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Hunger, Armut, Obdach: Die Caritasarbeit in Spanien und die Banken- und Euro- Krise. Unser Politikblog | 25.12.2012 Wir freuen uns, dass Herr Jorge Nuño Mayer, der Generalsekretär von Caritas Europa,…Mehr
Hunger, Armut, Obdach: Die Caritasarbeit in Spanien und die Banken- und Euro- Krise.

Unser Politikblog | 25.12.2012
Wir freuen uns, dass Herr Jorge Nuño Mayer, der Generalsekretär von Caritas Europa, dem europäischen Dachverband von 49 nationalen Caritas-Organisationen in Europa, so kurz vor Weihnachten Zeit gefunden hat für das Interview für Unser Politikblog sowie als Aufzeichnung für die Sendung „Macht und Menschenrechte“ auf Radio Jungle Drum.
Anlass des Interviews ist eine Studie von Caritas Spanien über die verheerende Armut und die humanitäre Lage in dem Land.
Anders als in Griechenland und Irland konnten wir das Ausmaß des Sozialabbaus und des Hungers in Spanien bisher noch nicht an konkreten Auflagen der Troika oder aus dem Defizitverfahren des Stabilitäts- und Wachstumspaktes festmachen.
Hunderttausende Menschen sind in Spanien von Lebensmittelhilfen abhängig. Kinder fallen wie in Griechenland im Unterricht vor Hunger um. Langzeitarbeitslose erhalten gar keine Leistungen zum Lebensunterhalt mehr.
Die Unteilbarkeit der Menschenrechte wird missachtet, als ob das Eigentum der Gläubiger höher stünde als die sozialen Menschenrechte auf Nahrung, Gesundheit und Wohnung.
Caritas Spanien informiert gerne, wie man helfen kann, die Not zu lindern.
Webseite von Caritas Spanien
Pressemitteilung und Studie von Caritas Spanien
taz-Artikel „Spanien spart sich seinen Sozialstaat“ vom 25.10.2012
taz-Artikel „Spanien abgewertet“vom 12.10.2012
Ursprünglich von UNSER-POLITIKBLOG von Sarah und Volker am 12/25/2012 04:02:00 nachm. unter Unser Politikblog eingestellt

JNM: Ich danke Ihnen, Herr Reusing für dieses Interview. es ist immer wichtig mit allen Menschen zu kommunizieren, zu erklären was Caritas Arbeit ist. Es geht uns nicht um unsere Arbeit, es geht uns um die Menschen, die heutzutage leiden, von Armut betroffen sind. Vielen Dank, dass Sie ihren Politikblog zur Verfügung stellen, unsere Botschaft den Menschen auch in ihrer Umgebung weiter zu geben.

Volker Reusing:
Sie, bzw. Caritas Spanien haben eine Presseerklärung veröffentlicht, dass 11 Millionen Menschen in Spanien von Armut gefährdet sind. Bezieht sich das auf die absolute Armutsgrenze, da ist ein Betrag von 7800 bis 8000 Euro genannt als absolute Armutsgrenze?
JNM:
Caritas Europa ist das Netzwerk von 49 Caritas- Organisation, von Aserbatschan bis Island, von Norwegen bis Griechenland. Wir machen zur Zeit eine Studie, die Ende Januar, Anfang Februar 2013 veröffentlicht wird, wie die Krise die Armut größer macht und verstärkt. Das gilt besonders in den Ländern, die mehr von dieser Krise und den Sparmaßnahmen betroffen sind, Griechenland, Italien, Spanien, Portugal und Irland. Der Fall Spaniens, der ist besonders bemerkenswert, weil Spanien noch Anfang 2008 unter 8% Arbeitslosigkeit hatte. Mittlerweile ist Spanien mit über 25% Arbeitslosigkeit und über 52% Jugendarbeitslosigkeit und über 10% Langzeitarbeitslosigkeit in einer extrem kritischen Situation. Wir müssen auch bedenken, dass ungefähr 700.00 Familien überhaupt kein Einkommen haben. Und diese Menschen, die überhaupt kein Einkommen haben sogar keine Sozialhilfe bekommen, die klopfen zur Zeit an bei der Caritas, bei den Pfarreien an und müssen sich dort beschämend an die Schlange anstellen, um Nahrungsmittel zu bekommen. Und das ist natürlich sehr gravierend. Wir haben Situationen von Kinderunterernährung in Spanien. Und Spanien ist ein Land das bis vor kurzem noch als Reich gegolten hat, und plötzlich finden wir solche Situationen wieder.

Volker Reusing:
2010 gab es einen Fluglotsenstreik, zu der Zeit, wurde ein Ausnahmezustand ausgerufen, dass die Armee diese Streiks behindern sollte.das interessante war, zur gleichen Zeit wollte man das Geld für Langzeitarbeitslose streichen. Von einem Vertreter vo'n Democarcia Realia, so ähnlich wie Occupy, nur eben in Spanien, habe ich gehört, dass der Ausnahmezustand Gott sei Dank Anfang 2012 wieder aufgehoben wurde. Aber was ist aus aus dem Geld für die Langzeitarbeitslosen geworden?

JNM:
Leider ist dieses Geld gestrichen worden. Da kann man sich überlegen, warum plötzlich so ein Ausnahmezustand ausgerufen wird und warum die Medien sich mit dem Streik von den Fluglotsen mehr beschäftigen, als mit den arbeitslosen Menschen. Es ist natürlich ein Streik, der viele Urlauber betrifft, das ist schlimm, das ist schade, aber einen Langzeitarbeitslosen das Geld zu streichen, was hunderttausende von Menschen betrifft, das hat sich in den Medien nicht wiedergespiegelt. Und da kann man sich bei den Medien überlegen, ob nicht was dahinter steht? Aber tatsächlich ist dieses Arbeitslosengeld für Langzeitarbeitslose gestrichen worden, das verstärkt ja nur die Situation der Armut. Spanien muss leider diese Sparmaßnahmen einführen, leider werden diese Sparmaßnahmen unser erachtens nicht mit den adäquaten Prioritäten eingeführt, das heißt, die Sparmaßnahmen treffen hauptsächlich die ärmsten schichten in der Bevölkerung, eine Mittelschicht, die immer ärmer wird, die immer mehr einer Unsicherheit ausgesetzt wird, die diese Schicht vor über 3 Jahren überhaupt nicht kannte.

Volker Reusing:
Gibt es Schätzungen, wieviele Menschen in Spanien hungern? Viele werden ja aufgefangen durch die Caritas und das Rote Kreuz.

JNM:
Ja, viele werden aufgefangen durch die Caritas, durch das rote Kreuz. Ein Hungern, wie wir das in der Sahelzone vorfinden, das gibt es Gott sei Dank nicht, da muss man doch unterscheiden. Aber wir finden doch Situationen, wo Kinder am Morgen in der Schule von Schulbank fallen, weil sie nicht gefrühstückt haben, aber auch am Vortag nicht genug gegessen haben. Die klappen dann einfach zusammen. Die Caritas versucht dies aufzufangen, aber die Caritas kann auch nur begrenzt helfen. Wir finden, dass in Situationen wieder. Stellen sie sich vor, dass ein älterer Mensch eine Maximalrente 600 Euro bekommt. Sehr oft ist diese einzelne Rente dann von der Oma dafür zuständig, 3 Generationen zu ernähren. Wenn die Kinder der Oma dann keine Arbeit haben, muss die Oma ihre eigenen Kosten decken und eine Großfamilie von drei Generationen ernähren. leider sind das nicht Einzelfälle, das häuft sich mehr und mehr. Und als Caritas wollen wir auch immer den Staat daran erinnern, dass er eigentlich die Verantwortung hat und nicht die Caritas und die Kirche die Aufgabe haben, die Menschen zu ernähren. Das ist die Aufgabe des Staates, sich um die Menschen zu kümmern und eine adäquate Gleichheit und adäquate Würde der Menschen abzusichern. Aber leider geht das heutzutage mehr und mehr abhanden.

Volker Reusing:
Das erinnert mich an Magdalena Sepolweder. Die ist unabhängige Expertin vom UNO- Menschenrechtsrat für extreme Armut. Sie hat 2011 Irland besucht und das gleiche gesagt, dass die Hilfsorganisationen nicht dafür da sind, die Grundsicherung zum Lebensunterhalt zu ersetzen, sondern eine Ergänzung, nie aber Ersatz für staatliches handeln sein sollen.

JNM:
Ich meine die Nächstenliebe der Christen, die in Deutschland die Caritas, die Diakonie und andere Organisationen vertreten, die ist natürlich schön und gut. Nächstenliebe ist immer nötig. Aber was von rechten zusteht, das sollte man nicht durch diese Wohlfahrtsverbände ersetzen. Und ich denke, hier ist dem Staat und auch der Europäischen Union (EU) der eigentliche Sinn und Zweck des Staates, nämlich den Menschen zu dienen, abhanden gekommen. Wir sehen, dass die Staaten und die Europäische Union Prioritäten in der Praxis setzen, um ein Finanzsystem zu retten, aber mit einer Akzeptanz der kollateralen Effekte, dass die Armut zunimmt. Für die Caritas sind das keine kollateralen Effekte, für die Caritas sind das direkte Konsequenzen von politischen Entscheidungen. Und da müssen wir immer wieder daran erinnern, die Politik ist dazu da den Menschen zu dienen und den Menschen auch eine Zukunft zu bringen. bei diesen Sparmaßnahmen und diesen politischen Entscheidungen müssen wir denken, das damit eine erhöhte strukturelle Armut geschaffen wird. Es geht nicht nur jetzt das heute Kinder von der Schulbank fallen und es hört sich ja ganz nett an, dass die Oma von ihren 600 Euro drei Generationen ernährt, aber diese Entscheidungen schaffen eine langfristige Armut. Denn wenn im besten Fall in zwei Jahren wieder mehr investiert wird von Seiten des Staates in soziale Sicherung, in Erziehung, in Gesundheit, dann finden wir Menschen, die nicht mehr zurück zu bringen sind in das Arbeitssystem. Wir finden Kinder, die nicht mehr zurück zu bringen sind in die Schule, in das Erziehungssystem. Wir finden eine ganze Generation, die wir als verloren bezeichnen können. Und das wird sehr langwierige Konsequenzen haben.

Volker Reusing:
Jetzt gibt es ja zum Beispiel einen UNO- Sozialpakt, wo es ein Menschenrecht auf Bildung gibt, ein Menschenrecht auf soziale Sicherheit, bei Gesundheit sogar auf ein Höchstmaß, ein recht auf Nahrung, aber die Gläubiger haben ja auch ein Recht auf Eigentum der Gläubiger, die Spanien Geld geliehen haben. Wie kann man da das richtige Maß finden?

JNM:
Meine Frage ist, wofür der Staat zu sorgen hat? Welche Rechte haben einen Vorrang? Leider finden wir sie trotz allem in Irland, in Griechenland, wo die Rechte der Gläubiger über die Rechte der Menschen auf Nahrung, auf Wohnung. Sicher habe sie auch im deutschen Fernsehen oft gesehen, über die Zwangsräumungen in Spanien, die Rechte auf Wohnung, die Rechte auf Gesundheit, es scheinen die Rechte der Gläubiger darüber zu liegen. Und ich meine, wenn jemand in einer Bank investiert, wenn jemand Finanzgeschäfte machen will, dann ist das schön und gut. Nur tragen dann solche Mitbürger dann auch ein Risiko. Und dass es dazu führt, wie im Jahr 2000 Herr Ackermann von der deutschen Bank sagte, dass der Staat dann die Schulden der Banken sozialisieren muss, das finde ich doch ein hartes Stück, weil das bedeutet, dass man den Menschen aus den Steuern, auch aus der sozialen Sicherheit etwas wegnehmen kann, eine Grundsubsistenz wegnehmen kann, um Investoren ihr Geld zurück zu geben. das ist nicht gerecht, das ist einfach nicht gerecht.

Volker Reusing:
Wir haben uns die Auflagen …