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Neue Politische TheologieTheologe Johann Baptist Metz gestorben

Er gehörte zur selben Flakhelfer-Generation wie Papst Benedikt XVI. Beide wurden nach dem Zweiten Weltkrieg Priester und Theologie-Professoren. Aber Johann Baptist Metz konnte kein Halleluja mehr singen, ohne an die Schreckenszeit zu denken.

Von Bernward Loheide, dpa 03.12.2019, 13:23

Münster (dpa) - Es war in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs. Der 16-jährige Johann Baptist Metz irrte mit einer Meldung durch die Nacht zum Gefechtsstand. Als er am nächsten Morgen zu seiner Kompanie zurückkam, fand er "nur Tote, lauter Tote, überrollt von einem kombinierten Jagdbomber- und Panzerangriff".

Metz erinnert sich später an "nichts als einen lautlosen Schrei". Diese Erfahrung wird zur Keimzelle der "Neuen Politischen Theologie". Ihr Begründer wird zu einem der einflussreichsten katholischen Gottesdenker des 20. Jahrhunderts. Am Montag ist er im Alter von 91 Jahren in Münster gestorben, wie die Universität Münster am Dienstag mitteilte.

"Alle großen Religionen sind um eine Mystik des Leidens konzentriert", sagte Metz. Höchst allergisch reagierte er auf jeden Versuch, ohne Erinnerung an die Opfer der Geschichte über Gott nachzudenken. Eine solche Verdrängung warf er auch seinem Lehrer Karl Rahner vor. Mit einem "transzendental-idealistischen" Denkrahmen habe Rahner wie viele seiner Kollegen das Grauen von Auschwitz theologisch ausgeblendet. Die Frage nach der Gerechtigkeit für die unschuldig Leidenden sei von der Kirche verkehrt worden in die Frage nach der Erlösung der Sünder.

Gegen innerkirchliche Widerstände führte Metz 1968 die neomarxistischen, ideologie- und gesellschaftskritischen Ansätze des Philosophens Ernst Bloch und der "Frankfurter Schule" (Horkheimer, Adorno) in die Theologie ein. Seine Forderung nach einer "Subjektwerdung" der Christen wurde von den Befreiungstheologen in Lateinamerika dankbar aufgegriffen und weitergeführt.

Gegen eine Privatisierung und Verbürgerlichung des Glaubens betonte Metz die politische Verantwortung der Christen. Er hielt aber auch an Mystik, Gebet, Gehorsam und Tradition fest. Ein Schlüsselbegriff seiner Theologie: die "Compassion", die Leidempfindlichkeit für andere, die Mitleidenschaft Gottes, auch die Leidenschaft für Gott.

Geboren wurde Metz am 5. August 1928 in einer noch weitgehend geschlossen katholischen Welt im oberpfälzischen Auerbach. 1954 wurde er zum Priester geweiht. Von 1963 bis 1993 lehrte er an der Universität in Münster, wo er bis zu seinem Tod wohnte.

Macht Religion glücklich? Metz zweifelte. Skeptisch stand er den spirituellen Verheißungen der Selbstfindung gegenüber, die - etwa in den Büchern des Benediktinerpaters Anselm Grün - auch unter Nichtchristen reißenden Absatz finden. Für Metz war Religion kein Trost, sondern eine irritierende Unterbrechung des Faktischen, ein Erzählen von Leidensgeschichten, ein Schrei nach Gott.

Gegen die evolutive Annahme einer endlosen Zeit, in der alles gleichgültig ist und den Opfern keine Gerechtigkeit widerfährt, hielt er am biblischen Horizont einer streng befristeten Zeit fest. Dem Präfekten der römischen Glaubenskongregation und späteren Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, warf er eine "Halbierung des Christentums" vor: Der jüdisch-apokalyptische Geist des Christentums sei von einem griechisch-metaphysischen Geist verdrängt worden. "Der Gott Jesu Christi ist keine ewige platonische Idee", betonte Metz.

Ratzinger hatte 1979 als Erzbischof von München die Berufung des unbequemen Reformers an die Universität der bayerischen Landeshauptstadt verhindert. Dem weltweiten Einfluss der Politischen Theologie tat dies keinen Abbruch - und am Ende fand sie doch noch den päpstlichen Segen: Franziskus hat Metz' "Option für die Armen" amtskirchlich bestätigt. Vieles von dem, was Metz bereits in den 70er Jahren schrieb (etwa "das Reich Gottes ist nicht indifferent gegenüber den Welthandelspreisen") liest sich wie eine Vorwegnahme der heutigen päpstlichen Kritik am Weltwirtschaftssystem. Auch viele, die sich dessen gar nicht bewusst sind, zehren von diesem geistigen Erbe, das als wichtiges Korrektiv wirksam bleibt.

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