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Neue Kardinäle und eine neue Wahlordnung im Konklave? Papst Franziskus und sein Nachfolge

Neue Kardinäle und eine neue Wahlordnung im Konklave? Papst Franziskus und sein Nachfolger

27. Juli 2021 3

Kreiert Papst Franziskus im kommenden Oktober bereits die nächsten Kardinäle, obwohl es einen Überschuß an Papstwählern gibt? (Rom) Wiederholt wird in unterschiedlichem Rahmen thematisiert, auch durch und unter Vatikanisten, ob Papst Franziskus bereits über das nächste Konklave nachdenkt. Theoretisch betrifft ein solches keinen Papst, denn im Normalfall – wie die Geschichte lehrt – ist der Tod des regierenden Kirchenoberhaupts Voraussetzung und Anlaß zur Einberufung eines Konklaves. Vielleicht machte sich Benedikt XVI. keine wirklichen, jedenfalls keine strategischen Gedanken über seine Nachfolge. In Rom bezweifelt jedoch niemand, und das ist durchaus wörtlich zu nehmen, daß Franziskus sich sehr konkrete Gedanken über seinen Nachfolger macht. Die seit 2013 fortdauernde Situation zweier Päpste, eines zurückgetretenen und eines regierenden, stellt zumindest in der konkreten Konstellation eine absolute Ausnahme dar. Kein Papst in der fast zweitausendjährigen Geschichte dieser Institution verzichtete auf sein Amt aus Altersgründen oder mit dem Wunsch nach einer Art von päpstlichem Ruhestand. Entsprechend verständlich ist es, wenn auch noch im neunten Jahr des derzeitigen Pontifikats Fragen und Zweifel zu den Gründen und Hintergründen dieses Amtsverzichts geäußert werden. Franziskus erklärte in unterschiedlichen Varianten, daß er „Prozesse“ anstoßen wolle. Er kleidete diese Aussagen in den Hinweis, daß es ihm nicht darum gehe, die Ergebnisse dieser Prozesse vorzugeben, sondern sie möglich zu machen. Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Franziskus gibt sehr wohl das von ihm gewünschte Ergebnis vor. Er erlaubt lediglich den Diözesanbischöfen, das Tempo zu bestimmen, wie schnell sie ihm darin folgen wollen. Daß sie ihm folgen sollen, steht hingegen außer Diskussion. Offener Widerstand ist im besten Fall karrierehemmend. Die relevantesten Beispiele dafür sind Amoris laetitia mit der Zulassung von Personen in irregulären Situationen zur Kommunion und Traditionis custodes mit der Homogenisierung des Römischen Ritus durch Unterdrückung des überlieferten Ritus. Franziskus und die Bereitschaft, harte Entscheidungen zu treffen Parallel ist es unbestreitbar, daß Franziskus zumindest seit 2014 Spuren hinterläßt, die zeigen, daß er die Entscheidung über seinen Nachfolger nicht dem „Zufall“ überlassen will. Papst Benedikt XVI. war ein großer Denker, der die Dinge mit bemerkenswerter Klarheit erkannte. Seine Regierungseignung blieb allerdings hinter jener des Theologen zurück. Ganz anders Papst Franziskus: Sein Charakter ist autoritär und er ist ohne Zögern entschlossen, wenn nötig, auch harte Entscheidungen zu treffen. Das zeigte sich zuletzt am 16. Juli mit dem neuen Motu proprio Traditionis custodes. Benedikt XVI. hatte auf eine Koexistenz der beiden Formen des Römischen Ritus gehofft, jener bis 1969 und jener seit 1969, wobei er den überlieferten Ritus als Instrument zur Stärkung der schwächelnden Wehrbauten gegen die modernistische Wühlarbeit zur Zertrümmerung der Kirche betrachtete. Franziskus kennt allerdings einen Greuel, den er auch benennt: die Erstarrung, Starrheit, „Rigidität“, die für ihn ein Synonym für Rückwärtsgewandtheit ist. Ein Angriff gegen die Tradition wurde schon seit dem Beginn seines Pontifikats erwartet, seit dem 24. Mai sogar unmittelbar. Dennoch fehlte es bis zuletzt nicht an beschwichtigenden Stimmen, die den Wunsch zum Vater des Gedankens machten und meinten, es werde schon „nicht so schlimm kommen“. Es kam jedoch noch viel schlimmer, weil Franziskus kein Zauderer ist. Er wartet nur auf den seiner Meinung nach günstigen Augenblick. Der Vatikanist Andrea Gagliarducci schrieb jüngst auf seinem Blog zu diesem Wesenszug des amtierenden Kirchenoberhauptes:
„Es gibt einen wesentlichen Unterschied zwischen Synodalität und Kollegialität. Erstere beinhaltet eine breite Konsultation, aber möglicherweise eine Entscheidung, die von nur einer Person getroffen wird. Zweitere beinhaltet eine gemeinsame Entscheidung. Papst Franziskus spricht immer von der ersten, nie von der zweiten.“ Die Spaltung der Kirche Manche rätseln, warum derselbe Papst jenen Teil der Tradition bekämpft, der sich in der vollen Einheit mit Rom befindet, aber dem anderen Teil, der Piusbruderschaft, durch Entgegenkommen begegnete. Darin liegt allerdings eine innere Logik. Durch beide Stoßrichtungen geht es Franziskus um die Eliminierung, eine radikale und definitive Eliminierung, des überlieferten Ritus und der organisierten Artikulation der Tradition in der Kirche. Damit hat auch zu tun, daß im päpstlichen Umfeld angedeutet wird, man hätte nichts dagegen, wenn als Reaktion auf Traditionis custodes Priester der Ecclesia-Dei-Gemeinschaften und sogenannte Summorum-Pontificum-Laien zur Piusbruderschaft abwandern würden. Dem liegen Gedankenspiele zugrunde, in einem ersten Schritt die Tradition, die sich in der vollen Einheit mit Rom befindet, zu eliminieren, denn ein Trennstrich gegenüber der dann verbleibenden Piusbruderschaft wäre jederzeit problemlos zu ziehen. Sie sei kein wirklicher Teil der Kirche, was mit allerlei Paragraphen und Dokumenten zur Hand und ohne nennenswerten Aufwand behauptet und exekutiert werden könne. Franziskus sagte es im vertrauten Kreis, zumindest wurde er von einem Spiegel-Redakteur Ende 2016 unwidersprochen zitiert, es könnte schon sein, daß er als Papst in die Geschichte eingehen werde, der die Kirche gespalten hat. Die Bruchlinie, entlang derer die Spaltung erfolgt, ist schon definiert. Franziskus meinte jedenfalls nicht die deutschen Bischöfe und ihre abwegigen synodalen Pfade. Faktisch hat er die Spaltung durch Traditionis custodes bereits exekutiert. Franziskus wäre nicht Franziskus, wenn er dies nicht etwas verhüllt getan hätte. Bei den Ecclesia-Dei-Gemeinschaften brennt seither der Dachstuhl. Das Feuer droht die Gesamtheit dieser Institute in Flammen zu setzen. Santa Marta stört sich daran nicht, schließlich wurde von dort aus das Feuer gelegt. Nun erweisen sich Anpassungen als Hemmschuhe, die von den Ecclesia-Dei-Gemeinschaften seit 1988 als Gegenleistung für die von Rom gewährte Einheit zu erbringen sind wie das selbstauferlegte Verbot, die Knackpunkte des Zweiten Vatikanischen Konzils und die Defizite des Novus Ordo Missae zu thematisieren. Ohne diese beiden Themenfelder werden die Existenz und das Anliegen der Tradition aber nicht verständlich. Die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften müssen deshalb auf einem Bein balancieren, weil ihnen das andere Bein von Rom hochgebunden wurde. Wenn Rom unter Johannes Paul II. und Benedikt XVI. die Tradition aber so einschränkte, was sollte sie dann von Franziskus erwarten können? Es ist nicht zu spät, dennoch scheint es höchste Zeit, daß die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften auch jene Fragen zu stellen und zu thematisieren beginnen, um die sie bisher aus Rücksicht auf Rom oder aus Angst vor Rom einen Bogen machten. Wissen wirklich noch alle jungen Priester der Ecclesia-Dei-Gemeinschaften, was ihre älteren Mitbrüder noch wissen, nämlich warum es wirklich die beiden Formen des Römischen Ritus gibt und es dabei um weit mehr als nur eine Frage des Geschmacks oder der Rubrikentreue geht? Der harsche Ton Franziskus zögert in seinem Regierungsstil auch nicht, Antworten schuldig zu bleiben, wenn sie seine Position schwächen könnten. Auch eine harsche Sprache fällt ihm nicht schwer, sobald sich ihm jemand in den Weg stellt. Seine vorgefertigte Meinung zählt, das ist entscheidend, im Zweifelsfall immer mehr. Taktische Aspekte können ihn hingegen veranlassen, gelegentlich noch einen Moment zuzuwarten. Der Angriff gegen Summorum Pontificum (und auch Ecclesia Dei) war, wie es scheint, primär vom Gesundheitszustand Benedikts XVI. diktiert.
Es gibt die beliebte Theorie der Mitte und der Extreme, die als Detailaspekt die These von den sich berührenden Extremen miteinschließt. In der Wirklichkeit taugen solche Erklärungsversuche allerdings weniger. Sie sind am grünen Tisch erdacht, während es in der Realität um konkrete inhaltliche Fragen geht. So gab es jahrelange Versuche einer ominösen kirchlichen Mitte, Tradition und Progressismus in der Kirche als siamesische Zwillinge darzustellen, was von der Sache her falsch und als Erklärungsmuster letztlich Zeitvergeudung ist. Die Sorgen progressiver Kreise darüber, wer als nächster Papst die Sixtinische Kapelle verlassen könnte. Tatsache aber ist, daß es diese Strömungen tatsächlich gibt und der äußerste linke Rand der Kirche, wo der radikale progressive Flügel angesiedelt ist, der richtigerweise als Modernismus bezeichnet werden sollte, Papst Franziskus nahesteht und Franziskus diesem nahesteht. Dort herrscht seit dem 16. Juli eine vergleichbare Genugtuung über Traditionis custodes wie damals, als Benedikt XVI. seinen Amtsverzicht ankündigte. Gewichtige Vertreter dieses Randsaumes versichern aber glaubwürdig, daß auch sie über die Härte von Traditionis custodes verwundert seien. Nicht daß sie der harsche Ton stören würde, denn die Tradition verdiene es nicht anders, doch stamme dieser Ton nicht von ihnen. Im Klartext: Franziskus trennt tatsächlich eine ganz persönliche, tiefe Abneigung von der Tradition. Die Härte des neuen Motu proprio wird dahingehend interpretiert, daß Franziskus wirklich tabula rasa machen wolle, indem er von jedem eine Entscheidung auf die Frage verlangt: „Für mich oder gegen mich?“ Traditionis custodes ist dabei die Meßlatte. Jeder Bischof kann daran gemessen werden, wie er das Motu proprio umsetzt. Jeder Priester, ob bereits geweiht oder künftiger, muß durch das nun etablierte Erlaubnissystem Farbe bekennen. Fernsehzuschauern ist aus Kriminalfilmen eine Standardsatz vertraut, der da lautet: „Sie haben das Recht zu schweigen, alles was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht auf einen Anwalt, sollten Sie sich keinen leisten können, stellt Ihnen das Gericht einen zur Verfügung.“ Die Rechtsgarantien der Tradition sind deutlich schwächer. Sie hat kein Recht zu schweigen, Franziskus duldet es nicht. Und sie hat auch kein Recht auf einen Anwalt, weil sie nicht einmal das Recht auf Einspruch hat. Was an diesem Film-Zitat zutrifft, ist allein der Mittelteil, daß alles, was die Ecclesia-Dei-Gemeinschaften und andere Vertreter der Tradition nun sagen oder tun, gegen sie verwendet werden kann und wird. Und Franziskus scheint mit seinem Spaltungswillen noch nicht am Ende zu sein. Im Zusammenhang mit seinem Ungarn-Besuch und der Seligsprechung von Stefan Kardinal Wyszyński scheint der Papst erneut versucht zu sein, die unübersehbaren Risse in der Kirche noch zu vertiefen. Eine neue Wahlordnung für das Konklave? Alle diese Schritte zielen auch auf seinen Nachfolger ab, den Franziskus mitbestimmen will und von dem er sich eine Fortsetzung seines Kurses erwartet. Da Franziskus mißtrauisch ist, will er jedoch, was ihm wichtig ist, noch selbst erledigen und seinen Nachfolger so einhegen, daß die angestoßenen „Prozesse“ irreversibel sind.
Es häufen sich die Stimmen, daß Franziskus versucht sein könnte, die Wahlordnung des Konklaves zu ändern. Alberto Melloni, der Leiter der progressiven „Schule von Bologna“, der auch einer der Kronprinzen von Franziskus, der philippinische Kardinal Luis Antonio Tagle, angehört, kritisierte die bei der Papstwahl erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit. Da Franziskus stark polarisiere und sich Feinde macht, wo vorher keine waren, befürchten ihm nahestehende Kreise, darunter Melloni, daß es trotz vieler von Franziskus ernannter Kardinäle schwierig werden könnte, einen zweiten Franziskus durchzusetzen. Aus der jüngeren Vergangenheit weiß man, daß am Ende ein Kompromißkandidat die Sixtinische Kapelle als neuer Papst verlassen könnte. Das soll verhindert werden. Deshalb, so der Vorschlag, solle die absolute Mehrheit der Papstwähler genügen und es stattdessen zwischen den Wahlgängen längere Pausen geben. Melloni begründet das mit einer angeblichen Notwendigkeit, mögliche Papabili auf ihre Vergangenheit zu überprüfen. Naheliegender scheint zunächst, daß einer entschlossenen Minderheit die Gelegenheit geboten werden soll, die Wahl ihres Kandidaten besser zu organisieren. Führende progressive Köpfe sind allerdings seit dem McCarrick-Skandals im Spätsommer 2018 ernstlich besorgt. Damals drohte eine konservative katholische Gruppe, die sich dazu in den USA konstituierte, (progressive) Kardinäle zu „durchleuchten“. Melloni möchte mit seiner Wahlreform verhindern, daß zwar die Wahl eines zweiten Franziskus gelingt, dieser aber durch eine ihn einholende „Vergangenheit“ stürzen könnte. Der Vatikanist Andrea Gagliarducci schreibt auf seinem Blog: „Papst Franziskus denkt seinerseits über die Nachfolge nach. Wahrscheinlich wird es im kommenden Oktober ein weiteres Konsistorium geben, bei dem der Papst neue Kardinäle ernennen wird, die seiner Mentalität nahestehen.“ Neue Kardinäle sind neue Papstwähler. Die Einberufung eines Konsistoriums im kommenden Herbst zur Kreierung neuer Kardinäle würde erstaunen, aber bestätigen, daß Franziskus auf ein Konklave vorbereitet sein will und geradezu ungeduldig darauf wartet, den Umbau des Kardinalskollegiums voranzutreiben. Bis zum Jahresende wird aber kein Platz im Konklave frei. Die Höchstzahl der Papstwähler ist auf 120 Kardinäle festgelegt. Franziskus ernannte zuletzt im November 2020 so viele neue Kardinäle, daß es noch immer einen Überschuß gibt. Derzeit wären 123 Kardinäle wahlberechtigt. Rechnet man Kardinal Angelo Becciu hinzu, sind es sogar 124. Erst am 13. April 2022 wäre der erste Platz im Wahlkörper wieder neu zu vergeben, da bis dahin so viele Kardinäle durch Vollendung des 80. Lebensjahres als Papstwähler ausscheiden werden. Die Kreierung neuer Kardinäle würde nach kirchlicher Gepflogenheit frühestens im Oktober 2022 stattfinden. Franziskus könnte das aber zu lange dauern. Die Ernennung eines Überschusses an Kardinalwählern stellt zudem kein Vergehen dar. In den entsprechenden Bestimmungen sind dagegen keine Sanktionen vorgesehen, da der Papst die höchste Rechtsinstanz ist. Text: Giuseppe Nardi Quelle: katholisches.info/…-kardinaele-und-eine-neue-wahlordnung-im-konklave/