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Meinung Gotthard-Tunnel

Die Schweiz lässt Deutschland alt aussehen

Reporter
Der längste Eisenbahntunnel der Welt wird eröffnet

Nach 17 Jahren Bauzeit wurde 2016 der 57 Kilometer lange Gotthard-Tunnel eröffnet. Der längste Eisenbahntunnel der Welt verkürzt die Fahrzeiten zwischen Nord- und Südeuropa erheblich.

Quelle: Die Welt

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Nicht nur bei der planmäßigen Fertigstellung des Gotthard-Tunnels zeigt ein kleines Land, wie man Großes hinbekommt. Was den Deutschen Angst macht, ist für Schweizer eine Quelle der Inspiration.

In einer programmatischen Erklärung zur Zukunft der Europäischen Union hat die Bundeskanzlerin vor Kurzem gesagt, „mit 80 Millionen Einwohnern“ komme man „nicht besonders weit in dieser Welt“.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)
Quelle: dpa

Wenn sich diese 80 Millionen aber mit den anderen Europäern „auf eine gemeinsame Position einigen“ würden, dann wäre das „immerhin doch eine schlagkräftige Truppe“, die sich „in einer globalen Welt“ behaupten könne.

Würden sich die Schweizer die Worte Merkels zu Herzen nehmen, dann müssten sie verzweifeln oder sich am besten gleich vom höchsten Punkt des Gotthardmassivs in die Tiefe stürzen. Denn mit nur acht Millionen Einwohnern machen die Eidgenossen gerade mal ein Promille der Weltbevölkerung aus. Dagegen sind die Deutschen mit immerhin 80 Millionen fast schon eine Großmacht.

Planungen für Gotthardtunnel und BER begannen zeitgleich

Allerdings, was den Deutschen Angst macht, nämlich sich in einer globalen Welt behaupten zu müssen, das ist für die Schweizer ein nie versiegender Quell der Inspiration. Klasse kommt vor Masse, Leistung vor Freizeit, so wurde in 200 Jahren aus einem der ärmsten Länder Europas eines der reichsten Länder der Welt.

Wenn man wissen will, was die große Bundesrepublik von der kleinen Confoederatio Helvetica unterscheidet, muss man sich nur vergegenwärtigen, dass die Planungen für den Gotthardtunnel und für den neuen Berliner Flughafen etwa zur gleichen Zeit begannen.

Der 57 Kilometer lange Tunnel wird am 1. Juni offiziell eröffnet, die Inbetriebnahme des von Anfang an zu klein konzipierten Hauptstadt-Airports steht in den Sternen.

Die Schweizer durften 1992 in einer Volksabstimmung über das Projekt entscheiden, 64 Prozent stimmten mit Ja. In Deutschland käme niemand auf die Idee, dem Volk eine solche Entscheidung zuzumuten. Es darf nur für die Kosten aller Extra-GAUs aufkommen.

Quelle: Infografik Die Welt

Die Schweizer sind Anarchisten mit einem stark ausgeprägten Sinn für Ordnung – eine einmalige Mischung, der sie sowohl ihre Freiheit wie ihre politische Stabilität verdanken. Die Präzision, mit der sie ihren öffentlichen Personennahverkehr organisieren, steht für das gesamte System.

Alle Macht geht vom Volke aus. Die Basis bilden 2324 Gemeinden in 26 weitgehend autonomen Kantonen, die über mehr Rechte und Zuständigkeiten verfügen als die deutschen Bundesländer.

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Darüber wölbt sich ein ausgesprochen schlanker Staat, den viele Schweizer allerdings bereits für aufgebläht halten. Die Regierung in Bern, der Bundesrat, besteht aus sieben Ressortchefs, die von der Bundesversammlung, dem Parlament, gewählt werden.

Das Musterdorf Europas

Es gibt keinen Ministerpräsidenten und keinen Staatspräsidenten, dafür ein Rotationssystem, in dem ein „Primus inter Pares“ ein Jahr lang die Regierungssitzungen führt, Staatsgäste empfängt und das Land im Ausland repräsentiert. Alles, was darüber hinausgehen würde, wäre Verschwendung.

Die Schweiz ist das Musterdorf Europas, ein Beweis, dass es auf Größe allein nicht ankommt. Die nächste Volksabstimmung findet am 5. Juni statt. Es geht um die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens. Und egal, wie der Entscheid ausgehen wird, es wird ein Beweis für den gesunden Menschenverstand der Schweizer sein.

Quelle: Infografik Die Welt

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