Während Bundestag debattiert: Erste Verfassungsklage gegen Bundes-Lockdown steht!

SPD-Rechtsexperte Florian Post kündigt Eilantrag an

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) am Mittwoch im Bundestag

Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (beide CDU) am Mittwoch im Bundestag

Foto: JOHN MACDOUGALL/AFP
Von: Hans-Jörg Vehlewald

Können die Bundesverfassungsrichter den Bundes-Lockdown (Kontaktverbote, Ausgangssperren, Laden- und Schulschließungen) noch stoppen?

Die erste Verfassungsbeschwerde für die Richter in Karlsruhe ist bereits in Arbeit. BILD liegt der 47 Seiten starke Entwurf vor, geschrieben von einem der renommiertesten Staatsrechts-Experten: Prof. Dietrich Murswiek (72, Uni Freiburg).

Der Inhalt ist leider nicht mehr verfügbar.

Das Urteil des Top-Juristen ist eindeutig: Sowohl die Kontaktbeschränkungen in der Familie als auch die Ausgangssperre zwischen 22 und 5 Uhr früh "verletzen die Grundrechte" der Bürger über das gebotene Maß hinaus und sind daher "unverhältnismäßig“ und "verfassungswidrig".

Dies gelte auch für die geplanten Schließungen in der Außengastronomie, im Einzelhandel und bei Bussen und Bahnen, so Murswiek.

Der Gesetzgeber habe nicht dargestellt, dass die Maßnahmen zwingend und alternativlos seien, argumentiert der Staatsrechtsexperte.

Totalschließung der Außengastronomie „unangemessen“

Beispiel Außengastronomie: Gastwirte könnten „Tische für mehrere Personen auf Personen aus einem Haushalt beziehungsweise auf Gruppen beschränken“, die sich laut Kontaktbeschränkungen „sogar in geschlossenen Räumen treffen dürfen. Wenn dann noch zusätzlich ein negativer Test verlangt wird, dürfte das verbleibende Risiko zur völligen Bedeutungslosigkeit minimiert sein.“

Murswieks Fazit: „Eine totale Schließung der Außengastronomie ist zur Vermeidung einer Überlastung der Intensivstationen nicht erforderlich, zumindest aber unangemessen, und verstößt daher gegen die Grundrechte der Betroffenen.“

Scharfe Kritik an Ausgangssperren

Hier fällt Murswiek sein härtestes Urteil: „Die Ausgangssperre ist ein Schuss ins Blaue.“ Der Gesetzgeber habe „offensichtlich keine konkrete Abwägung vorgenommen, sondern sich mit allgemeinen Behauptungen und Vermutungen begnügt.“ Er ordne „eine drakonische Maßnahme an in der Hoffnung, dass sie für die Pandemiebekämpfung etwas bringt. Das reicht zur Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs nicht aus.“

Murswiek: „Die Gefahr einer Infektion beim Fußweg durch die nachts nahezu menschenleere Stadt tendiert gegen Null. Erst recht wird man auf dem Lande nach 22 Uhr und erst recht nach Mitternacht draußen nicht in dichtes Menschengedränge geraten, sondern praktisch keinem Menschen begegnen.“ Und weiter: „Dass es zu einer Infektion bei einer Begegnung im Treppenhaus nach Verlassen der Wohnung kommen könne, ist eine an den Haaren herbeigezogene Konstruktion, aber keine epidemiologisch relevante Gefahr.“

Problematisch seien allenfalls Treffen „von Jugendlichen, die – vielleicht mit Alkohol und ohne Masken – draußen ‚feiern‘. Solche Zusammenkünfte sind aber ohnehin verboten. Einer Ausgangssperre bedarf es dafür nicht.“ Die Ausgangssperren dienten also „allein dem Zweck, der Polizei die Arbeit zu erleichtern. Millionen von Menschen sollen nach dem Gesetz schwerwiegende Freiheitseinschränkungen hinnehmen, weil es wenige Menschen gibt, die sich nicht an die Kontaktbeschränkungen halten und die Polizei dies nicht hinreichend kontrollieren kann oder nicht kontrollieren will.“

Factsheet: Corona in Zahlen - Infografik

Inzidenzwerte verfassungswidrig

Hier kritisert Murswiek gleich mehrere Punkte: Zum einen greift er die Zahlen des Robert-Koch-Instituts als „Auslöser“ des automatischen Bundes-Lockdowns an: „Die vom RKI ermittelte Inzidenz ist also sehr stark abhängig von der jeweils verfolgten Teststrategie“, so Murswiek: „Insgesamt hängt die Zahl der dem RKI gemeldeten neuen Fälle und damit die Entwicklung der Inzidenz im Sinne des RKI von der Zahl der PCR-Tests ab. Je mehr PCR-Tests durchgeführt werden, desto mehr positive Ergebnisse in absoluten Zahlen und auch in Relation zur Bevölkerung (Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner) wird man finden. Würde man umgekehrt wesentlich weniger testen, sänke automatisch die vom RKI ermittelte Inzidenz.“ Diese Umstände würden jedoch „vom RKI in die Ermittlung der Inzidenz nicht einbezogen“. Zudem müsse in die Bewertung der Infektionsgefahr auch die Lage der Intensivstationen und der Zahl der beatmeten Patienten einbezogen werden.

Zum anderen mahnt Murswiek, dass die Inzidenzwerte ganzer Landkreise ein zu grobes Schema sei, um den Lockdown auszulösen: „Die Betrachtung eines Land- oder Stadtkreises kann zu kurz greifen. Sind in den Nachbarkreisen die Inzidenzen viel niedriger, ist die Situation in dem betreffenden Kreis weniger gefährlich als der dortige Inzidenzwert anzeigt. Sind umgekehrt die Inzidenzen in den umliegenden Kreisen viel höher, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich in dem betreffenden Kreis eine höhere Infektionsdynamik entwickelt, größer als es der Inzidenzwert vermuten lässt.“ Murswieks Urteil: „Diese Steuerung der Corona-Maßnahmen allein anhand der Inzidenzwerte ist mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unvereinbar und daher verfassungswidrig.“

Impfarzt klagt anKriminelle verkaufen Impfpass-Fälschungen

Quelle: BILD, Reuters

Kommunen werden drangsaliert

Murswiek moniert, dass Bund, Länder, Bürgermeister oder Landräte durch den Automatismus der Lockdown-Logik (ab Inzidenz 100) zum „Exekutivorgan“ degradiert werden, weil sie Maßnahmen NICHT mehr auf ihren Sinn vor Ort prüfen können: „Das Gesetz lässt zwar strengere Regelungen der Länder zu (§ 28b Abs. 4 IfSG), aber nicht mildere Regelungen für den Fall, dass in einem Landkreis trotz hoher Inzidenzwerte eindeutig keine Gefahr für die Überlastung der Intensivstationen besteht.“

Es sei jedoch möglich, „dass z.B. in einer Stadt sich ein sehr dynamisches Infektionsgeschehen entwickelt, das verschärfte Eindämmungsmaßnahmen erforderlich macht“, während im Rest eines betroffenen Landkreises „es auf dem flachen Land niedrige Inzidenzen und keine Probleme gibt. Dann ist es nicht erforderlich, die verschärften Maßnahmen für den ganzen Landkreis anzuordnen.“

Murswiek: „Das Gesetz ist daher insoweit verfassungswidrig, als es keine Abweichung vom gesetzlichen Schema zulässt, wenn in einem Landkreis oder einer kreisfreien Stadt oder in einem Teil eines Landkreises trotz Überschreitung des Schwellenwertes keine Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems besteht.“

Hoffnung auf schnelle Entscheidung

Einreichen wollen der SPD-Angeordnete Florian Post und sein Anwalt die Verfassungsbeschwerde, sobald das Gesetz den Bundesrat passiert hat und vom Bundespräsidenten unterschrieben wurde – nach der bisherigen Planung soll das spätestens am Freitag geschehen.

Wie schnell die Verfassungsrichter dann urteilen, steht noch nicht fest. Post zu BILD: „Wir werden in jedem Fall einen Eilantrag stellen.“

Dieser wird in vergleichbaren Fällen binnen weniger Tage entschieden …

Fehler im Artikel gefunden? Jetzt melden.