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Papst Benedikt XVI. als Musiktheologe

von Peter Bubmann, aus: Musik und Kirche, 4/5/2005

Der neue Papst hat sich als Kardinal verschiedentlich und profiliert zur Kirchenmusik geäußert. Dabei folgt er einem trinitarisch-dogmatischen Denkansatz, der von johannäisch-altkirchlicher Logos-Theologie inspiriert zu sein scheint und gleichzeitig eine gewisse Nähe zu philosophisch-kosmosreligiösen Musikvorstellungen aufweist. Ratzinger geht vom Sinn des christlichen Gottesdienstes und vom christlichen Menschenbild aus: Im Gottesdienst wird die Fleischwerdung des Wortes Gottes gefeiert. Dieses Wort Gottes ist mehr als unsere menschliche Rede, mehr als Text. Es geht um die Mitteilung der lebendigen Wirklichkeit Gottes selbst, um die Gegenwart Gottes in seinem Heiligen Geist.

Musik im Dienst der Fleisch- und Geistwerdung

Die Verwandlung der Menschen durch den Geist Gottes, seine Vergeistigung bedarf – wie es Joseph Ratzinger sieht – der Musik. „Musikwerdung des Wortes ist einerseits Versinnlichung, Fleischwerdung, An-sich-Ziehen vorrationaler und überrationaler Kräfte, An-sich-Ziehen des verborgenen Klangs der Schöpfung, Aufdecken des Liedes, das auf dem Grund der Dinge ruht. Aber so ist dieses Musikwerden nun auch selbst schon die Wende in der Bewegung: Es ist nicht nur Fleischwerdung des Wortes, sondern zugleich Geistwerdung des Fleisches.“ Solche Vergeistigung sei nicht sinnenfeindlich zu verstehen. Es gehe vielmehr um eine „Integration von Sinnlichkeit“3, eine weit gespannte „Synthese von Geist, Intuition und sinnenhaftem Klang“. Ziel sei es, zur wahren Freiheit der von Gott Erlösten zu finden.

„Kirchenmusik entsteht als ,Charisma‘, als Geistesgabe: Sie ist die wahre ,Glossolalie’, die neue, vom Geist kommende ,Zunge‘.“ Entscheidend ist nun, dass nach Ratzinger diese Geistergriffenheit einerseits die menschliche Vernunft übersteigt, sie andererseits aber – in gut katholisch-naturgesetzlicher Tradition – nicht zerstört. Unter dem Wirken des Geistes ereigne sich „die ,nüchterne Trunkenheit‘ des Glaubens – Trunkenheit, weil alle Möglichkeiten der bloßen Rationalität überschritten werden, aber nüchtern bleibt dieser ,Rausch‘, weil Christus und der Geist zusammengehören, weil diese trunkene Sprache doch ganz in der Zucht des Logos bleibt, in einer neuen Rationalität, die über alle Worte hinaus dem einen Urwort dient, das der Grund aller Vernunft ist“. Letztlich habe Kirchenmusik einzustimmen in den Gesang des Alls und sich damit „an den ,Künstler‘, an Christus, an den Schöpfergeist“ anzunähern.

Gottesdienstliche Musik muss für Ratzinger als logosbezogene Musik kunstvoll sein, nicht allerdings im Sinn eines autonomen Ästhetizismus. Zwischen den Extremen einer rational-artifiziellen Avantgardemusik und einer banalisierten Massenmusik solle man sich vor allem der geschichtlich bewährten Musik zuwenden. Liturgische Musik müsse sich im Übrigen an den liturgischen Texten orientieren und am Gregorianischen Choral und Palestrina messen lassen.

„Widergöttlich“: Absage an Rock und Pop

Aus dieser göttlich-vernünftigen Logos-Haftigkeit wahrer Kirchenmusik ergeben sich für Ratzinger weitreichende normative Vorgaben für die Musica sacra. „Richtig ist aber, daß die Musik, die der Anbetung ,in Geist und Wahrheit‘ dient, nicht rhythmische Ekstase, nicht sinnliche Suggestion oder Betäubung, nicht subjektive Gefühlsseligkeit, nicht oberflächliche Unterhaltung sein kann, sondern einer Botschaft zugeordnet ist, einer umfassenden geistigen und im höchsten Sinn vernünftigen Aussage.“ Kirchliche Rock- oder Popmusik wird von Ratzinger daher vehement zurückgewiesen und Popmusik als „Gegenreligion“ bezeichnet. Denn ihr liege eine Ideologie der Selbstbefreiung zugrunde, die dem christlichen Menschenbild zutiefst widerspreche. „Es handelt sich um Erlösungspraktiken, deren Form der Erlösung dem Rauschgift verwandt und dem christlichen Erlösungsglauben von Grund auf entgegengesetzt ist.“
Angesichts solcher Urteile darf man gespannt sein, wie Papst Benedikt XVI. zukünftig mit den von seinem Vorgänger unbefangen instrumentalisierten Sacro-Pop-Klängen in den Massenliturgien (etwa beim Weltjugendtag) umgehen wird. Und weiterhin (und über Ratzinger hinaus) wird zu diskutieren sein, was es für die Auswahl der Musikstile bedeutet, dass Liturgie und also auch ihre Musik in der Tat einen „Zugang zur wahren Freiheit“14 vermitteln möchte. Hier wird – im Blick auf die Avantgarde wie hinsichtlich der Popularmusik – eine „Prüfung der Geister“ in evangelischer Freiheit zu anderen Lösungen kommen können, als sie Ratzinger ins Spiel brachte. Das hängt mit einem anderen theologischen Verständnis von Freiheit zusammen. Während Freiheit bei Ratzinger (wie übrigens auch bei Johannes Paul II.) an eine ungeschichtlich-naturgesetzliche Vernunfthaftigkeit des göttlichen Logos gebunden erscheint, kann evangelische Theologie Freiheit nur als geschichtlich gewachsene Identität und Kompetenz verstehen, die sich immer schon menschlichen Kulturtraditionen und Beziehungen und darin dem geschichtlichen Wirken Gottes verdankt.15 Dieses heilsgeschichtliche Offenbarwerden Gottes aber ist anderes als die Wahrnehmung eines kosmischen Logosgesetzes und sei es auch in der sympathischen Vorstellung eines Gesangs des Weltalls. In der Wirkung des Heiligen Geistes ermöglicht Gottes Heilshandeln vielmehr, auf geschichtlich vielfältige Weise mit Musik umzugehen: von der traditionellen Kirchenmusik über Avantgarde-Klänge bis hin zu ekstatischer Rockmusik. Denn hier gilt: „Prüft aber alles, und das Gute behaltet!“ (1 Thess 5,21).
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