Susanne Wiesinger packt aus
"In unseren Schulen spielt Erdoğans Propaganda eine Rolle"

Susanne Wiesinger wurde nach der Verärgerung rund um ihr neues Buch vom Bildungsministerium freigestellt. | Foto: Nikolaus Ostermann
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  • Susanne Wiesinger wurde nach der Verärgerung rund um ihr neues Buch vom Bildungsministerium freigestellt.
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ÖSTERREICH. "Machtkampf im Ministerium. Wie Parteipolitik unsere Schulen zerstört" – so heißt das neue Buch von Lehrerin Susanne Wiesinger, die bis vor kurzem "Ombudsfrau für Wertefragen" im Bildungsministerium war und einen umstrittenen Tätigkeitsbericht verfasst hat, der seit Dienstag veröffentlicht wurde. Im Interview mit meinbezirk.at erzählt sie über ihre plötzliche Freistellung vom Ministerium, wo es in Österreichs Schulen hakt, und wann die Religionsfreiheit endet.

Ihr Dienstvertrag wäre bis Februar gegangen. Warum haben Sie ihr Buch nicht nach ihrer Zeit als Ombudsfrau veröffentlicht?
Susanne Wiesinger: Der Bericht (Anm. Tätigkeitsbericht) war fertig, er wurde im Dezember übergeben. Meine Vermutung war, dass das ewig hinausgezögert wird, bis dieser Bericht veröffentlich wird. Der zweite Grund: Neben dem Thema „Wertefragen und Kulturkonflikt an Brennpunktschulen“ ist mir wichtig gewesen, auch das zweite Thema öffentlich zu machen: die parteipolitische Einflussnahme in Schulen. Das wurde in den Gesprächen genau so oft behandelt. Ich habe das so entschieden, sonst hätte mich vielleicht der Mut verlassen.

In Ihrem neuen Buch schreiben Sie, Sie seien unter Druck gestanden. Das Misstrauen Ihnen gegenüber im Ministerium sei gewachsen. Wie hat sich das geäußert?
Ich habe mehrmals ans Aufgeben gedacht. Ständiges Nachfragen wo ich hingehe, mit wem ich spreche. Ich habe natürlich alle Termine im Kalender eingetragen. Das muss ja auch transparent sein, was ich auf Kosten des Steuerzahlers mache. Aber überall kontrollieren wollen, was ich wo sage – so hab ich mir die unabhängige Ombudsstelle nicht vorgestellt. Vor allem mit Medien, das war ganz heikel.

Sie schreiben weiter, dass Ihnen Antworten vorgegeben wurden. Von wem?
Das waren Personen vom Kabinett, der Pressestelle, des Ministeriums und auch mit der Frau Glück (ÖVP-nahe Beraterin, die Wiesinger vom Ministerium zur Seite gestellt worden war,  Anm.).

S. 37: "Manchmal hatte ich den Eindruck, am liebsten hätten sie eine Sprechpuppe ohne eigene Meinung. Ich sollte detailliert abgesprochene Antworten präsentieren, deren Inhalt ich zum Teil vollkommen anders sah. Was ich als inakzeptable Vereinnahmung und Instrumentalisierung empfand, stellten sie als professionelle Medienarbeit dar."

Frau Glück wurde Ihnen bei Ihrer Arbeit zur Seite gestellt. Haben Sie sich kontrolliert gefühlt?
Eigentlich nicht. Ich habe mich von Frau Glück nicht kontrolliert gefühlt, aber das war offensichtlich auch anders. Da war ich wahrscheinlich auch zu naiv und gutgläubig.

Sie überlegen auf Frau Glücks' Vorwurf, Sie seien ein „Maulwurf“, Klage einzureichen. Ist das noch aktuell?
Das wird in Erwägung gezogen. Es ist noch keine Klage eingereicht. Ich bin kein wehleidiger Mensch. Aber als "Maulwurf" kann ich mich nicht bezeichnen lassen. Jeder und auch Frau Glück wusste ganz genau, wie meine Einstellung zur Parteipolitik und zum Kabinett ist.

Wieviele Schulen haben Sie besucht und welche Unterschiede konnten Sie in den Bundesländern feststellen?
Ich habe circa 165 Termine gehabt – das ist auch alles im Tätigkeitsbericht festgehalten. Erreicht habe ich in diesem Jahr 1.100 Menschen in ganz Österreich. Im Ballungsraum waren die Probleme ähnlich. Es funktioniert in Schulen besser, wenn eine gewisse soziale Durchmischung und Mischung der Herkunft der Schüler gegeben ist. Wenn in Wiener Schulen überwiegend türkische, arabische, tschetschenische Kinder in den Schulen sind, häufen sich die Probleme.

Wo sind denn die "Brennpunktschulen", von denen Sie sprechen? 
Da gibt es schon eine Liste nach Sozialindex, die meisten NMS (Anm. Neue Mittelschulen) sind darunter. Und in Wien, auch viele Volksschulen im 10., 11., 20., 21. und 12. Bezirk. Wenn man durch die Stadt fährt, sieht man es. 

Im Buch schreiben Sie, dass man im ländlichen Raum Kinder mit Migrationshintergrund oft nicht in den Klassen haben wolle?
Ja, die berechtigte Frage war in Kleinstädten - auch in einer Stadt wie Innsbruck - von Schulleitern: Warum durchmischt man da nicht mehr, wo es möglich wäre? In Wien wird das natürlich schon schwierig. Aber in ländlicheren Gebieten wie z.B. Tirol und Vorarlberg ist es doch möglich, zu durchmischen. Ich habe die Vermutung, man will es sich halt nicht mit den Wählern verscherzen. Egal ob man jetzt rot, schwarz oder grün ist. 

Beim Thema Religion geht es im Buch oft um muslimische Kinder und den türkischen Kulturkreis. Warum genau diesen?
Ich würde mir dazu eine empirische Untersuchung wünschen. Warum gibt es Rückschritte bei der türkischen Community? Man hat natürlich seine Theorien: Einerseits ist das schon die Religion und andererseits der Nationalismus, der sehr stark ist. Also die Politik Erdoğans (Anm. türkischer Präsident) spielt eine Rolle. Einerseits ihre Vereine, in denen sie privat ständig unterwegs sind, oder in den Moscheegemeinden und natürlich auch im Fernsehen. Ich habe mir übersetzen lassen, was im türkischen Fernsehen läuft, was sie ja den ganzen Tag oft rennen haben. Das ist reinste Propaganda. Da weiß man, was das für einen Einfluss auf Kinder hat. 

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Sie haben während ihres Jahres als Ombudsfrau mit den Religionsgemeinschaften  gesprochen. Welchen Eindruck hatten Sie? 
Ich habe mit allen das Gespräch gesucht. Ich bin auch auf die islamische Glaubensgemeinschaft zugegangen und da hatten wir eigentlich ein sehr gutes Gespräch mit der Frau Baghajati. Es ist nicht nur immer kontrovers und Streitgespräch. Aber natürlich sind die Positionen unterschiedlich.

In Österreich gibt es Religionsfreiheit. Wo endet die für Sie?
Die Religionsfreiheit endet für mich bei jeder Religion da, wenn Kindern ihre freie Entscheidung genommen wird. Jeder kann sein Kind religiös erziehen, aber die Entscheidungsfreiheit sollte gegeben sein. Man darf Kinder nicht unter dem Vorwand der Religion einsperren. 

Sie erzählen in ihrem Buch davon, dass muslimische Kinder bei Wanderungen "Probleme mit dem Gipfelkreuz" hätten, Mädchen nicht Ski fahren, weil sie glauben, "ihr Jungfernhäutchen würde dabei reißen". Kam das häufig vor, oder waren es Einzelfälle?
Ja, das kam in vielen Gesprächen mit Lehrern. Auch von islamischen Religionslehrern und Lehrerinnen, die dieses Problem genau kennen, was ich sehr positiv fand. Ich glaube sie haben es verständlicher Weise auch sehr schwer innerhalb ihrer Community. Sie wissen, wie sehr Mädchen klein gehalten werden. Die Religionslehrer gehören gestärkt, die hier eine liberalere Richtung vorgeben. 

S: 143: "Wir brechen Wanderungen ab, weil muslimische Kinder Probleme mit dem Gipfelkreuz haben. Wir verzichten auf Sexualkundeunterricht, weil es sonst Tumulte im Klassenzimmer geben würde. Wir fahren nicht mehr Ski, weil die Mädchen glauben, ihr Jungfernhäutchen würde dabei reißen. Das ist irre. (...) In allen Bundesländern entscheiden Religion, Kultur und Migration darüber, ob ein normaler Unterricht möglich ist."

Sie erwähnen aber auch, dass die katholische Kirche beim Unterricht mitmischt. Wo war das der Fall?
Vor allem in den Bundesländern, die mischen mit beim Stundenplan Erstellen, sodass der Unterricht am Vormittag stattfindet. Das ist überall gleich. Aber in einem Bundesland, dass einen katholisch-geschichtlichen Hintergrund hat, wie Tirol und auch Vorarlberg, ist es so. 

Die Neue Mittelschule kommt ebenfalls nicht gut weg. Ist für Sie das Modell gescheitert?
Nicht überall. Im ländlichen Raum gehen ganz viele in die Neue Mittelschule, kein Problem. Im Ballungsraum ist es eine Restschule. Da muss man sich wirklich was einfallen lassen. Das heißt nicht, dass die Gesamtschule jetzt das Allheilmittel ist. Es geht auch darum, mehr von den Eltern einzufordern.

Sie schreiben im Buch von Sanktionen für Eltern, wie einer Kürzung der Familienbeihilfe. 
Auf alle Fälle in finanzieller Form. Da gehören aber auch die Schulleiter und Schulleiterinnen gestärkt. Man muss keine "dicken Eier" haben, wie der Herr Glattauer (Direktor und Buchautor, Anm.) immer betont, aber eines muss sein: Es müssen klare Richtlinien an den Schulen herrschen, klare Vereinbarungen. Die Schulleiter müssen bei Konsequenzen direkte Rückendeckung von ihrer Bildungsdirektion haben. Nicht, dass ihnen die dann noch in den Rücken fällt. 

Sie schreiben im Buch, die "parteipolitische Vereinnahmung ging zu keinem Zeitpunkt vom damaligen Minister Heinz Faßmann aus, sondern immer nur von Mitgliedern seines Kabinetts". Hätten Sie sich von ihm mehr Unterstützung erwartet?
Ich verstehe, dass er irritiert ist. Das ist sicher nicht angenehm für ihn. Ich setze immer noch Hoffnung in ihn. Er ist ein parteiunabhängiger Minister und so jemanden braucht das Schulsystem. 

Was sagen sie zu dem Vorwurf, die Aussagen in Ihrem Buch seien nicht mit Zahlen belegt?
Im Bericht gibt es Statistiken. Aber es war bitte keine empirische Studie. Es ist ein Tätigkeitsbericht über die Tätigkeit meiner Kollegin und mir. Wir waren ein Zwei-Frauen-Team. 

Sie wurden vom Bundesministerium freigestellt. Kam das überraschend für Sie? 
Dass ich so schnell freigestellt wurde, war eine Überraschung für mich. Ich wusste auch bis vor kurzem gar nicht und habe mehrmals nachgefragt, ob meine Tätigkeit wirklich nur bis Ende Februar laufe. Ich dachte eigentlich bis Ende des Schuljahres. 

Welche Maßnahmen braucht das Schulsystem als erste?
Die erste Maßnahme, die schnell geht und nichts kostet: Auf die Schulen hinhören. Und nicht gleich eine drüber geben, wenn man nicht auf der ideologischen Linie ist. Nicht gleich drohen, man kriegt keine Ressourcen. Einfach sachbezogen an die Probleme heran gehen. Natürlich soll der Dienstgeber Kontrolle haben. Aber bitte aufhören mit dem Drohen und Angst Erzeugen.

S. 25: "Eine sehr große Kluft herrscht zwischen dem Kabinett im Bildungsministerium und den Bildungsdirektionen der Länder, besonders wenn sie parteipolitisch unterschiedlich „gefärbt“ sind. Dieses zunehmend feindselige Konkurrenzverhältnis ist eine der Hauptursachen für das organisatorische und inhaltliche Chaos an unseren Schulen."

Werden Sie weiterhin als Lehrerin arbeiten?
Davon gehe ich aus. Denn als Lehrerin habe ich meinen Schülern immer vermittelt: Ja, du darfst Kritik äußern. In dem System wird so oft der Mund gehalten. Das ist eine Diskrepanz zu der Rolle, die Pädagogen haben. Sie erziehen Kinder und dann äußern sie selber nicht Kritik, das passt für mich nicht zusammen.

Bildungsminister Faßmann weist Vorwürfe zurück
Schulbuch der Ombudsfrau liefert Zündstoff
Susanne Wiesinger wurde nach der Verärgerung rund um ihr neues Buch vom Bildungsministerium freigestellt. | Foto: Nikolaus Ostermann
In "Machtkampf im Ministerium" zieht Susanne Wiesinger eine ernüchternde Bilanz über das Bildungsministerium und die Situation an Österreichs Schulen. | Foto: RMA

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