Raffi2211
155
Zeitvergötzung, Fortschrittsbetrug (1977) Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch Zeitvergötzung, Fortschrittsbetrug (1977) Meine lieben Brüder und Schwestern, meine lieben Freunde in der Geheimen …Mehr
Zeitvergötzung, Fortschrittsbetrug (1977)

Niederschrift der Predigt von Pfarrer Milch

Zeitvergötzung, Fortschrittsbetrug (1977)

Meine lieben Brüder und Schwestern, meine lieben Freunde

in der Geheimen Offenbarung des hl. Evangelisten Johannes heißt es im 12. Kapitel: Jubelt ihr Himmel und alle die darin wohnen, wehe aber dem Land und dem Meer, denn hinabgestiegen ist zu euch der Teufel grimmigen Zornes, er weiß, daß er eine kurze Frist hat. Liebe Brüder, liebe Schwestern, ich darf Sie ganz herzlich bitten, während meiner Rede mitzudenken. Denn es ist ein Gedankengang, der unsere heutige Situation erklärt, begründet, erhellt, aufdeckt. Wie ist es dazu gekommen und was hat dahin geführt? In welcher Lage befinden wir uns? Und was ist unsere Hoffnung und die uns gegebene Verheißung?

Manche haben Angst vor allzu großer Härte. Es ist eine typisch moderne Legende, man dürfe als Christ niemals hart sein. Man muß als Christ immer lieben, aber die Liebe erfordert immer wieder Härte. Wenn man dem Wohl des Menschen dienen will, muß man ihm gelegentlich weh tun, muß seine wahren Absichten aufdecken und sie ihm entgegenhalten. Wir dürfen niemals hassen. Wir dürfen niemals gewöhnlich werden, wenn auch aus menschlicher Schwäche hie und da etwas geschehen mag, was man schwerlich verantworten kann. Alles, was wir hier sagen, sagen wir aus Liebe, aus verwundeter Liebe zu unserer herrlichen, konkurrenzlos dastehenden Kirche, die das zeitlose Zeichen in jeder Zeit ist, die raumlos ewige Wirklichkeit in jedem Raum. Sie können wir anschauen, da Gott Mensch geworden ist. Und wir rufen zurück nach ihrem Anblick, daher haben wir uns hier versammelt.

Wir wollen den verlorengegangenen Anblick Sions wieder herbeisehnen, herbeibeschwören, herbeirufen, laut und waidwund, denn Jäger sind aufgestanden, um zu verwunden unser sehnsüchtiges Herz. Und zwischen der Sehnsucht unseres Herzens und seiner Erfüllung ist seit 15 Jahren ein eiserner Vorhang niedergegangen. Meine lieben Brüder und Schwestern, wer sind denn die Spalter? Wir wollen nicht spalten, aber wir beklagen Spaltung, die längst vorliegt. Lassen Sie mich zwei Grundstimmungen der gläubigen und wissenden Menschen beleuchten. In diesem Wort "wissend" mag vielleicht einer Hochmut wittern, aber es ist kein Hochmut. Denn unser Wissen haben wir erhalten vom Allerbarmer, der unsere Armseligkeit und Sündigkeit nicht beachtet hat, und der uns dennoch das Wissen gab vom Wesen der Kirche. Und die so Wissenden hatten gegenüber zwei sehr verschiedenen Ereignissen sehr verschiedene Vorahnungen.

Ich erinnere mich sehr gut des wunderbaren Tages des 1. November 1950. An diesem Tag wurde das Dogma von der leiblichen Aufnahme Mariens in den Himmel durch den Heiligen Vater Papst Pius XII. definiert, verkündet, für alle verpflichtend. Unsere heilige katholische Wahrheit hat damals eine weitere Seite ihrer unaussprechlichen Fülle aussprechbar gemacht, und hat dem forschenden Geist der Theologen eine neue Stufe der Sicherheit gewährt. Und außerdem unserem Jahrhundert das Zeichen, denn das große Zeichen im Himmel Maria, die Frau der Offenbarung, gegen die der Drache wettert und schnaubt, um das Kind, das aus ihr geboren werden soll, zu verschlingen.

Dieser Drache ist mobil in diesem Säkulum, aber sie selber ist entrückt seinem Zugriff, sie gebiert unter Schmerzen und Wehen durch die Jahrhunderte hin ihre Söhne und Töchter. Aber ihre Wehen steigen in diesem Jahrhundert besonders an. Sie schreit gequält in ihren Schmerzen, aber sie wird von Gott entrückt in eine Stätte, wohin der Drache nicht kann, und wo er keine Macht hat. Sie ist das Zeichen für unser Jahrhundert. Warum? Und damals spürten es alle: Es ereignet sich an diesem Tage etwas ganz Großes, etwas Überirdisches. An diesem Tage wird eine Posaune erschallen, aus den anderen Welten hinein in unsere Zeit und der Himmel lüftet sich und er kommt und küßt die Erde mit seinem Licht und mit seiner Wahrheit. Erregend der Morgen dieses Tages!

Und das andere Gefühl zum Beginn des Konzils im Jahre 1962, jenes bittere, unbehagliche, abwehrende Gefühl des Abscheus, dieses unwiderstehliche Gefühl, hier wird sich etwas ereignen aus den unteren Bereichen. Hier tritt eine Phalanx an, die lange mobil gemacht hat, aus den Sphären, die nicht von oben kommen. Und laßt uns diese beiden Lager nun einmal näher betrachten, und gestatten Sie mir, daß ich weiter aushole.
Was ist Gottes Urbefehl an die Menschen? Alles gehört euch, wenn ihr Mir gehört! Ihr sollt über alles herrschen, aber eure Herrschaft ist begrenzt, sie grenzt an Mir. Das sagt Gott. Und ihr werdet erst herrschen über die Tiere des Himmels, im Wasser und auf der Erde, ihr werdet erst eure königliche Macht ausüben, wenn ihr sie begrenzen laßt durch mich, wenn ihr euch beherrschen laßt in Liebe, dann werdet ihr herrschen über die Erde. Wenn wir diesen Befehl befolgen, dann wird alles eine Schrift, alle Dinge werden deutbar, weil sie über sich selber hinausweisen.

Denn alles untermenschliche, Tiere, Pflanzen, Materie weist auf den Menschen hin, und der Mensch weist auf Gott hin. Und im Menschen werden auf einmal alle Dinge klar in ihrer Zeichenhaftigkeit. Wir können sie deuten, weisen, Weisheit kommt in unseren Geist, weil wir um der Dinge Herkunft und Ziel wissen. Denn nur, wenn wir alles was da lebt und webt als Gedanken Gottes erkennen, der zurückweist auf Gott und durch den Menschen zurückstrebt zu Gott, dann werden wir die Inhaber und Beherrscher der Erde sein. Und dies allein hat Gott gemeint, als er den Befehl gab: Macht euch die Erde untertan. Werdet der Erde mächtig, in dem ihr Interpreten und Deuter der Erde werdet. Alle Dinge werden Abbild Gottes, Spuren Gottes, und der Mensch, das intensivste Ebenbild Gottes wird gottbar. Aus sich selber nichts, aus dem Nichts erschaffen, ist er ein unendlicher Abgrund, in den das Licht Gottes fallen kann, so daß der Mensch in der Kraft Gottes die Welt zu beherrschen vermag. Das ist Sinn und Ziel, das ist Urgesetz aller Dinge.

Und jetzt das andere Lager, der Gegenrat, der Rat des Vaters der Lüge: "Laßt euch nicht dumm machen", sagt die Schlange, "Gott hat euch diesen Befehl aus Konkurrenzfurcht gegeben. Sagt euch los von Gott, stellt euch auf eigene Füße, werdet ein aus euch selber rollendes Rad. Glaubt an euren Fortschritt und den Fortschritt der Welt, und dann werdet ihr selbst sein wie Gott, und selber bestimmen, was Gut und Böse ist". Wir kennen die verschlüsselte Bildsprache in der Heiligen Schrift: Von allen Früchten dürft ihr essen, aber von der Frucht von dem Baume in der Mitte, dürft ihr nicht essen! Und dann der Rat der Schlange: "Ihr werdet nicht sterben, wenn ihr davon esset, sondern ihr werdet sein wie Gott und wissen, was Gut und Böse ist":

Wenn man aber von unten her sich entwickeln will aus eigener Kraft, von Mal zu Mal und von Fortschritt zu Fortschritt, dann wandeln sich alle Dinge zu Nullen und Sinnlosigkeiten. Die ganze Welt wird ein Konglomerat von nackten Tatsachen, die nun einmal da sind, und deren man sich bedienen kann, dem eigenen Wunsche gemäß. Aber der eigene Wunsch und die Mittel die einem zur Verfügung stehen, sind alle Elemente des Nichts. Was nun einmal da ist, um einmal bestehende Menschenwünsche zu erfüllen, wird zum Tyrannen und zum Sklaven des Menschen. Und zwischen Tyrann und Sklave herrscht ein Wechselverhältnis. Der Tyrann ist immer der Sklave seines Sklaven. Und der Sklave ist der Tyrann seines Tyrannen. Das ist das kennzeichnende Wechselverhältnis von Mensch und Erde in unserem Jahrhundert. Der von der Erde ausgebeutete Mensch und die vom Menschen ausgebeutete Erde.

Und weiter: Kehren wir zurück ins erste Lager, ins Lager Gottes und seines Urgesetzes. Von oben kommt die Weisung: "Ihr sollt mir gehören und euch mir vollkommen überlassen, euch mir schenken". Was ist das, sich Gott schenken? Das ist eine Entscheidung des freien Willens. Der freie Wille ist aber immer Sache des Einzelnen. Erkennen wir Gott an, dann ist unsere Personenwürde gerettet, dann ist unser Ich aufgehoben und bestätigt, denn nur in Gott können wir "ich" sagen, weil wir in Gott den haben, der zu uns "Du" sagt, der uns auffordert, der uns vor die Wahl stellt, unentrinnbar, so daß es ganz am Einzelnen liegt, ob er ja sagt, oder nein. Und wenn wir ja sagen, dann geht es uns wie dem Samenkorn, das in die Erde fällt und scheinbar stirbt, in Wirklichkeit aber in dieser Selbsthingabe und Preisgabe an Gott sich selber findet und Frucht bringt für und für. Von oben, wenn wir Ausschau halten zu dem, was sich uns vorstellt, unabhängig von uns, vor uns, ohne uns, dann werden wir uns immer in unserer unvergleichlichen, unersetzbaren und unwiederholbaren Einzelwürde und Persönlichkeit erkennen und finden, Ichfindung, Selbstfindung, im Ich und Du wird dann das wahre Wir, die wahre Gemeinschaft begründet.

Aber von unten? Von unten, aus der Erde geboren, aus dem Wollen des Mannes und aus dem Fleische, da finden wir nur Sinnlosigkeit vor, Kommen und Gehen. Die Welt Kafkas wird offenbar. Ein "Im-Kreise-sich-drehen". Endlose Kontrollinstanzen, die einander kontrollieren, ohne einen Endpunkt, ohne einen letzten, richtenden Maßstab zu haben, ein Ring ohne Ausgang, ein Verlies, ein Labyrinth ohne Befreiung. Und nun will man der Sinnlosigkeit und dem Nichts, was man vorfindet, Trotz bieten. Und darum wird einfach gearbeitet, man geht ran, man weiß nicht, ob es sich lohnt, aber man tut eben irgend etwas und glaubt gegen das innere bessere Wissen daran, daß es eben vielleicht doch gelinge, daß es vielleicht doch zu etwas Nutze sei. Es ist ein wesenlosen Gebaren, man hat kein Urbild, man hat nur Gestein und Atom, irgendwelche Elemente, die sich entwickelt haben zu einem lebendigen Leben – warum lebendig, was soll das Leben – zu einem geistigen Leben, zu einem Verstandesdenken, was soll dieses Denken? Man kommt und geht, es ist alles ohne Rückhalt, bodenlos, grundlos.

Und wenn man dann voran gehen will, dann muß es ein gemeinsames Gesetz geben, das alle verpflichtet. Dann gibt es kein Ich, sondern nur das vorgegeben…