Bill Gates zur Corona-Krise :
Drei Bedingungen, um die Pandemie zu stoppen

Von Bill Gates
Lesezeit: 5 Min.
Bill Gates wirbt für Impfstoff-Zugang für alle.
Arme Länder werden sich nicht gegen das Virus immunisieren können. Und das ist auch eine Katastrophe für reiche Länder, schreibt Microsoft-Gründer Bill Gates in einem Gastbeitrag.

Die Welt steht kurz vor einer wissenschaftlichen Meisterleistung: Anfang nächsten Jahres soll ein sicherer und wirksamer Impfstoff gegen COVID-19 bereitstehen, vermutlich sogar mehrere. Damit haben wir endlich die Chance, der Bedrohung durch die Pandemie ein Ende zu setzen – und zur Normalität zurückzukehren.

Gibt es eine Impfung gegen das Virus, können die Regierungen die Maßnahmen zur räumlichen Distanzierung aufheben. Wir werden keine Masken mehr zu tragen brauchen. Die Weltwirtschaft wird wieder volle Fahrt aufnehmen.

Zwingend findet diese Entwicklung aber nicht statt. Um dorthin zu gelangen, braucht die Welt zuerst drei Dinge: die Kapazitäten, Milliarden Impfstoffdosen zu produzieren, die finanziellen Mittel, um sie zu bezahlen, und Systeme, die diese verbreiten können.

Kapazitäten, um Impfstoffe zu produzieren

Aktuell ist vorgesehen, dass der Großteil der COVID-19-Impfungen an die reichen Länder geht. Diese haben mit Pharmaunternehmen Abkommen unterzeichnet und sich das Vorkaufsrecht auf Milliarden Dosen gesichert.

Was aber ist mit Ländern niedrigen oder niedrigen mittleren Einkommens, wie dem Südsudan, Nicaragua oder Myanmar? Fast die Hälfte der Weltbevölkerung lebt in solchen Staaten, die nicht über die Kaufkraft verfügen, um riesige Deals mit Pharmaunternehmen abzuschließen. So wie die Dinge gerade stehen, können diese Länder im besten Fall 14 Prozent ihrer Bevölkerung immunisieren.

Das wäre ein Desaster für ärmere Länder. Aber das ist offensichtlich. Weniger offensichtlich, aber genauso wahr ist dies: Es wäre auch ein Desaster für reiche Länder.

Forscher der Northeastern University haben mit einem neuen Modell basierend auf zwei Szenarien illustriert, wie sich eine ungleiche Verteilung der COVID-19-Impfung auswirkt. Im ersten Szenario werden die Impfstoffe auf alle Länder je nach Bevölkerungsgröße verteilt. Das andere Szenario ähnelt dem, was gerade geschieht: 50 reiche Länder erhalten die ersten 2 Milliarden Dosen Impfstoffe. In diesem Szenario breitet sich das Virus in drei Vierteln der Welt unkontrolliert für weitere vier Monate aus. Und fast zwei Mal so viele Menschen sterben.

Das wäre ein enormes moralisches Versagen. Mit einer Impfung wird COVID-19 zu einer vermeidbaren Krankheit, an der niemand sterben sollte, wenn das Land, in dem er lebt, nicht die Finanzkraft hat, um sich vorab Impfstoffe zu sichern. Davon abgesehen braucht es nicht einmal ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsbedürfnis, um das Problem an Szenario zwei zu begreifen.

In diesem Szenario würde es uns allen so wie Australien oder Neuseeland ergehen. Auf dem Staatsgebiet dieser Länder sind die Fallzahlen seit Langem sehr gering. Jedoch zieht der Lockdown ihrer Handelspartner die Wirtschaft schwer in Mitleidenschaft. Und immer wieder gelangen Träger der Krankheit in den Südpazifik, sorgen für neue Cluster, die sich vergrößern und verbreiten. Immer wieder müssen Schulen und Büros geschlossen werden.

Sogar bei einem Überangebot an Impfstoffen wäre in reichen Ländern noch das Risiko von Neuinfektionen gegeben. Denn nicht alle Menschen werden sich impfen lassen. Die einzige Möglichkeit, die Bedrohung endgültig aus dem Weg zu räumen, ist, sie überall auszurotten.

Wollen wir dafür sorgen, dass es bei der Verbreitung des Impfstoffes keine Lücken gibt, reicht es nicht, die reichen Länder anzuprangern. Was sie tun, ist völlig nachvollziehbar: Sie versuchen, Ihre Bewohner zu schützen. Vielmehr müssen wir die weltweiten Kapazitäten zur Impfstoffproduktion massiv steigern. Damit wir alle Menschen zu erreichen, egal wo sie leben.

Im Bereich der Behandlungsmöglichkeiten wurden bereits bedeutende Fortschritte erzielt. Pharmaunternehmen haben ihre Herstellungsmöglichkeiten gesteigert und einander ihre Fabriken zur Verfügung gestellt. Remdesivir ist ein Medikament von Gilead, doch werden jetzt zusätzliche Mengen in Fabriken von Pfizer hergestellt. Bisher hat noch kein Unternehmen einem Mitbewerber die Nutzung seiner Fabriken auf diese Weise erlaubt. Nun entstehen ähnliche Kooperationen für die Produktion von Impfstoffen.

Heute Morgen haben 16 Pharmaunternehmen mit unserer Stiftung ein wichtiges Abkommen unterzeichnet. Unter anderem haben sich die Unternehmen auf eine Kooperation bei der Impfstoffherstellung geeinigt. Sie wollen die Produktionskapazitäten so schnell wie noch nie erhöhen und dafür sorgen, dass Impfstoffe ehestmöglich überall eingesetzt werden können.

Mittel, um die Impfungen zu bezahlen

Neben den Produktionskapazitäten für die Herstellung brauchen wir aber auch die finanziellen Mittel, um Milliarden Impfstoffdosen für ärmere Länder zu bezahlen. Genau da kann der ACT Accelerator helfen. Es handelt sich um eine Initiative, die von Organisationen wie Gavi oder dem Globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Tuberkulose und Malaria unterstützt wird. Diese Organisationen sind wenig bekannt, doch haben sie die letzten beiden Jahrzehnte damit verbracht, zu Experten der Finanzierung von Impfstoffen, Medikamenten und Diagnoseverfahren zu werden.

Pharmaunternehmen haben das Finanzierungsdilemma erleichtert, indem sie bei einer COVID-19-Impfung auf Gewinne verzichten, um diese so bezahlbar wie möglich zu machen. Aber auch auf öffentlicher Seite bedarf es einer finanziellen Anstrengung.

Das Vereinigte Königreich macht anderen wohlhabenden Staaten vor, was zu tun ist. Seine Spenden an den Accelerator reichen vermutlich aus, um hunderte Millionen Impfstoffdosen für ärmere Länder zu beschaffen. Auch Deutschland hat unter Kanzlerin Merkel und Entwicklungsminister Gerd Müller besondere Führungsstärke bewiesen. Es braucht jetzt noch ein mehr an Tatkraft und Großzügigkeit, um den Mechanismus der vorgezogenen Markteinführung (Advance Market Commitment) zu unterstützen, mit dem Gavi die Grundvoraussetzungen zur Beendigung der Pandemie schafft.

Systeme, die Impfstoffe verbreiten<strong> </strong>

Wenn wir weltweit schlussendlich über die Produktionskapazitäten und finanziellen Mittel verfügen, werden wir unsere Gesundheitssysteme stärken müssen. Damit meine ich die Menschen und Infrastrukturen, die dafür sorgen, dass ein jeder überall geimpft wird.

Viel lernen können wir dabei von den aktuellen Bemühungen zur Ausrottung von Polio. Sinnbild dafür ist ein Foto, das um alle Welt ging: Gesundheitskräfte waten hüfthoch durch ein Überschwemmungsgebiet und tragen Impfstoffe in Kühlbehältern auf ihrem Kopf, um ein abgelegenes Dorf zu erreichen. Um COVID-19-Fälle in den ärmsten Gegenden der Welt zu identifizieren, braucht es ein ähnliches Netzwerk aus Fachkräften der Primärversorgung, das sogar Orte erreicht, an die keine Straßen führen. Mit dementsprechenden Diagnosemöglichkeiten können diese Fachkräfte auch früh genug warnen, wenn künftig andere Krankheiten von Fledermäusen auf Vögel – oder den Menschen – überspringen.

Mit anderen Worten können wir im Zuge der Ausrottung von COVID-19 auch ein System aufbauen, mit dem jetzt schon die Schäden der nächsten Pandemie begrenzt werden.

Wenn ich im Zuge meiner Auseinandersetzung mit der Geschichte von Pandemien eines gelernt habe, ist das, dass sie eine erstaunliche Dynamik im Bereich Eigeninteresse und Altruismus anstoßen: Pandemien sind einige der wenigen Situationen, in denen der Instinkt eines Landes, sich selbst zu helfen, eng mit dem Instinkt, anderen zu helfen, verbunden ist. Eigeninteresse und Altruismus (der dafür sorgt, dass ärmere Länder Zugang zu Impfungen haben) sind dann ein und dieselbe Sache.