H. Hempelmann: Umgang mit Islam - Am Vorbild Jesu Maß nehmen

"Ein [praktizierender] Muslim wird den Gott den Christen vielmehr nur dann anerkennen können, wenn er zuvor aus dem christlichen Gottesverständnis alles spezifisch Christliche herausgestrichen hat ( Gottes Dreieinigkeit, Gott als Liebe, die Nähe Gottes in Jesus Christus, die Stellvertretung für unsere Schuld am Kreuz Jesu Christi) herausgestrichen hat, den christlichen Glauben also in Anlehnung an den Koran 'gereinigt' und entkernt hat. Aber verdient dann das, was übrig bleibt, noch die Bezeichnung christlicher Glaube?
Wie gehen wir mit den festgestellten Differenzen um? In einer zweifachen Weise! Zunächst und zuerst gilt unbedingte Liebe zu den muslimischen Mitmenschen! Gerade diese Liebe zu diesen Menschen, die verloren sind wie alle anderen auch, zwingt uns aber zu einem ebenso unbedingtem Widerspruch in der Sache, Widerspruch gegen die islamische 'Verkürzung' der Wirklichkeit des lebendigen Gottes, die den Menschen um das Entscheidende, das Evangelium bringt - ja, ihn geradezu dagegen immun zu machen sucht!
Wir schulden den Muslimen die Liebe Christi. Wir werden ihnen darum als Mitmenschen mit der denkbar größten Person-Toleranz, sprich Leidensbereitschaft und Geduld begegnen. Zu der ihnen wie allen Menschen geschuldeten Liebe gehört freilich auch, dass wir ihnen den einzigen Weg zum wahren Gott und zum ewigen Leben über Jesus Christus nicht verschweigen dürfen. Hier kann es in der Sache keinerlei Toleranz geben! Hier müssen wir auf den weithin so verbreiteten 'Schmusekurs' verzichten: Wir glaubten doch letztlich alle an den selben Gott, und darum sei es gleichgültig, ob man sich an Allah oder an den dreieinigen Gott hält. Die Formel von demselben Gott ist eingängig, an den Christen wie Muslime glauben; sie ist scheinbar tolerant und sie erleichtert vordergründig das Zusammenleben.
Verantwortbar ist sie jedoch nicht, wenn man denn den Nächsten mit seinen Glaubensüberzeugungen wirklich ernst nimmt und ihm nicht Überzeugen unterstellt, die er nicht hat und nicht haben will, die er vielmehr mit Nachdruck ablehnt. Zur intellektuellen Redlichkeit gehört in der Religionsbegegnung schließlich auch, dass man selber weiß, was Sache, was die eigene Sache ist und das man keine Einigkeit propagiert, die nur unter Verzicht der eigenen 'Essentials' zu gewinnen wäre.(...)
Würde hier das Eingeständnis von Gegensätzen und Widersprüchen die Konflikte, die vorhandenen wie die potentiellen, gefürchteten, nicht nur noch verschärfen? Ich meine: Denkverbote helfen auch in dieser Frage nicht weiter. Eine Vogel- Strauß Politik ist nicht zukunftsfähig. Probleme und Herausforderungen, auch Konflikte werden nicht dadurch beseitigt, dass wir sie ignorieren und Einheit, Einigkeit und Konsens behaupten, wo dieser fehlt.
Es hilft in dieser Situation aber sehr wohl weiter, sich auf die eigene christliche Tradition zu besinnen und endlich am Vorbild Jesu Maß zu nehmen. Er trennte messerscharf zwischen Person- und Sachtoleranz. In der Sache kannte Jesus nur Zero- Toleranz (die Wahrheit ist ihrem Wesen nach intolerant); er hat an keiner Stelle vorhandene Gegensätze verschleiert oder gar zugekleistert. Jesus hat sie ganz im Gegenteil sehr offen artikuliert - um der Wahrheit und damit um der Menschen willen, mit denen er es zu tun hatte, nicht verschwiegen, dass er sie auf einem radikal falschen, in die Irre, ja in die Verdammnis führenden Weg sah. Der absoluten Intoleranz in der Sache entspricht bei Jesus aber eine ebenso unbedingte Toleranz gegenüber der Person des Nächsten. Der Kirchenvater Augustinus prägte dafür die so treffende wie prägnante Formel: 'Den Sünder lieben, aber die Sünde hassen.'
Diese Toleranz übte Jesus nicht nur gegenüber dem Freund, gegenüber dem mit dem er verbunden war; der so dachte und lebte wie er; er forderte und lebte sie auch gegenüber dem Gegner, ja sogar gegenüber dem Feind, selbst gegenüber denen, die ihm das Leben nehmen wollten. Ihren Ausdruck findet diese absolute Liebe, unbedingte Persontoleranz in Jesu Aufforderung zur Feindesliebe."
Quelle: Heinzpeter Hempelmann (Hg.), Islam in Deutschland - sind wir darauf vorbereitet?, S. 41-43.