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RKI-Files

Geheime Corona-Unterlagen: Dieser Tag veränderte Deutschland für immer

Berlin / Lesedauer: 4 min

Die Protokolle des Corona-Krisenstabs des Robert Koch-Instituts sollten geheim bleiben. Journalisten haben die Unterlagen freigeklagt und veröffentlicht. Sie werfen viele Fragen auf.
Veröffentlicht:27.03.2024, 10:13
Aktualisiert:29.03.2024, 22:31

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Am 17. März 2020 begann ein neues Zeitalter. An diesem Tag wurde die Risikoeinschätzung für die Gesundheit der Deutschen in Zusammenhang mit dem sich ausbreitenden Corona-Virus von „mäßig“ auf „hoch“ heraufgesetzt. Die folgenden Jahre waren geprägt von Angst, Lockdowns, 2G, 3G, der einrichtungsbezogenen Impfpflicht.

Corona-Maßnahmen: Bis heute geht ein tiefer Riss durch die Gesellschaft

Freundschaften, ja ganze Familien zerbrachen im Streit darüber, wie gefährlich das Virus wirklich war (und ist). Und darüber, wie gerechtfertigt die Maßnahmen von Schulschließungen über Maskenpflicht bis hin zu Ausgangssperren und der teils wochenlangen, von den Behörden angeordneten Isolation von Menschen waren.

Bis heute geht ein tiefer Riss durch die Gesellschaft, bis heute gibt es jene, die die Maßnahmen scharf kritisieren und jene, die sie für richtig und alternativlos halten – und sich über die beharrliche Kritik der Maßnahmen-Gegner ärgern. Der Journalist Paul Schreyer und die Nachrichtenplattform Multipolar gehörten von Beginn an zu jenen, die die Corona-Politik und die Begründungen von Politik und Behörden für ihr Handeln scharf hinterfragten – und deswegen von manchen pauschal als „Querdenker“ abgetan wurden.

Protokolle besitzen Sprengkraft

In einem langwierigen Rechtsstreit haben Schreyer und sein Team nun erreicht, dass die lange als „Verschlusssache“ eingestuften Protokolle des Krisenstabs des Robert-Koch-Instituts (RKI) freigegeben werden mussten. Die Dokumente werden im Netz inzwischen mit dem Schlagwort „RKI-Files“ bezeichnet. Zwar sind viele Passagen geschwärzt – auch gegen die Schwärzungen klagt Multipolar; eine Entscheidung steht hier noch aus. Doch selbst mit den Schwärzungen besitzen die Protokolle schon jetzt eine Sprengkraft, die bei den Verantwortlichen in der Politik, der Führungsebene des RKI, Akteuren der Bundeswehr und regierungsnahen Wissenschaftlern wie etwa dem Virologen Christian Drosten für Nervosität sorgen dürfte.

Denn vieles, was in der Corona-Zeit als „Schwurbel“, als „Verharmlosung“ oder als „Verschwörungstheorie“ gebrandmarkt wurde, findet sich nun ausgerechnet in den RKI-Protokollen wieder. Vieles, was in den vormals geheimen Unterlagen steht, wirft zudem Fragen auf. Unter anderem die Frage, wer in letzter Instanz das Sagen darüber hatte, welche Erkenntnisse des RKI der Öffentlichkeit mitgeteilt wurden, welche warum geheim gehalten wurden und wer dem RKI welche Anweisung gab.  

So etwa am 16. März 2020, der Tag vor der folgenschweren Erhöhung der Risikoeinschätzung. „Am Wochenende wurde eine neue Risikobewertung vorbereitet. Es soll diese Woche hochskaliert werden. Die Risikobewertung wird veröffentlicht, sobald geschwärzt ein Signal dafür gibt.“ – so steht es in den Unterlagen. Wer das Signal gab, ist noch unbekannt – in jedem Fall gab der oder die Unbekannte es.

"Es soll diese Woche hochskaliert werden"

Auszug aus den RKI-Files. Unter Punkt 3 wird die "Hochskalierung" der Risikobewertung angekündigt. Der Name des oder Verantwortlichen ist geschwärzt.
Auszug aus den RKI-Files. Unter Punkt 3 wird die "Hochskalierung" der Risikobewertung angekündigt. Der Name des oder Verantwortlichen ist geschwärzt. (Foto: Multipolar)

Am nächsten Tag erklärte RKI-Chef Lothar Wieler der Presse: „Wir werden heute die Risikoeinschätzung für die Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland ändern. Wir werden sie ab heute als hoch einschätzen. Der Grund ist ganz einfach. Sie sehen die Dynamik. (...) Der Hintergrund für die geänderte Risikoeinschätzung sind die weiter steigenden Fallzahlen (...).“

Das ZDF schrieb dazu am Samstagabend: "Tatsächlich waren zu diesem Zeitpunkt die Fallzahlen nicht dynamisch gestiegen. In der Zeit zwischen dem 9. und 15. März 2020 wurden sechs Prozent der in Deutschland Untersuchten positiv getestet. Eine Woche später waren es sieben Prozent."

„Die Hochstufung der Risikoeinschätzung war, wie sich bald zeigen sollte, das rechtliche Fundament sämtlicher Corona-Maßnahmen. Alle Gerichte, die Klagen von Betroffenen gegen die Maßnahmen ablehnten, beriefen sich in der Folge darauf“, schreibt Multipolar.

Die Journalisten wollten wissen, auf welche Daten und Zahlen sich das RKI konkret bezog an diesem Tag und fragten nach Dokumenten – „die Risikobewertung selbst sowie sämtliche Kommunikation und Beratung dazu“. Die Anwälte des RKI, schreibt Multipolar weiter, hätten die Existenz solcher Dokumente aber verneint: „Nach Abschluss dieser Prüfung bleibt es dabei, dass keine weiteren Dokumente vorhanden sind, die sich mit der Änderung der Risikobewertung am 17. März 2020 von ‚mäßig‛ auf ‚hoch‛ befassen. (…) Informationen, die nicht vorhanden sind, kann die Beklagte nicht herausgeben.“

Hochstufung war Grundlage für Lockdown und Ausnahmezustand

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Multipolar zieht daraus folgenden Schluss: „Die Behauptung, das RKI habe die Hochstufung – und damit die Grundlage für Lockdown und Ausnahmezustand – auf Basis wissenschaftlicher Beratungen getroffen, ist nicht länger haltbar. Die Hochstufung erfolgte abrupt, ohne dokumentierten Diskussions- und Beratungsprozess, auf Anweisung eines ungenannten Akteurs.“

Lothar Wieler selbst, der nach seinem Rückzug aus dem RKI nur noch selten in der Öffentlichkeit zu sehen war (so etwa zuletzt beim Corona-Untersuchungsausschuss im brandenburgischen Potsdam), gab der Tagesschau am vergangenen Freitag ein Interview – wenige Tage nach der Veröffentlichung der RKI-Files. Die brisanten Unterlagen wurden in dem Interview der Tagesschau mit keiner Silbe erwähnt. 

Der Nordkurier hat in den vergangenen Tagen damit begonnen, die rund 2500 Seiten der von Multipolar freigeklagten RKI-Files sorgfältig zu lesen, Zusammenhänge herzustellen und relevante Details näher zu beleuchten. In den kommenden Tagen und Wochen werden wir über die Ergebnisse und Inhalte zu Themengebieten wie etwa Maskenpflicht, Impfungen, Ausgangssperren und die auch beim RKI intern geführte Diskussion über den richtigen Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der Corona-Zeit ausführlich berichten. Alle bereits erschienenen Artikel zu den RKI-Files finden Sie auf unserer Themenseite.

Alle RKI-Files im Original zum Download finden Sie hier.