Santiago_
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Die Aktualität Kants: Alle Wege führen zu ihm zurück

Von Walter Hoeres

Auf den ersten Blick mag es scheinen, als sei [...] Immanuel Kant nur eine Angelegenheit für Fachphilosophen. Die Schicksalslinien, die von Hegel oder Marx ausgehen, sind viel leichter wahrzunehmen als Kants Einfluß auf die geistige und politische Landschaft des neunzehnten und zwanzigsten Jahrhunderts. Sein Hauptwerk, die "Kritik der reinen Vernunft", das 1781 in erster und 1787 in wesentlich veränderter zweiter Auflage erschien, ist scheinbar rein akademischen Fragen nach der inneren Möglichkeit, dem Gefüge und der Reichweite unserer Erkenntnis gewidmet und zudem in einer labyrinthischen Sprache nicht endender Sätze geschrieben.

Tatsächlich aber ist Kants Philosophie heute so aktuell wie nie zuvor, denn sie ist eine prägnante Darstellung, ja Legitimation der Einschätzung, die der moderne Mensch von sich und seinen Aufgaben im technisch-industriellen Zeitalter hat. Wie Kopernikus das Bild des Universums revolutioniert hat, so Kant unsere Auffassungen vom Sinn des menschlichen Daseins und den Möglichkeiten unserer Erkenntnis.

Der Begriff der menschlichen Erkenntnis, wie er von den Griechen bis in die Neuzeit hinein die Philosophie beherrscht und erst von Kant radikal in Frage oder, wie er es nennt, auf den Kopf gestellt worden ist, hat zwei fundamentale Konsequenzen. Erstens steht die Aktivität des Verstandes immer im Dienst der äußeren und inneren Anschauung der Dinge: Das Eindringen in sie soll ihre Hinnahme vorbereiten. In diesem Sinne bleibt es die eigentliche Aufgabe des Erkennens, die Wirklichkeit, so wie sie ist, hinzunehmen und anzunehmen: ihr getreuer Spiegel zu sein. So ist der Mensch in der Erkenntnis kontemplativ den Dingen zugewandt. Erkenntnis ist ihrem Wesen nach demütige Hinnahme der Wirklichkeit: Darstellung und Nachvollzug der Schöpfungsordnung im erkennenden Geist.

Zweitens ist die Überzeugung, daß dieser Geist wirklich in der Lage ist, in die Dinge einzudringen und ihr Sein und Wesen – wenn auch unvollkommen – zu erfassen, maßgebend für die Auffassung vom höchsten Ziel des Menschen, die seit Platon und Aristoteles so nachhaltig nicht nur die Philosophie, sondern auch Kultur und Gesellschaft bis in die Neuzeit hinein geformt hat. Wenn es möglich ist, die Wirklichkeit und ihre Wesensgründe zu erfassen, dann ist unser Verstand auch in der Lage, sich über die Grenzen von Raum und Zeit bis zu deren letztem Grunde aufzuschwingen.

So ist der Mensch nach dieser Tradition das animal metaphysicum, dem es um die Erkenntnis des Seins und Wesens der Dinge und letztlich um die Erkenntnis Gottes geht. Solcher Erkenntnis geht es nicht um greifbaren Nutzen, sondern sie wird um ihrer selbst willen gesucht. Sie befriedigt und erfüllt auch ohne alle Nutzanwendung.

Platon und Aristoteles hätten wenig Verständnis für das Goethe-Wort gehabt: "Grau lieber Freund ist alle Theorie", denn für sie bedeutete theoria die beseligende Anschauung dessen, was sich wahrhaft zu erkennen lohnt. Diese Auffassung der Erkenntnis und ihrer Stellung im Ganzen des menschlichen Daseins hat nicht nur Philosophie und Anthropologie, sondern auch das Bildungsideal Europas tief geprägt. Philosophie und Theologie waren als die "zweckfreien Künste" Bildungsfächer schlechthin, und so blieb es bis in die Neuzeit.

Demgegenüber war der Siegeszug der mathematischen Naturwissenschaften nicht rein theoretischer Wißbegierde zu danken, sondern einer ganz neuen Einstellung des Menschen zu sich und zur Welt, die jetzt als Feld praktischer, nutzbringender Tätigkeit gesehen wird: letzten Endes dann, als gigantisches Rohstofflager und gigantische Energiequelle. Die Menschen sind mit Beginn des naturwissenschaftlich-technischen Zeitalters, das nicht zufällig auch das des Kapitalismus wurde, nicht klüger als ihre Vorfahren geworden, sie haben nur ein neues Verständnis von sich selbst gewonnen und begreifen sich nunmehr in erster Linie als praktisch tätige und größtmöglichen Nutzen erwirtschaftende Wesen. Der Weg ging vom animal metaphysicum zum homo faber.

Nach Kants Auffassung steht unser Verstand zunächst vor derselben Schwierigkeit wie der Produzent, der die Aufgabe hat, ein widerspenstiges und ungefüges Material zu ordnen und ihm die gewünschte Gestalt aufzuprägen. So geht die "Kritik der reinen Vernunft" davon aus, daß uns als erkennenden Wesen von den Dingen her lediglich ein chaotisch ungestaltetes Vielerlei von Eindrücken oder Empfindungen gegeben ist, mit denen allein unsere Erkenntnis gar nichts anfangen könnte.

Da wir aber nach Kant von den Dingen nur eine ungeordnete Fülle von Eindrücken empfangen, auf der anderen Seite jedoch immer schon eine geordnete Welt von Dingen wahrnehmen, muß unser Erkenntnisvermögen selbst es sein, das in das bunte Gewühl der Eindrücke Ordnung, Gestalt und Übersicht bringt und so aus dem bloßen Rohstoff der Empfindungen faß- und überschaubare Erscheinungen der Welt macht. Die entscheidende Leistung des Erkennens, deren Darstellung nahezu die ganze "Kritik der reinen Vernunft" gewidmet ist, besteht daher paradoxerweise nicht darin, das zu tun, was man herkömmlicherweise unter Erkennen versteht, sondern zunächst einmal aus dem gegebenen Material der Eindrücke mögliche Gegenstände von Erkenntnis herzustellen.

So produziert nach Kant unsere Erkenntniskraft zwar nicht die Wirklichkeit selbst, wohl aber die Art und Weise, wie sie uns erscheint; nicht die Welt, wie sie an und für sich ist, sondern wie sie unserem Bewußtsein gegeben ist; nicht die Dinge, wie sie in sich selbst sind, sondern wie sie uns als Gegenstände der Erkenntnis entgegentreten. Alle Gestalt und Form, zu der auch der gesetzmäßige Zusammenhang oder das Neben- und Nacheinander in Raum und Zeit gehören, ohne die wir die Natur gar nicht begreifen können, stammt aus den Anschauungs- und Denkformen unseres Bewußtseins, die Kant nachdrücklich als formende, gestaltende und ganz allgemein Ordnung stiftende Funktionen dem bloßen Stoff der Empfindungen gegenüberstellt, dem Rohstoff, den unser Erkennen zu faßbaren Erscheinungen der Welt verarbeitet.

Die Konsequenzen dieser Auffassung sind ungeheuerlich. Erkenntnis wird so eher zu einem Verdecken, der Wirklichkeit als zu ihrem Entdecken – und genau das ist das Ergebnis der Kantschen Erkenntnistheorie. Die Wirklichkeit, wie sie an und für sich unabhängig von unserem Erkennen besteht – Kants berühmtes "Ding an sich" – bleibt grundsätzlich unerkennbar, denn vor ihr steht als undurchdringlicher Schleier die Erscheinung, die die Erkenntnis mit ihren Anschauungsformen und somit nach ihrem eigenen Bilde aus den Eindrücken prägt, die uns die Wirklichkeit liefert.

Weil Kants Umdeutung des lebendigen Erkenntnisgeschehens in eine Art Produktionsprozeß des Erkenntnisgegenstandes so radikal ist, bleibt sie nicht bei der Sinneserkenntnis und ihren Anschauungsformen von Raum und Zeit stehen, sondern bezieht auch den Verstand ein. Die räumlichen und zeitlichen Dimensionen, in denen unsere Wahrnehmung die Gegenstände erscheinen läßt, garantieren noch keine verläßliche Ordnung der Erscheinungen und damit auch keine sichere oder gar wissenschaftliche Erkenntnis. Ein regelloses Nacheinander von Eindrücken würde jeden Versuch einer Erklärung, aber auch jede Voraussage unmöglich machen.

Kant bringt dafür ein anschauliches Beispiel. Jemand nimmt einen erwärmten Stein wahr. Dann blickt er auf zur Sonne, die auf den Stein herabscheint. Die Folge seiner Eindrücke ist völlig willkürlich, denn er hätte auch zuerst zur Sonne aufblicken und dann erst den erwärmten Stein wahrnehmen können. Aber solche zufällige, regellose Folge von Eindrücken, die ganz von einer subjektiven Willkür abhängt, ist noch keine Erkenntnis des Sachverhalts. Diese ergibt sich erst, wenn der Betrachter begreift, daß die Sonne die Ursache der Wärme im Stein ist und so zwischen den beiden von der Logik der Sache her ein unumkehrbarer zeitlicher Zusammenhang, eben der zwischen Ursache und Wirkung, besteht. Erst dieser feste, durch das Gesetz von Ursache und Wirkung bestimmte Zusammenhang zwischen der Abfolge der Eindrücke macht Erkenntnis möglich, zu der verläßliche Erinnerung und sichere Voraussage gehören.

Wiederum ist aber dieses Gesetz von Ursache und Wirkung, welches bei jedem Geschehen die unerschütterliche Gewißheit verschafft, daß ihm eine Ursache vorangegangen ist, kein Prinzip der Wirklichkeit, die unabhängig vom Bewußtsein besteht. Wie es vielmehr im Bereich der Sinneswahrnehmung Anschauungsformen gibt, durch die der Rohstoff der Erkenntnis in eine erste Ordnung gebracht wird, so verfügt der Verstand über Denkformen, die sogenannten "Kategorien", mit denen er das Ordnen vollendet und damit auch endgültig die Erscheinung von Gestalten, Dingen und notwendigen Zusammenhängen ermöglicht.

Wie diese Denkformen funktionieren – Kant bezeichnet sie nicht zufällig als "Funktionen" – mag ein zweites Beispiel neben der von Ursache und Wirkung zeigen. Was vereint beispielsweise die zahllosen Sinneseindrücke zur Erscheinung einer Rose, wer oder was faßt alle Eindrücke zusammen? Nach Kant geschieht dies durch die Denkform der Substanz, die die Eindrücke als Eigenschaften eines Trägers auffaßt, um den sie sich gruppieren. Erst die Anwendung dieses Ordnungsschemas von Substanzen und Eigenschaften auf die Vielfalt der Eindrücke ermöglicht, daß jemand überhaupt Dinge wahrnimmt, die in Raum und Zeit dauern, und daß seine Erkenntnis somit mehr zeigt als eine rasch wechselnde Folge von beziehungslosen Qualitäten.

Schon dieser Blick auf die Umwandlung des Verstandes in einen gigantischen Mechanismus zeigt, warum Kant für die Philosophie zum Schicksal geworden ist. Wenn wir beispielsweise nichts darüber wissen, ob auch in der Wirklichkeit, wie sie jenseits unserer Auffassung von ihr besteht, alles seine Ursache hat, dann ist es sinnlos, weiterhin die alles entscheidende Frage zu stellen, die von Platon bis zu Kant die Philosophie bewegt hat, die Frage nach dem letzten tragenden Grunde der Wirklichkeit, die auch so formuliert worden ist: Warum ist überhaupt etwas vorhanden und nicht vielmehr nichts?

Wissen wir nichts über das Sein der Welt, dann kann es uns auch nicht als Spur oder Gleichnis des Absoluten dienen. So liquidiert Kant schon im Bewußtsein seiner Zeitgenossen und erst recht in dem der Nachwelt die Gottesbeweise der klassischen Metaphysik und damit diese selbst. Ob der Theismus recht hat, der behauptet, daß die Welt durch einen Gott als einem von ihr unterschiedenen persönlichen geistigen Wesen erschaffen worden ist, oder der Pantheismus, der der Meinung ist, diese Welt sei selbst schon das gesuchte absolute Wesen, bleibt unentscheidbar. Die Frage nach dem Sinn des Daseins wird zur müßigen Freizeitspekulation. Kant wird zum Begründer des Agnostizismus, und die Aktualität seiner Philosophie zeigt sich unter vielem anderen darin, daß erst heute die meisten Intellektuellen sich als Agnostiker verhalten. Der Agnostizismus gibt durchaus zu, daß die sogenannten letzten Fragen, die Kant selbst einmal als die nach Gott, Freiheit, Unsterblichkeit bezeichnet hat, von ungeheurer menschlicher Bedeutung sind, aber er hält es für unmöglich, im Hinblick auf sie zu verbindlichen Ergebnissen zu gelangen. Kants Einfluß ist noch in der Reserve der skeptischen Generation von heute gegenüber allen metaphysischen Höhenflügen und aller weltanschaulichen Begründung des Handelns zu spüren sowie gegenüber dem, was heute so abwertend als "Idealismus" bezeichnet wird.

Was die agnostizistische Einschätzung des menschlichen Geistes wirklich bedeutet, sagen uns heute ganz unverhohlen der Positivismus und Pragmatismus, die als die augenblicklich wohl einflußreichsten Richtungen der Philosophie gleichfalls ohne Kants "Kritik der reinen Vernunft" nicht möglich geworden wären.

Herbert Marcuse nennt den Positivismus in seiner Studie über den "Eindimensionalen Menschen" geradezu den "Sadomasochismus der westlichen Intellektuellen". Er ist in den angelsächsischen Ländern zur sakrosankten Fachphilosophie geworden und reduziert in seinen extremeren Formen die menschliche Erkenntnis auf die Beobachtung von unmittelbaren Tatsachen: von greifbaren und handfesten facts. Begriffe, die über sie hinausgehen und sie tiefer zu verstehen und zu deuten suchen, haben keinen Sinn mehr. Notwendige Zusammenhänge gibt es nicht, denn die Beobachtung zeigt nur, daß es so ist, aber nicht, daß etwas notwendig so ist; eine Beobachtung kann daher grundsätzlich durch neue Beobachtungen revidiert werden.

Nun ist Kant gewiß alles andere als Positivist gewesen, denn er lehrt durchaus, daß unsere Erkenntnis ständig mit notwendigen und unumstößlichen Zusammenhängen zu tun habe, die beispielsweise den Naturgesetzen zugrunde liegen. Sie stammen freilich für ihn nicht mehr aus der Wirklichkeit, sondern aus unseren Denkformen und ihrer Funktion, die Eindrücke der Sinne in einen gesetzmäßigen Zusammenhang zu bringen. Entscheidend aber ist, daß der Positivismus Kants These, wonach uns jede Einsicht in das Wesen der Dinge verborgen ist, aufnimmt und konsequent zu Ende führt. Beide verweisen darauf, daß es die Erkenntnis mit der bloßen Erscheinung der Wirklichkeit zu tun habe,-und betonen, es sei müßig, zu fragen, was ihr letzten Endes zugrunde liege.

Erst am Pragmatismus, der nichts anderes als die praktische Nutzanwendung des Positivismus ist, wird aber die Abhängigkeit des heute maßgebenden Selbstverständnisses der Vernunft von Kant ganz deutlich. Nach der Anschauung des Pragmatismus ist eine Erkenntnis dann wahr, wenn sie durch den praktischen Erfolg bestätigt wird. Dieser ist das Kriterium, ob eine Erkenntnis sinnvoll ist und etwas taugt oder nicht. Dabei kommt es nicht darauf an, wie man diesen Erfolg in den einzelnen Spielarten des Pragmatismus definiert: als Erfolg in der Selbstbehauptung im Kampf ums Dasein oder gar als "Kassenwert" der Erkenntnis wie in einigen besonders primitiven Formen des Pragmatismus. Insgesamt ist dieser jedenfalls die radikalste nur denkbare Absage an den klassischen Erkenntnis- und Wahrheitsbegriff der philosophischen Tradition, für den Wahrheit die Übereinstimmung von Erkenntnis und Wirklichkeit ist. Wahr ist die Erkenntnis nunmehr, wenn es ihr gelingt, aus dem Rohstoff der Eindrücke die geordnete Welt der Erscheinungen zu schaffen und uns vor Augen zu stellen. So wird Erkenntnis schon bei Kant ganz bewußt als Tat oder Handlung begriffen, die ein bestimmtes Ziel zu verwirklichen hat und an dessen. Realisierung gemessen wird.

Der Verstand hat im Industriezeitalter immer mehr die Züge des Apparates angenommen, als den ihn Kant beschrieben hat. Er ist immer mehr zu einem reibungslos funktionierenden Instrument zur Ausbeutung und Organisierung des Rohstoffes "Natur" und zur Herrschaft über sie geworden. Sein Ziel ist tatsächlich kaum mehr die Kontemplation der Welt, sondern die Herstellung einer Welt von nützlichen Produkten. Dieses Übergewicht der technisch-instrumentalen Vernunft ist so ungeheuer, daß die kritische Philosophie von Adorno bis Marcuse von ihm als dem eigentlichen Grundübel der Epoche spricht.

In seiner "Kritik der instrumentellen Vernunft" beschreibt Horkheimer das Selbstverständnis dieser modernen Vernunft, die sich nur noch als nützliches Instrument zur Erwirtschaftung produktiven Nutzens begreift – so sehr, daß sie schließlich auch allen Zwecken, für die die nützlichen Güter doch dasein sollten, verständnislos gegenübersteht, weil sie ihrerseits nicht wieder als nützliches Mittel zur Erreichung irgendeines Zweckes eingesetzt werden können. Das Schreckbild, das Horkheimer entwirft, ist das einer Gesellschaft, die in ihrer ungehemmten Jagd nach dem Nutzen unfähig wird, sich der Dinge zu erfreuen, die durch all dieses nützliche Tun bewirkt werden sollen.

In gleichem Sinne beschreiben Theodor W. Adorno in seiner "Negativen Dialektik" und Herbert Marcuse in seiner Studie über den "Eindimensionalen Menschen" die planende, kalkulierende, einteilende, organisierende, reglementierende, rationalisierende und produzierende Herrschaft dieser apparathaft funktionierenden Vernunft, die nicht nur im Begriff ist, die Welt in einen Schuttabladeplatz zu verwandeln, sondern sich auch zunehmend auf den Menschen erstreckt, der immer mehr zu einem funktionierenden Glied im ungeheuren Apparat der Produktion und Daseinsfürsorge degradiert wird. Danach hat die Herrschaft über die Natur durch die alles verplanende und vernutzende Vernunft nicht zur Versöhnung mit ihr geführt, sondern zu ihrer Zerstörung. Und ebenso hat sie den Menschen zum kalkulierbare^ Faktor verdinglicht: zum Rädchen in einem unüberschaubaren, zum Selbstzweck gewordenen Getriebe.

Über diese Diagnose des bestehenden Zustandes hinaus: wirft die philosophische Kritik der instrumentellen Vernunft vor, daß sie, die sich nur noch als nützliches Werkzeug verstehe, gar nicht mehr in der Lage sei, über Sinn und Unsinn der Ziele zu reflektieren, die erreicht werden sollen, ja Ideen über ein sinnvolles Leben zu konzipieren. Auf der anderen Seite lebt diese Kritik von der Hoffnung, daß die instrumentelle Vernunft nicht die einzige Form unseres Erkennens ist. Dieses werde sich vielmehr auf seine kontemplativ spekulative Kraft, auf seine Fähigkeit, Erfahrungen zu machen, und seine Sensibilität für die Wirklichkeit zurückbesinnen und so seine eigene Degradierung zum leerlaufenden Instrument erkennen und aufheben.

Die Auseinandersetzung über diese Möglichkeit kann nur mit und gegen Kant geführt werden. Mag es auch dunkel bleiben, wie die Erkenntnis im Sinne Kants in der Lage sein soll, aus dem Gewühl der Eindrücke die Welt zu schaffen, wie sie uns erscheint, so beschreibt seine Philosophie doch prophetisch genau, was die instrumentelle Vernunft heute tut: Verarbeiten von Rohstoff, Herstellen von Beziehungen zum Zweck der Übersicht, Funktionieren nach festen Regeln.

Dabei spielt es keine Rolle, daß sich dieses produktive Tun sozusagen im Inneren des Bewußtseins abspielt. Was zählt, ist allein die Anwendung des Modells des Produktionsprozesses auf die Erkenntnis, die einmal als die höchste und intensivste Form des Lebens galt.

Gewiß ist diese Kant-Interpretation einseitig – Kants Werk hat insbesondere in der Moralphilosophie auch wesentlich andere Aspekte. Die hier skizzierten jedoch dürften über ein bloß akademisches Interesse hinaus an Sorgen rühren, die uns alle heute bewegen.

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Santiago_
michael7
Der Mensch kann weder alles aus seiner Vernunft, unabhängig von Sinneserfahrung (a priori), ableiten, noch ist er Schöpfer der Wirklichkeit.
Das heißt aber nicht, dass es nicht Erkenntnisse gibt, die der menschlichen Vernunft auch unabhängig von jeder Sinneserfahrung und naturwissenschaftlichen Experimenten (a priori) möglich sind, wie die Erkenntnis der Absolutheit der Wahrheit, die Erkenntnis …Mehr
Der Mensch kann weder alles aus seiner Vernunft, unabhängig von Sinneserfahrung (a priori), ableiten, noch ist er Schöpfer der Wirklichkeit.
Das heißt aber nicht, dass es nicht Erkenntnisse gibt, die der menschlichen Vernunft auch unabhängig von jeder Sinneserfahrung und naturwissenschaftlichen Experimenten (a priori) möglich sind, wie die Erkenntnis der Absolutheit der Wahrheit, die Erkenntnis Gottes, des Guten, der Freiheit usw.
Santiago_
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Insbesondere das Bemühen der Transzendentalphilosophen u. Theologen im Anschluss an Kant, Erkenntnis gleichzeitig mit Thomas als schauende Hinnahme des Seins der Dinge und mit der Transzendentalphilosophie zugleich als setzende, tathafte Konstruktion des Gegenstandes zu verstehen, war Hoeres ein Dorn im Auge. Dieser nach Hoeres völlig verfehlte Versuch verdichtet sich gleichsam in dem selbst von …Mehr
Insbesondere das Bemühen der Transzendentalphilosophen u. Theologen im Anschluss an Kant, Erkenntnis gleichzeitig mit Thomas als schauende Hinnahme des Seins der Dinge und mit der Transzendentalphilosophie zugleich als setzende, tathafte Konstruktion des Gegenstandes zu verstehen, war Hoeres ein Dorn im Auge. Dieser nach Hoeres völlig verfehlte Versuch verdichtet sich gleichsam in dem selbst von Gustav Siewerth hart kritisierten kantianisierenden Apriorismus Maréchals, Lotz’ und Rahners: Erkennen ist für diese nur „Bestätigung eines schon vorhandenen Urwissens“. Es ist nur möglich, wenn es von einem apriorischen, unthematisch-unausdrücklichen und doch schon irgendwie inhaltlich gefüllten Urwissen um das Sein getragen ist. Erkennen ist dann nur das Reflexwerden des immer schon irgendwie Gewussten und das Urteil hat nur den Sinn, das so sichtbar Gewordene zu bekräftigen.

Der Einfluss Heideggers und seiner mit dem Vorgriff gegebenen unaussprechlichen „Vagheit“ und Ungegenständlichkeit des Seins ist hier ebenso deutlich zu spüren wie Husserls Lehre von der Horizontintentionalität. Die Theorie sucht aber ihrer Konzeption im Rahmen der katholischen Theologie auch dadurch Nachdruck und Autorität zu verleihen, dass sie behauptet, bereits Thomas habe Sein und Erkennen völlig zusammenfallen lassen und es sei daher gut thomistisch, die „Gelichtetheit des Seins“ als „Beisichsein“ zum Modell von Erkenntnis zu erheben.

Hier setzt dann auch die Kritik von Hoeres ein. Sie kommt dabei nicht ursprünglich vom Thomismus im strengen Sinne, etwa so wie bei anderen sehr bekannten Kritikern des Transzendentalthomismus (Bernhard Lakebrink, Cornelio Fabro u.a.). Vielmehr hat sie ihr Fundament in einer ganz eigenen Form einer christliche inspirierten Phänomenologie, die der festen Überzeugung ist, dass zahlreiche Denker des Hochmittelalters, unter ihnen auch der Doctor angelicus, gleichsam Phänomenologen „avant lettre“ waren und „durchaus schon die phänomenologische Methode, wenn auch unreflektiert, auf das Erkenntnisproblem angewandt haben.“

Extrahiert man bei Thomas nicht nur einzelne Sätze aus dem Zusammenhang, sondern bedenkt, gemäß den einfachsten und grundlegendsten Regeln der Hermeneutik, auch stets das Ganze, so wird sehr deutlich, wie der transzendentalthomistische Ansatz sich zuallererst einer Vernachlässigung der Spannweite der Analogie des Seins, der bekannten Lehre von der analogia entis, strafbar macht: die Identität von Sein und Erkennen, die Thomas völlig zurecht als das göttliche Erkennen auszeichnend lehrt (Sth I, 14, 4), darf nicht undifferenziert zum Modell von Erkenntnis überhaupt gemacht werden. Indem sie nicht genug zwischen göttlichem und menschlichen Sein und Erkennen unterscheidet, zeigt sich in der neuscholastischen Transzendentalphilosophie eine von der Philosophie weit in die Theologie hineinstrahlende dialektische Konfundierung von Gott und Mensch, die dem Aquinaten völlig fern gelegen hätte und die eher eine etwas verspätete Rezeption des deutschen Idealismus verrät.
michael7
Das Problem bei Kant ist, dass man nach ihm das "Ding an sich" mit unserem "Erkennen" gar nicht erreicht. Damit gäbe es letztlich keine objektive Wahrheit.
Bei den durch die Sinne (und damit nur mittelbar) erkannten Wahrheiten gibt es natürlich immer die Möglichkeit der Täuschung (Fata Morgana, Farbenblindheit, Hörstörungen usw.).
Auch die Naturwissenschaften stützen sich auf sinnliche Erfahrung …Mehr
Das Problem bei Kant ist, dass man nach ihm das "Ding an sich" mit unserem "Erkennen" gar nicht erreicht. Damit gäbe es letztlich keine objektive Wahrheit.

Bei den durch die Sinne (und damit nur mittelbar) erkannten Wahrheiten gibt es natürlich immer die Möglichkeit der Täuschung (Fata Morgana, Farbenblindheit, Hörstörungen usw.).
Auch die Naturwissenschaften stützen sich auf sinnliche Erfahrung und können deswegen immer nur vorläufige Hypothesen oder Theorien verkünden, bis eben neuere Geräte oder Experimente entwickelt werden, mit Hilfe derer man dann wieder neue Theorien oder Hypothesen formuliert.

Wichtig ist es daher, zu fragen, wo unser Geist auch unmittelbare Erkenntnismöglichkeiten besitzt. Diese unmittelbare Erkenntnismöglichkeit ergibt sich bei der Erkenntnis seiner selbst und bei der Erkenntnis, dass der menschliche Geist eben nicht aus sich selbst existiert und sich deshalb auch der Ver-Antwortung gegenüber einem absoluten Aufruf zum Guten stellen muss, nämlich der Verantwortung Gott gegenüber.

Das "Soll" des Guten kann der Mensch unmittelbar erkennen, es ist aus sich hell und klar. Es ist auch der Aufruf, mit dem Jesus mit der Verkündigung des Evangeliums uns gegenübertritt!
😇 🤗
Santiago_
Prof. Hoeres hat Kant aufs Ganze gesehen jedoch als wenig(er) hilfreich eingestuft ...
Theresia Katharina
Theresia Katharina
@Santiago74 Die meisten Christen sind gar nicht in der Lage, die Philosphie und die Bedeutung Kants zu erfassen, geschweige denn eine Linie zu den alten griechischen Philosophen zu ziehen. Unsere Bildung wird seit Jahrzehnten immer schlechter! Und die Intelligenz immer niedriger dank dauerndem Glotzen ins Smartphone und Tablet. Langsam greifen auch die Vermischungsprozesse dank Kalergi-Plan!
Der …Mehr
@Santiago74 Die meisten Christen sind gar nicht in der Lage, die Philosphie und die Bedeutung Kants zu erfassen, geschweige denn eine Linie zu den alten griechischen Philosophen zu ziehen. Unsere Bildung wird seit Jahrzehnten immer schlechter! Und die Intelligenz immer niedriger dank dauerndem Glotzen ins Smartphone und Tablet. Langsam greifen auch die Vermischungsprozesse dank Kalergi-Plan!
Der Kalergi-Plan und die Abschaffung der europäischen Völker – Merkel erhielt 2010 Kalergi-Preis