Athanasius Thaddäus

Kriegsgefangene und "Displaced Persons"

Während die deutsche Kapitulation die Anzahl deutscher Kriegsgefangener schlagartig ansteigen ließ, befreite sie im Gegenzug die alliierten Soldaten in deutscher Gefangenschaft. Vor allem den gefangenen Sowjetsoldaten brachte dies aber keine wirkliche Freiheit, weil Stalin in Jalta die Alliierten auf die Heimführung (Repatriierung) sowjetischer Staatsbürger verpflichtet hatte. Die meisten hatten das Kriegsende allerdings gar nicht erlebt. Von den Deutschen als slawische "Untermenschen" betrachtet, waren sie ermordet worden, verhungert oder an den unmenschlichen Bedingungen in den Lagern zugrunde gegangen – mithin das größte deutsche Verbrechen des Krieges nach dem Mord an den Juden. Von insgesamt fünf Millionen konnten deshalb nur noch 1,8 Millionen auf Rückführung in die Heimat hoffen. Ein Großteil von ihnen wehrte sich verzweifelt dagegen, nicht wenige begingen Selbstmord. Trotz wachsender Skrupel sahen sich die Westalliierten durch das Jalta- Abkommen dazu gezwungen, die Rückführung aus ihrem Machtbereich auch gewaltsam durchzusetzen. Für die ehemaligen Kriegsgefangenen begann nun in der Heimat ein neues Martyrium. Weil sie nicht Stalins Heldenbild entsprachen, vielmehr als "Vaterlandsverräter" und "Kollaborateure" galten, wurden Tausende hingerichtet. Ein großer Teil verschwand für lange Zeit in Arbeitslagern. Glücklich konnte sich schätzen, wer lediglich Misstrauen und Benachteiligung durch Staat und Gesellschaft erfuhr.
Noch verzweifelter sahen bei Kriegsende die wirklichen Kollaborateure im zivilen und militärischen Bereich ihrem Schicksal entgegen. Etwa eine Million Sowjetbürger hatten in Wehrmacht, SS und deutscher Polizei entweder als einzelne "Hilfswillige" oder in Freiwilligen-Formationen gedient, viele aus Antikommunismus, teilweise aus Antisemitismus, andere einfach nur um zu überleben. Die größte Gruppe umfasste zuletzt 125.000 Soldaten in der "Russischen Befreiungsarmee" unter ihrem Oberbefehlshaber Andrej Wlassow, einem früheren Sowjet-General. Soweit sie nicht bereits der Roten Armee in die Hände gefallen waren, wurden die meisten Kollaborateure bei Kriegsende an die Sowjetunion ausgeliefert, wo sie das Schlimmste erwartete: das Führungspersonal – so auch Wlassow und seine Kommandeure – meist ein kurzer Prozess und die Hinrichtung, alle anderen lange Haft im Arbeitslager. Unter besonders dramatischen Umständen gingen die Kosaken-Verbände der Wehrmacht zugrunde, die am schmutzigen Partisanenkrieg in Jugoslawien beteiligt gewesen waren. Bei Kriegsende wichen sie mit ihrem großen zivil-familiären Anhang, insgesamt etwa 35.000 Menschen, nach Osttirol und Kärnten zurück. Die britische Armee dort wog sie zunächst in Sicherheit, lieferte sie dann aber Ende Mai/Anfang Juni 1945 rücksichtslos der sowjetischen Seite aus. Ihr absehbares Schicksal vor Augen, begingen Hunderte Kosaken an Ort und Stelle Selbstmord.
Die sowjetischen Kriegsgefangenen wie auch die ehemaligen "fremdvölkischen" Angehörigen von Wehrmacht und SS waren aber nur Teil einer noch größeren Gruppe von Menschen, welche die westlichen Siegermächte als Displaced Persons (DPs) bezeichneten. Zu diesen rechneten sie alle Zivilpersonen, die sich infolge des Krieges nun außerhalb ihrer Heimatländer befanden und ohne Hilfe nicht mehr dorthin zurückkehren konnten.

Insgesamt handelte es sich um etwa 11 Millionen Menschen, hauptsächlich ehemalige Zwangsarbeiter aus fast allen Teilen Europas, daneben auch freiwillige zivile Arbeitskräfte, KZ-Häftlinge und die Kriegsgefangenen. Hinzu kam schließlich jenes große Heer von ausländischen deutschen Hilfstruppen und von Soldaten ehemals verbündeter Streitkräfte, die es zuletzt auf das Reichsgebiet verschlagen hatte. Zwei Drittel von ihnen befanden sich auf dem Gebiet der westlichen Besatzungszonen Deutschlands, wo sie im Unterschied zur Sowjetzone als DPs anerkannt waren. Besonders hilfebedürftig waren die jüdischen Überlebenden des Holocaust, allein in den Westzonen etwa 50-75.000 Menschen.

Die DPs stellten für die Besatzungsmächte nicht nur ein erhebliches logistisches, sondern auch ein Problem für die innere Sicherheit in Deutschland dar. Neben der Versorgung und Repatriierung der DPs ging es daher immer auch um ihre Kontrolle. Zu diesem Zweck richteten die westlichen Siegermächte mehrere hundert Lager für DPs ein, die sie mit Unterstützung der UNRRA (United Nations Relief and Rehabilitation Administration) betrieben. Bis Ende 1945 waren die meisten DPs repatriiert, vorrangig und zwangsweise die Sowjetbürger als mit Abstand stärkste Nationalität. Dagegen kam die Heimführung der polnischen DPs – mit über 900.000 Menschen nach den Franzosen die drittstärkste Gruppe – Ende 1946 zum Erliegen, nachdem bis dahin knapp die Hälfte repatriiert worden war – aus der SBZ zwangsweise. Die kommunistische Machtübernahme in Polen machte die Heimkehr für die allermeisten nun nicht mehr erstrebenswert. Sie wurden stattdessen im westlichen Ausland oder gar in Westdeutschland sesshaft, wo bei Gründung der Bundesrepublik noch über 100.000 lebten und bald einen Rechtsstatus als "heimatlose Ausländer" erhielten.

Das Vermächtnis des Zweiten Weltkrieges: Vereinte Nationen und europäische Einigung.

Das menschliche Leid, dass sie mit der Zwangsrepatriierung sowjetischer Staatsbürger erlebten, ließ die amerikanischen und britischen Verantwortlichen in Deutschland nicht gleichgültig. In der Praxis wurden deshalb die Verpflichtungen gegenüber der Sowjetunion aus dem Jalta-Abkommen immer stärker unterlaufen. Zu spät für die allermeisten Betroffenen reagierte man auch auf höchster politischer Ebene: Am 12. Februar 1946 verabschiedete die Vollversammlung der Vereinten Nationen eine Empfehlung, wonach Flüchtlinge und Displaced Persons künftig nicht mehr gegen ihren Willen in ihr Heimatland zurückgebracht werden sollten.

Mit den Vereinten Nationen wird ein positives Vermächtnis des Zweiten Weltkrieges sichtbar: das Bemühen der Staatengemeinschaft um eine globale Sicherheitsarchitektur. Ein erster Versuch in Gestalt des Völkerbundes war nach dem Ersten Weltkrieg gescheitert. Ein neuer Anlauf während des Zweiten Weltkrieges führte schließlich zum Erfolg. Sein Ursprung lag in der 1941 von Roosevelt und Churchill vereinbarten Atlantik-Charta und ihren Prinzipien für eine bessere, friedliche Weltordnung. Auf dieser Grundlage entwickelte sich aus dem Kriegsbündnis der "Vereinten Nationen" gegen Hitler und die Achsenmächte eine globale Organisation zur Sicherung des Weltfriedens, zur Einhaltung des Völkerrechts und zum Schutz der Menschenrechte. Konkret verständigten sich die alliierten Großmächte Anfang 1945 in Jalta auf die Gründung der Organisation der Vereinten Nationen (United Nations Organization; UNO), die schließlich auf der Konferenz von San Francisco besiegelt wurde. Ende Juni 1945 unterzeichneten dort die Vertreter von 51 Staaten, die auf alliierter Seite kämpften, die Externer Link: Charta der Vereinten Nationen. Das Ende des Zweiten Weltkrieges bald danach ließ die neue Organisation nicht überflüssig werden – im Gegenteil. Die Entzweiung der ehemaligen Anti-Hitler-Koalition, die Konfrontation beider Lager im ausbrechenden Kalten Krieg, aber auch der vom Weltkrieg angestoßene Prozess der Auflösung der Kolonialreiche machten deutlich, dass die Welt nicht friedlicher geworden war. Die Vereinten Nationen bewiesen ihre Notwendigkeit nun unter neuen Vorzeichen.

Ein noch stärkerer politischer Wille zu internationaler Sicherheit und friedlichem Zusammenleben entstand in Europa, wo beide Weltkriege ihren Ausgang genommen und gewütet hatten. Alte paneuropäische Bestrebungen, die nach dem Ersten Weltkrieg aufgekommen, aber unter den politischen Bedingungen der 1920er-Jahre gescheitert waren, lebten nun wieder auf. Als Alternative zum System europäischer Nationalstaaten, von dem in der Vergangenheit so viel Unfrieden ausgegangen war, erhielt die Vision von einem vereinten, föderalen Europa neuen Auftrieb. Für diese Idee trat nicht zuletzt Winston Churchill ein, der 1946 öffentlich von den "United States of Europe" nach amerikanischem Vorbild sprach.

Die auch auf seine Initiative zurückgehende "Europäische Bewegung" verhalf der Idee bald zum politischen Durchbruch. Mit der Gründung des Europarates legten schließlich 1949 zehn westeuropäische Staaten das Fundament für die politische Einigung des Kontinents. Zwei Jahre später trat die junge Bundesrepublik Deutschland dem Europarat bei. Der seitdem fortschreitende Prozess der europäischen Integration war lange auf das freie und demokratische Westeuropa begrenzt, bis er sich nach dem Ende des Kalten Krieges ab 1989/90 auch für die Staaten in Osteuropa öffnete. Er blieb dabei dem ursprünglichen Grundgedanken einer Werte- und Sicherheitsgemeinschaft verpflichtet. Somit kann sich, ähnlich wie die UNO, auch die Europäische Union von heute als ein Kind des Zweiten Weltkrieges betrachten.
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