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"Portugal ist ein Paradies für Pädophile"

Jahrzehntelang wurden Kinder der Casa-Pia-Heime missbraucht - Zahlreiche Prominente sind angeklagt - Prozess vor Abschluss

Bibi hatte mit seinen Opfern leichtes Spiel. Die Waisen und Kinder aus sozial schwachen Familien, die in den Fürsorgeheimen der Casa Pia in Portugal leben, wachsen meist ohne Vater auf. Diese Lücke nutzte Bibi, Fahrer und Gärtner eines Heims in Lissabon, und erwarb sich als väterlicher Freund das Vertrauen der Kinder. Bibi, selbst ehemaliges Heimkind, nutzte die Sehnsucht der Kinder nach Liebe. Zuerst tätschelte er ihnen den Kopf und steckte ihnen Taschengeld zu. Später machte er Ausflüge mit ihnen und griff ihnen in die Hose. Und zum Schluss, da streichelte er nicht mehr bloß, da wendete er wenn nötig auch Gewalt an, um die Kinder sexuell zu missbrauchen. Doch Bibi war nur der Erste in einer Reihe von Pädophilen, die sich über Jahrzehnte hinweg an portugiesischen Heimkindern systematisch vergangen haben sollen - vielleicht sogar von höchsten Stellen gedeckt.

Seit knapp fünf Jahren stehen im schlimmsten Pädophilieprozess der portugiesischen Geschichte sieben Angeklagte vor Gericht. 990 Zeugen wurden gehört, mehrere Hundert sexuelle Vergehen stehen zur Debatte. Die meisten davon - 634 Fälle von Missbrauch, Vergewaltigung und Zuhälterei - werden Carlos Silvino alias Bibi zur Last gelegt, dem einzigen Geständigen in diesem schmutzigen Schauspiel. Und glaubt man ihm, dann hat der Fall eine Dimension erreicht, die den Skandal um den belgischen Kinderschänder Marc Dutroux übertrifft.

Denn bei den mutmaßlichen Tätern handelt es sich um durchaus prominente Vertreter der portugiesischen Gesellschaft. Dazu zählt etwa der ehemalige Botschafter Portugals in Südafrika, Jorge Ritto. Einem Medienbericht zufolge wurde er bereits 1970 nach einem "Zwischenfall mit einem Jungen in einem Park" auf Drängen deutscher Offizieller von seinem Posten als Konsul in Stuttgart abgezogen. In seinem Haus in Cascais sollen widerliche Orgien mit Minderjährigen stattgefunden haben, die mit Alkohol gefügig gemacht worden waren. Der renommierte Arzt João Ferreira Diniz soll dafür gesorgt haben, dass die von Bibi ausgewählten und missbrauchten Kinder "clean" waren, ihre Peiniger nicht mit Geschlechtskrankheiten ansteckten. Diniz soll sich am liebsten an taubstummen Kindern vergangen haben. Dann noch Gertrudes Nunes, die Vorsteherin der Casa de Elvas. Diese Einrichtung der Casa Pia stand wohl den Pädophilen für ihre Taten zur Verfügung. Und - für Portugal wohl am schockierendsten - der Starmoderator "Senhor Televisão", Carlos Cruz. Ihm wird fünffacher Missbrauch an drei Jugendlichen vorgeworfen.

Die Angeklagten bestreiten jegliche Vorwürfe. "Die Anschuldigungen entspringen ausschließlich der Fantasie der Jugendlichen", sagte der Anwalt von Carlos Cruz in seinem Abschlussplädoyer vergangene Woche. Und Cruz selbst ließ beim Verlassen des Gerichts in Monsanto verlauten - er sitzt nicht in Untersuchungshaft, sondern lediglich in Hausarrest -, kompromittierende Bilder, die Opfer von ihm im Haus von Botschafter Ritto gesehen haben wollen, seien "eine notwendige Lüge, um den Prozess gegen mich überhaupt konstruieren zu können". Cruz' Anwalt zog die Glaubwürdigkeit der mutmaßlich Missbrauchten in Zweifel: Es handele sich um Jugendliche mit Persönlichkeitsstörungen. "Dass sie solche Fantasien entwickeln, gehört zu ihrer Krankheit", sagte Ricardo Sá Fernandes. Weder entsprächen die Beschreibung der Wohnung des Moderators noch die zeitlichen Angaben den Tatsachen. Bedenkt man jedoch, dass die nun gehörten Zeugen zum Teil von vor Jahren zurückliegenden Ereig nissen sprechen, ist das vielleicht nicht verwunderlich.

Bereits in den 60er-Jahren gab es mehr als eindeutige Hinweise auf sexuellen und organisierten Missbrauch in den Casa-Pia-Heimen. Auch Bibi gibt an, zwischen seinem vierten und 13. Lebensjahr regelmäßig missbraucht worden zu sein. Zu dieser Aussage passen die Enthüllungen von Teresa Costa Macedo, einst Familienministerin. Sie habe 1982 den damaligen Präsidenten António Ramalho Eanes über die Zustände bei Casa Pia informiert. Geschehen sei nichts, weil "viele einflussreiche Leute involviert" gewesen seien. Dass sie erst mehr als 20 Jahre später öffentlich spricht, begründet sie damit, massiv bedroht worden zu sein: "Ich erhielt Todesdrohungen."

Der Grund für den jetzigen Prozess ist ein Junge namens Joel. Fast wäre auch sein Fall unbearbeitet zu den Akten gelegt worden. Seine Mutter erstattete Anzeige, nachdem Bibi den Jungen vergewaltigt hatte. Aber erst der Bericht in einer Wochenzeitung erhöhte den Druck. Dennoch dauerte es drei Jahre, bis es zum Prozess kam.

Pedro Namora, ebenfalls ein ehemaliges Heimkind der Casa Pia und in seiner Jugend Augenzeuge von mindestens elf Vergewaltigungen, vertritt einige Casa-Pia-Opfer. "Hinter dem Ganzen steckt ein fein gewebtes und vor allem umfassendes Netzwerk, das sich von der Polizei bis in die Regierung und die Justiz zieht", sagt er. "Portugal ist ein Paradies für Pädophile. Wenn die Namen der Beteiligten herauskommen, wird das ein Erdbeben auslösen."

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