. das alte Heidentum mit seinem Glanze und Götzendienste, wie auch seine Stütze, das große Römerreich, zusammenbrach, und die Völker ihre Wohnplätze wechselten, da stellte Gott an diese große Zeitenwende den größten aller Kirchenlehrer, den heiligen Augustinus mit seiner "Stadt Gottes" hin, um den alten wie den neuen Völkern eine Wolken- und Feuersäule der christlichen Erkenntnis und Führung zu werden, um eine Reihe von Irrlehren durch die Schärfe seines Geistes zu vernichten, um als Ordensstifter ein Fundament christlicher Vollkommenheit für alle Jahrhunderte zu legen.
Im dreizehnten Jahrhundert lebte die heilige Klara von Montefalko, eine geistige Tochter des heiligen Augustinus. Sie besaß die mannigfaltigsten Geistesgaben und wurde mit ihrer himmmlischen Erkenntnis und der Unterscheidungsgabe der Geister nach Gottes Fügung den Sektierern ihrer Zeit gegenübergestellt, um deren scheinheiliges und schändliches Verfahren als Betrug des Teufels aufzudecken. -- Noch andere gleichartige Beispiele der Kirchengeschichte ließen sich hier anfügen.
Zu einer solchen höheren Wirksamkeit für die Kirche war auch Katharina berufen, eine Ordenstochter des großen heiligen Augustinus und eine Mitschwester der heiligen Klara von Montfalko. Sie lebte von 1774 bis 1824. In diesem Zeitraum ging durch die gänzliche Umgestaltung der Verhältnisse für Staat und Kirche in dem halben Europa die eine Zeit unter; eine neue, anders gestaltete Zeit folgte; die Kirche in Reichtum und Gepränge, aber mit erstorbenem Geiste, ging unter, damit aus einer armen, bedrückten Kirche der lebendige Geist und die Tatkraft des katholischen Glaubenslebens wieder erwachte.
Während dieses großen Ueberganges war Anna Katharina ein verborgenes Werkzeug in der Hand Gottes, als welches sie durch ein außergewöhnliches Maß von Gnaden wie Leiden einer gesunkenen Zeit zur Hilfe und Rettung dienen sollte. Ihre weltlich unbedeutende Person gebrauchte er zur Offenbarung seiner himmlischen Wahrheit und Weisheit in den Verirrungen ihrer Zeit, wie er die Herzensopfer ihrer ebenso unschuldigen als schrecklichen Buße gern als Sühne für den Frevel annehmen wollte, welcher damals an seiner geliebten Kirche verübt wurde.
Sie ist eine letzte, aber wunderbare Blüte des damals im Untergange begriffenen Ordenslebens, um durch die Fülle ihrer Verdienstleiden das Samenkorn der künftigen Auferstehung dieses erhabenen Standes und des kirchlichen Geistes überhaupt in ihrem deutschen Vaterlande zu werden. Nur in diesem höheren Berufe für die Wirksamkeit der Kirche findet das unvergleichlich wunderbare Leben Katharinas sein Verständnis und seine richtige Beurteilung, weshalb wir auch zunächst ihre Zeitgeschichte im Ueberblicke mitteilen, um ihre innern und äußern Lebensverhältnisse im Vergleich mit dieser verstehen zu können.
Sie war für ihre Mitzeit eine Debora mit prophetischen Gaben und eine Judith von rettender Stärke, welche Gott nach seiner Barmherzigkeit und Vorherbestimmung unter uns erweckt hat, wofür wir ihm Dankbarkeit zollen müssen, dieser Jungfrau aber Verehrung, weil sie aufs treueste seinem Willen entsprochen hat.
Ihre Zeitgeschichte.
Bestand in dem sogenannten Kulturkampfe die Kirche in Deutschland einen harten Kampf gegen äußere Feinde, so hat sie eine viel gefährlichere Zeit verlebt im letzten Viertel des vorletzten und im ersten des vorigen Jahrhunderts, weil das Uebel, woran sie damals litt, inmitten ihrer eigenen Glieder war. Da war es infolge einer hundertjährigen falschen Philosophie und Wissenschaft in Deutschland und Frankreich dahin gekommen, daß in der Kirche selbst Glaube und christliches Leben auf das betrübendste allgemein gesunken war. Nicht nur mehr den Heiden, sondern vielen eigenen Kindern der Kirche galt Christus als Torheit; die heilige Schrift sollte keine Geltung mehr haben, die heiligen Sakramente wurden geringgeschätzt, das kirchliche Leben in seinen Festen und Gebräuchen verachtet, sogar viele Geistliche und religiöse Orden lebten in Glaubensgleichgültigkeit nach dem Geiste ihrer Zeit. Der christliche kirchliche Geist war wie verschwunden, statt dessen hatte die Freimaurerei in alle Klassen der Bevölkerung ihre falschen Lichter von Aufklärung und Menschenwohl getragen.
Zu gleicher Zeit verbreitete, wie in Frankreich der Gallikanismus, so in Deutschland der Josephinismus und Febronianismus die Idee, die Kirche in den einzelnen Ländern von der Regierung des Papstes allmählich loszulösen und Nationalkirchen zu gründen, welche unter Führung der Fürstbischöfe oder weltlicher Fürsten ihre Einrichtungen selber treffen sollten. In dieser Hinsicht verdarb Kaiser Joseph II. die Kirche in Oesterreich von Grund auf, aber auch die Fürstbischöfe im übrigen Deutschland stimmten, da sie vom weltlichen Geiste beseelt waren, diesem falschen Treiben zu, so daß die drei Kurfürsten von Köln, Trier und Mainz im Jahre 1784 die berüchtigte Emser Vereinbarung gegen den Papst zustande brachten.
Da kam die französische Revolution mit ihren Greueln und ihren Folgen, welche die Kirche in Frankreich von 1789 bis 1801 vollständig zugrunde richtete; Gott aber gebrauchte den Eroberer Napoleon zur Züchtigung der Deutschen und der andern Völker, um ihnen zu zeigen, was sie ohne Gott und ohne wahre Kirche seien. Schon sechs Jahre nach der Emser Vereinigung wurden deren hochmütige Urheber, die drei Kurfürsten, aller ihrer weltlichen Herrlichkeit und sogar ihrer geistlichen Gewalt beraubt; es wurden diese Bistümer im Jahre 1792 französisches Gebiet.
Und wie die Bischöfe in Frankreich, Deutschland und sogar in Italien der irrenden Meinung folgten, die Kirche ohne den Papst zu regieren, so ließ Gott sie durch die Verbannung der beiden Päpste Pius VI. und Pius VII. sehen, wie die Regierung der Kirche ohne den freien Papst alles Segens entbehrte und die kirchliche Disziplin in Verwirrung überging. Napoleon nahm im Jahre 1798 Rom unter seine Herrschaft und verbannte Pius VI. nach Valence, wo er am 29. August 1799 starb. Erst nach einem halben Jahre, am 14. März 1800, wurde Pius VII. in Venedig gewählt, um später das gleiche Schicksal der Vergewaltigung durch Napoleon zu erfahren und auf längere Zeit von der Regierung der Kirche beinahe ganz getrennmt zu sein.
Nachdem Napoleon von 1792 bis 1801 unser deutsches Vaterland mit Krieg überzogen hatte, wurden infolge des Lüneviller Friedens im Jahre 1802 alle deutschen Bistümer (außer in Oesterreich) ihrer weltlichen Macht entkleidet, sämtliche religöse Orden aufgehoben und das gesamte Kirchengut weltlichen, meist protestantischen Fürsten anheimgegeben. Mit der Auflösung des deutschen Reiches im Jahre 1806 unter seinem letzten Kaiser Franz II. erreichten die innern und äußern Zerrüttungen unsers Landes ihren Höhepunkt. Tausendjährige Verhältnisse, zumeist gegründet auf christlichen Glauben und die Kirche, brachen zusammen. So war die Kirche unsers Vaterlandes, im Innern arm am Glaubensleben und mißachtet von ihren Kindern, auch zur Strafe äußerlich plötzlich von Gott als eine aller Zierde, aller Güter und der Freiheit beraubte und verstoßene hingestellt, um aus ihren Trümmern einen neuen Geist in ihr zu erwecken.
Im Jahre 1809 wurde Pius VII. von Napoleon, weil er ihn mit dem Banne belegt und seine unkirchlichen Wünsche nicht erfüllt hatte, nach Savona in die Gefangenschaft gebracht, und im folgenden Jahre der Kirchenstaat dem französischen Kaiserreiche einverleibt. Napoleon erniedrigte und beschimpfte den Statthalter Jesu Christi, suchte die Kardinäle von ihm zu trennen, setzte unkanonische Bischöfe ein und berief 1811 aus seinem weiten Kaiserreiche alle Bischöfe zu einem Konzil nach Paris, welches ohne den Papst die neuen Verhältnisse der Kirche beschließen sollte. Der Weihbischof der Diözese Münster, Kaspar Maximilian Freiherr von Droste-Vischering, war es aber, welcher mit apostolischem Freimut dem Gewalthaber erklärte, daß ihre Beschlüsse ohne Zustimmung des Papstes unkanonisch und nichtig seien. Im Jahre 1812 ließ Napoleon Pius VII. nach seinem Schlosse Fontainebleau bringen, um ihn in engster Gefangenschaft zu zwingen, ein unkirchliches Konkordat mit ihm zu vereinbaren. Während er hier den Stellvertreter Gottes in der unwürdigsten Weise mißhandelte, verhängte Gott über ihn die Folgen des Kirchenbannes in dem unglücklichen Feldzuge nach Moskau 1812 und in der Schlacht bei Leipzig 1813, infolgedessen er in demselben Schlosse von den verbündeten Fürsten gezwungen wurde, im April 1814 seine Abdankung als Kaiser zu unterschreiben, um nach Elba verbannt zu werden, während im folgenden Monate, am 24. Mai, Pius VII. wieder in Rom einzog, um die Regierung der Kirche in segensreicher Weise abermals in die Hand zu nehmen.
Es war die schwierige Aufgabe für Pius VII., nach diesem Wirrwarr in den verschiedenen Ländern ganz neue Verhältnisse für die Kirche zu begründen. Teils war die geistliche Gewalt ohne den Papst eingeführt worden und protestantische Fürsten traten in einer der Kirche entfremdeten Zeit die Herrschaft über die katholischen Völker an. Die Bistümer in Westfalen und im Rheinlande wurden im Wiener Kongreß der Krone Preußens überwiesen, sowie auch die Kirchengüter in den östlichen Provinzen. Bei der Organisation der Behörden sah die preußische Regierung als unvermeidliches Bedürfnis die Wiederherstellung der geistlichen Gewalt in den katholischen Ländern an. Während des ganzen Napoleonischen Zeitraumes waren nämlich die Bischofsstühle nach Erledigung duch Todesfall unbesetzt geblieben. Generalvikare hatten, so gut wie es gehen konnte, die Kirchendistrikte verwaltet. Verwaist waren die Stühle von Münster, Köln, Trier, Breslau und Kulm, und wegen Beraubung alles äußern Gutes war kein Kirchensprengel imstande, die betreffenden Stellen sowie auch die Verwaltung der Diözesen zu versorgen.
Dieselben Verhältnisse waren in Süddeutschland eingetreten. Die Bistümer Konstanz, Mainz, ein Teil von Würzburg, die Abtei Fulda waren unter protestantische Fürsten gekommen; auch hier waren unbesetzte Bischofsstühle und gänzlich zerstörte Kirchenverhältnisse; zudem hatte in diesen Distrikten der antikirchliche Zeitgeist noch viel mehr das Glaubensleben im Volke und die Kirchenzucht im Klerus, wie auch das Kirchenrecht im öffentlichen Leben zerstört, als es im Norden der Fall war.
Preußen schickte wegen Herstellung einer Uebereinkunft mit dem apostolischen Stuhle im Jahre 1816 den geheimen Staatsrat Niebuhr nach Rom. Aber erst 1820 erhielt er diejenigen Instruktionen, welche einen Abschluß herbeiführen konnten. Im Juli 1821 konnte Pius VII. die Bulle de salute animarum erlassen, welche seitdem für die Organisation der Kirche in Preußen die Grundlage bildet. Die vollständige Ausführung der Besetzung der bischöflichen Stühle verzögerte sich noch bis 1825.
Wiewohl die preußische Regierung mit dem apostolischen Stuhle die genannte Vereinbarung traf, so trat sie aber darum doch als sich bewußte protestantische Macht in den katholischen Ländern auf. Sie suchte auf das gesamte Schulwesen, von der Universtität an bis zur Volksschule, ihren protestantischen Einfluß geltend zu machen, sie besetzte von höheren Beamtenstellen alle und von den niederen die meisten mit Protestanten, sie suchte in gemischten Ehen zu erzwingen, daß die Knaben dem Vater, die Mächen der Mutter in der Konfession folgten; ferner sollte nach protestantischer Anschauung Verwaltung und Regierung der katholischen Kirche vielfach vom Minister und Oberpräsidenten abhängig sein; endlich nahm sie den glaubensarmen Indifferentismus, welcher damals herrschend war, gegen den katholisch-kirchlichen Glauben in Schutz, namentlich auf allen Gebieten des öffentlichen Unterrichtes.
Die protestantischen Fürsten der Südstaaten wollten dem Heiligen Vater in Besetzung der bischöflichen Stühle und deren Verwaltung, sowie in der Ausübung der katholischen Religion seitens ihrer Untertanen noch viel weniger gerecht werden.
Es ist selbstverständlich, daß Pius VII. vielen Kummer zu ertragen und die größten Schwierigkeiten zu überwinden hatte, um mit den protestantischen Fürsten die neuen Verhältnisse für die Kirche in Deutschland zu ordnen, zumal wo neben den protestantischen hauptsächlich nur freimaurerische Grundsätze das ganze öffentliche Leben beherrschten, welche bis zu den Räten von Pius selbst Anklang gefunden hatten. Und wenn nicht aus der Gleichgültigkeit im Glauben des Volkes ein neuer Geist sich allmählich würde entwickelt haben, dann stand in jener Zeit unser Vaterland nochmals vor der Frage, ob es ganz in den Protestantismus übergehen oder seinen alten heiligen Glauben bewahren wollte. Dieser neue katholische Geist fing nach dem ersten Viertel des 19. Jahrhunderts an, sich still zu entwickeln, und fand in Klemens August, dem Erzbischof von Köln, den Mann der Vorsehung, welcher, erfüllt von der Aufgabe und Bedeutung der Kirche, für ihre Freiheit gegenüber dem mächigsten der protestantischen Fürsten ein Glaubensbekenner wurde. Mit ihm schwang sich wie im Zauberschlage der katholische Geist in ganz Deutschland zu neuem Leben und zu öffentlicher Geltung wieder empor und bahnte die bessere Zeit für die Kirche und ihre Wirksamkeit an.
2. Kapitel.
Katharina ein Gotteskind.
Im Jahre 1774 am 8. September ist in der Bauerschaft Flamsche, eine halbe Stunde von der Stadt Coesfeld in Westfalen entfernt, Anna Katharina Emmerich von armen Eltern geboren worden. Es war also an dem Gedächtnistage, an welchem einst das wunderbare Kind Maria seinen Eltern und der ganzen Welt durch seine gnadenvolle Geburt Freude gemacht hat. Aehnliches sollte auch dieses Kind durch seine wunderbaren Gaben tun, welche ihm der heilige Geist bei seiner Wiedergeburt in der heiligen Taufe gegeben hat. Katharina wurde getauft in ihrer Jakobi-Pfarrkirche zu Coesfeld; man findet den uralten romanischen Taufstein in einer nördlich an der Kirche gelegenen Kapelle, welche von außen einen Zugang hat.
Die Geburtsstätte Katharinas war eine elende Hütte, welche außer einigen Kämmerchen aus nur einem vom Rauche geschwärzten Raume bestand, der als Wohnort, Küche, Diele zugleich diente; an der einen Seite dieses Raumes waren Bretterverschläge, hinter welchen die Bewohner schiefen, auf der andern Seite schaute das Vieh aus den Ställen in denselben Raum. Die arme Hütte steht noch. An dieser selben Seite neben den Viehställen befindet sich ein kleines Stübchen, 1½ Meter breit und 2 Meter lang; es dient jetzt zur Milchkammer. In diesem Stübchen ist das begnadigte Kind geboren, auch hat wahrscheinlich hier das heranwachsende Mädchen geschlafen. Als Katharina mit dem zwanzigsten Lebensjahre aus der Lehrzeit in Coesfeld ins väterliche Haus zurrückkehrte, wurde für sie als selbständige Näherin eine Stube an die Hütte angebaut, welche ebenfalls in der alten Form noch besteht. Die Hütte erinnert an den Stall in Bethlehem. Aus dieser finsteren Hütte hat Gott das lichtvolle Kind Katharina erweckt. Ihre Eltern waren sehr brave Christenleute und hießen Bernhard Emmerich und Anna geborene Hillers; sie waren die Leibzüchter, d. i. Tagelöhner eines andern Bauern. Durch schwere Haus- und Feldarbeiten mußten sie ihr tägliches Brot erwerben; ihr niedriger Stand und ihre Mühen waren jedoch kein Hindernis für ihre innere Zufriedenheit und ihr stilles häusliches Glück. Ihre Lebensweise war nach den Geboten Gottes und den Vorschriften unserer heiligen Kirche geregelt; eifriges Gebet, sowie die andächtige Feier der Sonn- und Festtage waren die beglückenden Tröstungen, welche ihre Mühen begleiteten und segneten. Der Himmel belohnte ihre Frömmigkeit noch insbesondere dadurch, daß sie unter neun Kindern in Katharina ein begnadigtes erhielten, welches ihnen und vielen andern zum geistlichen Segen wurde.
Das war das Zeichen jener Zeit, wo Katharina geboren wurde, daß man die Erkenntnis aus dem Glauben und über göttliche Dinge zumeist nicht mehr annehmen wollte, sondern daß nur die Erkenntnis aus der Vernunft und nur die Wissenschaft über menschliche Dinge Geltung haben sollte. Da gefiel es dem heiligen Geiste, sich aus dem Munde eines Säuglings wunderbares Lob zu bereiten, welches die Welt ihm versagte. Gegen die gewöhnliche Erfahrung, daß die Vernunft eines Kindes sich erst mit den Jahren entwickelt, und daß erst neben dieser Entwickelung die bei der Taufe eingegossenen übernatürlichen Tugenden Glaube, Hoffnung, Liebe wirksam werden, hatte Katharina den Gebrauch des natürlichen und übernatürlichen Erkennens von der Taufe an. Zudem erschloß in dieser geistigen Wiedergeburt der heilige Geist ihre Seele in höchst wunderbarer Weise zum Schauen der übernatürlichen und zum Erkennen der natürlichen Dinge in ihrem innersten Wesen. Durch die Taufe ferner ein lebendiges Glied an dem großen, geistlichen Leibe Jesu Christi geworden, welcher aus allen von ihm Erlösten im Himmel, Fegfeuer und auf Erden besteht, nahm sie von Anfang an geistig alles wahr, was in diesem Leibe geschah, so wie wir die Zustände unsers sinnlichen Leibes und seiner einzelnen Glieder wahrnehmen.
Bei ihrer Taufe sah sie Maria mit dem kleinen Jesukinde gegenwärtig und wurde mit ihm durch Darreichung eines Ringes vermählt. Dieses war an der Schwelle ihres Lebens das Zeichen ihrer Auserwählung, wie zum Empfange ganz außerordentlicher Gnaden, so auch zum Berufe der vollkommensten Nachfolge Jesu in Tugend und in Leiden für seine Kirche. Sie hatte ferner bei der Taufe das Gefühl der Gegenwart Gottes im heiligen Sakramente; auch sah sie gegenwärtig ihren Schutzengel und ihre Namenspatroninnen, die heilige Anna und die heilige Katharina; die Reliquien in der Kirche sah sie leuchten und die Heiligen selbst über denselben. Dieses wissen wir aus ihrer Mitteilung im späteren Leben.
Der heilige Geist weckte schon sehr früh in dem Herzen des unmündigen Kindes die Uebungen der göttlichen Tugenden. Bewußt opferte das Kind ihm seinen Willen, um ihm allein zu dienen und die Taufgnade zu bewahren. Weiße Tauben, welche niemand in der Gegend besaß und wovon keiner wußte, woher sie kamen, erschienen bei der Hütte dieses begnadeten Kindes. Eine auffällige Reinheit, ein anmutiges Wesen, sowie ein geistiger Liebreiz zeichneten es aus und machten es zu einem Schatze für seine Eltern und Nachbarn.
Seine geistige Entwicklung trat auch äußerlich schon sehr früh an den Tag, und zugleich fing das Kind an, auch äußerlich Gott zu dienen. Für sein inneres, wunderbares Leben, sowie für sein äußeres Tun und Handeln war sein ihm sichtbarer Schutzengel der einsichtsvolle Lehrer und Führer, und er blieb dieses fürs ganze Leben. An zweiter Stelle dienten dem Kinde zur christlichen Erziehung und Anleitung seine Eltern. Schon sehr früh übernahm es der Vater, Katharina das Kreuzzeichen und das Vaterunser zu lehren und durch Bilder auf die himmlischen Personen hinzuweisen. Das Kind zeigte sich sehr verständnisvoll; die wenigen Worte, welche es anfangs nur wußte, wiederholte es immer, um lange beten zu können. Bald konnte es das ganze Vaterunser beten. Schon in den frühesten Jahren hatte es in einer Ecke der Hütte ein Bildchen der Mutter Gottes mit dem Jesukindlein aufgehängt und davor ein Stück Holz als einen Altar gelegt, wo es betete und wo es die Sachen hinlegte, welche ihm an Obst, Bildchen und anderm gegeben wurden, um selbst dem Gebrauche dieser Dinge zu entsagen und sie Jesus zum Opfer zu bringen. Diese Sachen verschwanden dann wunderbarerweise. Erst drei Jahre alt, war dieses Kind sich schon so sehr des Dienstes Gottes bewußt, daß es zu ihm flehte, es sterben zu lassen, damit es nicht imstande wäre, ihn je zu beleidigen.
Zu welcher Stärke von Gottes- und Nächstenliebe der heilige Geist das Herz desselben bis zu seinem siebenten Lebensjahre anfachte, sehen wir aus folgenden Werken. Katharina übte schon als Kind das nächtliche Gebet. Waren die Eltern schlafen gegangen, so erhob sie sich aus dem Bette und betete mit ihrem Engel zwei bis drei Stunden lang, manchmal sogar bis zur Morgendämmerung. Sie liebte es, dieses unter freiem Himmel zu tun; darum ging sie nach einem etwas höher liegenden Felde, indem sie dort Gott näher zu sein glaubte als in der Niederung, und betete, nach den Kirchen von Coesfeld schauend, mit ausgespannten Armen. Zwar fiel auch ihr, wie jedem andern, es schwer, die nächtliche Ruhe zu unterbrechen; auch sie mußte in schmerzlichem Kampfe gegen die schwache Natur des Körpers von Stufe zu Stufe die Vollkommenheit erringen. Jedoch das mutige Kind widerstand der zitternden Natur und folgte rasch, wenn der Engel es bei Nacht zum Gebete rief. Um leichter zu jeder Stunde der Nacht vom Schlafe aufzustehen, gebrauchte es oft einen Stein zum Kopfkissen, legte es Holz in sein Bett und umgürtete sich mit knotigen Seilen; die Unbequemlichkeit und Pein sollten ihm größere Stärke der Seele verschaffen. Und um ihr Gebet wirksamer zu machen, kniete Katharina zur Winterzeit in den Schnee, im Sommer in Brennesseln, oder sie bediente sich beim Knieen eines scharfkantigen Holzstückes zum Schemel. Ihre Treue und Beharrlichkeit im nächtlichen Gebete krönte Gott mit dem Erfolge, daß sie nach und nach des natürlichen Schlafes gänzlich entbehren konnte, so daß sie im erwachsenen Alter bei Tag und Nacht Gott mit Gebet und Arbeit oder mit Leiden ununterbrochen dienen konnte.
Täglich wurden ihr als Kind im Gesichte von Gott diejenigen gezeigt, für welche sie beten sollte. Sie sah ungeduldige Kranke, betrübte Gefangene, unvorbereitete Sterbende, sie sah Notleidende und Verzagte, andere in Unglücksfällen und Gefahren für Leib und Seele, sie sah Reisende, Verirrte und Schiffbrüchige. Solchen allen wollte Gott aus den Früchten ihres Gebetes Hilfe, Trost und Hoffnung zufließen lassen. Auch wurden ihr alle diejenigen gezeigt, welchen sie wirklich geholfen hatte, und es wurde ihr geoffenbart, daß diese keine Hilfe erhalten hätten, wenn sie ihr büßendes Flehen würde unterlassen haben. Sie sagte auch, es sei Gott wohlgefällig, für besondere Meinungen zu beten. Die Nächstenliebe machte das flehende Kind vor Gott so ausdauernd, daß die nächtlichen Stunden eher zu kurz als zu lang wurden. "Von Kind auf", erklärte sie später einmal, "betete ich weniger für mich als für andere, daß doch keine Sünde geschehen und keine Seele verloren gehen möge. Ich begehrte immer mehr von Gott, je mehr ich erhielt; ich dachte, er hat ja alles und sieht es gern, wenn wir auch vieles von ihm begehren."
Eine andere Uebung ihrer Kindheit war die Abtötung und Entsagung. Was Kindern lieb und wert ist, opferte sie mit Selbstüberwindung ihrem Jesus auf dem Altärchen in der Ecke. Es unterwies sie hierin insbesondere ihr Engel und überzeugte sie von dem Werte der Entsagung sowie darüber, daß diese Uebung durch anderes nicht zu ersetzen sei. So oft sie sich zu Tische setzte, tat sie dem Munde auf alle Weise Abbruch, indem sie das Schlechteste nahm und so wenig aß, daß es unbegreiflich schien, wie sie nur bestehen konnte. "Ich gebe es Dir, o Gott", sprach sie dabei im Herzen, "damit Du es den Armen zuwendest, die es am dringendsten bedürfen." Die Wirkung dieser frühen und steten Entsagung war diese, daß sie von Kindheit an nie eine Regung der niederen Sinnlichkeit empfunden und sich niemals über eine Unreinheit, selbst nicht in Gedanken, anzuklagen gehabt hat. Sie gestand im späteren Alter, über dieses Freisein von jeglicher Versuchung gegen die Reinheit im Gehorsam näher befragt, daß sie durch die frühen Abtötungen und ihr beharrliches Ueberwinden in allen andern Neigungen und Gelüsten die bösen Triebe untergraben, ehe sie dieselben in sich empfunden habe.Von ihrem sechsten Lebensjahre ab kannte sie keine andere Freude, außer in Gott, und kein anderes Leid, als daß dieser gütigste Gott von den Menschen beleidigt werde. Sie pflegte schon zu beten in reinster Gottesliebe: "Auch wenn es keinen Himmel, keine Hölle und kein Fegfeuer geben würde, wollte ich Dich, o mein Gott, doch über alles und aus ganzem Herzen lieben!"
Von gleicher Stärke war schon in ihrem Kindesherzen die Nächstenliebe. Sie besaß mit den Leibes- und Seelenübeln des Nächsten ein so großes Mitleid, daß sie schon als Kind zu außergewöhnlichen Werken deswegen bewegt wurde. Sie gab von dem Ihrigen, z. B. von Kleidungsstücken dasjenige an Dürftige, was sie immer nur mit Erlaubnis der Eltern verschenken durfte; kam ein Armer an ihre Hütte, so rief sie ihm schon entgegen: "Ich hole dir Brot vom Hause." Die Mutter ließ es gern geschehen. Hörte sie Kinder weinen oder vernahm sie von dem Unglücke oder der Krankheit anderer, so erblaßte sie plötzlich vor Mitleiden, wie jemand, der ohnmächig werden will. Es erfaßte sie dann ein unwiderstehliches Verlangen, Hilfe zu bringen, und sie flehte mit heißen Bitten zu Gott, er möge die Nöten und Leiden anderer auf sie legen, damit jenen geholfen werde. Sah oder hörte sie von einer Sünde, so ward sie von heftigster Betrübnis ergriffen und vergoß bittere Tränen. Wurde von den besorgten Eltern nach der Ursache ihres Kummers gefragt, so mochte sie die Ursache nicht aufklären. Sie wurde darum für eigensinnig gehalten und erhielt Verweise. Sie aber ließ sich nicht abhalten, für die Besserung und Bekehrung des Nächsten innig zu Gott zu flehen und sich statt seiner Bußwerke aufzulegen; sie brannte sich z.B. mit Nesseln für unzüchtige Kinder. Ja, sie umfaßte sogar mit ihrer Liebessorge das Seelenheil der Juden, da sie solche durch den Verkehr mit ihren Eltern in Handel und Wandel des täglichen Lebens kennen lernte. Sie seufzte über ihre nicht zu verbessernde Glaubensverblendung.
Ferner opferte sie ihre Gebete und Werke hauptsächlich den armen Seelen im Fegfeuer auf, mit denen sie vornehmlich Mitleiden empfand. Dieselben näherten sich ihr, Hilfe suchend, bei ihrem nächtlichen Gebete und auf dem Wege zur Kirche, da sie schon als Kind in der Frühe zur heiligen Messe in die Stadt ging. Als Flämmchen oder als glänzende Perlen in einer trüben Flamme erschienen sie ihr und erleuchteten in der Finsternis ihren Weg. Ihr Engel führte sie schon als Kind in das Fegfeuer und ließ sie sehen, welche große Schmerzen die armen Seelen erlitten. Nach innigem Gebete für dieselben hörte sie oft die Stimmen: "Ich danke dir, ich danke dir."
Als Katharina im späteren Alter gefragt wurde, wie sie als Kind zu solchen Bitten und Werken für andere gekommen sei, antwortete sie: "Ich kann nicht sagen, wer es mich gelehrt, aber es liegt dieses schon im Mitleiden. Ich habe immer gefühlt, wir alle seien in Jesus Christus ein Leib, und wie der Finger meiner Hand, so schmerzte mich das Weh des Nächsten. Von Kindheit an habe ich zu Gott gefleht, die Krankheiten anderer zu tragen und mich die Seelenschuld anderer bezahlen zu lassen; ich bat das Jesuskind, daß es mir helfe, und hatte dann bald Schmerzen genug."
In diesem so früh sich zeigenden außergewöhnlichen Mitleiden mit den Uebeln des Nächsten und in dem gleich großen, tätlichen Liebesdrange, zu flehen, zu leiden, zu sühnen, zu büßen für andere, -- hierin erblicken wir den besondern Lebensberuf, wozu Gott in seiner freien Gnadenwahl dieses Kind als einen Gegenstand seines Wohlgefallens erschaffen hat, um in einer Zeit, wo so wenig Kinder der Kirche nach den Gütern der Gnade und des Hiimmels verlangten, sein Auge auf einem Herzen ruhen zu lassen, welches voll von Unschuld und himmlischer Liebe, voll Glauben und Frömmigkeit war, dessen büßendes Leben ihm wohlgefiel, um Schlimmeres von ihren Mitmenschen abzuhalten und um Besseres für sie anzubahnen.
Dieses Kapitel hat also den Leser überzeugt, daß Katharina durch ihr übergroßes Gnadenmaß ein Gottesgeschenk für ihre Zeit sein sollte. Der Leser wird sich durch ihr höchst wunderbares Leben um so weniger stören lassen, wenn er erwägt, daß Gottes Allmacht und Weisheit oftmals in seinen Heiligen so wunderbar gewirkt hat. An ihr hat er vorzüglich das Wort des Psalmisten bewahrheiten wollen: "Vom Mutterleibe an ward ich, o Gott, Dir zugeworfen, vom Mutterschoße an warst Du mein Gott." (Ps. 21.)
3. Kapitel.
Katharina ein Wunderkind.
Vorerst bemerken wir, daß wir zwar auch in diesem Kapitel Katharina noch als Kind vor uns haben, daß aber alles, was hier über sie mitgeteilt wird, wiederum vom Gewöhnlichen so sehr abweicht, daß wir dadurch nur bewegt werden können, Gott in seiner Allmacht und Vorsehung zu preisen: "Vom Herrn ist dieses geschehen, und es ist wunderbar in unsern Augen." (Ps. 117.) Der heilige Paulus lehrt (1. Kor. 12): "Es sind verschiedene Wirkungen, aber es ist derselbe Gott, der alles in allem wirkt. Dem einen wird durch den Geist verliehen das Wort der Weisheit, dem andern das Wort der Wissenschaft, einem andern der Glaube, einem andern die Gabe, zu heilen, einem andern, Wunder zu wirken, einem andern Weissagung, einem andern Unterscheidung der Geister." Alle diese Gaben zusammen hat der Herr in dieses Kind aus niedriger Hütte gelegt, um die Kirche zu erbauen. Schon der Mund des Kindes, noch mehr sein künftiges Leben sollte ein Orakel für den Glauben und die Kirche werden, welche damals so viele ihrer Kinder verleugneten oder, ihrem Berufe entgegen, sie durch das Bekenntnis nicht verherrlichten. Paulus sagt (1. Kor. 14,3): "Wer weissagt, der redet zu Menschen zur Erbauung, zur Ermahnung und zum Troste; wer weissagt, erbauet die Kirche Gottes." Betrachten wir nun die Gabe der Weissagung, welche in Katharina war.
Die Kleine war im Geiste immer abwesend; Gott ließ sie in steten Bildern ihrer Seele die Klarheit und himmlische Wahrheit unsers Glaubens sehen. Sie vermochte dieses durch die ihr in der Taufe erteilte Gnadengabe der Beschaulichkeit oder Weissagung. ("Weissagung" heißt in der heiligen Schrift nicht allein die Erkenntnis von zukünftigen Dingen, sondern auch der Geheimnisse Gottes, was wir auch Vision oder Beschauung nennen.) Der heilige Geist erteilte diese Gabe den ersten Christen sehr häufig, um die Erfüllung der Verheißung, daß er auf die Kirche herabkomme, zu beweisen, und um Juden wie Heiden dadurch zum Glauben zu bewegen. Diese wunderbare Gabe besteht nicht allein in der Vorhersagung künftiger Dinge, als vielmehr darin, durch den heiligen Geist die verborgenen Geheimnisse des Glaubens zu schauen, zu reden, zu lehren, wodurch andere zum Glauben und zur Frömmigkeit erweckt oder darin bestärkt werden.
Was andere Kinder erst durch Unterricht aus der biblischen Geschichte und dem Katechismus erlernen müssen, das erkannte Katharina im Lichte ihrer Seele, und mit dem Verlaufe des Kirchenjahres schaute sie die Tatsachen und Geheimnisse unsers Glaubens. Der heilige Geist erleuchtete sie in ihren Kinderjahren vornehmlich über die Geheimnisse des Alten Bundes, in ihren späteren Jahren über die vollständige Geschichte Jesu und der Apostelkirche. Sie feierte in den Festen neben den christlichen Begebenheiten auch die Erfüllung der alttestamentlichen Verheißungen. Als der Engel sie, um den Glauben zu üben, zu der Verstandes-Betrachtung der zwölf Artikel des Glaubens anleitete, da erweiterte der heilige Geist bei dieser Tätigkeit ihren Glauben zum Schauen und zum tiefsten Erkennen. Bei Betrachtung der Worte: "Ich glaube an Gott den Vater, den allmächtigen Schöpfer Himmels und der Erde" sah sie in ihrer Kindesseele die unermeßlichen, aber für sie klaren und verständlichen Bilder der wirklichen Schöpfung, der Milliarden von Engeln, deren Wesen und deren Sturz; ferner die Schöpfung der Welt, des Paradieses, der Menschen, deren Herrlichkeit und deren Fall. Katharina fand jedoch in diesem Schauen nichts Verwunderliches, sondern sie betete um so demütiger und ehrfruchtsvoller ihren himmlischen Vater an, den sie in so unendlicher Größe und Allmacht wirken sah. Bei den Worten: "Und an Jesum Christum, seinen eingeborenen Sohn, unsern Herrn, der empfangen ist vom heiligen Geiste, geboren aus Maria der Jungfrau", erfaßte dieses einfältige Kind alle Verheißungen und Vorbilder der Erlösung in ihrer vollen Bedeutung, sie verehrte den Patiarchensegen und die Geheimnisse der Bundeslade, sie kannte das Gesetz und die Psalmen sowie die Priesterordnungen und den Gottesdienst im Tempel, sie durchlebte mit den frommen jüdischen Familien ihr Gottdienen und ihre Erwartung des Messias, sie wallfahrtete mit Joachim und Anna, sowie mit Zacharias und Elisabeth nach Jerusalem, um in heißen Gebeten die Fülle der Zeit herabzuflehen; sie sah die Vorbereitung Mariens in ihren vorangegangenen Geschlechtern, ihre Geburt und ihre Jugend. Sie beobachtete Maria, wie sie sich ausdrückte, bei ihrer Arbeit in ihrem Kämmerchen, und wußte sogar, welche Kleidung sie trug; sie ging jährlich im Advent mit ihr und dem heiligen Joseph von Nazareth nach Bethlehem; sie betete im Stalle das Jesuskind an usw. So war Katharina nicht bloß eine Schauende der Begebenheiten, sondern eine Mitlebende, welche an der Sache selbst beteiligt war. Für sich beobachtete sie ferner an den heiligen Personen die Tugend und erlernte auch auf diese Weise, Gott vollkommen zu dienen.
Diese Gabe der Beschauung hat sie von den Kindestagen an das ganze Leben begleitet; an der Schwelle ihres Lebens den Anfang unserer Heilsgeschichte schauend, verfolgte sie dieselbe durch alle Perioden des Alten und Neuen Testamentes mit ihrem aufsteigenden Leben bis zum Tode. Diese Schätze sind uns zum größten Teile bewahrt und in den verschiedenen Büchern ihrer Visionen mitgeteilt worden. Wer aber preist nicht mit uns Gottes ebenso weise als gütige Vorsehung, welcher ein armes Bauernkind zum wunderbaren Verkünder seiner barmherzigen Heilsführung des Menschengeschlechtes macht, während das gleichzeitige Geschlecht ihn selbst und seine Offenbarung mit freventlichem Undanke von sich weist! "Wie herrlich sind Deine Werke, o Herr; gar tief sind geworden Deine Gedanken! Ein törichter Mensch erkennt dieses nicht und ein Tor versteht dieses nicht." (Ps. 91.)
Katharina ahnte gar nicht, daß das Schauen der Bilder des Glaubens eine persönliche Eigenschaft von ihr sei, erzählte ihren Eltern und Geschwistern ganz unbefangen davon, welche erstaunt fragten, ob sie ein Buch habe, worin das alles stehe. Als sie einmal in der Schule eine Frage des Katechismus in Einfalt nach ihrem Gesichte beantwortete, wurde sie von den Kindern ausgelacht und vom Lehrer ernstlich ermahnt, solche Vorstellungen sich nicht einzubilden. Da fing sie nach und nach an, von diesen Dingen ganz zu schweigen, indem sie dachte, es schicke sich wohl nicht, von solchen Sachen zu reden. Ohne sich besondere Gedanken darüber zu machen, sah sie in Einfalt ihre Geistesbilder weiter, und wie sie einige Bilder in ihrer biblischen Geschichte fand, so achtete sie jene für ihr großes Bilderbuch.
Dabei war Gott auch in anderer Weise wunderbar an ihrer Seite. Wiewohl sie nämlich alle Arbeiten, zu denen sie schon als Kind von ihren Eltern verwendet wurde, in innerer Abziehung von der Außenwelt verrichtete, so gingen sie doch so rasch und sicher vonstatten, als hätte sie an nichts anderes zu denken gehabt. Und nicht allein dieses vermittelte ihr Gott, sondern er schenkte ihr zugleich auch alle ihr nötigen Fertigkeiten und Kennntnisse des Lebens zu den Arbeiten; sie verstand ohne Erlernung und Anweisung Haus-, Feld-, weibliche Handarbeiten, wie auch die Schulfächer.
Eine andere Begnadigung ihrer Jugend war, daß sie die persönlichen Erscheinungen des Heilandes, der Mutter Gottes, ihres Schutzengels und verschiedener anderer Heiligen empfing. Auch dieses befremdete sie in ihren Kinderjahren nicht, indem sie meinte, daß alle Christen diesen Umgang hätten. Denn da sie nach Anleitung des Glaubens Jesus als Bruder, Maria als Mutter, den Schutzengel und die Heiligen als Freunde ansah, so schien es ihr natürlich, daß diese Personen auch zu ihr kamen. Jesus kam als himmlischer Knabe zu ihr beim Hüten der Kühe; sie nannte ihn in ihrer platten Mundart "Jüngsken". Hören wir sie selbst in ihrer Kindlichkeit erzählen: "Als ich die Kühe hütete, kam das Jüngsken oft zu mir und machte, daß die Kühe sich selbst hüteten. Wir redeten zusammen von allerlei guten Dingen, wie wir Gott dienen und das Christkind lieben wollten, und wie Gott es sei, der alles sehe. Wir machten zusammen Mützen und Strümpfe für arme Kinder. Alles, was ich machen wollte, konnte ich; auch hatte ich alles, was ich gebrauchte. Wunderlich war es, daß ich immer alles anordnete und glaubte, ich mache es, während eigentlich das Jüngsken es war, welches alles machte." Wie rührend und wunderbar bezeugen diese Kindesworte die für jeden geltende Wahrheit, daß alles Können von Gott kommt, und daß neben dem Können auch noch das Gedeihen von Gott kommen muß!
Jesus bereitete ferner durch seine Erscheinung Katharina zu der größten Aufgabe vor, welche sie in ihrem Leben erfüllen sollte, zu seiner Nachfolge im Leiden für das Heil ihrer Mitmenschen. Er trat als Knabe vor sie, mit einem Kreuze beladen, sah sie schweigend an, daß sie, gerührt von seiner Geduld, ein schweres Stück Holz auf sich nahm und betend trug, solange die Kräfte es vermochten. Oder sie sah ihn weinen über die Unbilden, welche freche und ausgelassene Kinder ihm zufügten, und dieser Anblick trieb sie oft in Dornen und Nesseln, um durch ihre schuldlose Buße den Herrn zu versöhnen. Betete sie den Kreuzweg, so kam er zu ihr und gab ihr sein Kreuz zu tragen.
Noch von einem andern heiligen Knaben hatte Katharina oft in ihrer Feldeinsamkeit Besuch, nämlich vom heiligen Johannes dem Täufer. Er erschien ihr, wie auch er als Kind in der Einsamkeit der Wüste gelebt und ein Fell von Kamelhaaren getragen hatte. Daher rief sie ihn mit der Bezeichnung: "Hännesken met sin Fell sall to mi kummen", d.h. "Hänneschen mit seinem Felle soll zu mir kommen." Sie schaute sein Leben in der Wüste, wie er unter dem Schutze der Engel und im Umgange mit den unschuldigen Geschöpfen der Natur in größter Seelenreinheit und Einfalt vor seinem Gott wandelte.
Manchmal kamen auch heilige Klosterfrauen zu ihr, unter diesen am häufigsten die heilige Johanna von Valois, Königin von Frankreich, welche den Orden der Annunziaten stiftete. Sie starb im Jahre 1505. Es lag in der Jakobi-Pfarre in Coesfeld ein Annunziaten-Kloster.
Wir wissen schon, daß Katharina ihren Schutzengel sichtbar bei sich hatte. Diese Tatsache findet sich immer, wenn der Mensch zu besondern Wegen berufen ist. Nahte der Engel sich Katharina, so sah sie zuerst einen Glanz, aus welchem dann die leuchtende Gestalt des Engels hervortrat; er erschien ihr durchsichtig und einen blendend schimmernden Priestertalar tragend. Der Engel vollführte an ihr eine doppelte Aufgabe. Er mußte sie in die für eine noch mit dem Leibe verbundene Seele so ungewohnte und schwierige Anschauung der himmischen Dinge einführen, als Geist ihren Geist begleiten, ihn stützen und in den großen Gebieten der zu schauenden Dinge zurechtweisen. Dann hatte er als zweite Aufgabe ihr äußeres und inneres Leben durch stetigen Unterricht und Schutz zu dem Zwecke zu ordnen, daß sie die Taufunschuld nicht beflecke, und daß sie durch Streben nach höchster Vollkommenheit sowohl fähig bleibe für die außergewöhnliche, große Gabe der Beschauung, wie auch das bereitete Gefäß werde, welches Gott zur Leidenssühne für ihre Mitmenschen erwählt hatte. Der Engel hat diese Aufgabe, wie wir schon oben gehört haben, in den frühesten Lebenstagen in Katharina, wo sie schon den Gebrauch des Verstandes vom heiligen Geiste bekommen hatte, damit begonnen, daß er sie zur Uebung der göttlichen Tugenden anleitete und so von Anfang an ihren Geist in Gott als einzigem Gute befestigte, lange bevor sie als Mündige mit den Geschöpfen in Verkehr trat und diesen ihre Neigungen zuzuwenden vermochte. Erst einige Jahre alt, lehrte der Engel sie schon die Strengheiten und Buße üben, worüber wir uns oben verwundert haben, damit die Einflüsse der eigenen verderbten Natur und der für sie erwachenden sinnlichen Welt von vornherein keine Wirkung auf sie hätten. Das blieb auch immer des Engels vorzügliche Weisung, daß sie durch Buße und Entsagung sich frei von irdischen Neigungen halte, um ihr Herz rein zu bewahren. Der Engel war es ferner, welcher sie früh lehrte, wie sie die äußern Uebungen der Religion anstellen und die sittlichen Tugenden üben solle, insbesondere die Nächstenliebe; ferner machte er sie aufmerksam auf kommende Erlebnisse und Geschicke, damit sie mit Vorsicht handle, im Umgange mit andern die Vollkommenheit bewahre, für bevorstehende Leiden sich Kraft erbete und gerüstet sei. Katharina entsprach mit dem kindlichsten Gehorsam und mit der gewissenhaftesten Treue den Weisungen des Engels, und sie blieb dieses gehorsame, demütige Kind vor ihrem himmlischen Führer auch im erwachsenen Leben bis zur Vollendung ihrer Aufgabe im Tode. Welch eine lebendige Lehre für uns alle liegt in diesen Lebensumständen von Katharina! Gott schickte ihr, obgleich sie an Gnadenmaß mehr als andere empfangen hatte, den sichtbaren himmlischen Lehrer, sie im einzelnen zu führen. Wie sehr sollten Eltern als die sichtbaren Schutzengel ihrer Kinder die Notwendigkeit erkennen, durch Zucht und Unterricht unablässig ihre Kinder zu führen; wie sehr sollten die Kinder bemüht sein, die Stimme ihrer Schutzengel zu hören und zu befolgen!
Die stetige himmlische Erleuchtung ihrer Seele durch die Beschaulichkeit, ihr inniger Verkehr mit Jesus und den Heiligen, der Glanz der andern Welt, worin sie den Engel sah, der reine Blick des Engels in ihr Herz -- alles dieses hatte in dem Kinde ein über alles großes Verlangen nach Reinheit des Leibes und der Seele entfacht und sie für Gott so entzückt, daß kein Geschöpf imstande war, sie in irgend etwas von ihm, ihrem einzigen Gute, abzuziehen. Und nicht allein dieses, sondern in dem Kinderherzen war der starkmütige Wunsch schon vorhanden, Vater und Mutter zu verlassen, um für Gott allein zu leben. Sie wollte gern in den Orden der Annunziaten eintreten, da sie diesen in dem obenerwähnten Kloster in Coesfeld kannte. Ihr eigener Vater hatte sie schon als dreijähriges Kind in eine äußere und innere Beziehung zu diesem Orden gesetzt. Gemäß eines Gelübdes opferte nämlich der fromme Mann jährlich ein fettes Kalb diesem Kloster, und indem er seine kleine Anna Katharina dann mitzunehmen gewohnt war, legte er auch, ohne es zu wissen, sein eigenes Kind auf den Altar des Herrn. Die Ordensfrauen baten den Vater, das allerliebste Kind in die Klausur zu reichen, wo sie dasselbe fragten, ob es lieber bei ihnen oder zu Hause verweilen wolle. Katharina antwortete dann jedes Jahr: "Im Kloster." Sie lernte also bei dieser Gelegenheit Ordenspersonen in ihrem Habit, in ihrer Abgeschlossenheit von der Welt und in ihrer Gottseligkeit kennen, wodurch auch in ihrem Herzen der Wunsch verstärkt wurde, getrennt von den Ihrigen, nur mit Gebet vor Gott und mit Buße für den Nächsten im Orden leben zu können. So klein sie war, hatte sie doch einen lebendigen Bezug auf das Annunziatenkloster. Hörte sie die Glocke der Klosterkirche, so vereinigte sie ihre Meinung mit dem Gebete der frommen Klosterleute.
Von einer Erscheinung der heiligen Johanna erzählte sie folgendes: "Ich war noch ein sehr kleines Mädchen und hütete die Kühe, was mir ein beschwerliches und drückendes Geschäft war. Als mir, wie öfter, der Wunsch kam, von Haus und Kühen wegzukommen, und da, wo mich niemand kenne, einsam Gott zu dienen, kam ich ins Gesicht, als gehe ich nach Jerusalem. Da kam auf einmal eine Klosterfrau zu mir, die ich später als Johanna von Valois kennen lernte; sie war ernst und hatte ein sehr schönes Jüngsken bei sich von meiner Größe. Sie führte das Jüngsken nicht an der Hand; so wußte ich, daß es ihr Söhnchen nicht sei. Sie fragte mich, was mir fehle, und als ich ihr meine Sorge sagte, da tröstete sie mich und sprach: 'Sei ohne Sorge, sieh diesen Knaben an, willst du ihn zum Bräutigam?' Da sagte ich ja, und sie versicherte mich, ich solle ganz ruhig harren, bis dieser käme; ich würde Klosterfrau werden. Das schien mir ganz unmöglich; aber sie sagte, ich würde gewiß in ein Kloster gelangen, denn diesem meinem Bräutigam sei alles möglich. Daran hielt ich nun fest." Nicht lange nachher erschien sie ihr nochmals und sprach zu ihr von der Nachfolge Marias. Es war an einem Nachmittage, wo die Glocke die Annunziaten zum Gebete rief. In dieser Stunde machte Katharina, etwa sechs Jahre alt, das Gelübde, bei reiferem Alter in einen Orden zu treten. Sie wollte ihre große Liebe zu den Eltern opfern, um die vollkommene Gottesliebe dafür zu erlangen.
Wie der Schutzengel ihr Führer, so war auch schon in frühester Jugend der Satan ihr Widersacher. Da sie in der Jugend durch Unglücksfälle mehrmals in Lebensgefahr kam, wurde ihr geoffenbart, daß es durch die Nachstellungen des Teufels geschehen sei, und zwar in unbewachten Augenblicken, wo sie sich nicht in der Gegenwart Gottes gehalten habe, oder in einen kleinen Fehler gefallen sei. "Wir müssen als dankbare Kinder", sagt sie, "Gottes Schutz erflehen und uns aus demselben nicht hinwegbegeben; denn der Feind des Heiles lauert, wie er uns verderbe." Vor allem suchte der Teufel sie geistlicherweise zu verderben und von dem Streben nach Vollkommenheit abzuhalten. Er erfüllte deshalb ihre Seele mit Schreckbildern und suchte sie durch äußere Schreckgestalten, durch Anfassen und Mißhandeln ihrer Person beim nächtlichen Gebete zu ängstigen und zu stören. Wurde sie darüber auch von einem unwillkürlichen Schrecken erfaßt, so geriet sie doch nicht außer Fassung, sondern setzte ihr Gebet nur um so eifriger fort, wodurch sie den Feind zum Weichen brachte. Sie verjagte ihn mit den Worten: "Elender, du hast keinen Anteil an mir! Mein Herr und Gott verläßt mich nicht; er ist stärker als meine Feinde."
Im Verlaufe ihrer Kinderjahre zeigte es sich noch in einer andern, alle Erfahrung überraschenden Weise, wie wunderbar der heilige Geist in der Taufe ihren Geist zum Erkennen übernatürlicher wie auch natürlicher Dinge erschlossen hatte. So wie der Mensch durch sein Gefühl in der Seele Liebe oder Haß, in seinem Körper Wärme oder Kälte wahrnimmt, so nahm sie im Geiste und Körper wahr, was an Orten, Dingen, Personen heilig oder unheilig, geweiht oder nicht geweiht, gut oder böse, nützlich oder schädlich war. -- Trug ein Priester das heilige Sakrament zu einem Kranken in der Bauerschaft, so gewahrte sie dasselbe aus der Ferne, ohne etwas zu sehen, empfahl ihre Kühe dem Schutzengel und lief, es anzubeten. Aus dem priesterlichen Segen empfing sie eine wahrnehmbare Kraft. Die Klänge der Kirchenglocken empfand sie wie Segensstrahlen, welche sie, soweit ihr Schall reichte, das Wirken der feindlichen Mächte hemmen sah. Das Verständnis der lateinischen Sprache öffnete sich ihr beim Gottesdienste sowie auch im sonstigen Lesen lateinischer Schriftsprache. Von allen geweihten Dingen und Orten empfing sie Ruhe und Stärkung der Seele. Alles aber, was böse war, oder woran etwas Fluchwürdiges haftete, erfüllte sie mit Entsetzen und trieb sie an zur Sühne.
Ihre übernatürlichen Gaben gingen noch weiter. Sie hatte eine innere Erkenntnis von den Geheimnissen der Natur, unterschied heilsame Kräuter von schädlichen; jene gebrauchte sie für sich und andere in Krankheiten, diese vertilgte sie aus der Nähe ihrer Hütte. Hören wir sie selbst über die Natur sich aussprechen: "Ich habe mich nie darüber wundern können, daß Johannes von den Blumen und den Tieren in der Wüste so vieles gelernt hat; denn mir ist schon als Kind jedes Blatt, jedes Blümchen wie ein Buch gewesen, in dem ich lesen konnte. Bei jeder Farbe, jeder Gestalt und Form fühlte ich ihre Bedeutung und Schönheit; wenn ich aber davon erzählen wollte, so wurde ich verlacht. Wenn ich in das Freie kam, da konnte ich mich mit allem unterhalten."
"Ich war noch sehr jung, als ich ein Fieber hatte und doch dabei umherging. Die Eltern meinten, ich müßte bald sterben. Da trat ein schönes Kind zu mir, zeigte mir Kräuter, die ich pflücken und essen sollte, um wieder gesund zu werden. Ich kenne noch diese Pflanzen. Es war der süße Saft von Windenblumen dabei. Ich genoß von den Kräutern und saugte, an einer Hecke sitzend, den Saft aus den Windenblüten. Ich wurde bald gesund. -- Die Kamillenblüte liebte ich besonders. Ich weiß nicht, was so Süßes und Wunderbares für mich in ihrem Namen liegt. Ich sammelte sie schon als Kind und hielt sie für arme Kranke bereit, die gern zu mir kamen, einen leiblichen Schaden oder eine Wunde mir zeigten, mich fragend, was ich davon dächte. Mir fielen dabei dann allerhand natürliche Mittel ein, durch welche ihnen Heilung gebracht wurde."
Auch in die überirdischen großen Schöpfungen der Gestirne führte Gott sie als Kind ein, um die Huldigungen seiner Größe aus diesem demütigsten Kindesherzen zu empfangen. Als sie im späteren Alter die Planeten und Kometen aus ihrer Anschauung beschrieb, erzählte sie nebenbei in rührender Weise: "Wie ich als kleines Mädchen des Nachts im Schnee auf dem Felde kniete und mich über alle die schönen Sterne freute, betete ich zu Gott: 'Du bist nun doch mein rechter Vater und hast so schöne Dinge im Haus, nun mußt Du mir sie auch zeigen!' Und er zeigte sie mir alle; er nahm mich bei der Hand und führte mich überall hin; ich schaute alles herzlich froh an."
Ist es nicht hier an der Stelle, den Herrn für diese Wundergaben zu preisen mit den Worten im achten Psalme: "Herr, unser Herr, wie wunderbar ist Dein Name auf der ganzen Erde. Aus dem Munde der Kinder und Säuglinge hast Du Dir vollkommenes Lob bereitet um Deiner Feinde willen, um den Feind zu stürzen. Was ist der Mensch, daß Du seiner gedenkest, oder der Menschensohn, daß Du ihn heimsuchst? Du hast ihn nur wenig unter die Engel erniedrigt, mit Herrlichkeit und Ehre ihn gekrönt und ihn gesetzt über die Werke Deiner Hände, alles hast Du seinen Füßen unterworfen."
So war es. -- Gott sprach durch seinen Geist Geheimnisse aus dem Munde eines unschuldigen Kindes, um die Wahrheit seiner Offenbarung zu bezeugen, welche von der Mitwelt freventlich geleugnet wurde, und erhob eine Kindesseele zur Weisheit und Wissenschaft eines Engels, als die Gelehrten der Welt die Vernunft zu ihrem Gott machten und Gottes Offenbarung und Kirche verwarfen. -- Denn es steht geschrieben: "Vernichten will ich die Weisheit der Weisen, die Klugheit der Klugen verwerfen. Was vor der Welt töricht ist, hat Gott erwählt, um die Weisen zu beschämen; und das Schwache auf der Welt hat Gott erwählt, um das Starke zu beschämen; und das Geringe vor der Welt und das Verachtete und das, was nichts ist, hat Gott erwählt, um das, was etwas ist, zunichte zu machen, damit kein Mensch sich vor ihm rühme." (1. Kor. 1, 19, 27.)
Hiermit haben wir an Katharina bis zu ihrem siebenten Lebensjahre die außergewönlichen Wirkungen der heiligen Taufe gesehen, sowie den Willen Gottes erkannt, sie auf den Weg hoher Vollkommenheit und großer Verdienste zu führen. In diesen dargestellten Zügen haben wir schon das wesentliche Bild ihres ganzen Lebens; denn was sie so früh begonnen und geübt hat, blieb ihr treues Tun und ihre Aufgabe bis zum Tode. Gott hat sie zu der zweifachen großen Lebensaufgabe berufen, erstens, um in heiligem Wandel und durch Sühnleiden für die Frevel ihrer Zeit zu büßen, und zweitens, um durch ganz außergewöhnliche Geistesgaben auf die Wahrheit der Offenbarung hinzuweisen für den Unglauben ihrer Zeit. Wer ist aber mehr zu preisen als der Herr in seinem weisen und barmherzigen Walten für uns! "Dich sollen preisen alle Deine Werke, o Herr, und Deine Heiligen Dich rühmen. Sie werden sprechen von der Herrlichkeit Deines Reiches und reden von Deiner Macht, um kundzutun den Menschenkindern Deine Kraft!" (Ps. 144.)
4. Kapitel.
Katharina als Kind ihrer Eltern.
Ihre erste heilige Beicht und Kommunion.
Wir haben es schon erwähnt, daß Katharina an ihren Eltern ein Beispiel hatte, wie man in wahrer Gottesfurcht sein Leben nach den Vorschriften des Glaubens einrichten solle; auch fand sie in ihren Eltern christliche Erzieher, welche sie zur Zucht und Frömmigkeit anhielten und die Demut in ihr hüteten. Wie Katharina während des ganzen Lebens ihr kindliches Gemüt bewahrte, so war es ihr immer ein besonderer Trost, sich ihrer Kindheit und ihrer Eltern zu erinnern. Wir wollen sie aus ihrem späteren Leben selbst hier erzählen lassen. "Mein Vater war sehr fromm und rechtschaffen. Er war von einem ernsten, doch auch heiteren Gemüte. In seiner Armut mußte er sich sehr plagen und war sehr arbeitsam; doch war er nicht ängstlich um Erwerb. Mit kindlichem Vertrauen stellte er alles in die Hand Gottes und tat seine harte Arbeit wie ein getreuer Knecht ohne Angst und ohne Geiz.
Er war voll von einfachen, schönen Sittensprüchen und frommen, kindlichen Redensarten. Ich wurde schon als Kind strenge von ihm zur Arbeit angehalten. Betgleitete ich ihn frühmorgens mit auf das Feld und ging dann die Sonne auf, da nahm er den Hut ab und betete und sprach von Gott, der seine Sonne so schön über uns aufgehen lasse. Er sagte auch oft, es sei sehr zu verabscheuen, wenn man so lange im Bette bleibe, daß die Sonne auf den Schlafenden scheine; denn davon kämen Dinge, worüber Haus und Hof und Menschen zugrunde gingen. Sehet, sprach er, jetzt ist noch kein Mensch durch den Tau gegangen; wir sind die ersten, und wenn wir recht fromm beten, so segnen wir Land und Feld ein. Es ist so schön, wenn man durch den ersten, noch unberührten Tau gehen kann; da ist noch der frische Segen, noch ist keine Sünde im Felde draußen getan, noch ist kein böses Wort geredet. -- Mit dem Vater mußte ich auf den Acker gehen, das Pferd führen, die Egge heben und allerlei Handreichung tun. Wenn wir umwendeten oder stille standen, sprach er: Wie schön ist das nun, siehe, da können wir gerade nach Coesfeld nach der Kirche hin zum heiligsten Sakramente sehen und unsern Herrn und Gott anbeten. Da sieht er uns auch wieder und segnet alle unsere Arbeit. -- Wenn man zur heiligen Messe läutete, zog er den Hut ab, betete und sprach: Nun wollen wir die ganze heilige Messe mit anhören. Jetzt ist der Priester bei dem Gloria, jetzt ist er bei dem Sanktus und jetzt müssen wir mit ihm dieses und jenes beten und uns segnen. -- Nachher sang er manchmal einen Vers oder pfiff ein Stückchen. Ein anderes Mal sagte er: Wir leben doch von lauter Wundern und Gnaden Gottes! Schau das Körnlein in der Erde! Da liegt es und kommt daraus ein großer Halm hervor, der bringt es hundertfältig wieder. Das ist wohl auch ein großes Wunder! -- Am Sonntag nach dem Mittagessen erzählte der Vater uns immer die ganze Predigt und erklärte uns alles sehr erbaulich. Er las uns auch die Erklärung des Evangeliums vor."
Von gleicher Gesinnung und Frömmigkeit war auch die Mutter; sie war auch vom Geiste des Gebetes erfüllt und sah Mühe und Arbeit als Gnade an. Sie war in allem darauf bedacht, daß sie dereinst vor Gott als eine treue Haushälterin erfunden werden möchte. "Mein lieber Gott", betete sie oft, "schlage so hart, wie Du willst, aber gib Geduld."
Beide Eltern waren wohlwollend gegen jedermann, und obwohl selbst von Mühsalen gedrückt, vergaßen sie nicht, auch für das leibliche und geistliche Wohl ihrer Mitmenschen zu sorgen. Gott segnete ihr Tugendleben mit frommen Kindern. Vater und Mutter hingen an Katharina mit ungewöhnlicher Liebe, aber sie erhoben ihr Kind nicht. Wohl gerieten die Eltern in tiefe Rührung und bis zu Tränen des Dankes vor Gott, wenn ihnen die Begnadigung an der Seele des Kindes offenbar wurde; aber ihr Benehmen gegen sie blieb doch immer dasselbe. Sie lobten es niemals, und insbesondere war es die Mutter, welche es wegen unscheinbarer Fehler ungeschont strafte. Katharina wurde dadurch glücklicherweise in der Demut und Geringschätzung ihrer selbst erhalten, so daß sie sich für sündhafter als andere Kinder hielt. "Den ersten Katechismus", erzählte sie selbst später, "habe ich von meiner Mutter gelernt." -- Sie wurde mit ihren Geschwistern von den Eltern zum eifrigen Gebete, zur Wachsamkeit über sich und Vorsicht vor Sünde angehalten. Der Vater betete zu Hause vor; es wurde stets auch für den Nächsten gebetet. An den jährlichen Fastnachstagen mußten die Kinder auf Geheiß ihrer Mutter mit ausgebreiteten Armen für die Unschuld beten, welche dann in Gefahr stand, verführt zu werden.
Mußte Katharina mit Nachbarkindern des Weges, z.B. zur Kiche in die Stadt gehen, so ordnete ihr die Mutter an, daß sie entweder vor oder hinter denselben gehen sollte, damit sie nichts Schlechtes höre; dabei hatte sie stets etwas Bestimmtes unterwegs zu beten. In einem sogenannten "Heiligtume" trug sie den Anfang des Evangeliums des heiligen Johannes auf der Brust. Sie sprach in Angst oder Gefahr mit festem Vertrauen: "Und das Wort ist Fleisch geworden", wodurch sie Erquickung und Schutz empfand. Noch in späteren Jahren gedachte sie dankerfüllt der Mahnungen und aller Uebungen der Zucht und Frömmigkeit, zu denen sie von den Eltern angehalten worden war.
Es ist dem Leser gewiß erwünscht, von diesem Kinde auch eine äußere Vorstellung sich machen zu können. "Annthrinken" -- so wurde sie statt Anna Katharina in westfälischer Mundart genannt -- hatte ein rundliches Gesicht, angenehme, wenn auch nicht sehr schöne Züge, eine hohe Stirn, dunkelblaue Augen, worüber starke, gebogene Brauenbüschel waren. Ihr Haupthaar war dunkelbraun; ihre Rede war rasch und verriet einen lebhaften Geist. Neben ihrer Bescheidenheit sprach Klugheit aus ihrem Wesen; ihre Gemütsart war mild und wohlwollend; sie wollte gern allen helfen, und jung und alt hielt sich gern bei ihr auf, um irgendeinen Dienst von ihr zu haben. Schon als Kind mußte sie allen Nachbarn die Wunden verbinden, weil sie es so behutsam konnte; ja, sie saugte die Wunden anderer aus; sie fühlte anfangs den natürlichen Ekel davor, überwand sich aber mit dem Gedanken: "So hat unser Herr der ganzen Menschheit getan." Sie hatte von Natur einen munteren Sinn; das heitere Gemüt des Vaters war auf sie übergegangen, weshalb dieser bei seiner Arbeit sie gern bei sich hatte; denn sie verstand es, durch anmutigen Scherz ihm die saure Mühe zu versüßen.
Katharina weilte gern in der freien Natur und betrachtete darin die Werke Gottes. War sie allein in Wald und Flur, so rief sie die Vögel herbei, sang mit ihnen das Lob Gottes und liebkosete sie, da sie sich vertraut auf ihre Arme und Schultern setzten. Von den Blumen des Feldes wand sie für Jesus und Maria ihre Kränze.
Sie hat nach dem damaligen Brauch auf dem Lande nur sehr kurze Zeit Schulunterricht gehabt. Der Lehrer sagte eines Tages ihren Eltern, er könne ihr keine Frage tun, welche sie nicht beantwortete. Wir wissen es schon, daß sie, um Schulfächer und sonstige Fertigkeiten zu verstehen, keinen Unterricht nötig hatte. Aber um sich selbst nichts wissend, übte sie alles, was auch andere Kinder übten; sie gebrauchte fleißig den Katechismus und die biblische Geschichte, welche sie beim Kuhhüten und zu Hause, in einer Ecke sitzend, durchlas. War sie bei andern Kindern, so sprach sie auf so liebliche Weise von der Gegenwart Gottes und des Jesukindes, wie des Schutzengels, daß jene sie gern anhörten. "Wir wollen", sagte sie, "den Himmel auf Erden vorstellen, wir wollen alles im Namen Jesu tun, und denken, das Jesukind sei immer unter uns; wir wollen nichts Böses tun und, wo wir können, es verhindern." Spielend formte sie dann im Sande die heiligen Orte von Jerusalem, z.B. den Kalvarienberg und das heilige Grab.
Im siebenten Lebensjahre legte Katharina die erste Beichte ab. Sie hatte sich mit größter Sorgfalt dazu vorbereitet und war vor allem bemüht, sich in nichts von der Eigenliebe bestimmen zu lassen, sondern ihre Fehler ganz zu offenbaren; auch wollte sie die Vorkommnisse, welche an ihr von den Eltern bestraft worden waren, getreu dem Beichtvater sagen. Sie war über folgende Sünden mit großer Betrübnis erfüllt. Zweimal hatte sie gegen die ihren Mitkindern schuldige Liebe gefehlt. Einmal hatte sie einen Augenblick lüstern nach fremden Aepfeln hingesehen; sogleich hatte sie sich in Reue hierüber als Buße aufgelegt, niemals mehr einen Apfel zu essen, was sie auch gehalten hat. Einmal hatte sie eine Bäuerin nicht gegrüßt, welche ihren Eltern übel nachgeredet hatte; sie hatte dieselbe aber sogleich um Verzeihung gebeten. Sie war bei der Lebhaftigkeit ihres Geistes zu leichter Gemütserregung und daher zu einer Art Eigensinn geneigt; sie war hierin von den Eltern oft getadelt worden, weshalb sie sich für das allerschlechteste Kind hielt. Dagegen bemühte sie sich von Kindheit an, durch Gehorsam und Ueberwindung ihre natürliche Neigung zu beherrschen, und war in der Tat das willenloseste Kind. Es drückte sie ferner schwer, daß die Mutter sie oft wegen ihrer Gesichte getadelt und sie als Träumerin und Abergläubige gescholten hatte, wie auch, daß sie wegen Laune und Eigensinn von der Mutter war gezüchtigt worden, wenn diese ihr plötzliches Krankwerden nicht begriff, welches sie aus Mitleiden an Stelle des Nächsten auf sich erfleht hatte. Katharina hatte sich dabei immer so benommen, als wenn sie der Bestrafung würdig wäre. Sie wollte über alles bei dem Beichtvater Rat und Anweisung erholen.
Das waren die Sünden, über welche sie mit größter Reue erfüllt war. Sie beichtete dieselben als Todsünden. Der Beichtvater tröstete sie und sprach: "Kind, du kannst ja noch gar keine Todsünden begehen." Sie brach aber in lautes Weinen aus und mußte als ohnmächtig aus dem Beichtstuhle getragen werden.
Die Eltern hatten ihr einige Pfennige mitgegeben, um sich dafür, wie es bei den Kindern Brauch war, nach der Beichte zur Zehrung auf dem Rückwege von der Stadt zur Bauerschaft Weißbrot zu kaufen. Sie aber schenkte das Geld einem Armen zu dem Zwecke, daß Gott ihr die Sünden vergebe. Ihre Gewissenhaftigkeit und Furcht vor der Sünde steigerten sich von nun an zu noch größerer Tugend.
Im zwölften Lebensjahre empfing Katharina zum ersten Male die heilige Kommunion. Sie hatte sich schon stets vom heiligsten Sakramente mächtig angezogen gefühlt, war im Gesichte über die Größe dieses Geheimnisses belehrt und sah an dem Benehmen ihres Schutzengels die große Ehrfurcht, mit welcher man dasselbe anbeten soll. Sie war gewohnt, beim Gebete sich nach der Himmelsgegend zu wenden, wo sie den Tabernakel einer Kiche wußte. Von Kindheit an hatte sie geistigerweise kommuniziert. Bei der Vorbereitung zum wirklichen Empfange glaubte sie nicht genug tun zu können. Nach der heiligen Kommunion erbat sie die Gnade, daß Gott sie so machen möge, wie er sie haben wolle, und daß er sie als ein ganzes Opfer zu seiner Ehre und zum Wohle des Nächten annehmen möge.
Bei der Feier hatte sie ein Gesicht, wie sie mit der heiligen Cäcilia an der Kommunion der Märtyrerchristen teilnahm, und vernahm in sich eine heilige Begierde, gleich diesen auch Marter für die Kirche zu erdulden. Gott nahm ihr Herzensopfer an. Erbauen wir uns aber an dieser herrlichen Gnadenführung Gottes! Er ließ Katharina die heilige Cäcilia sehen, wie diese, eine in Gottesliebe erleuchtete Jungfrau, den verbannten Papst Urbanus in der Katakombe besucht, dort mit dem Himmelsbrote gespeist wird, um neu ermutigt seine Sache in der Stadt zu vertreten und ihm immer neue Schäflein, selbst ihren Bräutigam und dessen Bruder zur Taufe zuzuführen, bis sie gewürdigt wurde, im eigenen Palaste ihr jungfräuliches Blut für die Kirche hinzugeben und diesen selbst dadurch zu einer künftigen Kirche und zu einer Klosterwohnung von ihr nachfolgenden Jungfrauen einzuweihen. Es war im Jahre 1786, als Katharina die erste heilige Komunion empfing. In diesem Jahre wurde der greise Papst Pius VI. bei aller Gesunkenheit des Glaubenslebens noch besonders bedrängt, als Bischöfe in Deutschland zu Ems und in Italien zu Pistoja untreu werden wollten. Da nahm der himmlische Hirt, als er zum ersten Male sein verborgenes Schäflein Katharina mit seinem Fleische und Blute speiste, das Opfer ihres unschuldigen Herzens gern entgegen, gleich der heiligen Cäcilia für die Sache seines bedrängten Statthalters auf Erden eine Märtyrin zu werden. Er hatte von ihren Kindheitstagen an diesen Gnadenzug in ihr besonders gepflegt, in Liebe für den Nächsten zu sühnen, bis er bei seiner ersten Liebesvereinigung mit ihrer Seele das vollkommene Opfer von ihr annehmen konnte, zur Sühne in seiner heiligen Kirche zu dienen, als der Heilsmutter aller ihrer Nächsten. Sie sollte eine Märtyrin werden durch ihren eigenen Drang zur Buße und durch viele Mühseligkeiten des Lebens, durch Kampf und Widerspruch mit der Welt, später durch endlose Körper- und Seelenleiden, durch öffentliche Schmach und Verfolgung, endlich durch die größte Verähnlichung mit ihm in seinen heiligen Wunden. Und wie ihr Blick seit dieser Zeit für die Tagesgeschichte der damals bedrängten Kirche geöffnet war, so begleitete auch seitdem das Sühnopfer ihrer selbst die Uebel der Kirche.
Am Morgen vor ihrer zweiten heiligen Kommunion fand Katharina in ihrem Kleiderkoffer eine Menge wunderbarer, feiner Brote, welche offenbar ein Sinnbild des reichsten Segens sein sollten, den sie fortan aus der übernatürlichen Seelenspeise schöpfen würde. Und indem sie nunmehr ihre selige Vereinigung mit ihrem einzigen, höchsten Gute an Sonn- und Festtagen feierte, wurde ihr Verlangen um so inniger und stärker, ihr inneres Herzensopfer durch das äußere vollkommen zu machen, nämlich im strengsten Ordensleben ein Brandopfer in Liebe zu Gott und zum Nächsten zu werden. Da sie aber dieses Ziel jetzt noch nicht erreichen konnte, so ersetzte sie es durch ihre freiwilligen Bußwerke. "Die Liebe zur Welt", sagte sie, "bewegt die Menschen zu so großen Anstrengungen, warum sollte die Liebe zu Jesus nicht viel mehr vermögen!" Sie trug einen Bußgürtel und statt Leinen ein rauhes Gewand auf dem Leibe. Und da ihr als erwachsenem Mädchen nunmehr der Umgang mit Welt und Menschen näher kam, so rüstete sie sich, um ihr Herz dem Einfluß der Gnade ausschließlich und niemals einer irdischen Neigung zu öffnen, durch einen heroischen Entschluß. Sie beschloß nämlich, alle ihre Sinne stets und immer zu nichts anderem zu gebrauchen als nur zur Erfüllung von Pflichthandlungen. Und wenn wir wissen, daß sie, im späteren Leben auf Gehorsam befragt, gestanden hat, diesen Entschluß ausgeführt zu haben, daß sie z.B. sich niemals mehr eine erlaubte Erholung oder Freude gestattet hat, so stellt dieses die Kraft ihrer sittlichen Tugenden, vornehmlich ihrer Klugheit und Stärke, ins hellste Licht.
Tobias verließ, obwohl er unter dem heidnischen Volke kein Beispiel hatte, den Weg der Wahrheit nicht und lehrte mit Anna, seinem Weibe, seinen Sohn von Kindheit auf, Gott zu fürchten und alle Sünden zu meiden. Gott hat das gleiche Bemühen der Eltern Katharinas in einer glaubensarmen und in Lauheit erstarrten Zeit an ihrem Kinde so belohnt, daß es bei Beginn seines erwachsenen Lebens ein seltenes Beispiel von lauterster Tugend und heiligstem Streben war. Mit welchem Wohlgefallen muß Gott nicht auf dieses reine, unschuldige Herz, auf ihre von heiliger Furcht vor ihm erfüllte Seele herabgesehen haben!
5. Kapitel
Katharina vom 12.-20. Lebensjahre. Dreijähriger Aufenthalt bei Bauer Emmerich. Zweijähriger in Flamsche. Dreijähriger in Coesfeld. 1786-1794.
Da sich Katharinas Eltern die ungewöhnliche Abgezogenheit ihres Kindes von allen weltlichen Dingen nicht erklären konnten, um so weniger, als sie sonst tägliche Beweise ihres regen Geistes und ihrer Geschicklichkeit hatten, so meinte die Mutter, sie müssse mehr unter fremde Menschen kommen, um sich zu zerstreuen. Sie schickte daher Katharina sogleich nach der ersten heiligen Kommunion in den Dienst des Bauernhauses Emmerich, von welchem sie als Leibzüchter abhängig waren und auf dessen Eigentum sie wohnten. Katharina hatte in diesem benachbarten und befreundeten Hause die Kühe zu hüten, sowie vorkommende Feld- und Hausarbeiten zu tun. Sie tat alles im Sinne des christlichen Gehorsams und war ein williges, fleißiges, eingezogenes Dienstmädchen. Gegen andere war sie freundlich und gefällig. Versuchte es in vermeintlich wohlwollender Weise die Hausfrau, sie von ihrem Bußleben und dem Entschlusse zum Ordensstande abzubringen, so wich sie in ganz freundlicher Weise aus. Ihr Inneres war meistens auch bei der Arbeit in geistigem Schauen begriffen, so daß sie manchmal die Fragen der andern nicht verstand oder wie aus einem Traume erwachend beantwortete.
Nachdem sie drei Jahre in Emmerichs Hause zugebracht und ihr stilles inneres Wesen nicht verloren hatte, hielt ihre Mutter für ihr künftiges Fortkommen es am geratensten, zumal da sie auch schwächlich am Körper war, daß sie durch Nähen ihr Brot verdiene. Katharina trat daher, fünfzehn Jahre alt, bei einer Meisterin in die Lehre, welche in derselben Bauerschaft wohnte; an den Sonn- und Feiertagen war sie zu Hause bei ihren Eltern. Sie brauchte nicht das Nähen erst zu erlernen, Gott hatte ihr hierin von selbt eine so große Fertigkeit gegeben, daß sie alle, auch die schwierigsten derartigen Arbeiten mit den Händen allein, ohne weitere Aufmerksamkeit darauf vollenden konnte. Sie ging anfangs mit Bangigkeit zum Arbeitstische, weil sie wußte, daß sie bei sitzender Arbeit dem Andringen ihrer geistigen Schauungen gar nicht werde widerstehen können, und daß sie wegen ihrer geistigen Abwesenheit die Aufmerksamkeit der andern auf sich lenken möchte. Doch der Engel stand ihr in der neuen Lage bei, er legte bei Fragen anderer die rechte Antwort auf ihre Zunge und behütete die Hände, daß ihnen die Arbeit nicht entfiel.
Nachdem Katharina beinahe zwei Jahre bei dieser Meisterin gearbeitet hatte, erkrankte sie und ging deshalb ins elterliche Haus zurück. Soviel sie es vermochte, half sie ihren Eltren bei der Feldarbeit. In diesem Zeitraume ereigneten sich zwei für ihren Klosterberuf entscheidende Tatsachen. Als sie nämlich an einem Nachmittage mit den Ihrigen auf dem Felde arbeitete, wurde in der Klosterkirche der Annunziaten zur Vesper geläutet. Wie oft auch schon diese Glocke sie mit Sehnsucht zum Klosterleben erfüllt hatte, so wurde sie doch diesmal so wunderbar ergriffen, daß sie auf dem Punkte war, in Ohnmacht zu fallen. Es war ihr, als rufe eine Stimme: "Gehe ins Kloster, es komme, was da wolle." Sie konnte nicht weiter arbeiten, mußte nach Hause gebracht werden, erkrankte von nun an heftiger, so daß sie das Bett hüten mußte. Ihre Eltern redeten ihr, soviel sie nur konnten, zu, den Entschluß zum Klosterleben aufzugeben. Der innere Ruf Gottes zum Ordensleben wurde aber in dieser Krankheit durch ein zweites, sehr wunderbares Ereignis noch mehr in ihr bestärkt. Sie sah an einem Nachmittage, da sie krank zu Bette lag und die Sonne durch das kleine Fenster in ihr Kämmerchen schien, einen heiligen Mann mit zwei Klosterfrauen an ihr Bett treten. Sie waren leuchtend, brachten ihr ein großes, goldenes Buch und sagten ihr: "Wenn du dieses Buch durchliesest, so weißt du, was zu einer Klosterfrau gehört." Sie ließen ihr das Buch und verschwanden. Es war Latein, aber sie verstand alles und las sehr fleißig darin. Hatte sie einen Teil gelesen, so wurde es ihr immer wieder weggeführt. So geschah es während der ganzen Folgezeit.
Außer dem geheimnisvollen Buche wurde sie in diesem Zeitraume durch das innere Licht vornehmlich auf die hohe Bedeutung des Ordensstandes hingewiesen, daß seine Würde in der innersten Vermählung der Seele mit dem himmlischen Bräutigam bestehe; sie wurde unterrichtet über die vorzügliche Verdienstlichkeit, welche aus jeder Handlung zufolge der Gelübde fließt, und über die Kette von Gnadenführungen, welche Gott anwendet, um die Seelen, manchmal trotz ihrer Treulosigkeit, zu diesem erhabenen Ziele zu bringen. Gott ließ sie erkennen, daß die Lebenswege mit ihren Kämpfen, Beschwerden und Widersprüchen für so manche Seelen, wie für sie in jetziger Lage, das Mittel seiner Vorsehung seien, sich den Brautschatz der Gnade zur Vermählung mit dem höchsten Königsohne zu verdienen, so wie auch eine irdische Braut ihre Ausrüstung von Leinen und Kleidern mit Mühen und Sorgen bewerkstelligen müsse. Endlich ließ er Katharina in stetigen Gesichten sehen, wie dieser bevorzugte Stand in ihren Tagen zum Schaden der Kirche verachtet und eben deshalb sehr viele seiner Gnaden nicht benützt, sondern vernachlässigt würden. Er bewegte durch diese Anschauungen ihr Herz, daß sie allen Widerspruch seitens ihrer Eltern und alle Leidensbegegnisse ihrer jetzigen und der kommenden Zeit mit Gottergebung ertrage, daß sie mit immer mehr Verlangen die Erreichung dieses auserlesenen Berufes sich von ihm erflehe, wie auch, daß sie sich freiwillig zur Sühne in Leiden anbiete für die Verachtung, welche in jenen Tagen dem Ordensleben zuteil wurde. Es war die Zeit, wo man in Frankreich alles Ordensleben aufhob und in Deutschland dessen Aufhebung vorbereitete.
Katharinas Mutter blieb bei der Meinung, daß ihre Tochter durch den Verkehr mit verschiedenen Leuten sich mehr zerstreuen würde und sich von dem Vorhaben, in einen Orden zu treten, zurückbringen lasse. Darum veranlaßte sie dieselbe, nachdem sie ziemlich genesen war, als Gehilfin bei einer Näherin in Coesfeld einzutreten. Ihre Näharbeit bezog sich auf Leinen und häusliche Kleidungssachen. Hier verlebte sie die Zeit vom siebenzehnten bis zum zwanzigsten Lebensjahre. Es war Katharina lieb, in Coesfeld zu wohnen, denn diese Stadt war ihr geistliches Jerusalem. Hier hatte sie die Gelegenheit, den Gottesdienst häufiger mitfeiern zu können und bei Tag und bei Nacht dem heiligsten Sakramente nahe zu sein.
Die alten ehrwürdigen Hallen ihrer Jakobi-Pfarrkirche vernahmen ihren steten Dank für alle Gnaden, welche sie hier seit ihrer Taufe, ersten Beicht und Kommunion, besonders an allen Sonn- und Feieretagen bis heute empfangen hatte; das reiche, geheimnisvolle Schnitzwerk in der Jesuiten-Kirche mit ihrem himmelanstrebenden Gewölbe stimmte zu dem geheimnisvollen Schauen ihrer Seele, welche sie von der trüben Erde zu himmlischer Klarheit hinaufführte. In der Lamberti-Kirche fand sie ihre gekreuzigte Liebe in einem altehrwürdigen Gnadenkreuze, dort "das heilige Kreuz" genannt. Es ist ein hölzernes Kruzifix, sechs Fuß hoch, welches einen so ergreifenden Eindruck auf jeden frommen Christen macht, daß ein Ordensmann einmal beim ersten Anblicke dieses Kreuzes sagte, dasselbe könne nur gemäß einer Vision geschnitzt worden sein. Es werden die fünfzigjährigen Jubliäumsfeierlichkeiten dieses weitverehrten Wunderkreuzes schon vom Jahre 800 an gezählt. Karl der Große soll es den bekehrten Sachsen geschickt haben, um ihnen in diesem Kreuzbaume, mit seinem freiwillig besiegten Könige daran, einen Ersatz für ihre Verehrung des Wodan unter den alten Eichen zu geben. Coesfeld wird schon zur Zeit Karls genannt; hier hat der Glaubensbegründer und erste Bischof von Münster, der heilige Ludger, am Morgen seines letzten Lebenstages gepredigt und ist abends im benachbarten Billerbeck gestorben. Die Wege in und um Coesfeld waren für Katharina die Kreuzwege des Herrn, weil das wunderbare Kreuz auf denselben an verschiedenen Tagen des Jahres feierlich umhergetragen wird. Unter diesen liebte sie für ihre Andacht vorzüglich den großen Kreuzweg, der sich zwischen Gehölz zwei Stunden lang außerhalb der Stadt hinzieht und mit vielen Stationsbildern und zwei Kapellen versehen ist. Gewöhnlich wandelte sie bei Nacht und barfuß diesen einsamen Gebetsweg, sich in das bittere Leiden des Herrn versenkend und ihr Flehen und Verdienst den armen Seelen aufopfernd. Die armen Seelen weckten sie des Nachts und begleiteten sie dann den Kreuzweg entlang.
Außer diesem Kreuzweg war ein Ort innigen Gebetes für Katharina unterhalb des oben erwähnten heiligen Kreuzes in der Lamberti-Kirche. Sie verehrte vornehmlich die heiligen fünf Wunden des Herrn und seine schmerzliche Schulterwunde, welche nach ihrer Aussage wenig beachtet werde. Dort hat sie öfters erfahren, daß der Heiland vom Kreuze her sich zu ihr herabneigte, ja, es geschah, als sie einmal bei Nacht nach der Rückkehr von dem großen Kreuzwege vor der geschlossenen Pforte der Lamberti-Kirche kniete, daß das ganze Kreuz aus der Kirche sich ihr sichtbar näherte. Andere Male öffnete sich die Kirchentür vor ihr von selbst, sie trat in die Kirche, und nachdem sie dieselbe verlassen, schloß sich die Türe wieder fest zu.
Um jene Zeit ließ Gott sie auch die Greuel sehen, welche infolge der französischen Revolution in Paris geschahen, wo statt Christentum die Verachtung Gottes und teuflische Wildheit unter den Menschen sich Bahn gebrochen hatte. Die Königsfamilie war in den Kerker gesetzt worden, um bald nachher mit Tausenden von Priestern und Bürgern dem Scharfrichter übergeben zu werden. Katharina sprach zu ihrer Umgebung ihr herzlichstes Mitleid mit dieser unglücklichen Königsfamilie aus, während sie nach jenen Erfahrungen in ihrer Kindheit über ihre Visionen keine Mitteilungen mehr zu machen pflegte.
Was sollten aber diese Anschauungen der Vorgänge in einem fremden Lande für einen andern Zweck haben, als das Herz des frommen Mädchens zum Gebete und zu Leidensopfern für jene Unglücklichen anzufachen?
Gott ließ sie während der drei Jahre in Coesfeld auch solche Prüfungen erfahren, welche die zum Ordensstande Berufenen als Bezeugungen ihrer Treue oftmals erdulden müssen, nämlich innere Verlassenheit und äußere, scheinbar unüberwindliche Hindernisse, zum Orden zu gelangen. Trotzdem sie in den Gesichten die übernatürliche Schönheit des Dienstes Gottes sah, war ihr selbst nunmehr aller Trost bei den Andachtsübungen entzogen und das Gefühl von Lauheit an seinen Platz getreten. In ihrer Demut schrieb sie diese scheinbare Erkaltung der Vernachlässigung von Gnaden zu, ja bei ihrer innern Verlassenheit fürchtete sie, sie möchte sich des Ordensstandes unwert gemacht haben. Sie übte daher noch strengere Buße und noch mehr Werke der Nächstenliebe als bisher, um ihren Liebeseifer wieder zu gewinnen, Sie gab alles, was sie verdiente, an die Armen, und darbte, um jene zu erquicken; je empfindlicher ihr die Entbehrung wurde, um so lieber übte sie dieselbe. Sie brachte halbe Nächte mit Lesen geistlicher Bücher und mit Gebet zu, welches sie mit ausgespannten Armen zu verrichten pflegte. Gott ließ zu, daß sie unter dem Gebete wiederholt vom bösen Feinde in sichtbaren Gestalten geschreckt und sogar tätlich von ihm mißhandelt wurde.
Nach Verlauf von drei Jahren dieser innern Verlassenheit ließ der himmlische Vater Katharina seine Nähe wie den Eifer ihrer Liebe wieder empfinden; sie sollte aber noch acht Jahre gegen die äußern Hemmungen und Widersprüche in der Welt fortkämpfen, ehe sie die geistliche Brautrüstung vollendet, d.h. die Gnade zu dem wirklichen Eintritt in einen Orden erlangt haben würde. Denn Gott wollte von ihr, welche er zur höchsten Vollkommenheit zu führen beabsichtigte, daß sie selber sich durch die schwierigsten Kreuzeswege das Mittel ihrer Vollendung, nämlich die heiligen Ordensgelübde, erringe -- das, was er andern oft ohne jeglichen oder nur nach geringem Kampfe durch innern Ruf als seine Gabe allein schenkt.
Mit welcher festen Treue und Ausdauer sie aber der Gnade und dem Rufe Gottes in diesem schweren Kampfe entsprochen hat, wird uns zur Bewunderung das nächste Kapitel lehren.
6. Kapitel
Katharina vom 20.-28. Lebensjahre (1794-1802).
Fünfjähriger Aufenthalt bei den Eltern. Dreijähriger bei Söntgen.
Katharinas Eintritt ins Kloster.
Ihre leiblichen Kräfte waren mit ihrem zwanzigsten Jahre wieder sehr gesunken, weshalb sie nunmehr ins elterliche Haus nach Flamsche zurückkehrte. Hier blieb sie fünf Jahre. (Statt dieser 5 Jahre hat P. Schmöger in ihrer großen Lebensbeschreibung irrtümlicherweise nur 1 Jahr.)
Während dieser Zeit, als sie 22 Jahre alt war, empfing sie die heilige Firmung in Coesfeld. Sie erzählte im späteren Alter darüber: "Als ich in die Kirche trat, sah ich den Bischof leuchtend; es waren um ihn wie Scharen himmlischer Kräfte. Die Salbung auf der Stirn der Gefirmten glänzte als Licht. Als er mich salbte, drang Feuer durch meine Stirn bis zum Herzen, und ich fühlte die Stärkung." Innerlich wurde sie dabei erleuchtet, daß sie vom heiligen Geiste diese Stärkung hauptsächlich dazu empfangen habe, um noch mehr als früher für die vielfache Schuld des Nächsten und für die großen Gebrechen des Kirchenleibes Sühnleiden auf sich zu nehmen.
Daß sie so spät erst gefirmt worden ist, lag in damaligen ungünstigen Verhältnissen kirchlicher und politischer Natur. Es neigte sich die Zeit zu dem Ende der sich selbst überlebten Herrlichkeit der fürstlichen Bischöfe. Seit einer ungewöhnlichen Zeitstrecke war auch damals nicht gefirmt worden, bis der Weihbischof Kaspar Max von Droste, am 6. September 1795 geweiht, schon im nächsten Jahre am 22. Juni in Coesfeld dieses heilige Sakrament ausspendete. Hierbei wurde auch Katharina gefirmt.
Die Zeitangabe in den früheren Auflagen, sie sei während ihres dreijährigen Aufenthaltes in Coesfeld, in ihrem 18. Lebensjahre gefirmt worden, hat sich als falsch erwiesen. Wir waren hierin der Angabe des P. Schmöger gefolgt. Jedoch wir zweifelten anderer Umstände wegen an der Richtigkeit dieser Zeitangabe und suchten deshalb in den Pfarrkirchen von Coesfeld nach einem Firmregister jener Zeit. Jedoch umsonst. Wir erfuhren nämlich, daß es in der Münsterischen Diözese bis jetzt niemals Gebrauch gewesen sei, Firmregister aufzustellen; die Beglaubigung des Empfanges geschehe nur durch die Uebergabe eines Firmzettels an die einzelnen. Dieser Firmzettel von Katharina war aber nicht mehr aufzufinden.
Nun müssen wir hier zu unserer höchsten Genugtuung eines liebevollen Zuges der heiligen Vorsehung Erwähnung tun. Als wir nämlich später als Postulator in ihrem Seligsprechungsprozesse ihr amtliches Taufzeugnis von dem Pfarrer der Jakobikirche in Coesfeld persönlich einforderten, fanden wir wie zufällig als Anhang des alten Taufbuches aus dem vorigen Jahrhundert ein einzelnes Firmregister, welches bis dahin von keinem an dieser Stelle gesucht worden und daher ganz unbekannt geblieben war. Und dieses ganz vereinzelte Register war jenes von 1796, worin auch Katharina verzeichnet war. Somit konnte auch das für den kanonischen Prozeß erforderliche Firmzeugnis amtlich ausgestellt werden.
Die Schar der Firmlinge zeichnete sich sowohl durch ihre große Zahl, als durch ihr Alter aus; es waren selbst viele Verheiratete darunter.
Ihr fünfjähriger Aufenthalt bei den Eltern gestaltete sich also. Sie beschäftigte sich mit Nähen für andere Leute, so daß sie zwar bei ihren Eltern wohnte, oftmals über Tag jedoch bald in diesem, bald in jenem Hause nähte. Auch in diesen Verhältnissen, wo sie mehr als früher mit den Menschen in Verkehr kam, war sie ein Muster an Tugend und Erbauung für alle. Sie sprach nicht, lachte niemals und gab nur bescheiden auf Fragen Antwort. Sie erschien immer in einer höchst reinlichen und ehrbaren Kleidung, und indem sie sehr auf den äußern Anstand hielt, sagte sie hierüber die treffenden Worte: "Das ist nicht für den Leib, sondern für die Seele." Sie sprach über den Nebenmenschen nichts anderes als nur Gutes, und hinderte es mit freundlicher Mahnung, wenn über die Fehler anderer gesprochen wurde. Wurde sie selber getadelt, so ertrug sie dieses bis zum Erstaunen gelassen und liebevoll. Sie redete wenig und am wenigsten von weltlichen Dingen. Mit ihren Geschwistern und Gleichgesinnten unterhielt sie sich über Glaubenssachen und gute Sitten und erzählte ihnen gehörte Predigten und Geschichten von Heiligen. Mit kluger Bescheidenheit suchte sie andere zum Guten zu bewegen. Ihr liebendes Herz sorgte für das Seelenheil ihres Nächsten, ihre wohltätige Hand wirkte, wie immer, leibliche Werke der Barmherzigkeit an den Armen und Kranken. Es war ihr nicht möglich, etwas für sich zu besitzen, ihr Verdienst gehörte den Armen. Nunmehr legte sie davon nur aus der höheren Absicht etwas zurück, um an Geld und Leinen eine kleine Mitgift zu gewinnen, welche ihr den Eintritt in ein Kloster ermöglichen sollte. Sie war emsig in der Arbeit und setzte still unter derselben ihr Gebet fort. Am Abende unterließ sie nicht, auch wenn sie wegen weiterer Entfernung von der elterlichen Hütte in einem fremden Hause übernachtete, knieend und mit ausgestreckten Armen stundenlang zu beten. Das beständige Gebet und die Verehrung des bitteren Leidens, sowie die Nachfolge Christi durch musterhafte Geduld und Verleugnung ihrer selbst, ihr starkes Fasten, besonders an den Leidenstagen des Herrn, ihr segenbringendes Mitleiden mit dem Nächsten waren die himmlischen Seelenbefriedigungen dieses gottseligen Landmädchens.
Es konnte nicht ausbleiben, daß sie bei einem solchen Tugendleben die Freude der Ihrigen in der Hütte sowie ein Beispiel und geistiger Mittelpunkt für die Bewohner der Bauerschaft war. Ihre natürliche Freundlichkeit und ihr wohlwollender Blick, nicht weniger ihr kluges, einsichtsvolles Wesen, zog die Herzen aller an sich. Die jungen Bauernmädchen, sogar die jungen Burschen, kamen zu ihr und vertrauten ihren Gewissenszustand ihr an, um zu hören, was sie zu tun hätten. An den Sonntagnachmittagen sammelte sie die jungen Leute um sich, um sie vom Umherschweifen und böser Unterhaltung abzuhalten, und beredete sie, mit ihr den großen Kreuzweg zu gehen, wobei sie dann die Vorbeterin war. So übte Katharina durch ihr Beispiel vielen Segen aus.
Es ist hiernach auch ganz erklärlich, daß alle, vornehmlich aber ihre Eltern, beharrlich und ernstlich sich sträubten, Katharina in ihrem Wunsche, in einen Orden zu treten, zuzustimmen. Die Eltern wollten einerseits einen Schatz, wie sie ihn in ihrem Kinde besaßen, nicht so leicht aus ihrem Umgange entlassen, anderseits auch urteilten sie, daß die schwache Gesundheit ihrer Tochter Hindernis sei, um im Kloster glücklich zu werden. Aber der innere Ruf zum Ordensleben drang je länger, desto entschiedener an Katharinas Herz; denn Gott hatte seine großen Absichten mit ihr. Es ist ferner leicht begreiflich, ein wie schwerer Kampf dieses Verhältnis für Katharina war. Sie mußte ihren frommen Eltern, welche sie vor allen achtete und liebte, widerstehen und konnte ihrem Wunsche nicht entgegenkommen. Ein höherer Wille rief sie, den die Eltern in ihrer Weise nicht verstanden. Denn die Größe der Gnaden, womit Gott ihr Kind beschenkt hatte, und die besondere Bedeutung ihres Ordensberufes konnte den Augen der Eltern nicht aufgedeckt sein.
Um daher Katharina wenigstens in ihrer Nähe zu behalten, drangen sie sehr ernstlich darauf, daß sie eine günstige Heirat eingehe, welche ihr zurzeit gerade angeboten wurde. Das gehorsame Kind fing an, Gott zu bitten, er möge den Widerwillen gegen das Heiraten ihr nehmen, wenn es sein Wille sei, daß sie den Eltern nachgebe. Darauf wuchs aber ihr Verlangen, in einen Orden zu treten, noch mehr. Auch fragte sie ihren Pfarrer und ihren Beichtvater um Rat. Beide erklärten ihr, daß sie, da ihre Eltern noch andere Kinder hätten, welche ihnen später im Alter beistehen könnten, die Freiheit behalte, ihrem Berufe zu folgen. Katharina blieb daher standhaft in ihrem Vorsatze.
Ferner setzten die Ihrigen, besonders ihr ältester Bruder, ihr wiederholt mit aller Beredung zu, um der geschwisterlichen Liebe willen doch einmal mit ihnen zu einer öffentlichen Lustbarkeit zu gehen, wie es damals zu gewissen Zeiten unter den Landleuten ohne Arg Gebrauch war. Zweimal gab sie mit innerem Widerstreben diesem Drängen nach, indem sie hoffte, künftig von neuen Aufforderungen verschont zu bleiben. Bei dem einen Male war es ihr, als rufe sie der göttliche Bräutigam aus der Gesellschaft heraus; sie suchte ihn draußen und fand ihn traurig und ganz blutig unter einem Baume stehen. Er sprach zu ihr: "Wie treulos bist du mir! Kennst du mich nicht mehr?" Sie flehte um Vergebung und erhielt Anweisungen, was sie für die andern zur Verhütung von Sünden tun solle. Das andere Mal erhielt sie in der Gesellschaft ein Gefühl, als wolle die Erde sie verschlingen. Sie eilte voll Betrübnis auf den Weg nach Hause, wo Maria ihr erschien und sie anredete: "Was hast du getan, du, die du dich mit meinem Sohne verlobt hast!" Nun trat auch Jesus als Jüngling traurig und entstellt zu ihnen und warf Katharina vor, daß sie in weltlicher Gesellschaft verweile, während er leidend auf sie harre! Katharina vermeinte vor Schmerz zu sterben und flehte zu seiner Mutter, für sie um Verzeihung zu bitten, wobei sie beteuerte, niemals wieder hierin nachgiebig zu sein. Sie erhielt die Vergebung, erneuerte nochmals ihr Versprechen, und die Erscheinungen verschwanden. Sie aber eilte laut weinend nach Hause.
Mögen alle jungen Leute, welche dieses lesen, es als einen Fingerzeig Gottes ansehen, wie sehr sie darauf Bedacht nehmen sollen, die Unschuld ihrer Seelen, die Früchte ihrer Erziehung und ihres Unterrichtes nicht durch unvorsichtige und sinnliche Gesellschaften sich rauben zu lassen, und in solchen Fällen, wo törichte Eltern ihre Kinder zur Schau stellen wollen, klüger und weiser als diese zu sein.
Von dem Drange zu Gesellschaften erhielt Katharina nunmehr Ruhe, weil sie davongelaufen war und weil ihrem Vater ein Buch in die Hand fiel, worin er las, daß die Eltern ihre Kinder nicht zu solchen Lustbarkeiten anhalten dürften.
Der Widerstand der Eltern gegen das Kloster hörte jedoch nicht auf. Sie drangen mit Bitten, mit Tränen, auch mit hartem Tadel auf Katharina ein, ihr Vorhaben aufzugeben, so daß die Weichheit ihres liebeerfüllten Herzens heftig dadurch bedrängt wurde und sie oft kaum wußte, wie sie ihnen entgegnen solle. Sie nahm in solcher Lage immer ihre Zuflucht zum eifrigen Gebete, um Klarheit und Stärke zur Ausführung zu erlangen. Daneben schwand ihre natürliche Hoffnung zum Eintritte in einen Orden noch mehr durch sich häufende Krankheiten. Ueber diese war sie allerdings innerlich belehrt, daß sie zur Sühne für andere dienten, aber darum erschien sie doch äußerlich schwach und vor andern für das Kloster unfähig. Ihr Vertrauen wurde noch mehr auf die Probe gestellt, als sie beim Anfragen an zwei Klostergemeinden den Bescheid erhielt, man könne sie ihrer Armut und Schwäche wegen nicht aufnehmen. Katharina aber harrte in demütiger Unterwerfung ihrer Seele auf den Willen des Herrn.
Ihr unwandelbares Vertrauen auf Gott und ihre langjährige Treue in diesem harten Kampfe wollte der Herr jetzt durch eine ganz besondere Auszeichnung an ihr belohnen und zugleich dadurch kundgeben, wie wahr es sei, daß er sie für immer zu seiner Brautschaft, d.h. zu seiner vollkommensten Nachfolge in den heiligen Ordensgelübden berufen habe. Er begnadigte sie nämlich mit seiner Gleichförmigkeit in der Dornenkrone. Nachdem sie vier Jahre in Liebe und Leid zu hause unter den Ihrigen zugebracht hatte und vierundzwanzig Jahre alt geworden war, wurde sie mit dieser Gnade begünstigt. Wir erzählen diese wunderbare Tatsache mit ihren eigenen Worten: "Etwa vier Jahre, ehe ich ins Kloster ging, war ich einmal um die Mittagszeit in der Jesuiten-Kirche zu Coesfeld und kniete auf der Orgelbühne vor einem Kruzifix in lebhaftem Gebet. Ich war ganz in Betrachtung versunken, da wurde mir so sachte und so heiß, und ich sah von dem Altare der Kirche her, aus dem Tabernakel, wo das heiligste Sakrament war, Jesus als meinen himmlischen Bräutigam in Gestalt eines leuchtenden Jünglings vor mich hintreten. Seine Linke hielt einen Blumenkranz, seine Rechte eine Dornenkrone; er bot mir beide zur Wahl dar. Ich griff nach der Dornenkrone; er setzte sie mir auf, und ich drückte sie mir mit beiden Händen auf den Kopf, worauf er verschwand und ich mit einem heftigen Schmerze rings um das Haupt wieder zur Besinnung kam. Ich mußte gleich darauf die Kirche verlassen, denn der Küster rasselte schon mit den Schlüsseln zum Schließen derselben. Am folgenden Tage war mir der Kopf über den Augen und an den Schläfen bis zu den Wangen stark geschwollen, und ich hatte sehr große Schmerzen. Diese Schmerzen und die Geschwulst kehrten oft wieder und währten ganze Tage und Nächte. Ich richtete meine Kopfbinde so ein, daß ich das Bluten glücklich verbarg; später im Kloster hat es auch nur eine Person entdeckt und redlich verschwiegen." -- Es kam ihr nämlich hierbei der Umstand zustatten, daß die damalige Tracht der Bauernmädchen eine weiße Kopfbinde war, welche vor der Stirne herging und sich unter der Haube verlor, indem sie am Hinterkopfe geschlossen wurde.
So war sie in noch erhöhter Weise die Leidensbraut des Herrn geworden, um in seinem Leiden für seine Kirchenbraut mitzusühnen. Denn wirklich setzte man damals der Kirche die Dornenkrone der Verachtung von neuem auf, wo man ihre göttliche Stiftung und Sendung in stolzem Dünkel über Aufklärung und neue Wissenschaft verwarf und vergaß. Zudem wagte es der Erste der Zeit, der Eroberer Napoleon, in demselben Jahre, in welchem Katharina das Mitleiden der Krone empfing, sich im Uebermut über die Würde des Statthalters Christi auf Erden zu erheben, sogar nicht einmal vor seinem ehrwürdigen Greisenalter Ehrfurcht zu haben. Er eroberte nämlich im Jahre 1798 Rom und erklärte den Kirchenstaat als Republik. Der achtzigjährige Greis Pius VI., welcher dem Kirchenstaate nicht entsagen wollte, wurde von ihm gefangen nach Valence in Frankreich geführt, wo der Tod seinen Leiden ein Ende machte. Am 14. März des Jahres 1800 wurde Pius VII. zu Venedig zum Papste gewählt. Katharina aber sagte auch vermöge ihres innern Erkennens jahrelang voraus, daß Napoleon trotz all seines Glückes wieder stürzen würde.
Die heilige Vorsehung führte hierauf die letzte Stufe und Vorbereitung herbei, um ihren Brautschatz zur Vermählung mit Jesus durch die heiligen Gelübde im Orden zu vollenden. Ihr Beichtvater hatte sich für sie bei den Klarissen in Münster verwendet; er erhielt eine günstige Antwort und Katharina begab sich nun dahin, begleitet von einer Freundin, um persönlich ihre Bitte vorzubringen. Dort empfing sie jedoch den Bescheid, sie könne, da das Kloster sehr arm sei und sie keine besondere Mitgift mitbringe, nur unter der Bedingung angenommen werden, daß sie das Orgelspiel erlerne, damit sie dadurch dem Kloster von Nutzen werde. Katharina erhielt dann, 25 Jahre alt, von ihren Eltern wirklich die Erlaubnis, beim Organisten Söntgen in Coesfeld das Orgelspiel zu erlernen, um sich hierdurch Aufnahme in das Kloster zu verschaffen. Jedoch Gott wollte, daß diese letzte Gnadenvollendung ihres Brautschatzes nicht die liebliche Weise von Erlernung des Orgelspieles sei, sondern seine Vorsehung stellte sie hier auf die härteste Probe der Tugend, ob sie bereit sei, das Mittel ihrer Verheißung, um in den Orden zu gelangen, zu opfern wegen seines Gebotes: "Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Denn sie fand in diesem Hause wider Erwarten eine so außergewöhnliche Armut, daß ihre Nächstenliebe ohne weiteres sie bewog, hier als gewöhnliche Magd alle Zeit und Kraft dazu zu verwenden, um durch Arbeiten und Verdienen die bittersten Nahrungssorgen von dieser Familie abzuwehren. Sie fand keine Zeit dazu, um das Orgelspiel zu erlernen. Ja, sie gab sogar für die Unterhaltung der Familie allmählich ihre 60 Mark und ihre neun Stück Leinen im Werte von 240 Mark aus, welche sie in den verflossenen fünf Jahren sich als eine bescheidene Mitgift für den Eintritt ins Kloster mit großer Mühe erspart hatte. Und hierbei lernte sie, wie sie sich einmal ausdrückte, selbst noch das Hungern, wiewohl sie an Fasten von jeher gewohnt war, so daß angesichts ihres eigenen Bedürfnisses ihre Mutter bewogen wurde, ihr Nahrungsmittel zu bringen, welche sie dann wieder mit der Familie teilte. Wie sehr mußten hierbei die Worte der Mutter Katharina schmerzen, als sie zu ihr sprach: "Du hast mir ein großes Herzeleid angetan, daß du von uns mit aller Gewalt weg ins Kloster willst; wenn ich den Platz zu Hause sehe, wo du gesessen hast, dann bricht mir das Herz -- aber du bist doch noch mein Kind!" -- Katharina antwortete: "Ich danke dir, Gott vergelte es dir, liebe Mutter, es ist der Wille Gottes gewesen, die armen Letue durch mich zu erhalten. Gott wird nun sorgen."
Drei Jahre lang hielt Katharina in der Uebung dieser Nächstenliebe aus
Es kann für die Bewohner von Coesfeld und Umgegend nicht gleichgültig sein, den Platz näher zu wissen, wo diese heroische Nächstenliebe ausgeübt ist. Das Söntgen'sche Haus war auf der Schüppenstraße vom Markt aus in der linken Reihe das letzte, an der Berkel gelegen. zur Jetztzeit heißt es "Winter".
und nach menschlicher Wahrscheinlichkeit hatte sie alle Aussicht zu einem Ordenseintritt verloren. Doch Gottes Wege sind nicht unsere Wege. Er zeigte ihr im Gesichte, welchen reichen Zuwachs ihre Gnaden-Ausrüstung zur Vermählung mit ihm gewonnen habe, indem diese Beweise ihrer Nächstenliebe, diese Geduld in Entsagung viel lieblichere Töne vor ihm gewesen seien, als das schönste Orgelspiel. Und wie Gott Abraham belohnte für seinen Glauben und Gehorsam, indem er ihm seinen Sohn wiederschenkte und durch ihn die gegebenen Verheißungen wahr werden ließ, so belohnte Gott die demütigen Wege, welche Katharina so ganz ergeben in seinen Willen gewandelt war, mit einer plötzlichen, unvermuteten Wendung.
Gott hatte nämlich mittlerweile der Tochter des Söntgen, namens Klara, welche eine fertige Orgelspielerin war, den Beruf zum Orden gegeben. Ihr Vater hatte in Erfahrung gebracht, daß die Augustinerinnen in Dülmen einer Orgelspielerin bedurften. Er bot ihnen daher seine Tochter zum Eintritt an, jedoch um seine schuldige Dankbarkeit und Billigkeit an Katharina abzutragen, machte er ihnen zur Bedingung, daß sie zugleich seine Magd Katharina Emmerich als Ordensschwester mit annehmen möchten. Die Nonnen begrüßten mit Freuden die Klara, willigten aber sehr ungern in die Aufnahme von Katharina ein. Bei ihrer tatsächlichen Armut sahen sie nämlich in der Aufnahme dieser armen Schwester eine neue Last. Jedoch der Vater blieb fest bei der Forderung seiner Bedingung, und somit erhielt auch Katharina die Aufnahme. Wenige Tage zuvor, ehe sie mit Klara die Welt verlassen und sich nach Dülmen begeben wollte, ging sie zum letzten Male in das elterliche Haus nach Flamsche, um von den bertrübten Eltern Abschied zu nehmen. In tiefster Rührung dankte sie für alle empfangene Liebe, bat Eltern und Geschwister herzlich um Verzeihung, daß sie ihnen nicht willfahren und dem Rufe Gottes zum Ordensstande nicht untreu werden könne. Die Mutter hatte nur Tränen als Antwort; auch ihr Vater war von bitterem Schmerze über die nun unwiderrufliche Trennung übermannt, so daß er, welcher gegen Katharina immer nur Herzensgüte gekannt hatte, auf ihre demütige Bitte um einiges Reisegeld ihr antwortete: "Wenn du morgen dich begraben lassen willst, so werde ich gern die Begräbniskosten bezahlen, aber zum Gehen ins Kloster gebe ich dir nichts."
Weinend und doch voll innerlicher Zuversicht, so arm und entblößt von aller Habe dem Bräutigam entgegeneilen zu können, verließ sie Flamsche, um tags darauf sich mit Klara nach dem von Coesfeld drei Stunden entfernten Dülmen zu begeben. Ihre notdürftigen Kleidung nebst dürftigem Bettzeug lag in einer hölzernen Truhe, in welche die Mutter heimlich noch ein Stück Leinwand gebracht hatte, um ihr geliebtes Kind nicht ohne jede Gabe von sich scheiden zu lassen. Als Anna Katharina die Leinwand entdeckte, wagte sie nicht, dieselbe für sich zu behalten, sondern übergab sie der Klara zum Danke, daß sie um ihretwillen die Aufnahme erhalten habe.
So kam durch Gottes vorsehende Wege Katharina in das Kloster der Augustinerinnen, welches wohl seit seinem Bestehen keine an allem Irdischen so arme, aber auch keine an Begnadigung und Tugend so reiche Schwester in seine Mauern aufgenommen hatte. Es war am 18. September 1802, als Katharina eintrat; sie war 28 Jahre alt. Was anderes hat sie aber in der treuen Befolgung des Rufes Gottes zum Ordensstande getan, als die Worte Christi erfüllt: "Meinet ihr, daß ich gekommen bin, Frieden der Erde zu geben? Nein, sage ich euch, sondern Trennung; denn uneins werden sein die Mutter mit der Tochter, und die Tochter mit der Mutter usw." (Luk. 12,51.) Ein höherer Ruf steht so erhaben über den irdischen Verhältnissen, wie der Himmel erhaben ist über der Erde. Was anderes aber sprach aus solcher Trennung, als der Starkmut ihrer Seele; was anderes war ihr Weg, besonders der letzte bis zur Klosterpforte gewesen, als Entsagung; was anderes hat sie von Kindheit bis heute geführt, als die christliche Klugheit, das ist die Verfolgung ihres einziges Zieles, Gott auf vollkommenste Weise zu dienen; womit anders hat diese Jungfrau ihre bisherige Lebenszeit ausgefüllt, als mit Gerechtigkeit gegen Gott in der sorgfältigsten Erfüllung aller ihrer Pflichten, gegen sich durch Bewahrung der Taufunschuld, gegen den Nächsten durch die wohwollendste und großmütigste Liebe.
Mit der Erreichung des geistlichen Standes beginnt der noch ernstere Teil der ihr von Gott gestellten Lebensaufgabe, in Sühnleiden für ihren Nächsten und für die heilige Kirche zu wirken.
7. Kapitel.
Katharinas neunjährige Klosterzeit (1802-1811).
Das Kloster Agnetenberg war unter der Regel des Eremitenordens des heiligen Augustinus im Jahre 1471 gestiftet worden, und hatte bis zum Eintritt Katharinas schon 331 Jahre bestanden. Es war also ein Ort, welcher während eines langen Zeitraumes durch heilige Ordnung und Gebet zu einem sehr ehrwürdigen geweiht worden war. Zur Zeit Katharinas befand sich aber dieses Kloster, wie die meisten damaliger Zeit, nicht mehr in der alten Verfassung: der laue und flache Geist der Zeit war auch hierhin gedrungen, die Regel war größtenteils in Vergessenheit geraten und die Klausur ganz aufgehoben. Die Gewohnheit hielt zwar eine gewisse Ordnung noch aufrecht, aber nur die Kleidung unterschied hauptsächlich die Ordensfrauen von den Christen in der Welt. Zudem war das Kloster so arm, daß jede einzelne Schwester sich das Frühstück- und Vesperbrot durch Handarbeit selbst verdienen oder durch freie Gaben von außen sich verschaffen mußte.
Beim Eintritt ins Kloster bat Katharina die Oberin, sie als die Geringste des Hauses im Namen Gottes aufzunehmen. Jedoch auch ihr demütigstes Verhalten beschwichtigte nicht den Unwillen der Schwestern, daß sie um einer Organistin willen gezwungen worden waren, eine so arme und noch dazu körperschwache Peson bei sich aufzunehmen. Daher achtete man sie nicht und sie war während der ersten Monate keinen Augenblick sicher, daß sie nicht wieder entlassen wurde. Jedoch Gott verlieh ihr in dieser Zeit so viel Kraft, daß sie durch ihre fertige Handarbeit außer der Bestreitung ihres täglichen Unterhaltes auch dem Kloster noch Nutzen brachte, wovon ihr Klosterhabit beschafft werden konnte. Sie wurde endlich als Novizin zugelassen und am 13. November 1802 eingekleidet.
Bei der Feier sah sie im Gesichte, wie ihr Ordenspatron, der heilige Augustinus, ihr die Gewänder anlegte und sie zu seiner Tochter annahm, auch seinen besondern Schutz ihr verhieß; sie sah sich jetzt im geistlichen Hochzeitshause und ihren Brautschmuck an der Seele nochmals vermehrt durch die gänzliche Armut, womit sie gekommen, und durch die Verachtung, welche ihr hier zuteil wurde.
Jedoch mußte sie noch eine sehr schwere Prüfung ertragen, ehe ihr Brautkleid ganz gewoben war, in welchem sie gewürdigt werden sollte, durch die Gelübdeablegung die volle Braut Jesu Christi zu werden. Gott ließ es nämlich zu, daß sie im Kloster ihrer Armut wegen kaum als Mitschwester, sondern als eine Magd betrachtet wurde, daß sie wegen ihrer Frömmigkeit und Geistesgaben, welche sie nicht verbergen konnte, für eine Heuchlerin gehalten und vieler Fehler, welche sie nicht begangen hatte, beschuldigt wurde. Ihre Mitschwestern, angesteckt vom flachen, lauen Zeitgeiste, haben sie mißkannt, später diese ihre Fehler eingesehen und bereut. Katharina eilte bei solchen Anlässen vor das heilige Sakrament, flehte um Stärke und beschwichtigte ihre Herzensbetrübnis mit den Worten: "Ich halte aus und bleibe fest, auch wenn ich gemartert werde." Gott schickte ihr außer diesen innern Leiden aber auch leibliche Marterleiden. Zu ihren steten Schmerzen der Dornenkrone, von welchen niemand wußte, erhielt sie um Weihnachten ein sehr peinigendes, sie durchstechendes Herzleiden, worüber sie zusammenbrach; nach schwerer Krankheit erholte sie sich allmählich; das peinigende Herzleiden aber blieb.
Jedoch die innere Gnade wirkte während dieses Noviziatsjahres so mächtig in ihrem Herzen, daß eine tiefe Gottergebenheit die harte Behandlung seitens der Mitschwestern immer wieder überwand und eine Fülle von Seelenfrieden sie in den körperlichen Peinen glücklich machte.
Das Jahr des Noviziates war dem Ende nahe, aber die Klostergemeinde war noch nicht entschlossen, die Novizin zu behalten. Man befürchtete, daß sie arbeitsunfähig werde und dem Kloster zur Last falle. Nach ihrem sittlichen Werte maß man sie nicht. Nur konnte die Oberin sich nicht verhehlen, daß sie sehr einsichtsvoll und geschickt in der Arbeit sei, weshalb sie immerhin dem Kloster noch von Nutzen werden könne. Gott leitete die Herzen, und die Stimmen einigten sich, sie zur Gelübdeablegung zuzulassen.
Am Jahrestage der Einkleidung, am 13. November 1803, unter einer neuntägigen Andacht zum Feste Mariä Opferung, legte sie die Ordensgelübde ab. Wiederum sah sie bei der Feier im Gesichte, daß sie mit höheren Kräften und Gaben an der Seele ausgerüstet und zur Würde einer vollen Braut Christi erhoben wurde und wie das prächtige Brautgewand ihrer Seele durch die Gebete und Leidenswerke ihres bisherigen Lebens zur Vollendung gebracht worden war. Gott fügte es, daß sie im hohen Glücke ihrer Seele auch äußerlich an diesem Tage blühend wie eine Braut erschien und daß dieser Tag für sie in jeder Hinsicht ein voller Friedenstag wurde. Es waren nämlich auf die Mitteilung ihrer Feier ihre Eltern zum ersten Male nach Dülmen gekommen, welche jetzt, ergriffen von dem Glücke ihrer Tochter, von Herzen ihrem Opfer vor Gott zustimmten. Eltern und Geschwister blieben ihr von nun an geneigt und kamen oft, sie zu besuchen und zu beschenken. Aber auch ihren Mitschwestern im Kloster erschien Katharina an ihrem Profeßtage so lieblich und durch ihre Freudentränen und ihre stetigen Dankesworte so rührend, daß der Widersinn vergessen wurde und sich unter allen eine fröhliche Stimmung Bahn brach. Katharina wurde zeitlebens mit Trost erfüllt, so oft sie der unvergeßlichen Feier jenes Tages gedachte. Das war einer von den nur wenigen Tagen ihres Lebens, wo unter der Empfindung der himmlischen Harmonien jegliches irdische Leid ausgeschlossen sein sollte; ihre Seele glich an diesem Tage einem reinen, ruhigen Wasserspiegel, in welchem das tiefe Blau des Himmelsgewölbes mit der strahlenden Sonne widerglänzt.
Der Profeßtag stand neben den Tagen der ersten heiligen Kommunion und der Firmung. Er war wie jene eine höhere Stufe ihrer Heiligung, wie auch der Beginn einer größeren Lebensaufgabe, was Gott sie an diesem Tage durch das innere Licht erkennen ließ und wozu er sie zugleich mit dem entsprechenden Maße der Gnade an christlicher Klugheit und Starkmut ausrüstete. Das innere Licht ihrer Visionen an diesen Marksteinen ihres Lebens läßt uns unzweideutig die Bedeutung ihres äußeren, schwierigen Lebens- und Leidensganges erkennen.
Rückwärts schaute sie an ihrem Profeßtage, daß von Jugend an ihr Flehen und Leiden, ihre demütigen Wege, besetzt mit Dornen und Hindernissen, ihre unwiderstehliche Sehnsucht zum Orden und der ebenso stetige Widerspruch dagegen von seiten der Ihrigen, wie all ihr Kämpfen, all ihre Geduld, all ihre Ausdauer nicht zuviel gewesen seien, um sich die höchste Gnade, welcher eine Seele auf Erden teilhaftig werden kann, zu verdienen, nämlich die Brautschaft mit dem himmlischen Königssohne durch die drei heiligen Geblübde. Und das war die Gnade, welche von den blinden, irregehenden Kindern der Kirche damals geschmäht und verachtet wurde, indem der Ordenssstand vielfach zu einem flachen Weltgeiste versumpft war und die Weltmenschen sich bemühten, ihn durch Aufhebung und Beraubung ganz aus der Welt zu schaffen.
Dieser starke, sehnsüchtige Drang zum Ordensleben entstand in unserer Jungfrau im Jahre 1790, in welchem in Frankreich alle Klöster aufgehoben wurden; ihr Ringen nach ihm mit seinen vielen Abstufungen geschah in den Jahren, wo man auch in Deutschland in ihrer eigenen Umgebung schon von der allgemeinen Auflösung der Klöster sprach, und ihr Profeßtag fiel in das Jahr 1803, wo man in Wien die Aufhebung sämtlicher Klöster und die Einziehung des Kirchengutes in Deutschland mit Ausschluß der österreichischen Länder beschloß; endlich war sie bis 1811 Ordensperson, während welcher Zeit diese Auflösung allgemein vollzogen wurde und nur zufällig Agnetenberg so lange bestehen blieb. In den genannten Umständen liegt ein augenfälliger Gegensatz; Katharina aber wurde durch die innere Beschauung gezeigt, was er zu bedeuten habe.
Gott hatte sie erwählt, daß sie durch ihr Ringen nach höchster Vollkommenheit und durch unablässige Leidenssühne während ihrer Klosterzeit die Schuld, warum er das Ordensleben untergehen ließ, ausgleiche und durch ihre Treue und Ausdauer bis zu einem vollendeten Tode seine künftige Wiedererweckung verdiene.
Sie fühlte sich, seitdem sie Ordensmitglied geworden war, mit den andern Gliedern aller Orden in geistiger Liebe viel inniger vereinigt, als im natürlichen Bande mit Eltern und Gechwistern. Zugleich aber sah sie im Geiste das kirchliche Ordensleben, die schönste Zierde am geistlichen Leibe Jesu Christi, durch eigene Schuld gesunken und zum größten Schaden der Kirche seinem gänzlichen Untergange in ihrem Vaterlande entgegengehen.
Als Mitglied des geistlichen Standes überhaupt schaute sie ferner den sittlichen Verfall desselben im allgemeinen: die Sakrilegien vieler Priester gegen das heilige Sakrament, ihre Verleugnung der Pflichten gegen den Nächsten als Seelsorger, ihre Verleugnung der eigenen Mutter, der Kirche, durch Teilnahme an der Freimaurerei.
Endlich als volle Braut Jesu Christi war Katharina nunmehr auch dem innersten Herzen der Kirche näher gerückt und sie mußte im Geiste sehen, daß weltliche Macht die Kirche zu einer Magd ohne Ansehen, zu einer Armen ohne Eigentum und zu einer Bedrückten ohne Freiheit machte, ferner, daß die Bischofsstühle, auch der münsterische, verwaist waren, und daß protestantische Fürsten über katholische Untertanen gesetzt wurden.
Angesichts dieser Uebel nahm Gott aus ihrem liebeentbrannten Herzen das Opfer an, daß sie sich als nunmehrige ganze Braut Christi auch in erhöhter Weise an die Absichten seiner Verherrlichung hingab, um in verborgener Buße und Sühne innerhalb der Klostermauern für die Glieder und Verhältnisse des Ordensstandes, des ganzen geistlichen Standes und der ganzen Kirchenbraut Christi überhaupt Genugtuung zu leisten.
Sie büßte durch Niedrigkeit und Armut. Hatte sie beim Eintritt in das Kloster die Oberin gebeten, sie als die Geringste des Hauses aufzunehmen, so hatte man dieses vollständig wahrgemacht; sie war die Magd des Hauses. Als sie wegen Kränklichkeit die schwersten Dienste beim Vieh und im Garten nicht mehr tun konnte, wurde sie bald dieser, bald jener Schwester in der Arbeit zur Hilfe gegeben. Sie aber diente unverdrossen mit freundlicher Liebe jeder Schwester und war mit allen ihren Kräften, welche Gott ihr zwischen den Krankheiten verlieh, für die Wohlfahrt des Klosters emsig besorgt. Sie bewohnte die schlechteste Zelle des Hauses, dieselbe war feucht und kalt. Auf derselben war ein Stuhl ohne Lehne und ein Stuhl ohne Sitz, die Fensterbank diente als Tisch. -- Sie ertrug vergnügt ihre Armut. Für das Morgen- und Vesperbrot, welches jede Schwester für sich beschaffen mußte, gebrauchte sie die schlechten Reste ihrer Mitschwestern. In besondern Bedürfnissen von Schwachheit und Krankheit war Gott auch ihr besonderer Fürsorger. Geschenkte Lebensmittel oder geschenktes Geld nahmen dann eine Zeitlang gar nicht ab, wie bei der Witwe von Sarepta. Sie fand auch das ihr nötige Geld bisweilen wunderbarerweise auf der Fensterbank liegen.
Weil Katharina sich bemühte, nach der Regel, welche sie fleißig las, zu leben und die vorgeschriebenen Andachtsübungen zu halten, so kam sie stillschweigend in Widerspruch mit den andern Schestern, welchen der Ordensgeist abhanden gekommen war, und erntete für ihren Eifer Vorwürfe von Heuchlei und Uebertreibung ein.
Gott gab ihr die Gabe der Tränen zur Sühne für die Sünden ihrer Mitmenschen. Den Mitschwestern aber waren die Tränen zum Aergernis, und sie deuteten dieselben als Folgen verletzter Eigenliebe. Vollends verstanden sie aber ihre übernatürlichen Zustände nicht, z.B. ihre vollständige Abgezogenheit von der Außenwelt durch inneres Schauen. Sie kam, ohne es hindern zu können, bei den Schwestern im Chor, bei der Arbeit oder auf ihrer Zelle in Verzückung, wo sie zu ihrem Troste und zu ihrer Stärkung in den Leiden übernatürliche Dinge schaute und oft die Arme zum Gebete im Kreuze ausbreitete. Man erklärte solches an ihr als müßiges und eigensinniges Wesen. Hieraus ergibt sich von selbst, wie viele und empfindliche Beleidigungen Katharina zu ertragen hatte.
Bei der Aufnahme in die Ordensfamilie hatte der heilige Augustinus ihr sein liebeflammendes Herz geoffenbart und an demselben ihr eigenes mit gleichem Feuer entzündet, welches zu Gott als höchstem Gute und zu ihren Mitschwestern als den mit ihr zum hohen Ziele Berufenen entflammt war. Aber wie Feuer wärmt und zugleich verzehrt, so sollte ihre Liebesglut ihr eigenes Herz zum Verzehren haben. Sie erhielt nämlich schon im Noviziate als Weihnachtsgeschenk vom heiligen Geist ein gar sehr peinigendes Herzleiden für die ganze Zeit ihres Ordenslebens. Gott zeigte ihr im Innern den Zweck, es sei für den Verfall des Ordensgeistes, insbesondere für die Sünden ihrer Mitschwestern. Was aber dieses Leiden am peinigendsten machte, war ihre Gabe, welche sie von Jugend auf besessen hatte, nämlich das innere Wesen der Menschen nach seiner Wahrheit vor Augen zu sehen. Das Herzleiden empfand sie körperlich, als werde ihr Herz beständig von Pfeilen durchbohrt. Diese Pfeile -- und das war das noch schlimmere geistige Leiden -- erkannte sie aus der Nähe als die Gedanken, Pläne, geheimen Reden von Mißdeutungen, Verleumdungen, Lieblosigkeiten, worin ihre Mitschwestern ganz grund- und gewissenlos gegen sie und ihren gottesfürchtigen Wandel begriffen waren. So wandelte sie in immerwährenden, geheimen Leiden, welche niemand ahnte; denn sie war äußerlich freundlich gegen jedermann. Katharina gewann es über sich, gegen jede Mitschwester mit herzlicher Liebe erfüllt zu bleiben, sogar beim Anflug natürlicher Erregbarkeit sie um Verzeihung zu bitten. Sie diente ihnen in allem untertänig und freudig; in einer ekelhaften Krankheit stand sie mit Selbstüberwindung einer Schwster bei, von welcher sie mehr als von den andern beleidigt worden war.
Sie war durch die Profeß mit der ganzen Ordensgesellschaft der Kirche ein Leib geworden. Und wie sie fortan an den unnennbaren Verdiensten derselben durch alle christlichen Jahrhunderte hin teilnahm, so sollte sie aber auch erfahren, daß sie von Gott zu dieser hohen Gnade geführt war, um für die kanken Glieder mitzuleiden. Sie übernahm die geistlichen Gebrechen als körperliche Leiden zur Sühne. Daher verfiel sie vom Noviziate ab in häufige, ganz verschiedenartige und peinvolle Krankheiten, welche aber sehr auffällig plötzlich wieder verschwanden, nachdem sie alle ihre Grade durchlaufen hatten und der sichere Tod unvermeidlich schien. Daher ist sie sehr häufig mit den heiligen Sterbesakramenten versehen worden. Es zeigte sich ferner, daß bei den Krankheiten die medizinischen Mittel gar keine Wirkung hatten, so daß dieselben dem Hausarzte Krauthausen und ihrer Umgebung unerklärlich schienen. Später erkannten die Aerzte, daß die Uebel keine leiblichen, sondern geistig übernommene Ursachen hätten. Wiewohl Katharina durch ihr inneres Licht dieses immer zu allererst wußte, so entzog sie sich doch aus Demut keineswegs dem Gebrauche der Mdizinen, um sich nicht auffällig zu machen, jedoch wurde sie bisweilen gerade durch dieselben dem Tode nahe gebracht. Diese übernommenen Sühnleiden haben fortan bis zu ihrem Tode fortgedauert, mit dem Unterschiede, daß, je länger sie lebte, desto peinigender sie wurden.
Ihre Mitschwestern legten auf die Krankheiten, weil sie von denselben immer wieder genas, keinen Wert mehr, vernachlässigten ihre Pflege und ließen sie einsam auf ihrem Lager liegen. Herzog Croy in Dülmen ließ ihr einstmals einen Ofen bringen -- er hatte nämlich von ihrer traurigen Lage gehört --, was für sie sehr wohltätig war, da bei ihren starken Schweißen die Kälte ihrer Kammer das Leinenzeug am Leib und Bett gefrieren ließ und sie nicht imstande war, beim Wechseln der Kleidung sich zu schützen. Zu ihrer nötigen Pflege erschienen manchmal selige Geister des Himmels, hoben sie aus dem Bette und betteten sie neu. Von den irdischen Kreaturen waren es Tauben und Sperlinge, welche sie vertraulich am Fenster besuchten, und Mäuse, welche vor ihr auf der Bettdecke spielten.
Sollte sie nach dem Willen Gottes auf kurze oder längere Zeit zur Arbeit genesen, so wurde sie geheilt durch übernatürliche Mittel, welche sie von ihrem Engel oder von der Erscheinung des Heilandes, der Mutter Gottes oder einzelner Heiligen empfing. Diese Mittel erhielt sie in hellglänzenden Fläschchen, als Blüten, Knospen, Kräuter, auch als kleine Bissen. Oft lagen unbeschreiblich wohlriechende Kräuterbüschchen neben ihr im Bette, durch deren Wohlgeruch, wie auch durch das Wasser, welches sie auf dieselben goß und dann zum Trinken verwendete, sie geheilt wurde. Die jedesmalige Gebrauchsanweisung wurde ihr dabei innerlich geoffenbart. In andern Fällen erhielt sie Bilder, Figuren, Steine mit dem geschnitzten Bildnis Marias darin, welche sie gleichfalls heilten und ihr, nachdem sie eine Zeitlang sie verehrt hatte, unsichtbar wieder entzogen wurden. Auch von ihrem heiligen Ordenspatron hat sie eine ähnliche Gabe erhalten. Sie erzählte selbst also: "Es war an seinem Feste, da ich in großen Schmerzen zu Bette lag. Es nahte die Stunde, da die Klostergemeinde zur heiligen Kommunion gehen sollte. Niemand glaubte, daß ich teilnehmen könne. Es war mir aber, als werde ich gerufen; ich ging zur Kirche und empfing das heilige Sakrament. In meine Zelle zurückgekehrt, sank ich in Ohnmacht und ward, ich weiß nicht von wem, in den Kleidern auf mein Lager gehoben. Nun erschien mir der heilige Augustinus und gab mir einen durchsichtigen, glänzenden Stein in Gestalt einer Bohne, aus der wie ein Keim ein rotes Herz mit einem kleinen Kreuze über sich hervorwuchs. Ich erhielt dabei die Weisung, das Herz müsse noch so hell werden wie der glänzende Stein. Als ich erwachte, hatte ich das Steinchen in der Hand. Ich legte es in mein Wasserglas und trank längere Zeit darüber, wodurch ich geheilt wurde. Danach ist mir das Steinchen wieder entzogen worden."
(Fortsetzung folgt)
Transkription P.O. Schenker, © by Immaculata-Verlag, CH-9050 Appenzell (Schweiz)