M.RAPHAEL
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Oratio de hominis dignitate?

Pico della Mirandola hat am Anfang der Neuzeit folgendes „Gebet“ verfasst:

„Nicht himmlisch, nicht irdisch, nicht sterblich und nicht unsterblich haben wir dich erschaffen, auf dass du mögest frei sein, deinem eigenen Willen und deiner Ehre gemäß, auf dass du mögest dein eigner Schöpfer und Bildner sein. Dir allein gab ich die Fähigkeit zu wachsen und dich nach deinem eigenen freien Willen zu entfalten. Du trügst in dir den Keim eines allumfassenden Lebens.“ Pico della Mirandola, Oratio de hominis dignitate

Es wird allgemein unterschätzt, wie sehr der neuzeitliche/moderne Mensch der Überzeugung ist, dass er genau weiß, was gut und böse ist, was ein ethisch humanistisches Leben ist und was nicht. Er glaubt in der Lage zu sein, mit Hilfe der Vernunft und im Rückgriff auf die Expertenmeinung einer pragmatischen „Gelehrtengemeinschaft“ (meistens wohl die der Oligarchenmedien) verlässlich ein „liebevolles“ Leben zu können. Ehebruch, Homosexualität, Abtreibung, alles kein Problem, wenn man es nur gemeinsam lobt und als mögliche Selbstsetzung akzeptiert. In jedem Fall muss man schreiende oder weinende Opfer vermeiden, dann kann man sich einbilden, dass es diese nicht gibt.

Woher aber weiß der moderne Mensch, dass er in der Lage ist, absolut ALLE Folgen seiner Taten sowie Unterlassungen absehen zu können? Das Ganze der menschlichen Existenz ist unendlich kompliziert. Wie kann der Mensch mit seiner begrenzten Erkenntnis eine solche quasi allwissende Gottesposition einnehmen wollen, besonders wenn er immer mit seinem Eigeninteresse und entsprechendem Kosten-/Nutzenkalkül involviert ist? Horkheimer und Adorno haben das Problem der instrumentellen Vernunft in „Dialektik der Aufklärung“ ausgiebig behandelt.

Furchtbar ist, dass die katholische Kirche mit dem „lieben“ Johannes XXIII selbst auf diesen Allwissenheitswahn der menschlichen Selbstsetzung eingeschwenkt ist. Mit seiner Enzyklika Pacem in Terris ist das „Subjekt des Rechtes nicht mehr die abstrakte Wahrheit, sondern der Mensch in seiner Personenwürde….Dies war die Wende“. Lorenzer, Das Konzil der Buchhalter, S. 56.

„Subjekt des Rechtes ist nicht mehr die abstrakte Wahrheit, sondern der Mensch in seiner Personenwürde, ausgestattet mit Freiheit und Vernunft“ (PT 3,9,48). „Außerdem verlangt die Würde der menschlichen Person, dass es dem Menschen möglich gemacht wird, aus eigenem Entschluss und in Freiheit zu handeln.“ (PT 34), d.h., „dass jeder nach seiner Überzeugung, seinem Urteil und Pflichtbewusstsein handelt und nicht vorwiegend aufgrund von äußerem Zwang und Druck“. (PT ebd.) (78). Ebd. S.56.

Das ist ein nicht mehr zu leugnendes Indiz dafür, dass die Kirche spätestens seit dem Vat.2 vom Modernismus durchdrungen ist. Die Novus Ordo Kirche ist nicht mehr katholisch, trotz aller gegenteiligen Beteuerungen. Sie glaubt nicht mehr an die Leitung durch die abstrakte (außerhalb des konkreten Menschen) Wahrheit des Heiligen Geistes. Sie glaubt an die Selbstsetzung des vernünftigen Menschen.

Der fromme Katholik befindet sich in tiefem Gebet und hört auf die Stille, in der der unsichtbare Gott personal anwesend ist und ihm nahelegt, wie er ein liebevolles Leben in Erfüllung seiner Talente und Anlagen gestalten soll. Aber es ist eben nicht nur begrifflich, sondern der unsichtbare Gott verwandelt quasi jedes Atom im menschlichen Körper in Seinem Sinn, sodass der Mensch am Ende selbst mit seiner ganzen Leiblichkeit (Körper und Psyche) nichts anderes mehr will, als dem Willen des Herrn zu folgen. Christus lebt in ihm. Vor dem wahren Gott gibt es die grundsätzlichen Probleme und Grenzen der Begriffe nicht. Der moderne Mensch ist in der Enge, den Grenzen und den Lügen seiner begrifflichen Weltanschauung gefangen. Das Kind Gottes ist es nicht. Die Stille braucht keine Begriffe. Sie braucht nur die vollständige Hingabe an die umfassende Wahrheit des Herrn. Der Kontemplative macht sich kein Bild. Gott ist immer jenseits aller Vorstellungen. Nur das „Ich liebe Dich“ ist wichtig.

Hier ist ein weiteres Interview mit Malachi Martin, der schon zu Zeiten von JP2 das Problem genau beschreibt. Mit FP kommt es zur Erfüllung. Für ihn, in seiner Nähe zur Befreiungstheologie, ist die Kirche eine linkspolitische Partei im Dienst der Befreiung und menschlicher Selbstsetzung. Die Fatima Forderung nach der Weihe Russlands betraf den Kommunismus, die menschliche Perversion des Reiches Gottes. Es ist kein Wunder, dass Johannes XXIII das nicht wollte.

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