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SEKRETÄRIN DES BÖSEN IM KZ STUTTHOF

Die furchtbare Frau Furchner
Eines der letzten Verfahren gegen NS-Verbrecher
++ Beihilfe zu mehr als 11 000 Morden

Die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard Furchner etwa im Jahr 1944. Damals hieß sie noch Dirksen. Bis zur Auflösung des Todeslagers arbeitete sie in der Kommandantur in Stutthof

Foto: Bundesarchiv

Artikelvon: HANS-W. SAURE UND DINO SCHRÖDERveröffentlicht am
22.08.2021

Sie war die Sekretärin des Bösen, die Stenotypistin des Kommandanten des Nazi-Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig. Eine Todesmaschinerie! Doch Irmgard Furchner will von den Morden nichts gewusst haben. Nächsten Monat muss sie sich vor Gericht verantworten.

Mit 18 Jahren begann Irmgard Furchner als Schreibkraft in dem Todeslager der Nazis. Zuvor hatte sie als Stenotypistin bei der Dresdner Bank in Marienburg (heute Malbork) gearbeitet. Im KZ Stutthof verdiente die Sekretärin gut, während Häftlinge verhungerten, an Erschöpfung und Misshandlungen starben, vergast oder erschossen wurden.

„Ich war die Stenotypistin für den Kommandanten Hoppe und für den jeweiligen Adjutanten, habe aber mehr für Hoppe geschrieben“, sagte die heute 96-Jährige in einer Zeugenvernehmung 1954. Durch ihre Hände sei der „gesamte Schriftwechsel mit dem SS-Wirtschaftsverwaltungsamt“ (koordinierte u.a die Ausbeutung der Sklavenarbeiter in den Konzentrationslagern) gegangen. Hoppe diktierte Exekutionen und Deportationen.

Doch Furchner gibt sich ahnungslos. Dabei konnte sie aus der Kommandantur sogar die Baracken der Häftlinge, die Gaskammer und das Krematorium sehen. Trotzdem: Von den Morden will sie nichts mitbekommen haben.

Am 30. September muss sich die furchtbare Frau Furchner vor dem Landgericht Itzehoe (Schleswig-Holstein) verantworten. Vor der Jugendkammer, weil sie zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Taten erst 18 Jahre alt war. Die Anklage lautet auf Beihilfe zum Mord in 11 387 Fällen und Beihilfe zu versuchtem Mord in sieben Fällen.

Als Polizei und Staatsanwaltschaft während der Ermittlungen im November 2016 um 10.10 Uhr zur Durchsuchung das 15 Quadratmeter große Einzelzimmer der ehemaligen KZ-Sekretärin in einem Seniorenheim in Schleswig-Holstein betraten, guckte Irmgard Furchner gerade Fernsehen. Die Ermittler nahmen sie als geistig rege, konzentriert und im Gespräch teilweise als unwillig wahr. Mehrmals sagte sie zu den Beamten, dass sie das Verfahren für lächerlich halte.

An Exekutionen könne sie sich nicht erinnern. Wohl aber daran, dass ihr Hoppe Bestellungen für Gartenbedarf diktiert hätte.

Am 29. Mai 1925 wurde Furchner in Kalthof bei Danzig als Irmgard Dirksen geboren, besuchte von 1931 bis 1939 die Volksschule und machte anschließend ein Landjahr, eine nationalsozialistische Erziehungsmaßnahme, machte dann eine kaufmännische Lehre.

Im KZ Stutthof lernte sie den SS-Oberscharführer Heinz Furchtsam kennen. Weil sein Name so gar nicht zu einem KZ-Schergen passte, ließ er sich in Furchner umbenennen und heiratete 1954 die 19 Jahre jüngere Irmgard.

Die ehemalige KZ-Sekretärin fand nach dem Krieg schnell neue Arbeit – ausgerechnet als Justizangestellte.

Seit 1960 wohnte Irmgard Furchner mit ihrem Mann, der 1972 starb, in einem schmucklosen Mehrfamilienhaus im Birkenweg in Schleswig – einer Genossenschaftswohnung für Beamte. 2014 zog sie in ein Altenheim.

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Heinz Furchner († 65) auf einem Foto aus seiner SS-Akte
Foto: Bundesarchiv

Ehemalige Nachbarn haben Irmgard Furchner in keiner guten Erinnerung. Klaus-Rüdiger G. (62) wohnte jahrelang unter ihr.

„Sie war keine freundliche Person. Sie hatte eine ruppige Art, einen kalten und bösen Blick.“ Seine Lebensgefährtin Karen erinnert sich: „Sie war herrisch. Als wir in den Birkenweg einzogen, hatten wir um 18 Uhr am Samstag noch ein Loch in die Wand gebohrt. Sie klingelte und schrie sofort los. Da war kein vernünftiges Reden, nur ein Geschrei.“

Im ersten Stock dieses Hauses in Schleswig wohnte Furchner rund 50 Jahre. Ex-Nachbar Klaus-Rüdiger G. (62) hat keine guten Erinnerungen an sie

Foto: Martin Brinckmann

Unter den Nebenklägern im Prozess gegen Irmgard Furchner ist auch Judit Sperling. Sie wohnt heute in Israel, wurde am 19. Juli 1944 mit ihrer Mutter nach Stutthof deportiert. Sie überlebte den KZ-Horror, ihr Ehemann und ihre Cousine (damals 13) wurden von den Nazis ermordet.

Ihr Anwalt Onur Özata, der auch eine weitere Stutthof-Überlebende vertritt: „Diese Verfahren sind für meine Mandantinnen von besonderer Wichtigkeit. Es geht ihnen dabei nicht um Rache. Vielmehr wollen sie, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit der vielen Helfer und Helfershelfer bei der Shoah (Holocaust) festgestellt wird.“


Nebenklägerin Judit Sperling (99) wurde 1944 in das KZ Stutthof deportiert
Foto: privat

Die letzten NS-Prozesse stehen an

Mehr als 76 Jahre nach Kriegsende ist der Prozess gegen Irmgard Furchner eines der letzten NS-Verfahren. Aber es wird wohl nicht das allerletzte.

Im Oktober beginnt vor dem Landgericht Neuruppin der Prozess gegen einen 100-jährigen Ex-Wachmann des KZ Sachsenhausen wegen Beihilfe zum Mord in 3518 Fällen.

Von 1939 bis 1945 waren etwa 110.000 Menschen aus 28 Ländern im KZ Stutthof inhaftiert. Die deutschen Nazis ermordeten fast 65.000 Häftlinge

Foto: imago/Gerhard Leber

Die Zentrale Stelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg ermittelt aktuell gegen fünf Wachmänner von Kriegsgefangenenlagern und zwei KZ-Wächter.

Bei der Staatsanwaltschaft Erfurt ist ein Verfahren gegen einen Wachmann aus Buchenwald anhängig, in Weiden gegen einen Aufseher des KZ Flossenbürg, in Neuruppin gegen zwei Wachmänner des KZ Sachsenhausen sowie gegen einen Aufseher und eine Aufseherin aus dem KZ Ravensbrück.

bild.de/…of-die-furchtbare-frau-furchner-77450984.bild.html
frajo
Ach wie verlogen! Wie sieht es denn heute aus?