Haldenwang warnt vor „Generalverdacht“ gegen Ditib

Warnt vor überzogenen Verdächtigungen bei Ditib und Corona-Demonstranten: Thomas Haldenwang. Archivfoto: dpa
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Islamistische Einflüsse sieht der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei dem Verband derzeit nur punktuell. Auch beim Blick auf die Corona-Demos fordert er Augenmaß.

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MAINZ. Ditib, Türkei, Islam-Extremismus – das alles in eine Top zu werfen, ist für Thomas Haldenwang zu kurz gegriffen und verfehlt den Kern der Sache. Bei seinem Besuch in Mainz hat der Präsident des Bundesverfassungsschutzes am Freitag für eine differenzierte Sicht auf den umstrittenen Islamverband geworben.

Rheinland-Pfalz hat mit Ditib gerade Zielvereinbarungen geschlossen. Über einen Vertrag soll aber erst gesprochen werden, wenn Ditib Rheinland-Pfalz seine Abhängigkeit vom Bundesverband und damit von der Erdogan-Regierung in der Türkei kappt.

Die Verflechtung Ditibs mit Ankara stellte Haldenwang dabei keineswegs in Abrede: Nach dem gescheiterten Putsch 2016 sei Ditib genutzt worden, um die türkische Community in Deutschland auszuforschen. Die finanzielle Abhängigkeit der Moschen von der Türkei und der dortigen staatlichen Religionsbehörde Diyanet sei offenkundig.

Aber: Diese Einflussnahme sei eben noch „keine religiöse Sichtweise“. Er sehe Erdogan nicht als Islamisten und lehne es ab, Ditib unter den „Generalverdacht“ des Islam-Extremismus zu stellen. „Ich müsste mir Sorgen machen, wenn islamistische Prediger in Ditib-Moscheen arbeiten.“ Einflussnahme von dieser Seite sehe er derzeit jedoch „nur punktuell, aber nicht in der Fläche“.

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„Dienstleister“ für die Landesverfassungsschützer

Wegen Ditib allein war Haldenwang am Freitag natürlich nicht nach Mainz gekommen. Der Gedankenaustausch mit dem rheinland-pfälzischen Innenminister Roger Lewentz (SPD) und Landesverfassungsschutzchef Elmar May war schon lange geplant, man verstehe sich schließlich als „Dienstleister und Koordinator“ für die Landesämter. Der Termin stand schon vor dem Corona-Ausbruch fest, gleichwohl spielte das Virus und die Demos gegen die Regeln eine Rolle in den Unterhaltungen.

Auch hierbei warb Haldenwang („Ein Aluhelm ist in Deutschland erlaubt“) um Augenmaß: Von den 15 000 Teilnehmern an allen deutschen Kundgebungen vor drei Wochen stammten vielleicht zehn Prozent aus dem rechts- oder linksextremen Bereich: „Die überwiegende Anzahl hat sich fest auf dem Boden der demokratischen Grundordnung bewegt. Das ist noch kein besorgniserregendes Ausmaß.“

Deshalb betrachteten er und seine Kollegen das Geschehen derzeit mit „aufmerksamem Interesse“ – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Die größte Gefahr liege aktuell in der Infiltration der Demos durch radikale Gruppen, zum Beispiel der Versuch, aus dem Corona-Widerstand heraus eine „zweite Pegida“ zu etablieren. Parteien wie die NPD oder „Der III. Weg“ würden versuchen, die Demos zu unterwandern. Haldenwang muss seinen Blick derweil weiter auf viele Ziele richten. Der Islam-Extremismus ist durch Corona nicht verschwunden, trotz der Reisewarnung des Islamischen Staates („Das war uns nicht gelegen“) blieben die schon in Deutschland lebenden radikalisierten Gefährder im Visier des Verfassungsschutzes. Der Blick geht aber auch nach innen, auf die Organe des Staates. Mit Hochdruck werde derzeit ein Lagebild zu rechtsextremistischen Tendenzen und Umtrieben im Polizeiapparat gestellt. „Wir müssen dieses Thema systematisch angehen“, sagt Haldenwang. Durchaus vorbildlich dafür sei die klare Ansagen von Kommandeur Markus Kreitmayer an seine Soldaten vom Kommando Spezialkräfte. Auch der Verfassungsschutz selbst werde sich dieser Aufgabe mit einheitlichen Schulungen seines Führungspersonals stellen. „Manchmal neigte man früher dazu, solche Dinge im eigenen Bereich zu regeln“, sagte Haldenwang. „Das ist die falsche Herangehensweise.“

Von Ulrich Gerecke