(Rom) Nicht wenige Gläubige, auch Kardinäle und Bischöfe werden es als „Watsche“ empfinden, um es bayerisch zu sagen, was Papst Franziskus verabreichte. Das Kirchenoberhaupt stellte klar, daß die Verkündigung eines Dogmas, daß Maria Corredemptrix, also „Miterlöserin“ sie, für ihn nicht in Frage komme. Es wäre das fünfte Mariendogma.
Am 12. Dezember wurde das Fest Unserer Lieben Frau von Guadalupe gefeiert. Guadalupe ist der größte Wallfahrtsort Mexikos und ganz Mittelamerikas. Anläßlich der Zelebration im Petersdom hielt Papst Franziskus eine improvisierte Predigt auf spanisch. Sie war nur sehr kurz, aber ausreichend deutlich, um seine Ablehnung eines neuen Mariendogmas klarzumachen.
Zunächst sagte Franziskus:
„Der heilige Bernhard sagte uns, wenn wir über Maria sprechen, ist das Lob nie genug, die Lobes-Titel, aber sie haben überhaupt nie die bescheidene Jüngerschaft von Maria berührt. Jüngerin.
Treu ihrem Meister, der ihr Sohn ist, der einzige Erlöser, wollte sie niemals etwas von ihrem Sohn wegnehmen. Niemals stellte sie sich als Miterlöserin vor. Nein, Jüngerin.“
Dann sagte er:
„Wenn sie uns mit Geschichten kommen, daß wir das zu verkündigen haben, dieses Dogma oder jenes: Verlieren wir uns nicht in Unsinnigkeiten. Maria ist eine Frau, sie ist Unsere Liebe Frau, Maria ist die Mutter ihres Sohnes und der heiligen, hierarchischen Mutter Kirche und Maria ist Mestizin, die Frau unserer Völker, aber nicht mit Gott zu verwechseln.“
Seit mindestens drei Pontifikaten bemühen sich Gruppen von Gläubigen intensiv um die Verkündigung eines fünften Mariendogmas, das Maria als Corredemptrix, Mediatrix und Advocata definiert. Die Titel einer Mediatrix, „Mittlerin“ und einer Advocata, „Fürsprecherin“ finden sich schon im ältesten, von der Kirche formulierten Mariengebet Sub tuum praesidium, „Unter deinen Schutz und Schirm“, das aus ältester Zeit stammt und bereits im 3. Jahrhundert als allgemein verbreitet anzusehen ist.
Als Advocata, „Fürsprecherin“ wird Maria auch im Salve Regina, „Gegrüßt seist du Königin“ bezeichnet, jener hymnischen, marianischen Antiphon, die der Benediktinermönch Hermann der Lahme vor bald 1000 Jahren schuf.
Seit dem 15. Jahrhundert tritt auch der Begriff Corredemptrix auf, wenngleich auch ihm eine ältere theologische Entwicklung vorausgeht.
Der Titel einer Corredemptrix
Einer der ersten Jesuiten und Ordensmitbrüder von Papst Franziskus, Christophorus a Vega (Cristobal de Vega, 1510–1573) war ein großer Verfechter der Anrufung Mariens als Corredemptrix. Entsprechend oft findet sich dieser Titels Mariens in seinen Schriften.
Dasselbe gilt für einen anderen, frühen Jesuiten Alfonso Salmeron (1515–1585), der als päpstlicher Theologe am Konzil von Trient teilnahm, auch in Ingolstadt lehrte und schließlich Generalvikar des Jesuitenordens wurde. Er bezeichnet Maria in seinen Kommentaren zu den Evangelien und der Apostelgeschichte als „Miterlöserin“.
Als eines von zahlreichen Beispielen kann auch der deutsche Jesuit Maximilian Reichenberger (1613–1676) angeführt werden, der in seinem Buch über die Marienverehrung nach der Lehre der Kirche und dem Zeugnis der Väter Maria Corredemptrix nennt.
Dasselbe gilt auch für andere Orden, darunter die Karmeliten, wie das Buch für das Marienlob von P. Isidor von St. Ägidius, Prior des Karmels von Antwerpen, aus dem Jahr 1685 zeigt.
Als Papst Pius IX. 1849 alle Ortsbischöfe um ihre Stellungnahme zu seiner Absicht ersuchte, ein drittes Mariendogma, das der Unbefleckten Empfängnis, zu proklamieren, reagierte beispielsweise der Bischof von Almeria, Msgr. Anacleto Meoro Sánchez, sehr positiv und bezeichnete Maria in seiner Stellungnahme als „Miterlöserin“.
1859 veröffentlichte der spanische Missionspriester Joseph Escola mit Approbierung und Druckerlaubnis der Ritenkongregation (heute Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung) und der Schirmherrschaft des heiligen Anton Maria Claret, Gründer des Claretinerordens und damals Erzbischof von Santiago de Cuba, sowie weiteren drei Erzbischöfen und acht Bischöfen ein Breviarium Marianum für das tägliche Marienlob. Auch darin wird Maria, in der Karwoche, als Virgo mundi corredemptrix bezeichnet.
Der Umschwung
Die Angriffe gegen die Kirche wegen der Verkündigung des Dogmas von der Unbefleckten Empfängnis im Jahr 1854 und besonders des vierten Mariendogmas von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel von 1950 verschreckten Teile der Kirche. Im Zuge der ökumenischen Bemühungen wurde zudem die Marienverehrung als Belastung gesehen. Neue Mariendogmen gelten daher in Teilen der Ortskirchen, deren Völker konfessionell gespalten sind, als entbehrlich, nicht wünschenswert, oder gar als inakzeptabel.
Karl Rahner zum Beispiel, ebenfalls Jesuit, lehnte den Begriff der „Miterlöserin“ ab „um die Unvertretbarkeit des einen Opfers Christi am Kreuz nicht zu gefährden“, wie der Fundamentaltheologe Matthias Remenyi in seinem Buch „Auferstehung denken“ formuliert.
Der Wunsch im Klerus und im gläubigen Volk, Maria zu ehren, kam deshalb aber nicht zum Erliegen.
Beim Zweiten Vatikanischen Konzil sprachen sich an die 500 Konzilsväter dafür aus, Maria als Mediatrix, „Mittlerin“ zu definieren, und immerhin an die 50 auch als Corredemptrix. Aus den genannten Gründen, und wohl auch, weil das Konzil einen pastoralen und keinen dogmatischen Anspruch erhob, wurde weder ein Dogma verkündet noch Maria als „Miterlöserin“ bezeichnet. Als Advocata und Mediatrix wird sie hingegen in der Dogmatischen Konstitution Lumen gentium (Nr. 62) angesprochen mit dem erklärenden Zusatz: „Das aber ist so zu verstehen, daß es der Würde und Wirksamkeit Christi, des einzigen Mittlers, nichts abträgt und nichts hinzufügt“.
Bittschriften von Gläubigen
Während in theologischen Kreisen nach dem Pontifikat von Pius XII. zunehmend Abstand von Mariendogmen und Dogmen insgesamt genommen wurde, erhielten die Bestrebungen der Gläubigen just zur selben Zeit einen starken Impuls für die Bemühungen, Maria als Corredemptrix auszurufen, durch die Privatoffenbarungen der Niederländerin Ida Peerdeman. Die Gottesmutter Maria, die ihr von 1945–1959 erschienen sei, habe ihr angekündigt, daß eines Tages das Mariendogma der „großen Miterlöserin, Mittlerin aller Gnaden und fürbittenden Allmacht an Gottes Thron vor den Augen aller Völker“ verkündet werde. Die Urteile der Kirche über das Phänomen scheinen mit ihren Sprüngen und Brüchen die Geschichte der Kirche in dieser Zeit widerzuspiegeln. 1957 erklärte der Ortsbischof von Haarlem-Amsterdam: „Es steht nicht fest, daß es sich um Übernatürliches handelt“ (non constat de supernaturalitate). Die römische Glaubenskongregation wurde 1974 deutlicher mit ihrer Feststellung: „Es steht fest, daß es sich nicht um Übernatürliches handelt“ (constat de non supernaturalitate). 2002 veranlaßten „neue Erkenntnisse“ den damaligen Ortsbischof von Haarlem-Amsterdam jedoch die Marienerscheinungen anzuerkennen mit der Feststellung: „Es steht fest, daß es sich um Übernatürliches handelt“ (constat de supernaturalitate). Diese letzte Entscheidung ist der aktuelle Stand, weshalb die Erscheinungen kirchlich anerkannt sind.
Tatsache ist, und das irgendwann auch unabhängig von den Privatoffenbarungen und Ida Peerdeman, die 1996 hochbetagt verstorben ist, daß sich die Gebetsaktion „Frau aller Völker“ international ausbreitete und die Verkündigung eines fünften Mariendogmas unterstützt.
Eine weitere Bewegung entstand seit Anfang der 90er Jahre rund um den US-amerikanischen Mariologen Mark Miravalle, Professor an der Franzisaneruniversität Steubenville, die eine Niederlassung auch in Österreich hat. Mit seiner Frau reiste Miravalle bereits 1984, als 25-Jähriger nach Medjugorje, um das dortige Phänomen angeblicher Marienerscheinungen zu untersuchen, die 1981 in dem herzegowinischen Dorf begonnen hatten. Daraus wurde dann seine Doktorarbeit. Er ist Gründer und Vorsitzender der marianischen Bewegung Vox Populi Mariae Mediatrici. Sie will die Marienverehrung fördern und setzt sich für die Proklamierung des Dogmas von Maria als Mediatrix und Corredemptrix ein.
Seit 1993 startete Miravalle mehrere Petitionen für dieses Anliegen und sammelte mit seiner Bewegung Unterschriften in der ganzen Welt unter Bischöfen und Gläubigen.
Die verschiedenen Bittschriften an den Heiligen Stuhl, die von genannter oder anderer Seite vorgebracht wurden, fanden bisher bei drei Päpsten, Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus, kein Gehör. Während sich die beiden Erstgenannten offiziell nicht dazu äußerten, sendet der regierenden Papst erkennbar negative Signale aus.
Tatsache ist, daß Johannes Paul II. diese Titulierung Mariens nie gebrauchte und Benedikt XVI. im Gesprächsbuch „Gott und die Welt“ von Peter Seewald Skepsis wegen der „Mißverständlichkeit“ des Begriffs „Miterlöserin“ anklingen ließ.
Namensänderung eines Ordens
Diese Ablehnung zeigte sich 2017, wenn auch selbst in der katholischen Welt kaum beachtet. Auf „Empfehlung“ der römischen Kongregation für die Evangelisierung der Völker (ex Propaganda Fide) mußte der in Vietnam gegründete Männerorden Congregatio Matris Corredemptricis (Congregation of the Mother Coredemptrix) seinen Namen in Congregatio Redemptoris Matris (Congregation of the Mother of the Redeemer) abändern. Der Vatikan begründete den Schritt mit der „theologischen Mehrdeutigkeit“ des Titels Corredemptrix.
Dabei war der Orden 1941 gegründet worden und existierte zum Zeitpunkt der Namensänderung bereits 78 Jahre. Gegründet wurde er vom vietnamesischen Priester Dominic Maria Tran Dình Thu im Bistum Bui Chu wenige Jahre vor Ausbruch der kommunistischen Revolution. 1953 kanonisch errichtet, übersiedelte der Orden nach der Teilung Vietnams, die 1954 auf den Indochinakrieg folgte, aus dem kommunistischen Norden nach Südvietnam. Als nach dem Vietnamkrieg auch dort die Kommunisten die Macht übernahmen, wurde der Ordensgründer 1975 mit 52 Gefährten verhaftet. 1987 wurde er wegen „subversiver Tätigkeit“ erneut eingesperrt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil wurde später auf 20 Jahre herabgesetzt. 1993 erfolgte seine vorzeitige Freilassung ohne Nennung von Gründen, wahrscheinlich nach Intervention ausländischer Diplomaten. Bis auf einen Schlafstätte für Seminaristen hatte das Regime dem Orden alles genommen. Heute zählt er 700 Mitglieder, zum größten Teil in Vietnam. Dort sind es 360 Priester und 170 Brüder, aber auch an die 500 Seminaristen. In Vietnam können die Klöster, Seminare und Orden nicht alle Kandidaten aufnehmen und unterbringen, so groß ist der Andrang. Seit den 50er Jahren ist der Orden auch in den USA präsent.
Im vergangenen Sommer erklärte der Servitenpater Salvatore Maria Perrella, Dogmatiker und Mariologe, daß die Kirche „das Dogma der Corredemptrix, Mediatrix oder Advocata nicht befürwortet“. Er widersprach Behauptungen, Johannes Paul II. habe beabsichtigt, dieses Dogma zu proklamieren.
Der jüngste Vorstoß, von Papst Franziskus die Proklamation eines fünften Mariendogmas zu erbitten, erfolgte am 22. August 2019 mit einer Petition, deren Erstunterzeichner zwei Kardinäle und vier Bischöfe aus verschiedenen Erdteilen stammen. Es handelt sich um Kardinal Juan Sandoval aus Mexiko (Mittelamerika), Kardinal Telesforo Toppo aus Indien (Asien), Erzbischof Felix Job aus Nigeria (Afrika), Bischof John Keenan aus Schottland (Europa), Nischof David Ricken aus den USA (Nordamerika) und Bischof Antonio Baseotto aus Argentinien (Südamerika).
Die Petition wurde von weiteren hohen Würdenträgern, zahlreichen Ordensleuten und vor allem Gläubigen unterschrieben.
Am 12. Dezember erfolgte die Reaktion von Papst Franziskus – ein deutliches Nein.
Text: Giuseppe Nardi
Bild: vatican.va (Screenshots)