Die Wolke am Horizont oder Gottesurteil am Karmel

Die Baalspriester hatten den Meinungskampf für sich entschieden. Isebel, die Prophetin der Göttin Aschera, hatte unter den Anhängern des Herrn aufräumen lassen. Nur, er Elija, war nicht zu fassen. Noch immer stand er auf der Fahnungsliste des Ahab. Tot oder lebend. Dann kam die Dürre. Die Trockenheit, die Katastrophe. Die Ernte ist in Gefahr. Das Vieh muss schon bald notgeschlachtet werden.
Elija erkennt, dass die Dürre ein Gottesgeschenk sein kann. Und er macht sich auf den Weg zu seinem Widersacher. „Bist du es, Verderber Israels?“, begrüßt ihn Ahab. Elija antwortet: „Nicht ich habe Israel ins Verderben gestürzt, sondern du und das Haus deines Vaters, weil ihr die Gebote des Herrn übertreten habt und den Baalen nachgelaufen seid.“ Unversöhnlich stehen sich da die Ansichten gegenüber. Aber der Politiker Ahab braucht Fakten, Erfolge, und die glaubt Elija liefern zu können. Sein Vorschlag: ein öffentliches Gottesurteil auf dem Karmel. Vierhundertfünfzig Baalspriester und vierhundert Propheten der Aschera (Isebel) und Elija sollen sich da auf dem Karmel vor den Augen des Volkes versammeln. Beide bringen jeweils ein Brandopfer dar, einen Stier, aber keine Seite entzündet das Feuer. Gott selber soll das Feuer entfachen, und nur dieser Gott soll, kann und muss der wahre Gott sein.
Die Baalspriester bringen ihr Opfer und beginnen einen rituellen Tanz. Sie tanzen sich in Trance, ritzen sich, dass das Blut nur so von ihren Körpern herab rinnt. Gegen Mittag beginnt Elija sie zu verspotten, vielleicht sei ihr Gott ja verreist. Elija richtet den Altar für das Brandopfer her. Dreimal lässt er vier Krüge mit Wasser über das Opfer und das Holz ausgießen. Dann erhebt er seine Stimme: „Herr, Gott Abrahams, Isaaks und Israels, heute soll man erkennen, dass du Gott bist in Israel, dass ich dein Knecht bin und all das in deinem Auftrag tue. Erhöre mich, Herr, erhöre mich! Dieses Volk soll erkennen, dass du, Herr, der wahre Gott bist und dass du sein Herz zur Umkehr wendest.“ Dann beginnt das Brandopfer sich zu entzünden. Feuer. Das Volk ist gar mächtig beeindruckt, die Menschen werfen sich auf das Angesicht nieder. Das ist der Moment für Elija, um mit den Baalspriestern abzurechnen: „Ergreift die Propheten des Baal! Keiner von ihnen soll entkommen. Man ergriff sie und Elija ließ sie zum Bach Kischon hinabführen und dort töten.“
Nun sitzt er, Elija, auf dem Karmel und schickt seinen Diener, ob da vielleicht schon eine kleine Wolke am Himmel zu sehen ist. Ahab wird sich an Volkes Stimme halten, er ist Politiker, aber er braucht auch Fakten und zwar Regen. Elija „kauerte sich auf den Boden nieder und legte seinen Kopf zwischen die Knie“. Immer wieder lässt er seinen Diener Ausschau halten. Jetzt, Herr, wäre es ein guter Moment, in die Geschichte einzugreifen, so mag er gedacht haben. Dann endlich die erlösende Nachricht. Eine kleine Wolke steigt vom Meer auf.
Kommentar
Die Geschichte von Elija und dem Gottesurteil auf dem Karmel ist eine politische Geschichte von aktueller Bedeutung. Es geht um den politischen Meinungskampf und die Frage, wie der Glaube mit den Interessen der Herrschenden übereingebracht werden kann. Jene brauchen den Nutzen und die Fakten, damit sie herrschen können, wir aber können den kulturellen Rahmen setzen.
Nach vier Jahren des politischen Aufstands beginnt sich das Meinungsklima in Deutschland sichtlich zu wenden. Söder hängt Kreuze wieder in die Amtsstuben, Woelki entwickelt sich als kleine Wolke der Hoffnung am Horizont eines neuen Deutschlands. Das Christentum ist in die politische Diskussion eingebracht.
Beruhte der gesellschaftliche Konsens bisher darauf, den christlichen Glauben, und Glauben überhaupt, immer weiter zu peripherisieren, so ist nun klar, dass das Christentum wieder auf dem Weg in die Mitte ist. Die Rahmenbedingungen sind jetzt außergewöhnlich günstig: Europa ist legitimatorisch eine gähnendes Loch, das nur das Christentum stopfen kann. An dieser Stelle kann die katholische Kirche helfen, ein politisches Problem zu lösen und den gebührenden Lohn dafür einzufordern. Das aber ist es auch schon und das reicht auch schon, denn ein politisiertes Christentum ist schnell an der Grenze zum deutschen Christentum.
Und noch ein Aspekt spielt eine Rolle. Wir sind nicht Baalspriester, die sich mit Ritzen in Rage tanzen, um Regen heraufzubeschwören. Die Mittel des Gottesurteils sind nicht das Ziel. Der religiöse Mensch ist stiller. Er sitzt da auf dem Karmel, im Gebet hingekauert, und schaut auf das Meer hinaus, ob da wohl eine Wolke erscheinen will. Ja, jetzt wäre der Moment gut und richtig.
Hier die Geschichte vom Gottesurteil auf dem Karmel: 1. Könige 18
Zum Bild:
Der Prophet Elija: Ikone mit früher Künstlersignatur (Stephanos), Gegenstück zu einer Mosestafel desselben Künstlers. Um 1200.