"Alle Welt will ihn noch sehen"

Benedikt (re.) und sein Nachfolger, Papst Franziskus, verstehen sich gut
Biograf Seewald über den Alltag des früheren Papstes – und dessen Weihnachtsfest mit Teddybär.

Kein Journalist sah Benedikt XVI. so oft aus nächster Nähe wie Papst-Biograf Peter Seewald. Kurz vor Weihnachten hat er den 90-jährigen Joseph Ratzinger in Rom besucht. In einem neuen Buch würdigt der Journalist das Leben und Werk des deutschen Pontifex, der 2013 überraschend zurücktrat. Bekannt wurde der religiöse Autor durch seine Interviewbände mit Benedikt XVI. Der KURIER traf ihn zum Gespräch.

KURIER: Wie geht es Benedikt? Welchen Eindruck hatten Sie bei ihrem letzten Besuch in Rom?

Peter Seewald: Auf den ersten Blick keinen guten. Im Oktober war er gestürzt und hatte sich im Gesicht verletzt. Zuvor hatte er sich einen Wirbel angebrochen. Die Blessuren sind inzwischen verheilt, aber das Gehen fällt ihm zunehmend schwerer. Er spricht leise, ist dabei aber sehr wach und konzentriert und immer freundlich und humorvoll. Er hat die Aura eines Menschen, der Gott ganz nahe gekommen ist.

Wie wird Benedikt heuer Weihnachten verbringen?

Er verbringt die Festtage sehr bescheiden und unter einem karg geschmückten Christbaum. Er feiert mit seiner Hausgemeinschaft, zu der neben Erzbischof Gänswein die vier "Memores Domini" – Laienschwestern – gehören und der alte Teddybär, den er als Zweijähriger vom Christkind bekam. Es wird gesungen, Tee und Plätzchen werden serviert.

Wie verbringt der frühere Papst seinen Alltag?

Joseph Ratzinger hatte immer schon einen strukturierten, fast ritualisierten Tagesablauf. In seinem Kloster in den Vatikanischen Gärten beginnt sein Tag um 7 Uhr mit der Morgenmesse. Er frühstückt, meditiert, liest und führt noch immer eine umfangreiche Korrespondenz. Bischöfe, Wissenschaftler, Wegbegleiter, einfache Gläubige, Staatsmänner, alle Welt will ihn noch sehen. Früher spazierte er nachmittags zum Rosenkranzgebet in die Lourdesgrotte. Heute verlässt er sein Haus kaum noch. Nach den Nachrichten um 20 Uhr zieht er sich zurück zum Gebet und zum Schlafen.

Wie oft trifft der emeritierte Papst seinen Nachfolger Papst Franziskus?

Die Besuche von Franziskus sind meist mit bestimmten Anlässen verbunden und relativ selten. Aber Franziskus schreibt seinem Vorgänger gerne, übrigens in einer klitzekleinen Schrift, die noch winziger ist als die von Benedikt XVI. Er und Franziskus verstünden sich gut, meinte der Altpapst bei unserem Treffen, Franziskus bemühe sich sehr um ihn.

Mischt sich Benedikt in wichtige Fragen im Vatikan ein? Kommentiert er Entscheidungen und den komplett anderen Stil von Franziskus?

Es gibt nur einen Papst. Aber natürlich sorgt sich der Papa emerito über die Lage des Christentums in Europa, vor allem über die Situation seiner Kirche. Die Unterschiede zwischen dem Pontifikat Benedikts und dem von Franziskus treten immer deutlicher zu Tage. Es ist nicht nur ein anderer Stil, es geht auch um Identität und Linie, um die Frage, gibt es überhaupt noch Sicherheiten im Glauben der katholischen Kirche? Nach seinem Rücktritt sagte Joseph Ratzinger, er werde den Weg der Kirche im Gebet mittragen, in Zurückgezogenheit. Ein "Schattenpapst" ist er jedenfalls nicht. Aber er kommentiert weder die Handlungen von Papst Franziskus, noch mischt er sich ein. Und instrumentalisieren ließ sich Joseph Ratzinger ohnehin noch nie.

Welchen Einfluss haben Benedikts Anhänger derzeit im Vatikan?

Man versucht ja immer wieder, die beiden Päpste gegeneinander auszuspielen und gewisse Lager zu konstruieren. Das ist lächerlich. Bergoglio (Papst Franziskus, Anm.) hatte schon als Bischof von Buenos Aires kein Problem mit Autorität und konnte hart durchgreifen. Jeder Papst stellt sich seinen eigenen Mitarbeiterstab zusammen. Das war bei Benedikt XVI. nicht anders, auch wenn es mit dem polnischen und dem deutschen Papst fast so etwas wie ein Doppelpontifikat gab. Was Personalentscheidungen und Personalführung von Franziskus betrifft, sind viele Beobachter nachdenklich geworden. Dass frühere Vertraute Papst Benedikts ins Hintertreffen geraten, ist nicht zu übersehen. Letztlich geht es darum, in einer veränderten Welt, die auf der Kippe steht, gemeinsam an einem Strang zu ziehen und Kurs zu halten.

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