Vesperfan
2,2 Tsd.
"Kirche geht es nicht so schlecht, wie manche gerne hätten" "Kirche geht es nicht so schlecht, wie manche gerne hätten" Wiener Pastoraltheologe Zulehner in Interview mit den "Vorarlberger Nachrichten"…Mehr
"Kirche geht es nicht so schlecht, wie manche gerne hätten"

"Kirche geht es nicht so schlecht, wie manche gerne hätten"
Wiener Pastoraltheologe Zulehner in Interview mit den "Vorarlberger Nachrichten": Österreicher stimmen mehrheitlich der Aussage zu "Ohne christliche Kirchen wäre das Land sozial ärmer"
29.12.2010

Feldkirch, 29.12.2010 (KAP) "Der Kirche geht es nicht so schlecht, wie sowohl die fanatischen Befürworter rechts und einige hämische Kritiker von links gerne hätten." Das sagt der Wiener Pastoraltheologe em.Prof. Paul M. Zulehner in einem Interview mit den "Vorarlberger Nachrichten" (Mittwoch-Ausgabe). Die Kirche verfüge über so viele ehren- und hauptamtliche Personen wie keine andere zivilgesellschaftliche Einrichtung. In ihr engagieren sich laut Zulehner Menschen, "die weniger Angst und dafür mehr belastbare Solidarität haben, auch mit den Anderen und den Fremden". Vor diesem Hintergrund sei verständlich, dass in Österreich nach wie vor 51 Prozent der Aussage zustimmen "Ohne die christlichen Kirchen wäre das Land sozial ärmer", verwies der Wiener Religionssoziologe auf jüngste Studien.

Religion rangiere in Umfragen nach wichtigen Lebensbereichen und Institutionen zwar nicht im Spitzenfeld, aber noch weit schlechter kämen Politik und Medien weg. In Vorarlberg sei "an Gott glauben" im Jahr 2010 noch immer 52 Prozent der Befragten wichtig, so Zulehner. "Nachdenklich macht freilich, dass jenseits des Einflusses der Kirchen immer mehr Menschen keinen Zugang zum Glauben an Gott und ein Leben nach dem Tod finden." Vorarlberg habe mit immerhin 19 Prozent die meisten Atheisten aller österreichischen Bundesländer. "Zugleich nimmt aber auch die spirituelle Suche zu", hebt Zulehner hervor: "Nach langem Gottesfasten regt sich neuer Gotteshunger."

Insgesamt befinde sich die katholische Kirche in einer "epochalen Umbaukrise": "Früher war es Schicksal, katholischer Christ zu sein. Heute muss man das wählen und kann es auch abwählen." Viele Austrittsbereite sind laut Zulehner irritiert wegen der Missbrauchsfälle, aber auch wegen der Personalpolitik der Kirche. Bei vielen lägen die Ursachen der Distanzierung aber tiefer. Der Pastoraltheologe nannte zu wenige Möglichkeiten zur Beteiligung auf allen Ebenen, die männliche Dominanz in der Kirche und "dass die Kirche an einem Reinheitswahn leide, der von 'Die Kirche sündigt nicht' bis zu '(Homo)Sexualität ist zumeist sündig' reicht".

Geringe Kirchenbindung ist Hauptproblem

Aber diese Störungen beschleunigten nur die Abwahl, erklärte Zulehner, sie verursachten diese nicht. Die Hauptursache bestehe darin, dass einem die Kirche für das Leben nicht viel bedeutet: "Es gibt sehr viele Kirchenmitglieder ohne starke Bindung." Bei den Protestanten sei dies sogar noch ausgeprägter als bei den Katholiken, "und das ohne Missbrauchsskandal und ohne untauglicher Personalpolitik".

Zum Glaubwürdigkeitsverlust der katholischen Kirche durch die Missbrauchsfälle meinte Zulehner: "Unglaubwürdig machen Fehler nur dann, wenn man immer vorgibt, es gebe keine. Aber da hat die Kirche - angeführt von Kardinal Schönborn - viel gelernt." Dessen zuletzt häufig zitiertes Wort "Die Wahrheit wird uns frei machen" aus dem Neuen Testament sollte laut Zulehner nicht nur für die Kirche gelten, sondern auch für die unglaublichen Korruptionsfälle in der Politik oder den Missbrauch von Kindern in den Familien und säkularen Einrichtungen.

Stimme der Kirche nach wie vor geschätzt

Trotz ihrer Krise werde die Stimme der Kirche nach wie vor von vielen Menschen geschätzt, wies Zulehner hin. 42 Prozent der Österreicher wünschten, dass sich die Kirchen in politischen Fragen wie zum Frieden in der Welt, zur Gerechtigkeit oder zum Umweltschutz äußern.

Wichtig seien dabei glaubwürdige Repräsentanten. Zulehner: "Alle Institutionen werden heute über Personen wahrgenommen", die katholische Kirche über den jeweiligen Papst, eine Diözese über den Bischof. "Da mögen die Pfarrer und viele engagierte Laien noch so tolle Personen sein: Sie können nicht das ersetzen, was die Person in der medialen 'Auslage' für eine Wirkung hat." Er hoffe sehr, dass bei den in näherer Zeit anstehenden drei Bischofsernennungen in Vorarlberg, Graz und Salzburg berücksichtigt wird, was Kardinal Schönborn im Zuge der zurückgenommenen Bischofsernennung von Gerhard Wagner in Oberösterreich so formuliert habe: "Es soll jemand sein, den das breite Kirchenvolk gut und gern annehmen kann."