Erscheinung des Herrn (Epiphanie)

Jes 60,1-6; Ps 72,1-2.7-8.10-13; Eph 3,2-3a.5-6; Mt 2,1-12

Jes 60
1 Steh auf, werde licht, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des HERRN geht strahlend auf über dir. 
2 Denn siehe, Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker, doch über dir geht strahlend der HERR auf, seine Herrlichkeit erscheint über dir. 
3 Nationen wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz. 
4 Erhebe deine Augen ringsum und sieh: Sie alle versammeln sich, kommen zu dir. Deine Söhne kommen von fern, deine Töchter werden auf der Hüfte sicher getragen. 
5 Da wirst du schauen und strahlen, dein Herz wird erbeben und sich weiten. Denn die Fülle des Meeres wendet sich dir zu, der Reichtum der Nationen kommt zu dir. 
6 Eine Menge von Kamelen bedeckt dich, Hengste aus Midian und Efa. Aus Saba kommen sie alle, Gold und Weihrauch bringen sie und verkünden die Ruhmestaten des HERRN.

Wir lesen in der heutigen Lesung aus dem Alten Testament einen Ausschnitt aus Jesaja, der an Zion gerichtet ist. Der historische Kontext dieser Worte ist zunächst die Ankündigung der Sammlung der Kinder Israels aus der Zerstreuung, d.h. die Rückkehr der Israeliten aus dem Exil. Die Nichtjuden werden diese Rettungsaktion Gottes anerkennen, was schon beim Auszug aus Ägypten vorgekommen ist. Insbesondere Juda, der Stamm der Herrschaft, wird zu seiner alten Größe zurückkehren, was die Andeutung von Personen aus Saba ausdrückt. Unter König Salomo kam nämlich die Königin von Saba und besah sich dessen Reichtum und Weisheit. Sie verlieh ihm für all das Anerkennung und lobte seine Herrschaft.
Jesaja ist eine Prophetie und kein Geschichtsbuch. Deshalb hat dieser Ausschnitt nicht einfach nur rein historische Bedeutung, sondern ist überzeitlich zu sehen. Was wir hier lesen, ist eine Prophezeiung auch für die weitere Zukunft: Juda soll licht werden, da sein Licht kommt. Dieses Licht ist Jesus, das Wort Gottes. Mit diesem Licht, wohnt Gottes Herrlichkeit wieder in Juda und das meint nicht nur den Tempel, in dem Gottes Herrlichkeit wohnte. Gottes Gegenwart kommt mit Jesu Geburt in Juda hinein! Gottes Herrlichkeit erscheint wahrhaft. Das führt uns näher zum heutigen Fest „Erscheinung des Herrn“.
„Finsternis bedeckt die Erde“, weil die Zeit, in der Gott sich ausgesucht hat, unter den Menschen zu wohnen, besonders sündhaft und kriegerisch ist. Das ist eine moralische Leserichtung. Während die Völker um Israel herum aber keine Hoffnungsperspektive haben, geht das Licht in Juda auf, der Hoffnungsfunke. Wir lesen dies auch heilsgeschichtlich-eschatologisch: Während die Aussicht auf das Paradies durch den Sündenfall des ersten Menschenpaares und von da an für alle nachkommenden Menschen verloren worden ist, erscheint hier die Hoffnung, endlich wieder ins Paradies eingehen zu können!
Besonders deutlich messianisch-christologisch erfüllt sich die Aussage in Vers 3: Nationen wandern zum Licht. Das Wort für Nationen ist גֹויִ֖ם  gojim, das immer die heidnischen Völker meint. Nichtjuden werden zum Licht kommen. Es ist bemerkenswert, wie die Lichtmetapher sich zur Zeit der Geburt Jesu in einem aufgehenden Stern erfüllen wird. Jesus selbst ist nicht dieser aufgehende Stern oder nur im übertragenen Sinne, denn der Stern deutet auf ihn hin (einige Kirchenväter identifizieren den Stern mit dem Sohn Gottes selbst, der die Sterndeuter zu sich führt, so z.B. der Hl. Ambrosius). Es ist, als wollte Gott mit dem Stern eine weitere Lektion seiner überragenden Pädagogik erteilen: Durch den Stern haben nicht nur die Weisen aus dem Morgenland, sondern vor allem zuerst die Eltern Jesu verstanden, dass Jesus das Licht ist, das die Menschen führt, ihnen Orientierung gibt und vor allem Hoffnung gibt. Und zu dieser Hoffnung sind wir berufen durch die Taufe! Maria bewahrt alles in ihrem Herzen auf, was passiert. Sie wird all diese Lektionen Gottes wie eine Musterschülerin in sich aufgesogen haben wie ein Schwamm, begierig, Gottes Vorsehung immer mehr zu verstehen.
In der Verheißung hier in Jesaja ist die Rede von Königen, die kommen. Dies wird in die Tradition hineingespielt haben, dass die Magoi, wie die Sterndeuter dann in Mt 2 bezeichnet werden, als Könige verstanden worden sind. Dies hat sich vor allem dadurch entwickelt, dass man die Psalmworte und weiteren alttestamentlichen Andeutungen auf diese Magoi bezogen hat, die von Königen sprechen (z.B. Ps 72 „die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Geschenke…“). Tertullian hat dies dann so erklärt, dass die persischen Sterndeuter wie Könige aufgetreten seien. Magoi waren zoroastrische Priester, die sich mit Astrologie und Philosophie beschäftigt haben. Vielleicht sind sie sogar in königlichem Auftrag gekommen. Es ist bekannt, dass Magoi auch am königlichen Hof gedient haben.
„Sie alle versammeln sich“ und „deine Söhne/deine Töchter“ erinnert zunächst an die eigenen israelitischen „Kinder“, die sich wieder sammeln. Doch in diesem Kontext ist auch die Interpretation möglich, die sich dann in Offb 15 erfüllen wird – die Völkerwallfahrt zum Zion gerade durch die Heiden! Der Zion wird eine zentrale Rolle in der Heilsgeschichte spielen. Das ist auf vielerlei Weise zu verstehen: Einerseits wird sich das erfüllen, wenn die Magoi aus dem Osten zum Kind in die Grotte von Betlehem kommen, um es anzubeten. Hier ist es dann zwar das Bergland von Judäa, aber eben nicht der Zion. Andererseits wird es die vielen Nationen meinen, die zum Zion pilgern, nämlich nach Jerusalem zum Passahfest, während Jesus gekreuzigt wird. Es wird auch die Pilgerströme meinen, die zum Pfingsttag in Jerusalem anwesend sein werden! Damit haben wir einen Übergang zum Zion als Kirche! Alle Völker werden kommen und Jesus annehmen, indem sie sich in Massen taufen lassen! Gott hat sich bei all den Ereignissen immer den ganz besonderen Zeitpunkt erwählt. Er hat immer dafür gesorgt, dass gerade viele verschiedene Nationen in die Hl. Stadt kommen, wenn heilsgeschichtliche Knotenpunkte gesetzt werden. Und eines Tages, am Ende der Zeiten, werden all die Menschen, die ihn angenommen haben, zum himmlischen Jerusalem pilgern, aus allen Himmelsrichtungen. Sie werden kommen, um Gott nicht mehr im Tempel, nicht mehr in der Eucharistie, sondern Gott ganz unverhüllt zu schauen, wie er ist.
Zum Schluss der Lesung lesen wir mehrere Indizien, die uns zurück zum heutigen Festtag führen, zu den Sterndeutern aus dem Osten: Kamele und Hengste lassen auf die Karawane schließen, die die Sterndeuter mit ihrem Gefolge gebildet haben. Selbst die Geschenke werden hier genannt, wenn auch die Myrrhe an dieser Stelle fehlt: Gold und Weihrauch.

Ps 72
1 Für Salomo. Verleih dein Richteramt, o Gott, dem König, dem Königssohn gib dein gerechtes Walten. 
2 Er regiere dein Volk in Gerechtigkeit und deine Elenden durch rechtes Urteil. 
7 In seinen Tagen sprosse der Gerechte und Fülle des Friedens, bis der Mond nicht mehr da ist. 
8 Er herrsche von Meer zu Meer, vom Strom bis an die Enden der Erde.
10 Die Könige von Tarschisch und von den Inseln bringen Gaben, mit Tribut nahen die Könige von Scheba und Saba. 
11 Alle Könige werfen sich vor ihm nieder, es dienen ihm alle Völker. 
12 Ja, er befreie den Armen, der um Hilfe schreit, den Elenden und den, der keinen Helfer hat. 
13 Er habe Mitleid mit dem Geringen und Armen, er rette das Leben der Armen
.

Dieser Psalm ist uns schon im Advent begegnet. Er ist ein Bittpsalm Davids für seinen Königssohn Salomo. Gott wird um die Gabe gerechten Richtens gebeten (Vers 1). David bittet auch um die Gabe gerechten Herrschens für Salomo. Es geht aber über seinen Sohn hinaus, wenn wir lesen, dass die Herrschaft von „Meer zu Meer“ und „an die Enden der Erde“ gehen soll. Dies ist für einen israelitischen Herrscher natürlich unrealistisch. Man könnte solche Wendungen hier als rhetorisches Stilmittel erklären, was auch nicht falsch ist. Dennoch lesen wir über den Text hinaus: Hier wird ein übermenschlicher Herrscher erbeten. König David wird sich dessen noch nicht bewusst gewesen sein, was der Hl. Geist ihm im Gebet eingegeben hat, aber hier wird um Jesus Christus gebeten: Nur er kann wirklich „Fülle des Friedens“ bringen, „bis der Mond nicht mehr da ist“. Das kann ein gewöhnlicher Mensch nicht vollbringen. Er ist wahrlich der Befreier der Armen – und nicht nur materiell, sondern umfassend. Er wird die Randständigen wieder in die Mitte der Gesellschaft setzen wie die blutflüssige Frau oder die Aussätzigen und die Besessenen, die nicht mehr in der Stadt leben durften. Er wird aber vor allem uns alle, die wir durch die Sünde arm sind, befreien von der Knechtschaft der Erbsünde, die uns das Paradies verschlossen hat. Was in den Versen 10 und 11 beschrieben wird, hat sich teilweise bei Salomo erfüllt. Wie oben erwähnt kam die Königin von Saba und bewunderte den Reichtum und die Herrlichkeit des salomonischen Reiches. Sie kam auch mit Gaben. Aber es hat sich mit Salomo nicht erfüllt, dass alle Könige sich ihm unterstellt haben. Das steht auch noch aus, wie wir an der hebräischen Verbform וְיִשְׁתַּחֲווּ w’jischtachavu erkennen. Sie „werden niederfallen“ – und zwar vor dem kleinen Jesuskind in der Grotte von Betlehem, vor dem Kreuz (der heidnische Hauptmann, der Jesu Gottessohnschaft erkennt), vor dem Leib Christi in der Eucharistie (wir sind aus allen Völkern, Sprachen, Nationen). Die Sterndeuter repräsentieren alle Herrscher dieser Welt sowie die Völker, von denen hier die Rede ist (übrigens wiederum ausgedrückt durch das hebräische Wort gojjim).

Eph 3
2 Ihr habt doch gehört, welches Amt die Gnade Gottes mir für euch verliehen hat. 
3 Durch eine Offenbarung wurde mir das Geheimnis kundgetan
5 Den Menschen früherer Generationen wurde es nicht kundgetan, jetzt aber ist es seinen heiligen Aposteln und Propheten durch den Geist offenbart worden: 
6 dass nämlich die Heiden Miterben sind, zu demselben Leib gehören und mit teilhaben an der Verheißung in Christus Jesus durch das Evangelium.

Heute erklärt Paulus die Bedeutung der Heiden im Heilsplan Gottes. Die nichtjüdischen Völker, die kommen, um den Herrn anzubeten, sind genauso Volk Gottes wie die Auserwählten im Alten Bund. „Den Menschen früherer Generationen“ betrifft die Israeliten des Alten Israel, aus denen vereinzelte Personen zu Propheten berufen worden sind. Diese haben den Heilsratschluss Gottes den Juden immer wieder vermittelt. Gott ist ein guter Pädagoge, der seinen Schülern immer nur so viel zumutet, wie sie es in der gegebenen Zeit verstehen können. Früher ist es ihnen also noch nicht erklärt worden, dass es einen Neuen Bund geben würde, in dem alle Menschen mit Gott einen Bund schließen würden. Paulus mag hier recht haben – explizit ist das so noch nicht gesagt worden. Zugleich lesen wir im AT immer wieder Wendungen und Prophezeiungen, die implizit eine Integrierung der Heiden in den Heilsplan Gottes schon erahnen lassen. Dies wird aber erst später durch die Apostel und Propheten des NT erkannt, wenn sie mit christologischen Augen das AT lesen werden. Dies drückt Paulus hier aus, wenn er sagt, dass es ihnen „jetzt“ durch den Geist geoffenbart worden sei.
Die Heiden sind „Miterben“ συγκληρονόμος  syngkleronomos. Sie erben gleichermaßen das Reich Gottes, den Himmel, wie die Juden des Alten Bundes. Dieses verheißene eschatologische Land, das himmlische Jerusalem, birgt Raum für alle Menschen.
Juden und Heiden bilden gleichermaßen den Leib. Das ist auch schon ekklesiologisch zu verstehen: Sowohl Juden- als auch Heidenchristen bilden die Kirche in den ersten Jahrhunderten. Judenchristen sterben mit der Zeit aus, sodass die Heidenchristen übrig bleiben. Aber heutzutage gibt es wiederum messianische Juden, also solche, die Jesus als Messias anerkennen. Man könnte sie als Neo-Judenchristen bezeichnen, wobei es eine lange Zeit gab, in der Judenchristen nicht existiert haben. Es gibt keine Kontinuität der heutigen messianischen Juden bis zurück in die Anfänge der Kirche.
Entscheidend ist nicht mehr, ob man beschnitten ist oder sich vom Heidentum aus direkt taufen lässt. Entscheidend ist, dass man das Evangelium Jesu Christi annimmt, egal mit welcher Identität. Das ist eine wichtige Grundaussage, die uns wieder zum heutigen Fest führt. Die Magoi waren Priester des Zoroastrismus, einer persischen Religion. Und doch erwarteten sie den Messias, was sie von den Juden während des babylonischen Exils gelernt haben. Sie haben Gottes Führung gehorsam angenommen und kamen, um ihn anzubeten. Das hat sie vor Gott gerecht gemacht – so gerecht, dass wir sie heute als Heilige verehren!

Mt 2
1 Als Jesus zur Zeit des Königs Herodes in Betlehem in Judäa geboren worden war, siehe, da kamen Sterndeuter aus dem Osten nach Jerusalem 
2 und fragten: Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern aufgehen sehen und sind gekommen, um ihm zu huldigen. 
3 Als König Herodes das hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem. 
4 Er ließ alle Hohepriester und Schriftgelehrten des Volkes zusammenkommen und erkundigte sich bei ihnen, wo der Christus geboren werden solle. 
5 Sie antworteten ihm: in Betlehem in Judäa; denn so steht es geschrieben bei dem Propheten: 
6 Du, Betlehem im Gebiet von Juda, bist keineswegs die unbedeutendste unter den führenden Städten von Juda; denn aus dir wird ein Fürst hervorgehen, der Hirt meines Volkes Israel. 
7 Danach rief Herodes die Sterndeuter heimlich zu sich und ließ sich von ihnen genau sagen, wann der Stern erschienen war. 
8 Dann schickte er sie nach Betlehem und sagte: Geht und forscht sorgfältig nach dem Kind; und wenn ihr es gefunden habt, berichtet mir, damit auch ich hingehe und ihm huldige! 
9 Nach diesen Worten des Königs machten sie sich auf den Weg. Und siehe, der Stern, den sie hatten aufgehen sehen, zog vor ihnen her bis zu dem Ort, wo das Kind war; dort blieb er stehen. 
10 Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt. 
11 Sie gingen in das Haus und sahen das Kind und Maria, seine Mutter; da fielen sie nieder und huldigten ihm. Dann holten sie ihre Schätze hervor und brachten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe als Gaben dar. 
12 Weil ihnen aber im Traum geboten wurde, nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie auf einem anderen Weg heim in ihr Land.

Nun denken wir über das Evangelium nach, auf das die bisher besprochenen Texte hinauslaufen: König Herodes bekommt den Schreck seines Lebens. Er war ein sehr paranoider Mensch, der zum Ende seines Lebens immer mehr unter Verfolgungswahn litt. Er verdächtigte alles und jeden und hatte Angst, umgebracht oder gestürzt zu werden. Und nun kommen diese prunkvollen Gelehrten aus dem Osten und reden von einem König der Juden. Er sah seine ganze königliche Existenz gefährdet. Mit den Hohepriestern und Schriftgelehrten wird er in den Hl. Schriften geforscht haben, um welchen König es sich handeln könnte. Würde man dort nämlich etwas lesen, wäre es aus mit ihm. Die Hl. Schrift stellt die höchste Autorität dar. Und es bestätigt sich, wovor er sich am meisten fürchtet: Es geht um den Messias, der in Betlehem erwartet wird. Sein Kommen wird in Micha 5 angekündigt, was hier auch zitiert wird.
Herodes zieht aus dieser Sache den falschen Schluss: Er will den Messias beseitigen, um seine eigene Herrschaft zu retten. Dies zeigt uns, dass er die Herrschaft des Messias als eine politische/irdische verstanden hat. Deshalb hat er eine Rivalität befürchtet. Judäa, in dem Betlehem sich befindet, gehört nämlich zu seinem Herrschaftsbereich. Er als Hasmonäer wird zudem genau gewusst haben, dass seine Herrschaft eigentlich unberechtigt ist. Er war Idumäer, also ein zum Judentum Konvertierter, aber aus keinem der Stämme Israels. Wenn nun also ein König aus dem Stamm Juda geboren worden ist, ist dieser der wahre Herrscher im Gegensatz zu ihm. Die Juden würden diesen Herodes gegenüber bevorzugen.
Sein Plan ist, die aus der Ferne angereisten Magoi zu instrumentalisieren. Er will sich ihr astrologisches Wissen zu eigen machen und sie vorschicken. Er verrät ihnen seine wahren Absichten natürlich nicht, sondern erklärt als Vorwand, dass er selbst gehen und den Messias anbeten wolle. Sie werden dies vielleicht geglaubt haben, da dieser König ja in den jüdischen Schriften lange Zeit erwartet worden war.
Der Stern, dem sie folgten, bewegte sich natürlich nicht. Sterne stehen fest, aber die Erde bewegt sich. Auf diese Weise wird die Position des Sterns sich mit den Tagen und Wochen in eine bestimmte Richtung verschoben haben. Womöglich stand der Stern erst über Jerusalem, weshalb die Sterndeuter zuerst dort vorstellig geworden sind. Die Bewegung ging aber weiter, sodass sie weiter Richtung Betlehem geführt worden sind.
Dort finden sie nun das Kind und seine Mutter. Josef wird nicht erwähnt. Die Sterndeuter beten das Kind an (προσεκύνησαν  prosekynesan), was auch durch die Geste des Niederfallens verdeutlicht wird (πεσόντες  pesontes „sie fielen nieder“). Diese Geste ist im orientalischen Kontext nicht nur eine Anbetungsgeste gegenüber Gott, sondern auch die Huldigungsgeste gegenüber einem König. Sie erkennen somit Jesus als König an. Dass er aber eine größere Bedeutung als ein König hat, erkennen wir an den Geschenken der Drei: Das Gold ist königliches Zeichen. Dem König gebührt das kostbarste Material, das die antike Welt kannte – Gold. Diese erste Goldgabe wird sich in der Endzeit erfüllen. Wir lesen in der Offb, dass Gold in den Visionen des Johannes ein Material des Himmels ist. Alle, die zum Himmel gehören, tragen diese Farbe auf eine Weise – so z.B. die Sieger, die mit Goldkränzen ausgestattet werden, ebenso die 24 Ältesten.
Der Weihrauch ist ein kultisches Element. Er verweist schon am Anfang des Lebens Jesu, dass er Hohepriester ist. Er wird das größte Opfer aller Zeiten bringen, das die bisherige jüdische Opferpraxis beenden wird – die Darbringung des eigenen Lebens am Kreuz für alle Menschen. Auch diese Identität Christi wird der Visionär Johannes in der Offb sehen, wenn er den Menschensohn in priesterlicher Kleidung erblicken wird (langes weißes Gewand bis zu den Füßen, goldener Brustgürtel).
Neben der königlichen und priesterlichen Identität Christi kommt mit der Gabe der Myrrhe eine zweidimensionale Identität hinzu: Jesus als Heiland und als Auferstandener von den Toten. Myrrhe war in der Antike eine Medizin, die uns am Ende des Lebens Jesu noch einmal begegnen wird – sie wird als Betäubungsmittel vermischt mit Wein Jesus am Kreuz angeboten, doch dieser lehnt es ab. Er leidet ganz, ohne ein bisschen Linderung zu beanspruchen. Die Myrrhe, die dem Kind hier dargebracht wird, kündigt an, dass Jesus viele Menschen heilen wird – seelisch durch die Exorzismen und Sündenvergebungen, körperlich und psychisch durch die teilweise spektakulären Heilungen. Jesus wird ganz so heilen, wie es die Propheten des AT verheißen haben – er wird die vielen messianischen Heilstaten vollziehen. Die Myrrhe hat noch einen anderen Zweck in der Antike: Sie ist zur Einbalsamierung von Leichnamen verwendet worden. In dieser Grotte von Betlehem erhaschen wir auch durch dieses kleine Indiz einen Blick auf den Tod Christi. Jesus ist geboren, um zu sterben. Er wird mit Myrrhe einbalsamiert werden.
Die Sterndeuter erhalten im Traum die Warnung, nicht zu Herodes zurückzukehren. Sie umgehen Jerusalem und ziehen heim in ihr Land. Jesus wird so vor der Intrige des paranoiden Herrschers bewahrt. Der Hl. Geist wirkte in den Heiden, indem er ihnen im Traum Anweisungen gab. Das ist zugleich tröstlich und unerhört für jüdische Ohren! Wir befinden uns hier im Matthäusevangelium, das vor allem jüdische Aspekte berücksichtigt. Umso erstaunlicher sind diese kleinen aber wichtigen Details. Mit den Sterndeutern aus dem Osten erfüllen sich die Verheißungen von Jesaja 60, Ps 72 und die Erklärung des Paulus: Die Heiden sind Miterben im Reich Gottes. Diese Heiden aus den Osten beten Jesus an und werden so zum Archetypen aller Völker, Stämme, Sprachen und Nationen, die am Ende der Zeiten zum Zion kommen werden (Offb 15). In der Grotte von Betlehem erleben wir heute also einen Moment des Himmels und den Beginn der messianischen Heilszeit.

Ihre Magstrauss

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