Der Papst zum Zweiten Vatikanum: "Das Konzil definierte sich selber als Pastoralkonzil"

In der seit Jahrzehnten anhaltenden Debatte über das Für und Wider des 2. Vatikanum wird allerdings nicht immer ausreichend unterschieden zwischen Gültigkeit bzw. Rechtmäßigkeit und kirchlicher Verbindlichkeit einerseits - und dogmatischer Unfehlbarkeit andererseits.
Außerdem wird mitunter zu wenig beachtet, daß sich das 2. Vatikanum selber als „Pastoralkonzil“ definierte, das vor allem der praktischen Seelsorge dienen sollte – und daß es kein Dogma - also keinen unfehlbaren Glaubenssatz – verkündete.
Folglich hat diese Kirchenversammlung von sich aus keinen Unfehlbarkeitsanspruch erhoben.
Gleichwohl ist es natürlich auch als Pastoralkonzil gültig, rechtmäßig und im allgemeinen Sinne verbindlich, wenngleich der gläubige Katholik keineswegs verpflichtet ist, etwa jeden dort geäußerten Satz als unfehlbar anzusehen.
Weder hat dieses jüngste Konzil ein “neues Pfingsten” in der Kirche hervorgebracht, wie manche Enthusiasten vorschnell schwärmten - noch sollte man es als “Räubersynode” verunglimpfen.
Sachkritik an einzelnen Aussagen des 2. Vatikanum ist gläubigen Katholiken freilich durchaus erlaubt.
Darauf hat auch unser Papst, als er noch Kardinal Ratzinger hieß und Glaubenspräfekt in Rom war, mehrfach hingewiesen. Er hat sogar selber eine solche “Sachkritik” geübt. Er warnte ohnehin ausdrücklich davor, das 2. Vatikanum zu einer Art „Superdogma“ hochzujubeln.
Eine insofern sehr aufschlußreiche Rede von Kardinal Joseph Ratzinger vor chilenischen Bischöfen vom 13.7.1988 befaßte sich mit genau diesem innerkirchlich “heißen” Themenkomplex.
“Das 2. Vatikanische Konzil ist nicht das Ende der Tradition”
Der damalige Chef der Glaubenskongregation erklärte hierzu:
“Das Zweite Vatikanische Konzil gegenüber Msgr. Lefebvre als etwas Wertvolles und Verbindendes der Kirche zu verteidigen, bleibt eine Notwendigkeit.
Aber es gibt eine einengende Haltung, die das Zweite Vatikanum isoliert und die Opposition hervorgerufen hat.
Viele Ausführungen vermitteln den Eindruck, daß nach dem 2. Vatikanum jetzt alles anders ist und das Frühere keine Gültigkeit mehr haben kann oder – in den meisten Fällen – dies nur noch im Lichte des 2. Vatikanum erkennbar sei.
Das Zweite Vatikanische Konzil behandelt man nicht als Teil der lebendigen Tradition der Kirche, sondern direkt als Ende der Tradition und so, als fange man ganz bei Null an.
Die Wahrheit ist, daß das Konzil selbst kein Dogma definiert hat und sich bewußt in einem niedrigeren Rang als reines Pastoralkonzil ausdrücken wollte; trotzdem interpretieren es viele, als wäre es fast das Superdogma, das allen anderen die Bedeutung nimmt.”
Lesen Sie hier die vollständige Rede vor den Bischöfen in Chile:
www.kath-info.de/ratz_13j.html
Sodann muß der unzutreffende Eindruck vermieden werden, als ob das 2 .Vatikanische Konzil quasi d i e entscheidende Lehrautorität der Kirche darstelle, als ob frühere Konzilien nur etwas “Vorläufiges” gewesen seien. Damit würde man gleichsam einen Ast vom Baum abschneiden und ihn isolieren.
Papst Benedikt hat sich in seinem bekannten Brief an den Weltepiskopat (alle Bischöfe der Welt) vom 10. März 2009 dazu klar geäußert:
“Man kann die Lehrautorität der Kirche nicht im Jahr 1962 einfrieren (…). Aber manchen von denen, die sich als große Verteidiger des Konzils hervortun, muss auch in Erinnerung gerufen werden, dass das II. Vatikanum die ganze Lehrgeschichte der Kirche in sich trägt. Wer ihm gehorsam sein will, muss den Glauben der Jahrhunderte annehmen und darf nicht die Wurzeln abschneiden, von denen der Baum lebt.”
“Die Welt braucht den kritischen Einspruch”
Außerdem übte Kardinal Ratzinger einst selber sachliche Kritik am 2. Vatikanischen Konzil, so zB. in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt vom 30.5.1988; der Glaubenspräfekt erklärte dabei wörtlich:
“Bei dem großen Ja zu dem, was vom Konzil selbst gewollt war, wird man doch über das Problem, was an Einseitigkeiten unterlaufen ist, mit einer neuen Ernsthaftigkeit nachdenken müssen.
Unserem Ja zur Welt müssen wir hinzufügen, daß die Welt Selbstkritik, kritischen Einspruch braucht. Das kritische Potential, das der Christ gegenüber Entwicklungen hat, muß voll zur Wirkung kommen.”
Detailkritik an der Pastoralkonstitution “Gaudium et spes”
Kardinal Ratzinger hat jedoch nicht nur allgemeine kritische Hinweise geäußert, sondern auch spezielle Aussagen oder Argumentationslinien in Konzilstexten bemängelt, zB. betreffs der Pastoralkonstitution “Über die Kirche in der Welt von heute” (Gaudium et spes), zumal hinsichtlich des ersten Kapitels über die Würde des Menschen.
Hier sei einer der Kritikpunkte Ratzingers herausgegriffen:
In der lateinisch-deutschen Ausgabe der Konzilsdokumente – erschienen 1968 – vermerkt der einstige Konzilsberater Joseph Ratzinger auf S. 331, dieses Kapitel erwähne das christologische Zeugnis leider erst am Schluß seiner Ausführungen:
„Die Auslassung der Christologie aus der Lehre von der Gottebenbildlichkeit […] rächt sich; der Versuch, an die christliche Anthropologie von außen heranzuführen und die Glaubensaussage von Christus dabei allmählich zugänglich zu machen, hat […] zu der falschen Konsequenz verleitet, das Eigentliche des christlichen Glaubens als das vermeintlich weniger Dialogfähige vorderhand beiseite zu lassen.
In Wirklichkeit könnte doch der Ansatz des Textes nur dann Sinn haben, wenn er wirklich stufenweise zum Kern der neutestamentlichen Botschaft vorführte, also sie inmitten des Menschlichen aufdecken und damit zusehends die Perspektive auf Christus hin eröffnen würde, nicht aber wenn man möglichst im Vorchristlichen verbleibt und Christus dann unvermittelt erst am Ende in Erscheinung treten lässt.“
“Hat das Konzil die Krise der Kirche geschaffen?”
Abschließend ein weiteres Beispiel aus Ratzingers Buch “Dogma und Verkündigung”, das bereits 1973 erschien; dort heißt es auf S. 433 hinsichtlich der Konzilszeit:
“Damals behauptete im Grunde niemand, daß die Kirche in einer Krise sei,
heute leugnet es niemand, wenn auch die Meinungen über ihre Art und ihre Gründe auseinandergehen.
Was ist geschehen?
Hat etwa das Konzil die Krise geschaffen, da es keine zu überwinden hatte?
Nicht wenige sind dieser Meinung; sie ist sicher nicht gänzlich falsch, aber sie trifft doch auch nur einen Teil der Wahrheit.”
Logisches Ergebnis dieser Ausführungen:
Die Ansicht, daß das 2. Vatikanische Konzil die innerkirchliche Krise “geschaffen” habe, ist “nicht gänzlich falsch”, sie trifft freilich nur einen “Teil der Wahrheit”, folglich ist dieses Konzil aus Kardinal Ratzingers bzw. des Papstes Sicht durchaus mit-verursachend für die Krise von heute.