Santiago_
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M. Heim - Spektralfarben der Theologie Papst Benedikts

I. Einführung

Am Fest Mariä Namen, das für Wien, ja für das Abendland eine unvergessene historische Bedeutung hat – denken wir an 1683 –, am 12. September 2006 fand an der Universität Regensburg eine außergewöhnliche Vorlesung über „Glaube, Vernunft und Universität“ (1) statt. Vortragender war kein Geringerer als Papst Benedikt, einst Professor an dieser Universität. In seinem Resümee betonte der Papst, dass „Theologie nicht nur als historische und humanwissenschaftliche Disziplin, sondern als eigentliche Theologie, als Frage nach der Vernunft des Glaubens an die Universität und in ihren Dialog der Wissenschaften“ (2) hineingehört, denn zur Universitas gehöre notwendig die Weite der menschlichen Vernunft, die sich erst im Horizont der Frage nach der ewigen Wahrheit erschließt.
Bevor wir auf diese spannende Vorlesung des Papstes näher eingehen, stellen wir uns die grundsätzliche Frage: Was ist nach Ratzinger eigentlich Theologie? Es ist nicht nur – wie die Religionswissenschaft – ein neutrales methodisches Nachdenken über die Fragen der Religion und des Glaubens. Das Besondere der Theologie finden wir darin, dass sie, wie er sagt,“sich dem zuwendet, was wir nicht selbst erfunden haben und was uns gerade dadurch Fundament des Lebens sein kann, dass es uns vorausgeht und uns trägt, also größer ist als all unser eigenes Denken.“ (3).
Bei Papst Benedikt ist Theologie von Anfang an mit dem kirchlichen Leben zu einer Einheit verschmolzen. Das war auch der Grund, warum ich sein theologisches Denken im Titel meiner Dissertation als „existentiell“ (4) bezeichnet habe. Mit „existentiell“ ist hier nicht das bloß Subjektive gemeint. Es geht vielmehr um eine Theologie, die nicht aus einem privaten Sein, sondern aus einer Existenz hervorgeht, die sich selbst der Kirche überantwortet hat. Es geht ihm, wie er es selbst formuliert, um eine „Theologie des ex-sistere„, um jenen „Exodus des Menschen von sich selber fort, durch den allein er zu sich selber finden kann“ (5). Die Theologie muss in der Kirche und durch die Kirche Gott als die ihr vorgegebene Mitte, als ihr eigentliches Subjekt suchen. Das heißt konkret aber auch, wie der Kardinal Ratzinger schon vor Jahren selbstkritisch einwarf: „… eine Kirche, die allzu viel von sich selbst reden macht, redet nicht von dem, wovon sie reden soll“ (6).
Papst Benedikt zitiert gerne das chinesische Sprichwort: „Wer auf sich schaut, strahlt nicht.“ Übertragen auf die Kirche heißt das: Eine Kirche, die nur auf sich blickt und nur von sich redet, hat – wie Kardinal Schönborn in einem Interview anlässlich des unmittelbar bevorstehenden Papstbesuches in Österreich erklärte – keine Strahlkraft! Die Aufgabe der Theologie besteht folglich darin, das Irdische und das Menschliche auf die sie eigentlich tragende Wirklichkeit, nämlich auf Gott hin, transparent zu halten. Diesen Vorrang Gottes zu verteidigen, bedingte jedoch auch eine Entwicklung der Theologie Ratzingers von einem ursprünglich stärker heilsgeschichtlich ausgerich-
teten hin zu einem mehr metaphysisch geprägten Denken. Das bedeutet: Im Mittel-
punkt seines Denkens und Forschens stehen im Laufe derAuseinandersetzung mit unserer säkularen Kultur vor allem die letzten Gründe und Zusammenhänge des Seins.
Es ist im Rahmen eines Vortrages nicht möglich, das weite Spektrum des theologischen Forschens von Joseph Ratzinger / Papst Benedikt in der ganzen Bandbreite seiner Farben nachzuzeichnen. Eines jedoch wird dabei sichtbar: nämlich die Lichtquelle, aus der er lebt und forscht und auf die er zugeht: Es ist der ewige Logos, das fleischgewordene Wort Gottes, durch das alles ist und auf das alles hin geworden ist.
Wollten wir gleichsam seine Theologie durch das Prisma unserer Analyse in sieben Farben brechen, so könnten wir folgende Bereiche seiner Theologie unterscheiden,
die aber in ihrer Gesamtheit ein harmonisches Ganzes darstellen:

1.Glaube und Vernunft
2.Gottesfrage
3.Offenbarung
4.Ursprung und Wesen der Kirche
5.Liturgie
6.Ökumene
7.Politik

Wie in der Spektralanalyse, so ist es auch hier, dass ich nicht jedes Thema im gleichen Umfang darstellen und deshalb auf manche komplexe Bereiche nur paradigmatisch und streiflichtartig eingehen kann.

II. „Spektralfarben“ der Theologie Papst Benedikts

1.Glaube und Vernunft

Bei der Ansprache zum Angelusgebet am 28. Jänner dieses Jahres, am Fest des hl. Thomas von Aquin, dem – wie der Heilige Vater ausführte – mit „weitblickender Weisheit“ „eine fruchtbare Auseinandersetzung mit dem arabischen und jüdischen Denken seiner Zeit“ (7) gelang, sagte Papst Benedikt wörtlich:
Wenn der christliche Glaube authentisch ist, demütigt er die Freiheit und die Vernunft des Menschen nicht; warum sollten also Glaube und Vernunft Angst voreinander haben, wenn sie sich am besten dann zum Ausdruck bringen können, wenn sie einander begegnen und miteinander in Dialog treten? Der Glaube setzt die Vernunft voraus und vervollkommnet sie, und die vom Glauben erleuchtete Vernunft findet die Kraft, sich zur Erkenntnis Gottes und der geistlichen Wirklichkeiten zu erheben. Die Vernunft des Menschen verliert nichts, wenn sie sich den Inhalten
des Glaubens öffnet, vielmehr erfordern diese ihre freie und bewusste Zustimmung
.“ (8)
Damit blicken wir auf einen ersten Abschnitt des weiten Spektrums der Theologie Ratzingers: Einerseits will sie die Vernünftigkeit des christlichen Glaubens offenlegen und andererseits der Vernunft durch die Begegnung mit dem Licht des göttlichen Logos ihre wahre Größe aufzeigen, denn im Logos liegt auch der Sinn der ganzen Schöpfung begründet. (9)
Schon in seiner Antrittsvorlesung am 24. Juni 1959 an der Universität Bonn widmete sich Ratzinger dem Problem des Verhältnisses von fides et ratio. (10) Es erscheint gewissermaßen wie ein Rahmen seines universitären Wirkens, dass er für die oben bereits erwähnte Regensburger Vorlesung am 12. September 2006 wiederum dasselbe Thema des Verhältnisses von Glaube und Vernunft gewählt hat. Obwohl das Thema dieser Vorlesung also nicht dem Islam gewidmet war, sondern in erster Linie dem Problem des Verhältnisses von Glaube und Vernunft, verursachte der Umstand, dass Papst Benedikt anfangs einen kritischen Satz des byzantinischen Kaisers Manuel II. Palaeologos (1391-1425) über Mohammed zitierte, weltweite Aufmerksamkeit.
Die einsetzende Kritik, die Papst Benedikt hinnehmen musste, verfehlte meist seine eigentliche Aussageabsicht, nämlich den Defätismus, d. h. den Pessimismus der postmodernen Vernunft, zu überwinden durch eine Weitung des Horizontes auf das Wort Gottes hin, um „sun logw“, mit dem fleischgewordenen Wort, denken und handeln zu können.
Das Seminar für Allgemeine Rhetorik der Universität Tübingen erkor diese Regensburger Vorlesung zur „Rede des Jahres 2006“. In der Begründung heißt es:
Im Zeitalter religiöser Fundamentalismen in vielen Ausprägungen und neuer Glaubenskämpfe, aber auch eines esoterisch-irrationalistischen Religionsverständnisses, … bedeutet die Rede des Papstes eine höchst engagierte, argumentativ präzise und historisch gesättigte Ortsbestimmung christlichen Glaubens aus griechischem Geist.“ (11)
Papst Benedikt will nicht hinter die Aufklärung zurück, denn er anerkennt die Möglichkeiten und die Fortschritte an Menschlichkeit, ja das „Große der modernen Geistesentwicklung“ (12). Zugleich aber übersieht er nicht die Gefahren ihres verengten Vernunftbegriffs: „Eine Vernunft, die dem Göttlichen gegenüber taub ist und Religion in den Bereich der Subkulturen abdrängt, ist unfähig zum Dialog der Kulturen.“ (13) Durch die Entfremdung von Glaube, Religion und Vernunft wird nach Benedikt XVI. die postmoderne Krise unserer Gesellschaft verursacht. Die Vernunft muss sich deshalb wieder der Gottesfrage stellen, und der Glaube darf sich nicht der Vernunft verschließen, um nicht ins Irrationale und oder in den Fundamentalismus abzugleiten.

2.Die Gottesfrage

Wenden wir uns dem zweiten Teil des Spektrums seiner Theologie, der Gottesfrage, zu. Ende Februar 2000 erinnerte Kardinal Ratzinger rückblickend auf das Zweite Vatikanische Konzil an den verstorbenen Bischof Michael Buchberger von Regensburg, den Begründer des zehnbändigen LThK’s in erster Auflage. Dieser konnte aus Altersgründen selbst nicht am Zweiten Vatikanischen Konzil teilnehmen. Er mahnte aber seine Kollegen im Bischofsamt: „Liebe Brüder, auf dem Konzil müsst Ihr vor allem von Gott reden. Das ist das Wichtigste.“ (14) Kardinal Ratzinger schilderte die damalige Situation:
Die Bischöfe waren betroffen. Sie konnten sich dem Ernst dieses Wortes nicht entziehen. Freilich vermochten sie sich nicht zu entschließen, einfach das Thema Gott vorzuschlagen, aber eine innere Unruhe ist da mindestens bei Kardinal Frings geblieben, der sich immer neu fragte, wie wir diesem Imperativ genügen könnten.“ (15)
War es nicht dieselbe heilige Unruhe, derentwegen Papst Benedikt seine erste Enzyklika mit dem Namen Gottes: „Deus Caritas est„–“Gott ist die Liebe“ – betitelte, um alle Menschen guten Willens wieder auf Gott hinzuweisen, der ja nicht in einem unendlichen Abstand zu den Menschen geblieben, sondern ihnen persönlich nahe gekommen ist. Deshalb schreibt der Heilige Vater am Beginn seiner Enzyklika:
'Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm'
(1 Joh 4,16). In diesen Worten aus dem Ersten Johannesbrief ist die Mitte des christlichen Glaubens, das christliche Gottesbild und auch das daraus folgende Bild des Menschen und seines Weges in einzigartiger Klarheit ausgesprochen. …
… Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine großeIdee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit eine neue Richtung gibt.
“ (16)
Dies ist der gleiche Geist, aus dem heraus der verstorbene Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben Novo millennio ineunte zum Abschluss des großen Jubiläums 2000 bekannte:“Keine Formel wird uns retten, sondern eine Person und die Gewissheit, die sie uns ins Herz spricht: ‚Ich bin bei euch!‘.“ (17) Dieser persönliche Gott ist kein Postulat, sondern Liebe, die sich im Menschgewordenen Sohn Gottes und im Heiligen Geist den Menschen offenbart hat. Diesesstets Neue und Unverbrauchte des biblischen Glaubens vor Augen erklärt Papst Benedikt in seiner Enzyklika:
Das philosophisch und religionsgeschichtlich Bemerkenswerte an dieser Sicht der Bibel besteht darin, dass wir einerseits sozusagen ein streng metaphysisches Gottesbild vor uns haben: Gott ist der Urquell allen Seins überhaupt; aber dieser schöpferische Ursprung aller Dinge – der Logos, die Urvernunft – ist zugleich ein Liebender mit der ganzen Leidenschaft wirklicher Liebe.“ (18)
In unserer Gegenwart ist dies eine Botschaft, die nicht selten ausgedörrte Herzen vorfindet. Einerseits leben viele in den multikulturellen modernen Gesellschaften gottvergessen. Andererseits gibt es Milieus in Religionen, in denen „mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbunden ist“ (19). Andere Menschen wiederum suchen sich eine Art „Patchwork“-Religion zusammen. Umso entscheidender ist es zu erfahren, wer Gott wirklich ist. Er ist nicht der gestirnte Himmel über uns, sondern er ist unvergleichlich mehr – wie Kardinal Ratzinger im Gespräch mit Peter Seewald in der Abtei Montecassino ausführte:

Gott „ist nicht einfach Natur, sondern ist das, was ihr vorangeht und sie trägt. Er ist ein Wesen, das denken, reden, lieben und hören kann. Und Gott, so sagt uns der Glaube, ist seinem ganzen Wesen nach Beziehung. Das meinen wir, wenn wir ihn trinitarisch, dreifaltig nennen. Weil er in sich Beziehung ist, kann er auch Wesen schaffen, die wieder Beziehung sind und die sich auf ihn beziehen dürfen, weil er sie auf sich bezogen hat.“ (20)
Deus Caritas est“ – Hier sei eine persönliche Anmerkung erlaubt. Kurz nach dem Erscheinen dieser Enzyklika erlebten wir in Bochum-Stiepel ein für mich paradigmatisches Phänomen (21): Junge engagierte Leute unserer Klosterpfarrei von Bochum-Stiepel widmeten Papst Benedikt ein eigenes gleichnamiges Musical, namens „Benedictus“ (22), das auch in Österreich in Heiligenkreuz und im Neukloster in Wiener Neustadt aufgeführt wurde. Die Mitte dieses Musicals ist ein mehrstimmiger lateinischer Gesang mit dem Titel „Deus Caritas est. Ist dies nicht zugleich eine Antwort auf das Wort Papst Benedikts beim Weltjugendtag in Köln im Jahr 2005, als er bei der Vigilfeier auf dem Marienfeld den Jugendlichen zurief:
Nicht die Ideologien retten die Welt, sondern allein die Hinwendung zum lebendigen Gott, der unser Schöpfer, der Garant unserer Freiheit, der Garant des Guten und Wahren, … der das Maß des Gerechten und zugleich die ewige Liebe ist. Und was könnte uns denn retten, wenn nicht die Liebe?“ (23)
In Jesus Christus hat sich diese Liebe offenbart, eine Liebe in ihrer radikalsten Form. Im Kreuz enthüllt Gott seine Liebe – wie es Papst Benedikt ausdrückt – in der unbegreiflichen Wende gegen sich selbst, „in der er sich verschenkt, um den Menschen wieder aufzuheben und zu retten(24). In der durchbohrten Seite Jesu kann diese Wahrheit, dass Gott die Liebe ist, betrachtet werden.

3.Offenbarung

Damit sind wir bei der dritten Lichtbrechung der Theologie Papst Benedikts angelangt: bei der Offenbarung. Sie ist für Joseph Ratzinger besonders durch seine Beschäftigung mit der Geschichtstheologie des heiligen Bonaventura (25) zu einem Hauptthema seines theologischen Forschens geworden. Wir denken hierbei an seine Kommentare zur Offenbarungskonstitution Dei Verbum wie auch an die drei Bände der Quaestiones Disputatae, die er zu diesem Thema herausgegeben hat.
Offenbarung ist für ihn eine größere Wirklichkeit als das geschriebene Wort der Bibel und kann deshalb nicht einfach mit Heiliger Schrift gleichgesetzt werden, denn das Wort Gottes ist nicht toter Buchstabe, sondern eingesenkt ins Herz des Einzelnen wie der Kirche. Deshalb bekräftigt Ratzinger, dass Offenbarung zwar „ein für alle Mal“ in Jesus Christus ihren Höhepunkt gefunden hat. Zugleich jedoch hat sie „ihr ständiges Heute, sofern das einmal Vollzogene im Glauben der Kirche immerfort lebendig und wirksam bleibt und christlicher Glaube sich nie bloß auf Vergangenes, sondern ebenso auf Gegenwärtiges und Kommendes bezieht“ (26). Dieser „Mehrwert des Wortes“ (27) hat seinen letzten Grund in der Verwurzelung der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk. Deshalb ist darauf zu achten, dass die einzelnen Texte „im Ganzen der einen Schrift zu verstehen“ sind, wodurch sie wiederum ein neues Licht empfangen. Darum müssen – wie Papst Benedikt mit Dei Verbum (28) fordert – immer die lebendige Überlieferung der ganzen Kirche und die „inneren Entsprechungen im Glauben“ (29) (analogia fidei) bei der Auslegung berücksichtigt werden.
Im Vorwort zu seinem Buch „Jesus von Nazareth“, das zu einem wahren Bestseller weltweit geworden ist, schreibt Papst Benedikt: „Gewiss, die christologische Hermeneutik, die in Jesus Christus den Schlüssel des Ganzen sieht und von ihm her die Bibel als Einheit verstehen lernt, setzt einen Glaubensentscheid voraus und kann nicht aus purer historischer Methode hervorkommen.“ (30) Damit will der Heilige Vater nicht die historisch-kritische Methode verwerfen, deren hermeneutische Prinzipien vor allem durch den Humanismus und die Aufklärung bestimmt sind. Aber es gilt, ihre Grenze zu erkennen und zugleich die Vernünftigkeit des Glaubensentscheides aufzuzeigen. Für unseren Familiar Prof. Klaus Berger stellt das Jesus-Buch des Papstes eine „Revolution“ (31) dar, die viele seiner Kollegen nicht begriffen haben. Denn die historisch-kritische Methode wird durch Benedikt XVI. eingebettet in ein umfassenderes Verstehen, nämlich in den Glauben der Kirche. Dieser ist als regula fidei (Glaubensregel) zugleich im Sinne der alten Kirche eine regula veritatis (Wahrheitszeugnis), ein Fundament, das garantiert, dass wir uns auf das Zeugnis der Apostel bis heute berufen dürfen. In dieser Hermeneutik des Glaubens stehend, wollte Papst Benedikt mit seinem Buch den „Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als denhistorischen Jesusim eigentlichen Sinne“ (32) darstellen, denn – wie er sagt: „Ich bin überzeugt und hoffe, … dass diese Gestalt viel logischer und auch historisch betrachtet viel verständlicher ist als die Rekonstruktionen, mit denen wir in den letzten Jahrzehnten konfrontiert wurden.“ (33) So wird die Gestalt Jesu und mit ihm die gesamte Schrift nicht nur in einer konstruierten Vergangenheit gesucht und archiviert, sondern es ist ein stetes Anliegen Joseph Ratzingers ganz im Sinne von Bonaventura die Person des Gottmenschen Jesus Christus und mit ihm die Offenbarung als etwas Lebendiges zu verstehen, entsprechend dem Wort des Herrn: „Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater in meinem Namen senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.“ (34) Dieser Verheißung gemäß offenbart der Heilige Geist der Kirche immer tiefere Dimensionen des Wortes Gottes. Das aber bedeutet zugleich auch anzuerkennen, dass „der ganze Sinn der Schrift noch nicht offenbar ist“ (35). Nach Bonaventura ist – wie Ratzinger nachweist – zwar das aufgezeichnete Offenbarungswort der Schrift endgültig, jedoch werden durch die Rezeption der Kirche jeweils neue Tiefen freigesetzt (36). Denn der Heilige Geist ist zu jeder Zeit am Werk und zeigt der Kirche, wie sie dieses Wort immer wieder neu verkünden kann. (...)

III. Schluss

So sind wir wieder am Anfang dieses weiten Spektrums des theologischen Fragens von Papst Benedikt angelangt. Die sieben Bereiche 1. Glaube und Vernunft,
2. Gottesfrage, 3. Offenbarung, 4. Ursprung und Wesen der Kirche, 5. Liturgie,
6. Ökumene und 7. Politik konnten hier nur streiflichtartig behandelt werden. In allen Bereichen dieses Spektrums bricht sich – wie in einem Regenbogen – das Licht, für das Papst Benedikt sein ganzes Leben einsetzt, für Christus, der „der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14,6) ist.
Am Ende seines Buches über Benedikt XVI., seinem ehemaligen Schüler, schreibt der heute 92-jährige Professor Alfred Läpple: „Geschehen auch heute noch Zeichen und Wunder?“ Er bezieht sich auf ein vielleicht schon vergessenes Phänomen, das selbst damals die größte Boulevardzeitung in Deutschland berichtete, ein Phänomen, das durch die Fernsehübertragung weltweit wahrgenommen werden konnte: Als Papst Benedikt am 28. Mai 2006 das Gelände des Konzentrationslagers von Auschwitz-Birkenau betrat, um diese Stätte des Grauens zu besuchen, mit Überlebenden zu sprechen und für die Opfer zu beten, erschien plötzlich am Himmel ein kräftiger Regenbogen. Der polnische Fernsehreporter erinnerte spontan an das Bibelwort: Steht der Bogen in den Wolken, so werde ich auf ihn sehen und des Bundes gedenken zwischen Gott und allen lebenden Wesen. (Gen 9,16) Leuchtet im Bund Gottes nicht die Wahrheit auf, wie Joseph Kardinal Ratzinger es einmal formulierte, wer und was wir sind und wer Gott ist: Für ihn, Gott, der selbst ganz „Beziehung“ ist, ist der Bund mit den Menschen nicht etwas Äußerliches, sondern „das Offenbarwerden seiner selbst, ‚das Leuchten seines Angesichts’„(68).

Hier gehts zum Volltext: www.tabularasamagazin.de/joseph-ratzinge…
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"Mit „existentiell“ ist hier nicht das bloß Subjektive gemeint. Es geht vielmehr um eine Theologie, die nicht aus einem privaten Sein, sondern aus einer Existenz hervorgeht, die sich selbst der Kirche überantwortet hat. Es geht ihm, wie er es selbst formuliert, um eine „Theologie des ex-sistere„, um jenen „Exodus des Menschen von sich selber fort, durch den allein er zu sich selber finden kann
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@pio molaioni

Der eingestellte Vortrag ist von 2010.