Ist das Medjugorje-Phänomen echt? Exklusiv-Interview mit Prof. Dr. Manfred Hauke

Eine Woche später antwortete darauf der Wiener Arzt und Medjugorje-Anhänger, Dr. Christian Stelzer. Die Linzer Nachrichtenagentur kath.net fasste dessen Angriffe unter dem tendenziösen Titel zusammen: „Wenn ein ‘Mariologe‘ gegen die Muttergottes kämpft“.
Gloria TV befragte Prof. Hauke zu dem Thema. Die Fragen stellte Dr. Eva Doppelbauer.
Herr Professor, Sie können sich nicht vorstellen, dass in Medjugorje seit 1981 die Muttergottes erscheint. Warum?
Es gibt eine ganze Reihe von Argumenten, die man zusammen sehen muss. Am schwerwiegendsten sind die inneren Widersprüche der mit der „Gottesmutter“ verbundenen Botschaften. Diese beginnen schon in den ersten Tagen des Phänomens und sind durch Tonbandinterviews mit den Sehern minutiös dokumentiert.
Zum Beispiel?
Auf die Frage, wie lange sie noch erscheinen werde, antwortete die „Gospa“ am 29. Juni 1981: „Solange ihr wollt“. Einen Tag später, am 30. Juni, antwortete sie auf die gleiche Frage: „Noch drei Tage“ bzw. „drei Mal“. Das wird nicht nur von fünf Sehern bezeugt (mit Ausnahme von Ivan Dragicevic, der am 30. Juni nicht dabei war), sondern auch von zwei Frauen, die bei dieser „Erscheinung“ anwesend waren und die laut gesprochenen Worte der Seher (keineswegs in Ekstase) gehört hatten. Deshalb erwarteten die Seher ein Ende der Erscheinungen am 3. Juli.
Die beiden „Erscheinungen“ widersprechen einander...
Nicht nur. Die erste Antwort bindet die Dauer der „Erscheinungen“ an den subjektiven Willen der Seher, was der göttlichen Herkunft echter Erscheinungen – wie zum Beispiel in Lourdes oder Fatima - widerspricht. Die zweite Antwort widerspricht der tatsächlichen Abfolge der Ereignisse, denn die „Erscheinungen“ setzten sich bekanntlich auch nach dem 3. Juli 1981 fort. Sie ist somit eine falsche Voraussage, die nach dem Zeugnis des Deuteroniums gegen die Echtheit einer Prophetie spricht: „Woran können wir ein Wort erkennen, das der Herr nicht gesprochen hat?“ – fragt das Deuteronomium. Die Antwort: „Wenn ein Prophet im Namen des Herrn spricht und sein Wort sich nicht erfüllt und nicht eintrifft, dann ist es ein Wort, das nicht der Herr gesprochen hat“ (Dtn 18,22).
Ich bezweifle nicht, dass in den ersten Tagen „Erscheinungen“ stattgefunden haben. Ich bezweifle, dass die Gottesmutter den Medjugorje-Jugendlichen erschienen ist. Dagegen spricht eine ganze Reihe weiterer Indizien, auf die ich noch zurückkommen werde.
Sie haben in Die Tagespost geschrieben, dass Kardinal Ruinis Medjugorje-Kommission Interview-Tonbänder ausgeblendet hat. Was sind das für Tonbänder?
Es handelt sich um auf Tonband aufgenommene Interviews mit den Sehern, die vom 27. bis 30. Juni 1981 geführt wurden: durch P. Zrinko Cuvalo OFM, dem damaligen Vikar der Pfarrei von Medjugorje am Morgen des 27. Juni und durch P. Jozo Zovko OFM, dem damaligen Pfarrer seit dem Nachmittag des 27. Juni. Außerdem gibt es Tonbandmitschnitte der „Erscheinungen“ vom 28. und 29. Juni 1981.
Was ist aus diesen Interviews geworden?
P. Ivo Sivric OFM († 2002), ein in den Vereinigten Staaten wirkender, aus Medjugorje stammender Franziskaner, veröffentlichte eine französische und eine englische Übersetzung der kroatischen Tonbandprotokolle in Zusammenarbeit mit dem kanadischen Parapsychologen Louis Bélanger: Ivo Sivric, La fache cachée de Medjugorje, Saint-François-du-Lac (Québec, Kanada) 1988; The Hidden Face of Medjugorje, Saint-François-du-Lac (Québec, Kanada) 1989 (vgl. en.louisbelanger.com).
Die Verbreitung dieser Bücher wurde freilich von interessierten Kreisen boykottiert. Die nach Frankreich gesandten Exemplare beispielsweise kamen dort nicht an. Das Buch ist in Europa nur schwer greifbar. Als ich es mir 2010 besorgte, musste ich Bélanger persönlich kontaktieren, der mir beide Ausgaben zukommen ließ. Sivric und Bélanger halten die „Erscheinungen“ nicht für echt.
Gibt es noch andere Editionen der Tonbandinterviews?
Die Veröffentlichung der Texte in Kanada hat eine dort lebende und aus Kroatien stammende Befürworterin der „Erscheinungen“ auf den Plan gerufen, Daria Klanac, die eine eigene Edition der Tonbandinterviews veröffentlichte, um die Arbeit von P. Sivric zu überprüfen (Aux sources de Medjugorje, Montréal 1998). Das Ergebnis bringt keine wesentlichen Abweichungen vom Inhalt der vorausgehenden Veröffentlichung von Sivric.
Nachdem Donal Anthony Foley (zuerst 2006, in zweiter Auflage 2011) eine akribische Analyse der Tonbandprotokolle veröffentlicht hatte, alarmierte dies die Anhänger Medjugorjes im englischen Sprachraum. So publizierte James Mulligan eine weitere englischsprachige Edition der Texte, die noch einige Aufnahmen hinzufügt und das bisher Bekannte bestätigt (Medjugorje. The First Days, Medjugorje 2013).
Lag es an der schweren Zugänglichkeit dieser Publikation, dass die Ruini-Kommission sie nicht berücksichtigte?
Der schwere Greifbarkeit der Quellentexte ist sicher ein Faktor, den man berücksichtigen muss, ebenso die Schwierigkeit, dass die Protokolle nicht in italienischer Übersetzung vorliegen. Man hätte sie aber unbedingt genau auswerten müssen. Diese frühesten Texte sind dem Ursprung näher als spätere Interviews (wie die von P. Bubalo mit Vicka aus den Jahren 1983-84). Eine geschichtliche Quelle diesen Ranges nicht gründlich auszuwerten, ist aus wissenschaftlicher Sicht skandalös, zumal dann, wenn von der Ruini-Kommission eine Anerkennung (ausschließlich) der „ersten Tage“ empfohlen wird.
Welche Probleme ergeben sich aufgrund der Tonbänder?
Ich habe bereits die nicht eingetroffene Voraussage vom Ende der Erscheinungen „in drei Tagen“ und deren Widerspruch zur Aussage erwähnt, wonach die Dauer der Erscheinungen vom Willen der Seher abhänge. Ferner baten die Seher die „Gospa“ um ein Zeichen, das aber nicht gegeben wurde. Der Tatsache, dass sich der Uhrzeiger bei einer der Seherinnen von selbst gedreht habe, wird später von den Sehern selbst kein großer Wert zugeschrieben.
Gab es andere „Zeichen“?
Es gab den Fall von Daniel Setka, eines gelähmten dreijährigen Jungen. Am 29. Juni versprach die „Gospa“ dessen Heilung. Doch P. Zovko stellte am 30. Juni fest, dass diese nicht erfolgt war. Gemäß dem Zeugnis der Eltern (3. April 1983) gab es eine fortschreitende Besserung (Svetozar Kraljevic, The Apparitions of Our Lady at Medjugorje, Chicago 1984, 181-185), aber keine sofortige und vollständige Heilung, wie sie von einem kirchlich anerkannten Wunder verlangt würde (gemäß den Richtlinien des Ärztebüros von Lourdes).
Was ist der Inhalt der „Botschaft“ der ersten Tage?
Im Unterschied zu später gibt es in den ersten Tagen der „Erscheinungen“ keine klar erkennbare Botschaft, wie P. Zovko am 29. Juni 1981 in einer Mitteilung an die Pfarrangehörigen von Medjugorje feststellte. Die „Gospa“ antwortete stattdessen auf private Fragen der Seher.
Am 29. Juni sprach sie vom „ungläubigen Judas“, was der französische Mariologe René Laurentin (der Hauptverantwortliche für die weltweite Verbreitung der „Erscheinungen“ von Medjugorje) abänderte in: „ungläubiger Thomas“. Die Rede vom „ungläubigen Judas“ findet sich freilich auf dem Tonband, das während der Erscheinung selbst aufgenommen wurde.
Wie präsentierte sich die „Gospa“?
Das Auftreten der „Gospa“ enthält zahlreiche seltsame Einzelheiten, die wir bei den echten Marienerscheinungen nicht finden. Ihre Hände zittern. Sobald die Leute ihr auf den allzu langen Schleier treten, verschwindet sie mehrmals hintereinander und kehrt dann wieder zurück. Sie lässt sich anfassen und lacht dabei. Wer sie anfasst, hat das Gefühl, auf Stahl zu greifen. Die Farbe ihres Gewandes ist grau. Es fehlt der Gürtel an ihrem Gewand, und ihr Fuß ist nicht sichtbar. Ähnlich wie bei spiritistischen Phänomenen, wird ihre Gestalt erst nach und nach langsam sichtbar. Als sie gefragt wird, ob sie in der Kirche erscheinen möchte (was P. Zovko nahelegt), zögert sie. Als Weihwasser ausgesprengt wird, fallen drei Seherinnen in Ohnmacht. Die Seherin Marija beklagt sich am 26. Juni über eiskalte Hände als Folge der Begegnung mit der „Gospa“.
Einige dieser Aspekte beleuchtet das empfehlenswerte Werk von Donal Anthony Foley, Medjugorje verstehen, Dominus Verlag, Augsburg 2011, 60-112 (englisches Original 2011; italienische Ausgabe 2017).
Die Ruini-Kommission will die ersten Tage der „Erscheinungen“ anerkennen. Wo wird die Grenze gezogen?
Der Inhalt des Gutachtens der Ruini-Kommission unterliegt der päpstlichen Schweigepflicht. Gleichwohl wurde durch nicht dementierte Presseberichte bekannt, die Kommission habe die ersten sieben „Erscheinungen“ der ersten zehn Tage als glaubwürdig anerkannt.
Gibt es Gründe für diese Grenzziehung?
Eine Abgrenzung der ersten zehn Tage, also vom 24. Juni bis zum 3. Juli, ist sinnvoll und wurde bereits von mehreren wissenschaftlichen Studien unternommen, weil nach der Ankündigung der „Gospa“ am 3. Juli die „Erscheinungen“ aufhören sollten.
Es hat aber meines Wissens noch kein mit den Quellen vertrauter Forscher die ersten sieben Erscheinungen von den folgenden abgegrenzt. Sivric hat die ersten sieben Tage gesondert betrachtet (behandelt in den Tonbandinterviews), ohne das Nachfolgende aus der Untersuchung auszuschließen; Bubalo erwähnt eigens die Bedeutung der ersten Erscheinungswoche (acht Tage, bis zum 1. Juli). Die Zahl der Erscheinungen und die der Tage fällt im Übrigen nicht zusammen.
Am 29. Juni, dem sechsten Tag der „Erscheinungen“, ist noch von den „Erscheinungen“ an den folgenden drei Tagen die Rede. Wer die sieben Tage vom 24. bis 30. Juni als echt anerkennen will, kann folglich nicht den Zeitraum vom 1. bis 3. Juli ausschließen, weil die Voraussage vom 29. Juni darauf Bezug nimmt.
Wenn man die ersten „sieben“ Erscheinungen abgrenzen will, gelangt man (je nach Art der Zählung) bis zum 29. oder zum 27. Juni. Vielleicht wurden die „Erscheinungen“ vom 24. bis 29. Juni zusammengefasst, weil sie am Erscheinungsberg (Podbrdo) stattfanden, während die „Erscheinungen“ danach in der Ebene von Cerno stattfanden (30. Juni) bzw. im Pfarrhaus und an anderen Orten (im Auto usw.). Es gab aber auch spätere „Erscheinungen“ auf dem Podbrdo, so dass eine solche Abgrenzung problematisch wäre.
Was geschah in den ersten Tagen der „Erscheinungen“?
Ich möchte im Folgenden eine Zusammenschau versuchen. Für eine genauere Bestandsaufnahme vergleiche man die genannten Quellen und vor allem die Darlegung von Foley.
Die Ereignisse beginnen nicht am 25. Juni (gemäß der Zählung des Jahrestages von Seiten der Medjugorje-Anhänger), sondern am Mittwoch, 24. Juni, dem Hochfest Johannes des Täufers.
Ivanka Ivankovic (15 Jahre) und Mirjana Dragicevic (16 Jahre) sind am späten Nachmittag auf dem Weg zwischen Bijakovici (einer Fraktion von Medjugorje) und Cilici am Podbrdo unterwegs, um Rockmusik zu hören und unerlaubterweise Zigaretten zu rauchen. Auf einmal bemerkt Ivanka: „Siehe, die Gospa!“ Mirjana schaut nicht einmal auf die von ihrer Freundin bezeichnete Stelle: „Was soll das? Glaubst du wirklich, dass uns die Gospa erscheinen würde?“
Und wann geschah die zweite Erscheinung?
Die zweite „Erscheinung“ geschieht am gleichen Tage abends, nachdem Ivanka und Mirjana zum Haus von Milka Pavlovic gegangen sind, einer jüngeren Schwester der späteren Seherin Marija Pavlovic. Milka bittet Ivanka und Mirjana, ihr beim Zurücktreiben der Schafe vom Berg nach Hause zu helfen. Beim Aufstieg auf den Berg (Podbrdo) sehen die drei Mädchen von weitem (etwa 200 Meter entfernt) eine Frauengestalt, die ein gewickeltes Bündel hält, das ein Kind sein könnte (von dem man freilich weder Kopf noch Hände noch Füße sieht). Die Gestalt bedeckt und verdeckt ständig das „Kind“; sie macht ein Zeichen, die Mädchen möchten sich nähern. Angesichts der „Erscheinung“ stößt auch Vicka Ivankovic, eine Freundin Ivankas und Mirjanas, auf die Gruppe.
Auf die Schreie der Mädchen hin kommen zwei Jungen dazu, die in der Nähe Äpfel sammeln: Ivan Ivankovic (der später nicht mehr an „Erscheinungen“ teilnimmt) und Ivan Dragicevic, dessen Beschreibung der Vision etwas von den übrigen Sehern abweicht. Er berichtete, eine Frau mit blauem Mantel, weißem Schleier und einer silbernen Krone gesehen zu haben, während nach Mirjana das Kleid grau war und der Schleier weißlich; auch sie erwähnt eine strahlende Krone. Eine Botschaft gibt es nicht.
Wie geht es weiter?
Die dritte „Erscheinung“ findet statt am Donnerstag, 25. Juni, gegen 18 Uhr auf dem Podbrdo. Weil die Leute sagten, Maria sei 18mal in Lourdes erschienen, gehen Ivanka, Mirjana und Vicka am Abend zum Berg in der Erwartung, die „Erscheinung“ könne sich vielleicht wiederholen. Milka und die beiden Ivans (vom Vortag) sind nicht dabei. Im Tonbandinterview vom 27. Juni betont Ivan Dragicevic dreimal, dass er bei der Erscheinung nicht anwesend war. Nach einem Interview vom 28. Juni, das erst 2013 von Mulligan publiziert wurde, soll die Gottesmutter gefragt haben: „Wo ist dieser Junge?“ (ohne den Namen zu nennen), und ihm danach noch separat erschienen sein.
Während Ivanka auf die „Erscheinung“ zuläuft, kehrt Vicka in das Dorf zurück, um Marija Pavlovic und Jakov Colo herbei zu holen. Als sie zum Berg hinrennen, fühlen sie sich gleichsam durch die Dornen hindurch „getragen“ von einer übermenschlichen Macht -ähnliches wird von den Seherinnen von Garabandal berichtet, wo wir eine vergleichbare Problematik finden. Dieses Mal sind die Seher erstmals der „Gospa“ ganz nahe und können sie berühren. Die Seher nehmen eine Art Nebel wahr, der sich immer mehr nähert, und allmählich wird der Körper sichtbar.
Vicka beschreibt die Berührung der „Gospa“ mit dem Eindruck, auf Stahl zu greifen, während Marija meint, es sei wie Luft. Als die Seher die Gestalt berühren, beginnt dieselbe zu lachen. Gemäß der Beschreibung Ivankas trägt die Erscheinung einen weißen Schleier und ein sehr langes graues Gewand sowie auf dem Kopf eine Krone mit Sternen; sie trägt keinen Gürtel; sie hat blaue Augen und schwarze Haare. Ivanka fragt, wo sich ihre Mutter befindet (die zwei Monate zuvor gestorben ist). Die „Erscheinung“ antwortet, der Mutter gehe es gut, und sie solle der Großmutter gehorchen. Mirjana bittet um ein Zeichen und meint dann gesehen zu haben, wie sich der Zeiger ihrer Armbanduhr gedreht habe. Auf die Frage, ob sie zurückkehren würde, antwortet die „Gospa“ mit einem Nicken und sagt: „Gehet in Frieden“. Als Marija nach Hause zurückkehrt, ist sie zutiefst erschrocken; sie kann nicht essen, und ihre Hände sind eiskalt.
Die vierte Erscheinung?
Bei der vierten „Erscheinung“ am Freitag, 26. Juni, sind erstmals alle sechs Seher beieinander, die in der Folge eine Gruppe bilden (Ivanka, Mirjana, Vicka, Marija, Jakov, Ivan Dragicevic). Es ist wiederum gegen Abend, etwa 300 Meter von Erscheinungsort der vorausgehenden Tage entfernt. Drei Blitze kündigen die „Erscheinung“ an. Erstmals ist eine große Menschenmenge anwesend. Als Marija die erscheinende Gestalt begrüßt mit den Worten „Meine Gospa“, nickt die „Gottesmutter“ (so scheint es) wiederholte Male mit dem Kopf und macht etliche Male das Kreuzzeichen. Ivanka fragt die „Gospa“, warum sie denn gekommen sei, und bekommt die Antwort: „Weil da viele Gläubige waren, die zusammen sein sollen“. Die Leute und die ganze Welt sollten sich versöhnen.
Auf die innige Bitte Vickas, ein Zeichen zu geben, antwortet die „Gospa“: „Kommt morgen wieder“, zu dem Ort, an dem sie tags zuvor erschienen sei. Mirjana fragt nach ihrem verstorbenen Großvater und bekommt die Antwort: Ihm gehe es gut. Sie solle den Friedhof besuchen. Laut Ivan sagt die „Gospa“ angesichts der Menschenmenge: „Ihr seid die besten Gläubigen, die sich hier um mich versammelt haben“.
Vicka sprengt Weihwasser aus (aus geweihtem Salz, das in nicht geweihtes Wasser gegeben worden war), um zu prüfen, ob es der Teufel sei, der erscheine. Jakov erzählt, wie in diesem Moment drei Seherinnen ohnmächtig werden (Ivanka, Marija, Vicka), im Unterschied zu ihm und Mirjana. Erst 1983 (oder 1984), in ihrem Interview mit P. Babulo, erwähnt Vicka, die „Gospa“ habe gelächelt. In den Tonbandinterviews fehlt dieses Detail, das möglicherweise auf die Beschreibung der Marienerscheinungen von Lourdes zurückgeht (wonach die Gottesmutter bei der Besprengung mit Weihwasser lächelte).
Nach dem Ende der (wiederholten) Ohnmacht beten die Seher sieben Vater unser, sieben Ave Maria und sieben „Ehre sei …“, wie es ihnen eine Großmutter empfohlen hatte, sowie das Glaubensbekenntnis. Das heißt: die Initiative für die Gebete kam nicht von der „Gospa“, sondern entsprang der kroatischen Volksfrömmigkeit.
Die folgende Erscheinung?
Am Samstag, 27. Juni, findet die fünfte „Erscheinung“ statt bzw. die fünfte, sechste, siebte und achte. Die unterschiedliche Möglichkeit der Zählung ergibt sich aus der Erzählung (Jakovs und Marijas), wonach die „Erscheinung“ dreimal herabgestiegen sei: sie habe sich zweimal entfernt, weil die Leute ihr auf den Schleier getreten seien. Nach der Zählung von Mirjana hingegen gab es nicht drei, sondern vier „Erscheinungen“ am gleichen Abend.
Dann?
Die sechste (bzw. 9.-10.) „Erscheinung“ geschieht am Sonntagabend, wiederum auf dem Podbrdo. Die Seher bitten zweimal um ein Zeichen. Beim ersten Mal lächelt die „Gospa“ und verschwindet, kehrt aber wieder zurück. Bei der erneuten Bitte um ein Zeichen heißt es, bevor die Gestalt verschwindet: „Gehet im Frieden des Herrn“.
Es folgt die siebte oder elfte „Erscheinung“...
Die siebte bzw. elfte „Erscheinung“ geschieht am Montag, 29. Juni, dem sechsten Erscheinungstag. Die „Gospa“ verspricht die Heilung des dreijährigen gelähmten Jungen Daniel Setka, während P. Zovko am nächsten Tag feststellt, die Heilung sei nicht erfolgt. Es gab freilich, wie oben erwähnt, eine langsame Besserung.
Als eine Ärztin (Darinka Glamuzina) die „Gospa“ berühren will, antwortet dieselbe: „Es gibt immer ungläubige Judasse! Sie soll kommen“. Die Ärztin selbst gab später gegensätzliche Zeugnisse, ob sie die „Gospa“ berührt habe oder nicht; nach Ivanka hat sie die „Gottesmutter“ berühren können. P. Zovko wendet ein, dass nicht Judas ungläubig war, sondern Thomas; die Seher betonen hingegen, das von „Judas“ die Rede war, wie auch die Tonbandaufnahme von der „Erscheinung“ selbst bestätigt.
Als Vicka die „Gospa“ fragt, warum sie gerade an diesen Ort gekommen sei, bekommt sie keine Antwort. Auf die Frage Ivankas, wie lange denn die „Erscheinungen“ noch dauern würden, antwortet die „Gospa“: „Solange ihr wollt“.
Sie bejaht die Frage, ob sie auch am kommenden Tage erscheinen werde (also am 30. Juni, in der Ebene von Cerno). Wenn man nur die bisherigen „Erscheinungen“ auf dem Berg als echt beurteilen würde, stellt sich die Frage, warum das denn nicht für die am 29. Juni angekündigte „Erscheinung“ an einem anderen Ort gelte.
Was geschieht am siebten Erscheinungstag?
Die achte bzw. zwölfte „Erscheinung“, am siebten „Erscheinungstag“, findet erstmals außerhalb des Podbrdo statt, nämlich in der Ebene von Cerno. Von zwei jungen Frauen begleitet, unternehmen die Seher (mit Ausnahme von Ivan) im Auto einen Ausflug, um - wie es im Tonbandinterview heißt - „auszuprobieren“, ob die „Gospa“ auch an einem anderen Ort erscheine. Bei dieser „Erscheinung“ fragt Mirjana, wie lange die „Gospa“ noch bei den Sehern bleibe und bekommt die Antwort: „Noch drei Tage“, das heißt, bis Freitag, 3. Juli.
P. Zovko möchte die „Gospa“ dazu veranlassen, nicht mehr auf dem Berg, sondern in der Kirche zu erscheinen. Die entsprechende Frage der Seher scheint der „Gospa“ nicht zu gefallen. „Anscheinend gefiel es ihr nicht. Schließlich jedoch sagte sie, sie sei nicht erzürnt“.
Schon eine halbe Stunde später interviewt P. Zovko die Seher im Pfarrhaus von Medjugorje. Die begleitenden Frauen hatten selbst keine „Erscheinung“, bestätigten aber die laut während der „Erscheinung“ gesprochenen Worte der Seher auch bezüglich des Endes der „Erscheinungen“.
Die Tonbandinterviews enden mit dem 30. Juni. Über die ersten drei Juli-Tage informieren andere Quellen, vor allem die Interviews von P. Bubalo mit Vicka (1983-84, veröffentlicht 1985). Danach hat es am 1. Juli eine „Erscheinung“ im Auto gegeben, am 2. und (zweimal) am 3. Juli hingegen im Pfarrhaus (also insgesamt ca. 12-16 „Erscheinungen“ während der ersten zehn Tage). Am 3. Juli erklärten die Seher vor vielen Zeugen, die „Erscheinungen“ der „Gospa“ seien beendet.
Der Vatikan will die Frage der Echtheit der „Erscheinungen“ ausblenden und sich auf „gute Früchte“ konzentrieren. Ist das legitim?
Ich hoffe, dass der Vatikan die Frage der Echtheit in Zukunft nicht ausblendet. Fragwürdig ist jedenfalls das Voranstellen der Praxis vor die Theorie. Es wurde ein Apostolischer Visitator für Medjugorje ernannt, ohne zuvor eine Stellungnahme zur Frage der Echtheit abzugeben. Zuerst wäre das Phänomen selbst in seinen verschiedenen Dimensionen abzuklären, und erst dann können die praktischen Folgerungen gezogen werden für die Seelsorge. Wo Menschen sich aufmachen, um zu beten, gibt es gute Früchte. Es gibt aber auch schlechte Früchte, die untrennbar mit den „Erscheinungen“ verbunden sind.
Welche sind die schlechten Früchte?
Der von der „Gospa“ angeheizte Ungehorsam gegenüber der legitimen kirchlichen Autorität (vor allem von Seiten prominenter Franziskaner), die Verkettung Medjugorjes mit hunderten von angeblichen „Sehern“ und offenkundiger Pseudo-Mystik, eine Art Abhängigkeit von „täglichen“ „Erscheinungen“, die Verquickung mit wirtschaftlichen Interessen und eine Vernachlässigung der von der Kirche anerkannten echten Erscheinungsorte.
Gibt es in den Gospa-Botschaften Dinge, die dem Glauben widersprechen?
Die Sammlung und Filterung der „Botschaften“ bildet ein eigenes Problem. In der „Chronik der Erscheinungen“, geführt in der Pfarrei von Medjugorje, findet sich eine Reihe von lehrmäßigen Irrtümern.
Zum Beispiel?
Zum 16. September 1981 ist dort beispielsweise zu lesen, die Seher bräuchten nicht für sich selbst zu beten, sondern nur für die anderen. Diese Behauptung erinnert an die von der Kirche verurteilte pelagianische Irrlehre, wonach es nicht nötig sei, das Vaterunser mit seiner Bitte „Und vergib uns unsere Schuld“ für uns selbst zu beten, sondern nur für die Sünden anderer (Synode von Karthago 418, Kanon 7) (DH 229).
Unter dem 6. Mai 1982 heißt es, nach der Botschaft der „Gospa“ seien die Heiligen mit Seele und Leib im Himmel. Das widerspricht der Glaubenslehre, welche die Auferstehung des Leibes mit der Wiederkunft Christi verbindet (vgl. z.B. Katechismus der Katholischen Kirche Nr. 1001).
Am 1. Oktober 1981 wird bemerkt, die „Gospa“ habe Folgendes gesagt: „Vor Gott sind alle Religionen gleich …“. Dagegen vergleiche man die Erklärung der Glaubenskongregation „Dominus Jesus“ aus dem Jahr 2000.
Medjugorje-Anhänger sagen, dass die „Gospa“ nichts Neues sagen könne, sondern nur wie eine geduldige Mutter das Alte in Erinnerung rufe.
Die Zahl von über 40.000 „Erscheinungen“ mit ungefähr 1000 „Botschaften“ ist ein geschwätziger Gegensatz zu den von der Kirche anerkannten echten Marienerscheinungen, z.B. vier in Guadalupe (1531), drei in der Rue du Bac (Paris, 1830), eine in La Salette (1849), 18 in Lourdes (1858), drei in Champion (Wisconsin, USA, 1859) und sechs in Fatima (1917).
Medjugorje-Anhänger nennen oft als Gegenbeispiel die 2008 anerkannten Marienerscheinungen in Le Laus (Frankreich), die 54 Jahre umfasst hätten. Dort gab es freilich keine täglichen Marienerscheinungen über 54 Jahre hinweg, sondern - abgesehen von einzelnen mystischen Erfahrungen - einen Erscheinungszyklus von vier Monaten (Mai bis August 1664), mit einem Abschluss am 29./30. September des gleichen Jahres.
Der Wiener Arzt Christian Stelzer warf Ihnen in Die Tagespost (10. August) vor, einfach die Argumente von Bischof Peric von Mostar zu übernehmen.
Bischof Peric ist sicher ein wichtiger Zeuge mit einer umfassenden Kenntnis des Phänomens. Mein Studium von Medjugorje beschränkt sich freilich nicht auf die Beobachtungen des zuständigen Bischofs. Aber selbst wenn das der Fall wäre: wichtig ist nicht, wer ein Argument vorbringt, sondern die darin enthaltene Wahrheit, die zu prüfen ist. Zweimal ist vier, egal ob das ein zehnjähriges Kind oder ein Professor der Mathematik bezeugt.
Stelzer sagte, dass die Aussage, wonach die Muttergottes am 5. August, 16 vor Christus geboren sei, nicht von den Medjugorie-Sehern stamme.
Nach Stelzer hat die „Gospa“ nur den 5. August als ihren Geburtstag genannt, aber nicht das Jahr 1984 als ihren 2000. Geburtstag bezeichnet, woraus sich ihre Geburt im Jahre 16 v.Chr. ergäbe, womit Maria bei der Geburt Jesu (um das Jahr 7 v.Chr.) 9 oder 10 Jahre alt gewesen wäre.
Die „Chronik der Erscheinungen“ sagt das aber ausdrücklich mehrere Male. Diese in der Forschung bekannte Tatsache wurde noch einmal in einer Veröffentlichung des Bistums Mostar vom 2. August 2018 in Erinnerung gerufen.
Am 28. Mai 1984 schreibt P. Vlasic in die Chronik: „Heute habe ich den Bischof Pavao Zanic besucht. Ich habe ihm den letzten Teil des ‚Tagesbuches‘ von Jelena und von Marijana Vasilj gebracht. Ich habe ihm auch die Botschaft der Gospa gebracht, die an Jelena gegeben worden war für ihn, für den Heiligen Vater und für die christliche Öffentlichkeit, wonach der 2000. Geburtstag der Gottesmutter der 5. August 1984 ist“. Auf die 2000. Geburtstag im Jahre 1984 beziehen sich auch die Eintragungen vom 14. Juni, 27., 29. und 30. Juli 1984 (www.md-tm.ba).
Es gab moralisches Fehlverhalten im Umfeld der „Erscheinungen“.
Moralisches Fehlverhalten ist hier nur zu erwähnen, wenn es in Verbindung mit angeblichen „Erscheinungen“ steht. Dabei geht es vor allem um Ungehorsam gegenüber der zuständigen kirchlichen Autorität sowie um Vergehen gegen das achte und gegen das sechste Gebot („Du sollst kein falsches Zeugnis geben“, „Du sollst nicht ehebrechen“). Ich möchte mich bei diesem umfangreichen Dossier hier auf drei mit Medjugorje eng verbundene Franziskanerpatres beschränken: Jozo Zovko, Slavko Barbaric und Tomislav Vlasic.
Was ist das Problem bei Pater Jozo Zovko?
Pater Zovko war zu Beginn der Erscheinungen Pfarrer von Medjugorje. Er maßte sich an, durch die „Einladung“ der „Gospa“ zur „Erscheinung“ in die Pfarrkirche dem Phänomen quasi eine offizielle Anerkennung zu verleihen, die nur dem Bischof zusteht. Zovko gibt an, selbst am 1. und 19. Juli 1981 eine „Erscheinung“ der „Gottesmutter“ gehabt zu haben. Er wurde von den jugoslawischen Kommunisten verhaftet, weil er in einer Predigt vom 11. Juli 1981 den 40. Jahrestag der kommunistischen Herrschaft in Jugoslawien mit den 40 Jahren der Babylonischen Gefangenschaft verglichen hatte.
Während seines Aufenthaltes im Gefängnis „erscheint“ er selbst wiederholt den „Sehern“ gemeinsam mit der „Gospa“, die gemäß der „Chronik der Erscheinungen“ vom 21. Oktober 1981 von ihm sagt: „Er ist ein Heiliger; ich hatte es euch schon gesagt“. Als „Heiliger“ erscheint er auch unter den Leserstimmen eines Artikels in kath.net vom 10. August 2018.
Was ist Zovkos kirchlicher Status?
Dieser „Heilige“ zog sich wiederholt kirchliche Sanktionen zu wegen seines Einsatzes für Medjugorje und wegen umstrittener „charismatischer“ Praktiken, die schon vor den „Erscheinungen“ begannen. Derzeit ist es ihm nicht erlaubt, in Bosnien-Herzegovina zu wohnen und öffentlich über die angeblichen „Erscheinungen“ zu sprechen.
An die Öffentlichkeit gedrungen sind darüber hinaus die Zeugnisse von Mark Waterinckx aus Belgien, der seit 1984 zahlreiche Pilgerreisen nach Medjugorje unternommen hat. Im Sommer 1989 entdeckte er die sexuelle Belästigung einer amerikanischen Pilgerin durch den „Heiligen“ und erfuhr von ähnlichen Fällen.
In Verbindung mit anderen negativen Erfahrungen war dies für ihn der Anlass, sich von dem „Erscheinungen“ von Medjugorje zu distanzieren. Einen Teil der einschlägigen Erfahrungen brachte Waterinckx an die Öffentlichkeit („The ‚Saint‘ Jozo Zovko and his Many Sex Affairs“, 2004, zugänglich hier; E.M. Jones, Der Medjugorje Betrug, Müstair 2001, 255-257).
Der zweite Franziskaner ist Pater Tomislav Vlasic.
Genau, P. Tomislav Vlasic OFM (*1942) besuchte die Seher schon am 29. Juni 1981. Er wirkte in Medjugorje als Pfarrvikar von 1982 bis 1984 und bezeichnete sich als „geistlichen Führer“ der Seher im Auftrag der „Gospa“. Vlasic blieb auch nach seiner Entlassung aus der Pfarrei eng mit Medjugorje verbunden. Der bis heute mit ihm verbundenen Gemeinschaft „Kraljice mira“ gehört dort ein riesiges Anwesen mit einem großen vierstöckigen Gebäude und einem Amphitheater für Versammlungen. Vlasic hatte vor seiner Ankunft in Medjugorje in einer gemischten franziskanischen Gemeinschaft (1976) eine Ordensfrau geschwängert, die dann mit ihrem Kind nach Deutschland abgeschoben wurde. Es wurde innerhalb des Ordens versucht, die Vaterschaft zu leugnen und sie einem ehemaligen Franziskaner zuzuschieben, der in die USA ausgewandert war.
Ausgerechnet Vlasic wurde im Mai 1981 zum Gegenstand der „Prophetie“ zweier bekannter Protagonisten der „Charismatischen Bewegung“ bei einer Versammlung in Rom. Eine irische „Charismatikerin“ sah ihn auf einem Sitz, umgeben von einer großen Menschenmenge, wie von ihm Ströme lebendigen Wassers ausströmten. Ein anderer „Prophet“ sagte voraus: „Hab keine Angst, ich sende euch meine Mutter“.
Vlasic führt während seiner Anwesenheit in Medjugorje die „Chronik der Erscheinungen“, die dem Bischof erst später übergeben wird, nachdem die Texte purgiert worden sind. Trotzdem sind manche „Probleme“ in den „Botschaften“ sichtbar geblieben. Vlasic notierte beispielsweise die Worte der „Gospa“, die deren 2000. Geburtstag auf den 5. August 1984 verlegten. Am 28. Februar 1982 findet sich im ‘Dritten Tagebuch’ der Seherin Vicka das Lob der „Gospa“ vor den Sehern: „Ihr könnt Tomislav sehr danken; er führt euch so gut“. Vlasic hat das Phänomen Medjugorje nicht geschaffen, aber kanalisiert.
Was ist aus Pater Vlasic geworden?
Zu einem Bruch mit dem Hauptstrom der Medjugorje-Bewegung kam es, als 1988 (ausgerechnet) Vlasic eine gemischte franziskanische Gemeinschaft gründete und die Seherin Marija Pavlovic veranlasste, eine Botschaft der „Gospa“ zugunsten der Neugründung zu verfassen. Am 11. Juli 1988 machte Marija eine öffentliche Erklärung, diese Botschaft auf Druck von Vlasic verfasst zu haben. Vlasic führte dann eine „mystische Ehe“ mit einer deutschen Seherin, die ihn freilich nach einigen Jahren verließ. Gegenwärtig ist er innig verbunden den ufologischen Botschaften der Seherin Stefania Caterina, die einen ausgeprägt spiritistischen Hintergrund besitzen. Medjugorje wird dabei verquickt mit einer phantastischen Weltgeschichte und der Vorbereitung auf einen künftigen Besuch der Außerirdischen. Papst Franziskus wird aufgefordert, die Frohe Botschaft von der Gegenwart anderer Brüder im Universum zu verkünden.
Das Problem bei Vlasic ist die Verquickung von Pseudo-Charismen und einem mindestens sehr zweideutigen sittlichen Verhalten. Bischof Zanic nannte ihn 1984 einen „Mystifikator und charismatischen Magier“. Am 28. Januar 2008 verfügte die Glaubenskongregation disziplinarische Maßnahmen unter anderem wegen verdächtigem Mystizismus und Vergehen gegen das sechste Gebot. Der Franziskanerorden versetzte ihn daraufhin 2009 in den Laienstand.
Wenn man Dr. Stelzer glauben will, hat dieser „Fall nichts mit Medjugorje zu tun“.
Dann war noch P. Slavko Barbaric.
Ja, P. Slavko Barbaric OFM wirkte in Medjugorje lange Jahre lang, von 1984 bis zu seinem Tode im Jahre 2000. Als Nachfolger von P. Vlasic galt er als geistlicher Führer der Seher. Als er sich der Weisung des Bischofs widersetzte, dass die „Erscheinungen“ nicht mehr in der Kirche stattfinden sollten, wurde er versetzt. Die „Gospa“ freilich wandte sich am 3. Februar 1985 gegen diese Weisung: „Ich wünsche, dass Slavko hierbleibt, alle Besonderheiten und Aufzeichnungen leitet, weil wir am Ende meines Besuches ein klares Bild von allem haben“. Dass die „Gottesmutter“ den kanonischen Ungehorsam gegen eine berechtigte Anordnung des Bischofs unterstützte, ist wenig glaubwürdig. Die „Botschaft“ setzte außerdem voraus, dass Barbaric beim Ende der „Erscheinungen“ noch leben würde. Doch Barbaric starb und die „Erscheinungen“ gehen weiter.
Nach seiner Versetzung wirkte Barbaric trotz des bischöflichen Verbotes in Medjugorje (ich selbst habe ihn im Oktober 1985 dort erlebt). Er kontrollierte die Veröffentlichungen der „Monatsbotschaften“ der Seherin Marija, in denen nun weniger theologische Probleme auftauchten als in den visionären Texten unter der Führung von Vlasic. Im Jahre 2000 unterzeichnete er eine Erklärung, Medjugorje zu verlassen, blieb aber weiterhin dort. Deshalb entzog ihm der Bischof (ein weiteres Mal) die Vollmacht, Beichte zu hören. In dieser irregulären Situation starb P. Barbaric am 24. November 2000. Am Tag darauf verkündete die „Gospa“ gleichsam die Seligsprechung des Franziskanerrebellen: „Ich freue mich mit euch und möchte euch sagen, dass euer Bruder Slavko zum Himmel geboren ist und für euch eintritt“.
Medjugorje-Anhänger berufen sich auf medizinische Untersuchungen der Seher, die auf außerordentliche Phänomene hindeuten würden. Haben Sie sich damit befasst?
Das habe ich. Es gibt mehrere Untersuchungen, die eine natürlich unerklärbare „Ekstase“ festzustellen meinen und daraus schließen, die „Erscheinungen“ hätten einen übernatürlichen Ursprung. Selbst wenn diese Studien überzeugen würden, wäre mit einer solchen Feststellung noch nichts über einen übernatürlichen Ursprung gesagt. Auch der Teufel kann Phänomene wirken, die über die natürlichen Kräfte des Menschen hinausgehen.
Zu bedenken ist jedenfalls, dass während der ersten Tage der „Erscheinungen“ keine wirkliche Ekstase festzustellen war. Die Seher blieben bei der „Erscheinung“ in Kontakt mit ihrer Umgebung, nahmen Fragen der Umstehenden entgegen und teilten Antworten der „Gospa“ mit. Die Seher sahen und hörten Dinge, die ihre Umgebung nicht wahrnahm, aber sie selbst sprachen mit lauter Stimme. Erst später änderte sich dies, wie es scheint, durch einen Lernprozess.
Ist das anders als z.B. bei der heiligen Bernadette von Lourdes?
Die hl. Bernadette spürte bei der Erscheinung der Gottesmutter die Flamme einer Kerze nicht, weil sie in einer wirklichen Ekstase war. Dagegen finden wir bei den Sehern von Medjugorje eher die Erfahrung einer Trance oder unvollständigen Ekstase. Für den Medjugorje-Fan Jean-Louis Martin brach eine Welt zusammen, als er am 14. Januar 1985 während der angeblichen vollständigen Ekstase der Seher seine gespreizten Finger auf die Augen von Vicka zubewegte und die Seherin daraufhin zusammenzuckte und sich nach hinten bewegte. Später gab sie zur Auskunft, sie habe das Jesuskind auffangen wollen, das die Gottesmutter fallen gelassen habe. Diese Auskunft konnte Martin, der die Ekstase überprüfen wollte, nicht überzeugen: „Warum hast Du Dich dann nach hinten bewegt und nicht nach vorne?“
Wie erklären Sie sich den Ursprung des Medjugorje-Phänomens?
Es gibt verschiedene Erklärungshypothesen. Auszuschließen ist nach dem Gesagten ein übernatürlicher Ursprung. Eine psychologische oder parapsychologische Erklärung reicht auch nicht, um vor allem den Beginn des Phänomens zu erklären. „Kollektive Halluzinationen“, wie sie in den ersten Jahren Bischof Zanic ins Spiel brachte, gibt es nicht. Halluzinationen sind immer individuell. Meines Erachtens sind die ersten „Erscheinungen“ (und wohl auch ein guter Teil der nachfolgenden Phänomene) „präternaturalen“ (außernatürlichen) Ursprungs, d.h. sie gehen auf böse Geister zurück, deren Früchte sich in Ungehorsam, Lüge und anderen sittlichen Verfehlungen zeigen. Hinzu kommt der menschliche Einfluss, bis hin zum geschäftstüchtigen Wirken der napoletanischen Camorra, wenn man dem Päpstlichen Visitator Erzbischof Hoser Glauben schenkt.
Wie hat es soweit kommen können?
Die in der Pfarrei tätigen Priester hätten zurückhaltend sein müssen, um den Sehern eine Unterscheidung der Geister zu ermöglichen. Vor allem die Patres Zovko und Vlasic waren dazu nicht fähig und haben eine pseudo-charismatische Lawine losgetreten, die in der Kirche zu einem großen Durcheinander geführt hat.
Diese üblen Dinge nicht beim Namen zu nennen, ist schlimmer als das Verschweigen von sexuellen Verirrungen von Bischöfen in Chile.
Die „pastorale“ Praxis, den Besuch von Medjugorje zu fördern, ohne vorher die Echtheit zu klären, ist ein Spiel mit dem Feuer, das unkontrollierbare Auswirkungen haben kann, nicht zuletzt für den Nachfolger des hl. Petrus. Wir sollten für Papst Franziskus beten, dass er die Aufgabe der Klärung und Unterscheidung wahrnehme nach dem von ihm geschätzten Grundsatz: „Sehen, urteilen, handeln“. Erst sehen und urteilen, dann handeln.