NRW-Regierung räumt ein: „Ein solches Ereignis war abzusehen“

Wirtschaftsminister Altmaier fordert bei BILD Aufklärung

In Trauer und Entsetzen vereint: Bundeskanzlerin Angela Merkel (67, CDU) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (60, SPD) im verwüsteten Schuld. Dreyer wird wegen ihrer MS-Erkrankung gestützt von Merkel und einem Leibwächter

In Trauer und Entsetzen vereint: Bundeskanzlerin Angela Merkel (67, CDU) und die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (60, SPD) im verwüsteten Schuld. Dreyer wird wegen ihrer MS-Erkrankung gestützt von Merkel und einem Leibwächter

Foto: picture alliance/dpa/POOL AFP
Von: N. HARBUSCH, F. PIATOV, P. TIEDE

Sie waren ins Flut-verwüstete Ahr-Dorf Schuld gekommen, um Menschen, die ALLES verloren haben, Beistand zu leisten.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (67, CDU) und die rheinland-pfälzische Regierungschefin Malu Dreyer (60) sprachen dabei gestern von „Herz“ und „Seele“ und von „Schmerz“ und „Verlust“.

Für Merkel war das Ganze sogar eine „surreale, gespenstische Situation“: „Die deutsche Sprache kennt kaum Worte für diese Verwüstung.“

Hinter ihr die Zerstörung: Merkel machte sich ein Bild der Lage

Hinter ihr die Zerstörung: Merkel machte sich ein Bild der Lage

Foto: Getty Images

Keine Antwort hatten ALLE Bundes-, Landes- und Lokalpolitiker an diesem Tag aber auf die eine, die ALLES entscheidende Frage: Warum gab es keine wirksamen, flächendeckenden Warnungen VOR der Flut, und das in jedem von der Neun-Meter-Welle bedrohten Ort?

► Dreyer behauptete: „Wir waren eigentlich gut gerüstet. (…) Alle hatten ihren Hochwasserschutz aktiviert.“

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► Ihr Innenminister Roger Lewentz (58, SPD), Innenminister sagte: „Da können Sie die besten Vorsorge- und Warnsituationen haben (…) das Ereignis geschah mitten in der Nacht.“

Die Londoner „Times“ hingegen titelte: „Deutschland wusste, dass die Flut kommt, aber die Warnungen haben nicht funktioniert.“ Auch die „New York Times“ sieht „Versäumnisse im deutschen Warnsystem“.

DENN: Deutschland und die Bundesländer waren SEHR WOHL rechtzeitig gewarnt:

► Der staatliche Deutsche Wetterdienst (DWD) war nach eigener Aussage gar „nicht überrascht“ von Zeitpunkt und Wucht: Alle betroffenen Gemeinden und Landkreise hätten die Extrem-Warnungen bekommen, bestätigte der Wetterdienst dem RND.

Die erste Warnung, so die „Times“, habe es am 10. Juli im EU-Hochwasser-System EFAS gegeben.

Die hochangesehene Hochwasser-Forscherin Prof. Hannah Cloke (Uni Reading) in der „Times“: „Die Leute hätten Warnungen erhalten sollen.“ Clokes Diagnose: „Monumentales System-Versagen“!

► Wetterexperte Karsten Brandt (48, donnerwetter.de) bestätigt bei BILD Live: „Es war spätestens Sonntag/Montag klar, dass das eine außergewöhnliche Wetterlage wird.“ Brandt wütend: „Wenn ich dann höre, dass alles gut gelaufen sei – wir haben derzeit mehr als 150 Tote – bin ich nicht bereit, das hinzunehmen!“ Sirenen seien vor Ort zu oft einfach nicht ausgelöst worden. Sein bitteres Fazit: „Die Leute wurden alleingelassen in den Nacht.“

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Brisant: Auf BILD-Anfrage räumt die NRW-Landesregierung ein: Bereits am Dienstag wurde eine Landeslage eingerichtet, „da ein solches Ereignis abzusehen war“. Das Ziel: Prüfen, ob gefährdete Kreise und kreisfreie Städte „überörtliche Hilfe“ bräuchten.

Aus dem NRW-Innenministerium heißt es auf BILD-Anfrage, dass sich die „amtlichen Warnungen vor extremem Unwetter“ am Montag um 10.28 Uhr „konkretisierten“. Die konkreten Vorbereitungen lägen jedoch im Ermessen der Kreise und kreisfreien Städte.

Dennoch: „Es gilt, diesen Katastrophenfall grundlegend aufzuarbeiten und erforderliche Schlussfolgerungen zu ziehen“, heißt es aus dem NRW-Innenministerium zu BILD.

Im BILD-Talk „Die richtigen Fragen“ sagte NRW-Innenminister Herbert Reul (68, CDU): „Es kann nicht alles hundertprozentig funktioniert haben.“ Aber: „Es gab nach meinem heutigen Erkenntnisstand keine großen, grundsätzlichen Probleme.“

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Reul selbst habe bereits vor Jahren angefangen, sein Land auf Katastrophenfälle vorzubereiten: „Sie sprechen mit einem Innenminister, der 2018 die Sirenen wieder eingeführt hat.“ Tatsächlich verfügt das Bundesland NRW über 5120 Sirenen. Wie viele davon während der Flut allerdings aufheulten, ist noch unklar.

Der NRW-Innenminister im BILD-Talk: „Gewusst hat jeder, dass da etwas auf uns zu kommt. Die Wahrheit ist allerdings auch: Es wird immer schwerer, genau zu sagen, wo die großen Menge Wasser runterfallen.“

Man werde jeden Fehler überprüfen müssen, „um daraus zu lernen“.

► CSU-Innenexperte Michael Kuffer (49), sieht auch Versäumnisse bei den Öffentlich-Rechtlichen. Das System stoße „an Grenzen, wo Medien die Warnmeldungen nicht ordentlich weiterleiten“.

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (63, CDU) forderte im BILD-Talk „Die richtigen Fragen“ Aufklärung: „Gibt es Dinge, die nicht gut gelaufen sind, gibt es Dinge, die schief gelaufen sind?“ Altmaier: „Es geht nicht um Schuldzuweisungen, es geht um Verbesserungen für die Zukunft.“

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Altmaier erinnerte an frühere Fluten an Oder und Elbe sowie an die Sturmflut in Hamburg. Dieses Mal sei die Flut in einer unerwarteten Jahreszeit gekommen, so „dass die Menschen nicht Stunden oder Tage hatten, um sich vorzubereiten“. Deshalb müsse man darüber reden: „Haben wir ausreichend Vorsorge getroffen, um solche Ereignisse rechtzeitig zu erkennen?“ Es gehe darum, „in anderen Teilen von Deutschland rechtzeitig sicherstellen zu können, dass die Gefährdung von Menschen minimiert wird“.

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