Pfarrer Milch - nach Erzählungen seines Freundes Prof. Dr. Walter Hoeres (k-j-b.info)

Pfarrer Milch - nach Erzählungen seines Freundes Prof. Dr. Walter Hoeres

von Markus B. Dörner, ehemaliger Student an der katholischen Hochschule St. Georgen (ebenso wie Pfarrer Milch)
(aus: Der Gerade Weg, Nr. 2/2012, Seite 40 - 42)

Der im Jahre 1987 auf tragische Weise ums Leben gekommene Priester Hans Milch ist eine Persönlichkeit, welche zeit ihres Lebens um eine klare Gotteserkenntnis für sich sowie die ihm anvertrauten Menschen gerungen hat. Die Anweisung, sein Priesteramt ruhen zu lassen, bedeutete für den engagierten Geistlichen kein Zur-Ruhe-Setzen oder die Flucht in eine kirchliche Grauzone. Pfarrer Milch wollte die katholische Kirche in den Herzen und auf den Plätzen der Menschen wissen, da sie mehr als nur „ihre Pflicht“ oder „einen Beitrag“ leistet, sondern den Ausschlag gibt zu einer wirklich menschlichen Kultur nach dem Herzen des dreifaltigen Gottes. Über 20 Jahre nach seinem Tod dürfen sich Katholiken die Frage stellen, was denn von Milch übrig geblieben sei?!

Wegmarken und Prägungen im Leben des jungen Hans Milch: Johannes Philipp Milch kam 1924 in Wiesbaden zur Welt. Sein Vater war als Rechtsanwalt tätig, seine Mutter in der Frauengruppe der Sozialdemokraten. Hans Milch erhielt eine gediegene, höhere Schulbildung im Kreis seiner Eltern und seiner beiden Geschwister. Während des Zweiten Weltkrieges wurde der junge Hans Milch als Soldat in die Wehrmacht eingezogen. Nach 1945 kam er für einige Jahre in französische Gefangenschaft. Dort bekam er Kontakt mit dem Leiter des „Stacheldrahtseminars“ für gefangene und vertriebene Priesterkandidaten, Franz Stock, einem Priester des Erzbistums Paderborn. Dieser war Jahre zuvor als Seelsorger für die deutsche Gemeinde in Paris eingesetzt worden; dort kümmerte er sich auch um verwundete deutsche Soldaten und um Häftlinge des Wehrmachtsgefängnisses. Durch seine Vermittlung konnten viele aus politischen Gründen verurteilte Menschen vor der Erschießung bewahrt werden. Die Begegnung mit diesem Priester sollte Hans Milch nachhaltig prägen. Im Laufe der Kriegsgefangenschaft nahm er Unterricht bei Abbé Franz Stock und bekam erste Einblicke in den katholischen Glauben. Am 17. April 1946 konvertierte Hans Milch zur katholischen Kirche. Als er im Jahre 1947 wieder heimkehren durfte, reifte in ihm der Entschluss, Priester zu werden. Als Kandidat für die Diözese Limburg begann er die philosophischen Studien an der Hochschule der Gesellschaft Jesu in Frankfurt, welche bis heute nach dem hl. Georg benannt ist. Da sich an diese Ordenshochschule auch damals ein Priesterseminar anschloss, konnte Hans Milch dort vor Ort wohnen. Welche großen Persönlichkeiten des Ordens ihn wohl im Kleinen wie im Großen geprägt haben mögen? Otto Semmelroth oder Oswald von Nell-Breuning? In Darmstadt hatte sich im Zuge der Vertreibung aus den deutschen Ostgebieten die ostdeutsche Provinz der Jesuiten niedergelassen. Dieser entstammte auch der große Volksmissionar Johannes Leppich SJ, welcher mit der „action 365“ bundesweit das katholische Leben prägen sollte. Das sogenannte „Vertriebenen-Seminar“ im nahe gelegenen Königstein als Kontaktstelle und Ausbildungsort für aus ihrer verlorenen Heimat zugezogene Priesterkandidaten war bereits 1946 durch Bischof Maximilian Kaller, der bis zu seiner Ausweisung die Katholiken im ostpreußischen Ermland betreut hatte, eröffnet worden.

Auch zu diesem unterhielten die Lehrkräfte von St. Georgen in Frankfurt gute Kontakte und man half einander im Lehrbetrieb aus. Bis zu dessen Auflösung im Jahre 1978 wurden in Königstein über 400 Priester ausgebildet. Nach dem Zusammenbruch des politischen Systems hatten viele Deutsche den Wert der Kirche wieder erkannt. Sie allein war es in der Zeit nach dem Krieg, welche eine große Zahl verschiedenster Menschen vereinen und organisieren konnte!

Priester und Kämpfer: Im Jahre 1953 erhielt Johannes Philipp Milch die Priesterweihe. Seine Mutter, welche während der Studienjahre ihres Sohnes ebenso zum Glauben gefunden hatte, sollte ihm für die kommenden Jahre eine unentbehrliche Stütze werden. Nach einer Zeit von acht Jahren als Kaplan (1953–1961) bekam Milch am 6. Januar 1962 die Pfarrstelle an St. Martinus im Frankfurter Teilort Hattersheim. Im selben Jahr traten die Bischöfe zum Zweiten Vatikanischen Konzil in Rom zusammen. Auch nach Ende des Konzils im Jahre 1965 und sogar nach der Einführung des deutschsprachigen Messbuches im Jahre 1969 las Milch noch immer konsequent die altehrwürdige Messe in Latein. Er sah die liberalen Kräfte, welche sich schon des Konzils bemächtigt hatten und welche nun vor Missbräuchen auch in den Kirchen vor Ort nicht zurückschreckten, mehr und mehr überhandnehmen. Einmal vertraute ihm ein priesterlicher Mitbruder aus einer Nachbargemeinde an, sein Kaplan habe für den kommenden Sonntag eine Jugendmesse angesetzt. Das Resultat nach dem Gottesdienst war eine mit Zigarettenkippen und Getränkedosen vermüllte Kirche!

Den beiden geistlichen Herren blieb nichts übrig, als selbst die Überreste dieser Orgie zu beseitigen. In den folgenden Jahren machte der Pfarrer von Hattersheim eine schwere Krise durch: Wem war noch zu vertrauen? Ließ sich über die von Christus als dem einzigen Theologen offenbarte Wahrheit nun einfach abstimmen? Was war der einzelne Mensch in der immer mehr auseinanderfallenden Volkskirche noch wert? Angesichts dieser Umbruchs- und Notzeiten sah sich der rührige Seelsorger in die Pflicht genommen, eine Sühnegebets-Gemeinschaft zu begründen. Zunehmend identifizierte er sich und seine Aktion mit dem Werk von Erzbischof Lefebvre und bezeichnete das Konzil als Versammlung, welche dem Auftrag eines Konzils nicht gerecht geworden sei, und sah die Konzilsväter klar als Mitverantwortliche für den kirchlichen Niedergang an. Wegen dieser Haltung wurde der beliebte Seelenhirte Hattersheims 1979 von seinem Amt suspendiert; ein Priester, welcher zur Vertretung geschickt wurde, stand vor leeren Kirchenbänken. Hattersheims Katholiken waren ihrem Pfarrer zur Messe ins Pfarrhaus gefolgt! Mit seiner Mutter bezog Pfarrer Milch nun eine Wohnung in seiner Heimatstadt Wiesbaden, führte zahlreiche Glaubenskundgebungen durch und erbaute die Gemeinde St. Athanasius in Hattersheim als Heimstätte für die katholische Tradition. Im Frühjahr 1987 starb seine Mutter.

Wenige Monate später folgte er ihr nach – der geistig gestörte Obdachlose Luigi Zito, den Hans Milch geistlich betreute, hatte den Priester mit mehreren Messerstichen buchstäblich hingerichtet. Pfarrer Milch war ein bestechender Denker, der nicht aufrechnete und den katholischen Glauben begeistert lebte. Er sah es als seine dringendste Aufgabe an, den einzelnen Menschen für Gottes Gnade zu öffnen. Der Herr ist es, der jeden Menschen nach seinem Leben fragt und ihn nur dort sucht, wo er ihn hingestellt wissen möchte. Kollektivgedanken, in welchen die eigene Verantwortung allzu gern auf andere Menschen abgewälzt wird, erteilte Milch eine klare Absage: „ER meint mich. Und alles, was er tut, gehört ganz dir und ganz mir, jeweils ungeteilt. Seine Gnade verteilt sich nicht auf die Menschen, sodass jeder etwa davon abbekäme. Das ist eine völlig falsche Vorstellung, ein Zahlendenken.“ Damit ist der Einzelne nicht nur zum Zeugnis, sondern auch zur Rechenschaft vor Gott aufgerufen. Der Mensch ist noch nicht besser, nur weil er Christ ist. Aber er steht unter einem besonderen Vertrag, der ihn ganz in Beschlag nimmt und der keine Konkurrenz duldet, eben unter der allerbesten Führung Gottes. Hier „grüßt“ den aufmerksamen Leser gleichsam der Brief des Apostels: „Alles gehört euch. Ihr aber gehört Christus und Christus gehört Gott (1 Kor 3,16–23)“. Das verpflichtet und stärkt. Auch seinerzeit Hans Milch. –

– ohne Anspruch auf Vollständigkeit; Quelle: Vortrag Prof. Hoeres 11/ 2011 sowie Internetseite der spes unica –