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Offen und angstfrei: Zweifel am angepassten Jesus-Bild. Ohne Tabus und Denkverbote müssen vermeintliche Selbstverständlichkeiten hinterfragt werden. Ein Gast-Kommentar von Marcus Bauer. München (…Mehr
Offen und angstfrei: Zweifel am angepassten Jesus-Bild.

Ohne Tabus und Denkverbote müssen vermeintliche Selbstverständlichkeiten hinterfragt werden. Ein Gast-Kommentar von Marcus Bauer.

München (kath.net) Gerne berufen sich Protestkatholiken bei ihren Attacken gegen die Römisch Katholische Kirche auf Jesus, an dessen Handeln die „erstarrte“ Institution wieder Maß nehmen und sich damit wie von selbst „reformieren“ solle – im säkularistischen Sinne versteht sich. Wer wagte es zu widersprechen? Gut protestantisch verfügt diese Fraktion immerhin über unmittelbare Zugänge und weiß exklusiv, was Jesus heute tun würde. Zudem dürfte die historisch-kritische Methode machtvoll genug sein, den biblischen Text so lange zu verhackstücken, bis das gewünschte Ergebnis zutage tritt. Dennoch sei gestattet, an dem mittlerweile schon gar nicht mehr hinterfragten Gemeinplatz Zweifel anzumelden, demnach der biblische Jesus 1:1 dem linkskatholischen Profil entspricht und vollends kompatibel ist mit den „gesellschaftlichen Standards“ im post-68er-Deutschland der grün-roten Mehrheiten.

Jesu Handeln! Von welchen Handlungen reden wir eigentlich? Handlungen Jesu sind u. a. Wasser in Wein verwandeln, Brot und Fische vermehren, Lahme zum Laufen bringen, Tote auferwecken – alles in allem nicht leicht reproduzierbar und kaum alltagstauglich. Wer aber die Wundergeschichten ohnehin nicht glaubt und diesen einen rein profanen Gehalt einräumt, dem gereichen sie, das geben wir zu, durchaus zu Handlungsvorbildern. Die Verklärung am Berge Tabor wäre dann – beispielsweise – zu deuten als ein Vorverweis auf das öffentliche Glänzen predigender Laien in autonomen Wortgottesdiensten.

Strikt an das Beispiel Jesu hält sich „Ordinatio Sacerdotalis“, das darauf verweist, dass Jesus, ungeachtet seiner unzeitgemäß generösen Haltung gegenüber den Töchtern Israels, keine Frau dem Apostelkollegium eingliederte. In diesem Fall erachten die Linkskatholiken das Handeln des Herrn denn doch nicht für so gelungen und erklären das Ärgernis mit dessen kultureller Befangenheit. Während Jesus ansonsten als möglichst radikaler Revoluzzer im schärfsten Kontrast zur „konservativen“ Kirche gezeichnet zu werden pflegt, der alles infrage stellt, mutiert derselbe Jesus in dieser delikaten Angelegenheit urplötzlich zum zaudernden Traditionswahrer, der bloß keinen Anstoß erregen will. Was nicht passt, wird eben passend gemacht.

Auch Sprechen ist eine Handlung. Wollten sich die Hirten der deutschen Dialog-Kirche jedoch, wie von den „Reformern“ gewünscht, wieder mehr an Jesus orientieren, so würde dessen autoritativ-monologischer Kommunikationsstil den ganzen Dialogzirkus, welcher uns über Jahre hinweg beschäftigen wird, schnell kassiert sein lassen. Dann könnten die Bischöfe sich mehr dahinter klemmen, flächendeckend eine unversehrte Liturgie sicherzustellen, sich um die Neubelebung des Bußsakramentes verdient machen, für eine ordentliche Katechese sorgen und übermotivierte Laien mit Kirchengründerallüren in die Schranken oder vor die Türe weisen.

Erhellend ist Jesu vornehme Gelassenheit als das Fußvolk der „unerträglichen“ Lehre wegen murrte und in Scharen davonlief. Zwölf blieben bei der Stange. Übersetzt kann das nur heißen, diejenigen, denen die katholische Lehre nicht weichgespült genug ist, daran zu erinnern, dass niemand gezwungen wird, in der Römisch Katholischen Kirche zu bleiben. Alternativ gibt es kirchenähnliche Gemeinschaften, die sich, da dort alle Memorandisten-Wünsche längst Wirklichkeit geworden sind, im freien Fall befinden und jede Menge Platz für Neuzugänge in ihren Reihen haben.
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Dem fleischgewordenen Logos in der Wortwahl zu folgen, davon ist eingedenk des zeitgenössischen Diskursklimas dringend abzuraten. Wer nämlich mahnt, das Heilige nicht den „Hunden“ zu geben, die Perlen nicht vor die „Säue“ zu werfen und zudem jüdische Gelehrte als „Schlangenbrut“ herunterputzt, wäre flugs dem Furor zivilcouragierter Gutmenschen ausgesetzt und fände sich als Vorgang in den Akten der Staatsanwaltschaft wieder. Dass Jesus nicht nur den Frieden bringt, sondern auch das Schwert, macht ihn zudem zu einer Gefahr für den demokratischen Konsens – und wie peinlich wäre er so manchem Fürst-Bischof, der sich ganz der Irenik und dem Appeasement verschrieben hat!

Im Streitgespräch mit den Pharisäern über die Ehe verweist Jesus auf das, was „im Anbeginn“ war, also der Schöpfungsordnung eingestiftet ist und von dort her als Norm greift. Solches aber, angewandt auf die linkskatholische Obsession mit Sex und Homo-Sex, entspricht katholischem Naturrechtsdenken gepaart mit – „fundamentalistischer“ – Bibelfestigkeit. Wüste Angiftungen unter den Schlagworten „Biblizismus“, „Biologismus“, „Essentialismus“, „klassischer naturalistischer Fehlschluß“ sind die hinlänglich bekannten Reflexe.

Aufforderungen zur „Umkehr“ wiederum implizieren, nach heutiger Lesart, eine „verletzende“ Geringschätzung der „Lebenswirklichkeit“ der Angesprochenen. Die „Vielfalt der Lebensentwürfe“ ignorierend, legt Jesus einer „Sünderin“ nahe, in dankbarer Erwiderung auf die unverdient empfangene Vergebung ihr sexuell selbst bestimmtes Leben wieder in Ordnung zu bringen. Jesus, der Freund auch der Zöllner? Was aber hat Jesus mit Zöllnern zu schaffen, Mittätern des römisch-imperialistischen „Repressionsapparates“? Sollte die Barmherzigkeit da nicht aufhören, wie auch Toleranz, Meinungsfreiheit, Dialog und Weltoffenheit ihre bisweilen sehr, sehr engen Grenzen haben?

Wenn Jesus für eine „Kirche von unten“ steht, können einige Gleichnisse nur den Fälscherwerkstätten des machtgeilen Vatikan entsprungen sein. Politisch korrekt ist es nämlich nicht, wenn sich dort der Gutsherr und selbst der „Talente“ ausleihende Finanzkapitalist vorteilhaft vom bösen Knecht oder leistungsverweigernden Kleinkreditnehmer abheben. Auch wenn damit keine Parteinahme zugunsten der „Reichen und Mächtigen“ vorliegt, sind solche Bilder doch pädagogisch eher ungeeignet, revolutionären Elan gegen „verknöcherte Strukturen“ und „patriarchalische Herrschaftssysteme“ zu inspirieren.

Nein, Gleichnisse sollen nicht wörtlich genommen werden! Für ein „anschlussfähiges“ Sozial-Evangelium aber dürfte es dennoch etwas sperrig sein, den Urheber solcher Aussagen wie – „Wer hat dem wird gegeben, wer aber nicht hat, dem wird auch das, was er hat, noch genommen werden“ – als Referenzpunkt für Anliegen egalitärer Verteilungsgerechtigkeit zu bemühen. Ganz zu schweigen von der ungleichen Zuteilung der „Talente“ als Startkapital, die jeden roten Bildungspolitiker und Antidiskriminierungswächter in Rage versetzen muss.

Bedingt nur taugt Jesus als Ökofreak. Wer nicht nur auf die Vögel des Himmels und die Lilien im Felde verweist, sondern auch Dämonen in eine Schweineherde fahren lässt, die sich dann geschlossen in den Tod stürzt, landet unweigerlich auf der Abschussliste militanter Tierschützer. Und zu behaupten, der Mensch sei mehr als ein Sperling, besagt nichts anderes als einer hierarchisch-diskriminatorischen Weltsicht das Wort zu reden – heutzutage DIE ultimative Todsünde wider den Geist der Zeit schlechthin.

Heißt es ferner, die Straße, die ins Verderben führt, sei breit, der Pfad in den Himmel aber schmal, riecht das verdächtig nach „Ausgrenzung“ und passt nicht zur „einfach nur menschlichen“ Allerlösungslehre. Ein weiteres markantes Motiv, das bei heftiger Anfechtung die gewaltsame Abtrennung hochkomplexer Körperteile empfiehlt, spricht wiederum eindeutig für „Leibfeindlichkeit“. All das kulminiert schließlich in einer grandiosen „Drohbotschaft“, die Feuer, Hölle, Heulen und Zähneklappern in Aussicht stellt – ibi erit fletus et stridor dentium.

Verdächtig ist auch der dauernde Verweis des Menschensohnes auf den Willen des Vaters – offenkundig Ausdruck eines autoritätsfixierten Charakters. Gleiches gilt dann für den verkappten Traditionalismus Jesu, der sich in die Reihe der Propheten stellt, als Erfüllung althergebrachter Messiasverheißungen zu erkennen gibt, das Glaubensgut der Väter zitiert, kein Jota vom Gesetz vergehen lassen will und genealogisch vom davidischen Königtum hergeleitet wird. Nicht, dass uns die Ausrichtung am Handeln Jesu bei so viel Sinn für Kontinuität, Überlieferung, Väterglaube und Explikation des Neuen aus dem Alten heraus noch schnurstracks „hinter das Konzil zurück“ führt!

Jesu Ausraster im Tempel, gerne als Beispiel für revolutionäre Tatkraft zitiert, weist im Zeitalter des liturgischen Dadaismus tatsächlich in eine andere Richtung als es BDKJ oder ZdK lieb sein kann. Man stelle sich nur vor, Piusbrüder würden, von heiligem Zorn entflammt, anlässlich eines ökumenischen Events mit Meditationstrommeln in einer Barockkirche Randale veranstalten! Welch ein Aufschrei ob der „fundamentalistischen Gewaltbereitschaft“!

Last but not least: „Ich bin DER Weg, DIE Wahrheit und DAS Leben“. Man achte auf den bestimmten Artikel – DER, DIE, DAS. Interreligiöser Dialog? Einheitsreligion jenseits der Religionen einschließlich der christlichen? Fehlanzeige!

Hier soll, um Unterstellungen vorzubeugen, nicht von einem Extrem ins andere umgedeutet werden. Gottes Selbstmitteilung an die Welt in Jesus Christus erlaubt keine ideologischen Engführungen, da sie menschliche Kategorien übersteigt und dabei Gegensätzliches – Kontinuität und Neuanfang, Nähe und Distanz, Königswürde und Schandholz – zusammenspannt. Gerade deswegen aber muss einem einseitigen und niederschwelligen Jesusbild gegengesteuert werden, das von der linkskatholische Propaganda stillschweigend unterstellt wird: Jesus als sentimental-humanitätsduseliger Toleranzapostel, der gegen „Konventionen und Zwänge“ rebelliert um des Rebellierens wegen, jedem Schaf den Stall …