Das Platzen einer Eiterbeule

Erzbischof Viganò und das Platzen der Eiterbeule

6. September 2018 Kommentare deaktiviertfür Erzbischof Viganò und das Platzen der Eiterbeule

Erzbischof Viganò ließ mit seinem Memorandum eine Eiterbeule aufbrechen. Im Bild ein Detail von Michelangelos Jüngstem Gericht in der Sixtinischen Kapelle. Ganz rechts die Darstellung des Minos als Höllenrichter wird in Zusammenhang mit Homosexualität gesehen.

Von Wolfram Schrems*

Im Zuge der Veröffentlichung des Zeugnisses von Erzbischof Carlo Maria Viganò tauchte die Frage auf, warum diese Enthüllung so spät kam. Ex-Nuntius Viganò hätte das nach Meinung mancher doch viel früher tun können bzw. tun sollen.

Vielleicht.

Aber so einfach ist die Sache nicht. Im Licht der Autobiographie von Sr. Lucia von Fatima soll hier eine spirituelle Überlegung angestellt werden.

Der geistliche Kampf um die Wahrheit in einer verdorbenen Kirchenhierarchie

Im Gefolge der Veröffentlichung des Zeugnisses von Erzbischof Viganò meinte ein Leser einer englischsprachigen katholischen Netzseite (OnePeterFive oder LifeSiteNews) sinngemäß, daß die Erklärung des ehemaligen Nuntius eine Intervention Gottes darstelle, die mit der seit etwa zwei Jahren tätigen Gebetsaktion von Kardinal Raymond Burke und der Laieninitiative Catholic Action for Faith and Family in geistlichem Zusammenhang stehe. Das Gebet so vieler Gläubiger habe die Gnade eines Befreiungsschlages erwirkt.

Tatsächlich wird sich ein gläubiger Blick diese Sichtweise zueigen machen müssen.

Denn erfahrungsgemäß ist es ja so, daß das Aufdecken schwerer Verfehlungen der Hierarchie einen geistlichen Kampf darstellt. Und in diesem Kampf wirken Mächte und Gewalten, die alleine mit menschlichem Intellekt (irrtumsanfällig) und menschlicher Willenskraft (schwach) nicht zu überwinden sind.

Außerordentliche Gebetsinitiativen im Geist von Fatima

In diesem Zusammenhang erinnern wir uns, daß im Jahr 2016 noch vor der Initiative von Kardinal Burke Bischof Bernard Fellay, damals Oberer der Priesterbruderschaft St. Pius X., zu einem (weiteren) Rosenkranzkreuzzug in den Anliegen der kirchlichen Hierarchie aufrief, und dabei als Zielvorgabe zwölf Millionen gebetete Rosenkränze nannte.

Mittlerweile hat der philippinische Priester P. Edgardo Arellano ( „P. Bing“), Gründer der weltweit tätigen Alliance of the Two Hearts, unter den Mitgliedern seiner Organisation eine ähnliche Gebetsinitiative zuzüglich erheblicher Fastenforderungen ausgerufen („Urgent Appeal“).

Diese Initiativen führen sich auf den dringenden Appell von Sr. Lucia von Fatima (Interview mit P. Augustin Fuentes am 26.12.1957, wie hier schon öfter erwähnt) zu Rosenkranzgebet und Sühneleistung zurück.

Wir erinnern uns darüber hinaus, daß Sr. Lucia davon berichtet, daß die schriftliche Niederlegung des Dritten Geheimnisses eine seelische Qual unvorstellbaren Ausmaßes darstellte:

Sr. Lucia hatte im Oktober 1943 von ihrem Bischof den Befehl, den dritten Teil des Fatimageheimnisses (aus der Offenbarung vom 13. Juli 1917) zu Papier zu bringen, erhalten. Sie konnte den Befehl aber monatelang nicht ausführen. Es dauerte bis zu einer Offenbarung der Muttergottes am 2. Jänner 1944, die die Seherin zur Niederschrift ermutigte, daß der Text letztlich niedergeschrieben werden konnte.

Was hat die Sache so schwierig gemacht?

Hindernisse gegen das Aufdecken der Wahrheit

Die Inhalte dieser Botschaft sind offenbar über alle Maßen schockierend. Wie Experten seit Jahrzehnten vermuten, geht es darin um eine Apostasie von gottgeweihten Personen und kirchlicher Hierarchen unvorstellbaren Ausmaßes. Daß sich eine gottgeweihte Person in einem strengen Orden schwertut, solche Katastrophen überhaupt nur in Betracht zu ziehen, geschweige denn, sie als (ggf. bedingungsweise) Prophetie niederzuschreiben, erschließt sich ohne weiteres. (Dieser geistliche Kampf der Seherin läßt übrigens auch die offizielle vatikanische Deutung des Dritten Geheimnisses am 26.06.2000, nämlich als die Prophetie vom – gescheiterten – Attentat auf Papst Johannes Paul II. unglaubhaft erscheinen, wie schon öfter hier festgehalten.)

Nun, was die Fatima-Experten schon vor zwanzig oder dreißig Jahren vermuteten, sehen wir ohnehin um uns: die Apostasie in der Hierarchie, verbunden mit abartigem sittlichen Versagen unvorstellbaren Ausmaßes. An Kindern und Jugendlichen haben sie sich also vergriffen. Und an Seminaristen. Und ein Papst (oder doch Gegenpapst?) deckte das und weigert sich, das aufzuklären.

Wer hätte sich noch vor wenigen Jahren vorstellen können, daß so etwas geschehen kann? Geschweige denn vor ein oder zwei Generationen.

Aber zurück zur Schwierigkeit, die Wahrheit auszusprechen:

Es ist ein Erfahrungswert von Aufdeckern („whistleblower“) schon im säkularen Bereich: Es ist schwierig, mit kompromittierenden Informationen an die Öffentlichkeit zu gehen. Es benötigt große Selbstüberwindung: Bedenken aller Art, noble (Vermeidung von Ärgernis und möglicher Verleumdung) und weniger noble (Feigheit), stehen der freimütigen Rede im Dienst der Wahrheit entgegen.

Das gilt noch mehr für den geistlichen Bereich, wo mehr auf dem Spiel steht, nämlich das Heil der Seele. Klarerweise ist ein gläubiger Katholik wenig geneigt, mit kompromittierenden Informationen oder mit Kritik an kirchlichen Amtsträgern an die Öffentlichkeit zu gehen, denn der Respekt vor dem Amt, das Bestreben, Skandale zu vermeiden und der allfällige Versuch, die Probleme in Vieraugengesprächen mit anderen Amtsträgern zu klären, stehen dem – teilweise zu Recht – entgegen.

Schließlich wissen wir um den Einfluß des Bösen, der auf eine schwer zu durchschauende Art in der Seele des einzelnen wirken kann. Dieser hindert viele daran, die Wahrheit auszusprechen, wo sie ausgesprochen werden soll. Er will nicht, daß das Fehlverhalten von Leuten, die er noch benützen kann, vor der Zeit auffliegt. Denn mit der Aufdeckung von Fehlverhalten ist auch deren subversive Agenda kompromittiert.

Wenn wir uns all das vor Augen führen, bekommen wir eine Antwort auf die Frage, warum Erzbischof Carlo Maria Viganò so lange zugewartet hat mit seiner Erklärung.

Es ist seelisch schwierig.

Daher noch eine weitere Überlegung:

Die sittliche Korruption im Klerus reicht viel weiter, als es der erste Augenschein vermuten läßt

Es ist nicht so, daß es in der gegenwärtigen Krise nur um eine kleine Minderheit von Priestern ginge, die sich an Minderjährigen oder Jugendlichen (in etwa achtzig Prozent der Fälle männlichen Geschlechts) vergehen. Es sind auch nicht nur einige wenige Bischöfe, die das decken würden.

In einem Kommentar für Rorate coeli schreibt Joseph Shaw((Wenn hier kein Pseudonym benützt wird, handelt es sich um den in Oxford wirkenden katholischen Philosophen, Präsidenten der Latin Mass Society und Initiator der Correctio filialis.)):

„Das Problem ist das allgemeine Ethos und die allgemeine Kultur, die ihnen [den Priestern, die Kinder und Jugendliche schändeten] ermöglichten, ihren Mißbrauch auszuüben, und die Oberen deckten die Mißbrauchstäter systematisch.“

Das heißt, daß eine Disposition zu sexuellen Vergehen längst in Klerus, Priesterausbildung und akademische Theologie eingezogen war.

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, daß Jesuitentheologen in den 1990er Jahren, etwa der in Innsbruck wirkende P. Hans Rotter, die Existenz eines intrinsece malum leugneten (nämlich im Widerspruch zur Enzyklika Veritatis splendor, 1993).

In der Moraltheologievorlesung verteidigte P. Rotter die Homosexualität (und andere Verstöße gegen das Sittengesetz) ausdrücklich.

Ist es da überraschend, daß manche schon ungünstig disponierte Priesteramtskandidaten oder Priester der Versuchung, als sie kam, zustimmten – und ihr Fehlverhalten mit den Sophistereien solcher Theologen rationalisieren konnten?

Ist es überraschend, daß schwache und feige Bischöfe („Aufseher“ nach dem griechischen Wort epískopoi) ihre Aufsichtspflicht, die ihnen ja allerhand Schwierigkeiten eintragen hätten können, angesichts einer akademisch verdorbenen Moraltheologie und Moralpraxis eben nicht auszuüben wagten?

Ist es weiterhin überraschend, daß ein Noviziat in den 1990er Jahren homosexuell geneigte Kandidaten aufnahm (obwohl der Promotor vocationum, der für die Förderung der Berufungen zuständige Pater, die Auffassung vertrat, daß homosexuell geneigte Männer nicht zum Priesteramt geeignet sind)?

Und hier in Wien feiert der Kardinal, der persönlich manchmal etwas angeschlagen wirkt, mit Homosexuellenaktivisten im Stephansdom. Und sein Caritas-Präsident feierte das Erkenntnis des österreichischen Verfassungsgerichtshofes zur Homo-„Ehe“ und rief zum Biertrinken auf.

Was für ein Sumpf!

Resümee

Diese Art von Dämonen kann nur durch Gebet und Fasten ausgetrieben werden – und durch das Aussprechen der Wahrheit


Von daher ist es klar, daß das Myzel der Sittenverderbnis tief und weit in die Strukturen der Kirche reicht. Ein rezenter Bericht des ZDF eröffnet weitere schockierende Details.((Dieser Verweis bedeutet selbstverständlich keine pauschale Zustimmung zum öffentlich-rechtlichen Fernsehen in Deutschland, das sich seine Titulierung als „Lügenpresse“ oder „Lückenpresse“ redlich verdient hat. Allerdings ist dieser Bericht auf dem Hintergrund des Viganò-Zeugnisses und älterer Reportagen (besonders sehenswert The Shocking Truth Why Benedict XVI Resigned) durchaus glaubwürdig.))

Da die Stimmung in weiten Teilen der westlichen Kirche und seit 2013 auch im Inhaber des Petrusamtes zugunsten der Homosexualität gekippt ist („Wer bin ich, um zu urteilen?“ als Kondensat einer perversen und unpastoralen Einstellung), ist es auch für einen Erzbischof atmosphärisch schwierig, sich im Sinn der eigentlichen kirchlichen Lehre dagegen zu äußern.

Dazu kommt noch, daß mit dem bewußten Praktizieren schwerer Sünde dem Bösen in Person Tür und Tor geöffnet wird. Somit steht derjenige, der auf der Einhaltung der göttlichen Lehre und ihrer Normen beharrt, Leuten gegenüber, die – mehr oder weniger buchstäblich – ihre Seele dem Teufel verkauft haben. Darauf bezieht sich Malachi Martins faktenbasierter Roman Windswept House (das vor kurzem auf dieser Seite erwähnt wurde) und das ist auch der erstaunlich mutige Warnruf des amerikanischen Pfarrers Edward Palka (Tampa, Florida) auf der Netzseite seiner Pfarre.

Da hier der Teufel wirkt und aufgrund menschlicher Zustimmung auch wirken kann und darf, ist die Situation nicht einfach kontrovers wie in legitimen Disputen, sondern sie ist im wörtlichen Sinn „besessen“. Sie ist nicht durch einen „Dialog“ zu lösen, sondern muß exorziert werden. Gebet und Fasten der Gläubigen werden das unterstützen.

Aufgrund der satanischen Umstände ist es nicht verwunderlich, daß sich auch ein Erzbischof wie Ex-Nuntius Viganò in einem geistlichen Kampf erst zum Aussprechen der Wahrheit durchringen mußte. Und dabei half ihm die Gnade Gottes, die wohl durch den Einsatz der Beter von Catholic Action, der Piusbruderschaft und vieler anderer gleichsam herabgezogen wurde.

Wenn sogar eine Person wie Sr. Lucia, die ja immerhin mehrerer Erscheinungen der Muttergottes gewürdigt wurde, unüberwindliche Schwierigkeiten hatte, eine schlimme Prophetie zum Zustand der Kirche zu Papier zu bringen, wird man es einem emeritierten Nuntius zugestehen, daß auch er Zeit brauchte.

Eine Zeit, in der ein Papst selbst ein Skandal der Kirche ist, ist das Gebet in besonderer Weise angezeigt.

Da wir uns zu Recht darüber empören, daß Priester, Bischöfe und Kardinäle den Glauben und das Leben so vieler junger Menschen geschändet haben – einige von ihnen endeten im Suizid –, müssen wir uns nach den Worten des Völkerapostels selbst vor der Versuchung schützen (Gal 6,1; 1 Kor 10,12).

Und Papst emeritus Benedikt XVI., der über alle relevanten Vorgänge informiert ist und bei zu vielen nicht entschieden eingegriffen hat, ist im letzten Abschnitt seines Lebens dringend aufgerufen, endlich Stellung zu beziehen und die Verwirrung aufzuklären.

Höchstwahrscheinlich wird das erhebliche Verwerfungen auslösen. Aber es muß jetzt endlich geschehen.

In den Worten des Engels im Dritten Geheimnis: „Sühne, Sühne, Sühne.“

*Wolfram Schrems, Wien, Mag. theol., Mag. phil., Katechist, Pro-Lifer