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Die wahre reinheit

Jahreskreis
22. Sonntag (Lesejahr B)
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Die wahre reinheit
Im Äußerlichen verfangen.
Die Gedanken des Herzens.
Keuschheit.
I. Markus, der für Heiden-Christen schreibt, muß immer wieder Sitten und Gebräuche der Juden erklären, damit die Vorwürfe gegen Jesus und die Antworten des Herrn verständlich werden. So auch im heutigen Evangelium1. Die Pharisäer und einige Schriftgelehrte, die aus Jerusalem gekommen waren, hatten gesehen, wie die Jünger des Herrn - einige seiner Jünger, heißt es im Text - ihr Brot mit unreinen Händen aßen - was der Evangelist gleich erklärt: das heißt mit ungewaschenen Händen. Die Pharisäer essen nämlich wie alle Juden, nur wenn sie vorher mit einer Handvoll Wasser die Hände gewaschen haben, wie es die Überlieferung der Alten vorschreibt. Man mußte die Waschung der Hände sogar zweimal vornehmen, um sicher zu gehen, daß die zweite Waschung jede Spur des ersten, nunmehr befleckten Wassers fortspülte. Es reichte in diesem Fall, sich die Fingerspitzen zu waschen. Auch wenn sie vom Markt kommen, essen sie nicht, ohne sich vorher zu waschen, heißt es weiter bei Markus. Da man in dieser Situation der Gefahr, sich durch die Berührung mit Heiden zu verunreinigen, kaum entgehen konnte, ging man bei der Reinigung gründlicher zu Werke und wusch den Arm bis zum Ellenbogen. Markus ergänzt dann: Noch viele andere überlieferte Vorschriften halten sie ein, wie das Abspülen von Bechern, Krügen und Kesseln.
Wo kommt dieses übertriebene Bedachtsein auf physische Sauberkeit, die als gesetzliche Reinheit galt, her? Im Gesetz gibt es keine Belege dafür, aber man beruft sich auf die Autorität der alten Gesetzeslehrer. Und tatsächlich zielt die Frage der Gegner Jesu auf diesen grundsätzlichen Punkt. Sie fragen nicht bloß nach dem Grund, warum die Jünger die rituelle Handwaschung vor dem Essen unterlassen, sondern warum sie solch eine unfromme Lebensart offenbaren, indem sie sich nicht an die Überlieferung der Alten halten. Um diese Autorität geht es.
Die Praxis der Schriftgelehrten stellte eine religiöse Entartung dar, denn sie waren die Interpreten des Gesetzes, und ihr Amt war, das Gesetz auszulegen, keineswegs aber, ihm Gebräuche hinzuzufügen, die seinem Geist zuwider waren. Durch alle diese Reinigungszeremonien hatten die Pharisäer dem bewundernswerten Anliegen des Gesetzes, Israel möchte sich als das heilige Volk bewähren, eine gefährliche Wendung gegeben. Diese Heiligkeit verpflichtete anfangs zu der gesetzlichen Reinheit, besonders in der Wahl der Speisen (Lev 11,44ff). Das war eine notwendige Schranke, solange Israel von Völkern umgeben war, die einen unreinen Kult hatten; aber diese rein äußerliche Übung durfte nicht zur Hauptsache werden.
Die Pharisäer hatten sich somit im Äußerlichen verfangen, die Riten sogar noch vermehrt und ihre Verbindlichkeit überbetont. Es war deshalb nicht schwer, die Jünger immer wieder bei irgendwelchen Verfehlungen zu ertappen; denn sie stellten sich wohl unter das Gesetz, aber in ihrem geraden Sinn kannten sie sich in der rabbinischen Kasuistik nicht weiter aus. Und so fragen die Pharisäer vorwurfsvoll: Warum halten sich deine Jünger nicht an die Überlieferung der Alten, sondern essen ihr Brot mit unreinen Händen?
Der Herr antwortete ihnen: Der Prophet Jesaja hatte recht mit dem, was er über euch Heuchler sagte: Dieses Volk ehrt mich mit den Lippen, sein Herz aber ist weit weg von mir. Der Herr hätte auch auf Worte der Psalmen verweisen können. Im heutigen Antwortpsalm stellt sich der Beter vor Gott: Herr, wer darf Gast sein in deinem Zelt, wer darf weilen auf deinem heiligen Berg? Der makellos lebt und das Rechte tut.2 In einem anderen Psalm, der zur Liturgie des Einzugs in das Heiligtum gehörte, heißt es: Wer darf hinaufziehen zum Berg des Herrn, wer darf stehn an seiner heiligen Stätte? Der reine Hände hat und ein lauteres Herz.3 Das Äußere soll das Innere widerspiegeln. Wahre Reinheit reicht viel tiefer als nur bis zu einer Händewaschung.
II. Nichts, was von außen in den Menschen hineinkommt, kann ihn unrein machen, sondern was aus dem Menschen herauskommt, das macht ihn unrein. Denn von innen, aus dem Herzen der Menschen, kommen die bösen Gedanken. Doch aus dem Herzen kommt auch die Sehnsucht nach Gott: »Du hast uns auf dich hin geschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es ruhet in dir.4 Mit diesem Ruf eröffnet der Heilige, der mit einem flammenden Herzen in der Hand dargestellt wird, seine Bekenntnisse. Auch er sieht rückblickend den ganzen Unrat, den es in seinem Herzen gab, ehe er Gott fand. Immer wieder analysiert er im betenden Gespräch mit Gott seine Gefühle. Folgen wir einmal einem seiner Rückblicke in die Vergangenheit.
Augustinus erzählt, wie er seine Schrift Über das Schöne - sie ist im übrigen verlorengegangen - einem berühmten Redner Roms widmete. »Ich kannte ihn nicht persönlich, aber ich war ihm wegen seines Gelehrtenrufes zugetan (...), und auch einige seiner Worte waren mir zu Ohren gekommen, und sie hatten mir gefallen. Aber mehr noch gefiel er mir, weil er anderen gefiel und man ihn mit Lobsprüchen überschüttete.«5 Warum bewunderte er ihn? Rückblikkend geht ihm auf-. Weil er eitlen Ruhm suchte und so erfolgreich sein wollte wie sein Idol. Reinheit des Herzens verlangt einen kritischen Blick f-tir das, dem wir Raum in uns geben.
Augustinus beschließt seine Selbstbeobachtung mit einem Seufzer: »Wahrlich, ein abgrundtiefes Geheimnis ist sich der Mensch. Du, Herr, hast seine Haare gezählt, und keines davon geht bei dir verloren, aber leichter fürwahr ist, seine Haare als die Empfindungen und Neigungen seines Herzens zu zählen.« Es ist in der Tat schwer, das Herz zu fassen. Die Gedanken des Herzens sind ursprünglicher als verstandesmäßiges Erkennen, und sie waren längst vor ihm da.
»Das ist das ursprügliche Leben der Seele in ihrem Wesensgrunde, in einer Tiefe, die vor aller Spaltung in verschiedene Kräfte und ihre Betätigung liegt. (...) Die Gedanken des Herzens sind durchaus noch keine Gedanken im üblichen Sinn, keine fest umrissenen, gegliederten und faßbaren Gebilde des denkenden Verstandes. Sie müssen durch mancherlei Formungen hindurchgehen, ehe sie zu solchen Gebilden werden. Sie müssen erst aufsteigen aus dem Grunde des Herzens. Dann kommen sie an eine erste Schwelle, wo sie spürbar werden.«6
Die Regungen also auf dem Grunde unserer überlegten Handlungen bedürfen der Läuterung. Zu ihnen gehören die »Regungen und Bewegungen des Empfindunsvermögens« die wir Leidenschaften oder allgemein Gefühle nennen, sie bilden »die Durchgangs- und Nahtstelle zwischen dem sinnenhaften und dem geistigen Leben«7. Sie alle werden von der grundlegenden Leidenschaft geprägt, von der Liebe: »Die Gemütsbewegungen sind schlecht, wenn die Liebe schlecht ist; gut, wenn sie gut ist. Da entscheidet sich die Ausrichtung eines Lebens. Was liebe ich? Gottes Ehre oder meine eigene? Die Wahrheit oder den Applaus der Menge? Die Ehrlichkeit oder die Heuchelei?
Die ungeordnete Selbstliebe äußert sich nicht nur in materialistischem Streben, oft zeigt sie sich in Tagträumen, im Neid, weil ein anderer Erfolg hat, in der Neigung zum Intrigieren, in einer Ichbezogenheit, die blind macht für die Anliegen und die Nöte anderer... Wie viele verletzende Lieblosigkeiten haben ihren Ursprung in Argwohn oder Mißgunst, die auf dem Grunde der Seele schlummern!
Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.9 Lauteren Herzens können wir schon jetzt, inmitten unserer Tätigkeiten, Gott gewahren. Der Herr will in unserem Fühlen zugegen sein, er will allem, was wir tun, einen neuen Sinn geben. Das reine Herz ist das offene und demütige Herz. Das unreine Herz dagegen ist anmaßend und verschlossen, ganz mit sich selbst angefüllt, »unfähig, der Majestät der Wahrheit Raum zu geben, die Verehrung und letztlich Anbetung verlangt«10.
III. Der Kampf um die Reinheit des Herzens zeigt sich besonders deutlich in Zusammenhang mit dem, was Jesus im heutigen Evangelium Unzucht nennt - den Mißbrauch der Geschlechtskraft. Als Wesen aus Geist und Leib besteht im Menschen »eine gewisse Spannung; die Neigungen des Geistes und die des Leibes liegen in einem gewissen Widerstreit. Aber dieser Konflikt ist ein Erbe der Sünde; er folgt aus ihr und bestätigt sie zugleich. Wir erleben ihn im täglichen geistlichen Kampf.«11 Damit Verstand und Wille mit den Forderungen der Heiligkeit Gottes in Einklang stehen, muß vor allem in drei Bereichen Klarheit herrschen: »in dem der christlichen Liebe, dem der Keuschheit oder geschlechtlichen Lauterkeit und in dem der Wahrheitsliebe und der Rechtgläubigkeit. Die Reinheit des Herzens, des Leibes und des Glaubens stehen miteinander in Verbindung.«12
Keuschheit »bedeutet die geglückte Integration der Geschlechtlichkeit in die Person und folglich die innere Einheit des Menschen in seinem leiblichen und geistigen Sein. Die Geschlechtlichkeit, in der sich zeigt, daß der Mensch auch der körperlichen und biologischen Welt angehört, wird persönlich und wahrhaft menschlich, wenn sie in die Beziehung von Person zu Person, in die vollständige und zeitlich unbegrenzte wechselseitige Hingabe von Mann und Frau eingegliedert ist. Die Tugend der Keuschheit wahrt somit zugleich die Unversehrtheit und die Ganzheit der Hingabe.«13
Wie entschlossen haben die ersten Christen diesen Kampf geführt. Sie waren Sauerteig inmitten einer heidnischen Gesellschaft, und die Reinheit ihrer Lebensführung war für die Heiden - verknüpft mit der brüderlichen Liebe - Anlaß zum Staunen und manchmal auch zur Bekehrung. Das ist es, was Gott will: eure Heiligung. Das bedeutet, daß ihr die Unzucht meidet, daß jeder von euch lernt, seinen Leib in heiliger und ehrbarer Weise zu bewahren, nicht in leidenschaftlicher Begierde wie die Heiden, die Gott nicht kennen (...). Gott hat uns nicht dazu berufen, unrein zu leben, sondern heilig zu sein.14
Die Tugend der Keuschheit »verwirklicht im Bereich der Geschlechtskraft die Ordnung, die der erfahrenen und geoffenbarten Wahrheit von Welt und Mensch entspricht und die der zweifachen Gestalt dieser Wahrheit gemäß ist, nicht nur der enthüllten Offenbarkeit, sondern auch der verhüllten Offenbarkeit, das heißt: dem Geheimnis.«15 Es scheint, daß in unserer Zeit die Ehrfurcht vor dem Geheimnis verlorengeht und sich stattdessen eine entwürdigende Sicht der Sexualität breitmacht, die die menschliche Liebe zu einem bloßen Genußmittel, die Person zu einer austauschbaren Größe degradiert. Wir brauchen auf die Lawine allgegenwärtiger Sinnlichkeit nicht näher einzugehen: auf geschmack- und schamlose Funk- oder Fernsehprogramme, obszöne Spektakel, die Verhöhnung des Schamgefühls, platte und frivole Formen von Erholung und Zeitvertreib...
Angesichts dessen ist die Lebensweise christlicher Eheleute oder solcher Männer und Frauen, die um des Himmelreiches willen inmitten der Welt ehelos leben16, eine Herausforderung, die an die Zeit der ersten Christen erinnert. Wie damals wird sie auch heute auf Verständnislosigkeit stoßen. Jetzt erregt es ihren Unwillen, und sie lästern, weil ihr euch nicht mehr in diesen Strudel der Leidenschaften hineintreiben laßt.17 Andere indessen werden nachdenklich werden und den Reichtum eines reinen Lebens ahnen: »Die Reinheit ist die Herrlichkeit des menschlichen Leibes vor Gott. Sie ist die Herrlichkeit Gottes im menschlichen Leib, durch den sich der Mensch als Mann oder Frau zu erkennen gibt. Aus der Reinheit fließt jene einzigartige Schönheit, die alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens durchdringt und erlaubt, die Schlichtheit und Tiefe, die Herzlichkeit und unnachahmliche Echtheit des persönlichen Vertrauens auszudrücken.«18
Bitten wir den Heiligen Geist, er möge uns ein reines Herz schenken: Was befleckt ist, wasche rein, Dürrem gieße Leben ein, heile du, wo Krankheit quält. Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt, lenke, was den Weg verfehlt.19
1 Mk 7,1-8. - 2 Ps 15,1-3. - 3 Ps 24,3-4. - 4 Augustinus, Bekenntnisse, 1,1,1. - 5 ebd., 4,14. - 6 Edith Stein, Im verschlossenen Garten der Seele, Freiburg 1987, S.45. - 7vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, 1763-1764. - 8 Augustinus, Gottesstaat, 14,7. - 9 Mt 5,8. - 10 J. Ratzinger, Auf Christus schauen, Freiburg 1989, S.25. - 11Katechismus der Katholischen Kirche, 2516. - 12 ebd., 2518. - 13 ebd., 2337. - 14 1 Thess 4,3-8. - 15 J. Pieper, Das Viergespann, München 1964, S.220. - 16 Mt 19,12. - 17 1 Petr 4,4. - 18 Johannes Paul II., Ansprache, 18.3.1981. - 19 Pfingstsequenz.
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