Sonia Chrisye
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Dschihadisten: Der große Bluff der Terrorbande Islamischer Staat

Politik

Dschihadisten

30.09.15

Der große Bluff der Terrorbande Islamischer Staat

Russlands Eingreifen in Syrien lenkt den Fokus auf den IS. Eine Terrorbande, die sich perfekt inszeniert. Seinen Erfolg zieht der IS aber auch aus einem Versprechen, das für viele magisch wirkt.

Von Alfred Hackensberger Korrespondent

Kampf gegen den IS - oder Schützenhilfe für Assad? Die Meinungen, warum Russland Ziele in Syrien angreift, gehen völlig auseinander. Bei den aktuellen Angriffen schien es jedenfalls nicht gegen den IS zu gehen. Quelle: Die Welt

Alleine der Anblick löst himmlische Gefühle aus. Wer den Gold-Dinar dann auch noch in der Hand halten darf, den überwältigt ein Rausch der Glückseligkeit – fast so, als hätte er gerade Bekanntschaft mit den 72 Jungfrauen gemacht, die eigentlich Märtyrern im Paradies vorbehalten sind. Das jedenfalls wollen eine Reihe von neuen Propagandavideos der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS) suggerieren. Ihre Werbekampagne für den Gold-Dinar läuft auf Hochtouren.

Schon bald, so heißt es, werde die neue Währung in Umlauf kommen und den "korrupten internationalen Finanzmarkt" auf den Kopf stellen. Aber nicht nur das: Der Dinar werde der Menschheit ewige Gerechtigkeit bescheren. Denn er sei das Zahlungsmittel aus der Zeit des Propheten Mohammed und damals, vor 1400 Jahren, so argumentieren die Salafisten, habe es die perfekte Gesellschaft gegeben. Mit der "Erlaubnis Gottes" werde sich das nun wiederholen.

Es ist nur das jüngste von vielen Märchen, die die Terrorgruppe schon aufgetischt hat. Trotzdem: Auch diesmal scheint ihr Bluff aufzugehen. Experten und Politiker haben bereits konstatiert, dass der Gold-Dinar ein weiterer Schritt zu einem echten Staatswesen sei. Kaum wirft die Terrorgruppe die Angel aus, schon schluckt der Fisch den Köder. Warum wird dem IS so viel Ernst unterstellt und dann ausgerechnet noch der, den die Terrorgruppe vorausgeplant hat? Sollte man es nicht besser wissen? Mit dem "Islamisch" in ihrem Namen hat die Terrorgruppe nichts zu tun. Ebenso wenig, wie mit dem Zusatz "Staat". Vielmehr geht es um eine künstliche Identität, die sich die Extremisten geschaffen und mit klassischen Zutaten einer Gegenkultur versetzt haben. Die Wirklichkeit dient dem IS dazu, dieses Kunstprodukt zu füttern und so monströs, wie nur irgend möglich zu machen.

Jung, dynamisch, romantisch und brutal

Die Terrororganisation, wie wir sie heute kennen, entstand auf dem Reißbrett. Ehemalige Offiziere des Baath-Regimes von Saddam Hussein schufen sie und sind heute Teil der IS-Führungselite. Als sie die Miliz in Syrien aufbauten, bekam die Organisation, die ihren Ursprung im Irak hat, einen kompletten Facelift. Man plante Großes und dafür bedurfte es einer neuen "Corporate Identity", eine Firmenidentität, attraktiv und chic für ein größeres Publikum. Das geschah derart akribisch, dass man fast meinen könnte, der IS habe eine Werbeagentur beauftragt und einen Masterplan erstellen lassen. Denn Zufall kann das alles nicht sein.

Propaganda-Videos

IS geißelt Flüchtlinge als Verräter

Das neue Image setzte sich gezielt von anderen radikalen Dschihadisten ab. Das mediale Auftreten von al-Qaida, dem Hauptkonkurrenten in der internationalen Terrorszene, hatte sich längst abgenutzt. Ihre altbacken aufbereiteten Botschaften von langweiligen Senioren mit zotteligen Bärten wollte kaum einer mehr sehen. Der IS ist als Gegenteil dazu konzipiert und wurde als junges, dynamisches Produkt positioniert – härter und konsequenter, als alles bisher Dagewesene. Das sollte Wahrhaftigkeit, Abenteuer und den ultimativen Kick transportieren.

Die Propagandaabteilung überflutete das Internet mit Videos, Fotos und Schriften. Es sind nicht nur die hohe technische Qualität und die hollywoodreife Inszenierung, die auf ein gezieltes "Product Placement" schließen lassen. Es ist dieses Narrativ, gepflastert mit revolutionären Romantizismen und Gewaltorgien, das in Endlosschleife abgespult wird. Ein mythisch verbrämtes Bild von einem Kämpfer, der Mittelalter und Moderne in sich vereint, und selbstlos mit allem Schlechten und Verdorbenen dieser Welt aufräumt. Der IS-Held ist eine Mischung aus Sultan Saladin, Mad Max und Neo aus dem Film Matrix.

Eine digitale Phantasmagorie aus dem Cyberspace

Im Cyberspace wuchs das Retortenbaby schnell heran und bekam ein unkontrolliertes Eigenleben: die kleine Terrororganisation erschien viel größer, als sie in Realität war. Aus einem kleinen, zugegeben gefährlichen Haufen, entwickelte sich ein Tsunami des Bösen – allgewaltig und unaufhaltsam. Es war ein Trugbild entstanden, das Angst und Schrecken verbreitete, den IS Schlachten gewinnen und Territorien erobern ließ. Es dürfte das erste Mal in der Geschichte sein, dass eine digitale Phantasmagorie einen realen Krieg in diesem Ausmaß beeinflusste.


"Von Aids verseuchte, zu tiefst amoralische Gesellschaften, in der Kinderschänder mehr Rechte haben, als aufrechte Muslime" ---- Deutscher IS-Kämpfer: Über den Westen

"Im gewissen Sinn kann man den IS als Pop bezeichnen", sagt Thomas Palzer, Autor und Philosoph, bekannt für seine kulturkritischen Beiträge im öffentlich-rechtlichem Radio. "Wie andere Jugendkulturen hassen sie die bestehende Gesellschaft und wollen etwas anderes, nämlich das echte, wahre Leben." Alle Jugendlichen erleben die Gesellschaft nicht als die eigene, sondern die der älteren Generation. "Die Welt ist immer skandalös schlecht", meint Palzer. "Protest ist eine normale Reaktion."

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