Zweihundert
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Ein Zeichen der Normalität? vs. Schockwellen in der DDR

US-Präsidentschaftskandidatur:

Buttigieg hat ein Zeichen der Normalität gesetzt

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Zeichen der Normalität auf offener Bühne: Pete Buttigieg (re.) küsst seinen Mann Chasten.
(Foto: AFP)

Pete Buttigieg hat seinen Ehemann im nationalen Fernsehen auf offener Bühne geküsst. Er war der erste offen homosexuell lebende Kandidat, der je Delegiertenstimmen in Vorwahlen der USA gewonnen hat. Damit hat er das Land verändert.

Kommentar von Thorsten Denkler, New York

Was war Pete Buttigieg belächelt worden, als er im April vergangenen Jahres seine Kandidatur für das Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika startete. Schon sein Nachname, Buttigieg. Wochenlang wurden Witze gemacht, wie dieser nun richtig ausgesprochen wird.

Dann sein Alter, jetzt 38 Jahre. Buttigieg schickte sich an, der jüngste Präsident der US-Geschichte werden zu wollen. Was für eine Anmaßung. Oder sein Job. Bis Jahresanfang war er Bürgermeister der 100 000-Einwohner-Stadt South Bend in Indiana. Sie haben ihn behandelt wie einen Dorfvorsteher, der seine Grenzen nicht kennt. Und dass er dazu noch aussieht wie ein Schulstreber, nun ja.

Buttigieg hat sich nicht beirren lassen, er hat weitergemacht. Er hat in Umfragen zugelegt. Er hat in Iowa die Vorwahl knapp gewonnen. Er landete in New Hampshire auf Platz zwei hinter Bernie Sanders. Er hat aus seiner Kandidatur eine Bewegung gemacht. Nach enttäuschenden Ergebnissen in Nevada und South Carolina hat er am Sonntag seine Kandidatur folgerichtig beendet.

Das allein ist alles schon durchaus beeindruckend. Aber Buttigieg hat weit mehr geschafft als erstaunlich weit zu kommen. Er hat Geschichte geschrieben: Buttigieg ist der erste offen homosexuell lebende Präsidentschaftskandidat, der je eine Vorwahl gewonnen hat, mehr noch, der überhaupt Delegiertenstimmen gewinnen konnte. Er hat im nationalen Fernsehen auf offener Bühne seinen Mann Chasten umarmt und geküsst wie die anderen Bewerberinnen und Bewerber im Rennen ihre Ehepartner umarmen und küssen. Er hat Zeichen der Normalität gesetzt in einem Land, wo in vielen Landstrichen Homosexualität noch als Todsünde gilt.

Wer das nicht für beachtenswert hält, der kennt die Verhältnisse in den USA nicht. In Iowa, wo Buttigieg gewann, hat der Supreme Court zwar schon 2009 die Homo-Ehe für legal erklärt. Drei der sieben Richter, die an der Entscheidung beteiligt waren, wurden aber im Jahr darauf nach einer Hetzkampagne rechter Gruppen aus dem Amt gewählt. In 28 Bundesstaaten ist es immer noch erlaubt, Menschen zu entlassen, die sich zu ihrer LGBTQ-Identität bekennen.

Als schwuler Mann im Feuer der Präsidentschaftskandidatur

Nicht zu vergessen: Mit Mike Pence ist ein Mann Vizepräsident, der als Gouverneur von Indiana homophobe Gesetze auf den Weg gebracht hat. Noch am Sonntag vergangener Woche hat Pence an einem vom Weißen Haus live gestreamten Gottesdienst teilgenommen, in dem der Pastor Homosexualität als Ergebnis eines "dämonischen Geistes" verteufelt hat.

Es ist also alles andere als normal, dass ein schwuler Mann so weit kommt in den Vorentscheiden zu einer US-Präsidentschaftswahl. Dank Buttigieg ist es nicht mehr länger völlig unvorstellbar, dass eines Tages ein schwuler Mann oder eine lesbische Frau hinterm Präsidenten-Schreibtisch im Oval Office Platz nimmt.
Buttigieg hatte sein Coming-out erst 2015. Er war vorher Soldat und hatte Sorge, dass er seine politischen Ambitionen begraben kann, wenn er sich outed. Andere waren sicher mutiger, haben sich früher bekannt. Und nicht erst, als die Mehrheitsgesellschaft hinter ihnen stand. Sich aber als mit einem Mann verheirateter Mann in das Feuer einer Präsidentschaftskandidatur zu stellen, verdient Respekt. Er hat das Beste daraus gemacht. Für sich. Und für das Land.

© SZ/gal
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Bruderkuss 1989: Michail Gorbatschow und Erich Honecker.

© REUTERS

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03.06.201419:07

PROTESTE

Schockwellen in der DDR

vonHolger Schmale

In der Opposition ging 1989 die Angst um, dass die SED-Führung zur „chinesischen Lösung“ greifen würde.

Im Juni 1989 herrschte auch in der DDR eine angespannte Atmosphäre. Die SED-Führung verfolgte mit Sorge, wie unter dem Eindruck von Gorbatschows Reformpolitik in der Sowjetunion, der Solidarnosc-Bewegung in Polen und dem allgemeinen wirtschaftlichen Niedergang die Stabilität der sozialistischen Nachbarstaaten zu bröckeln begann.

In Polen standen die ersten halbdemokratischen Wahlen bevor, in Ungarn bahnte sich die Öffnung der Grenze nach Österreich an. In den diplomatischen Vertretungen der Bundesrepublik in Ost-Berlin, Warschau und Prag drängten sich derweil Hunderte DDR-Bürger, die auf ihre Ausreise hofften und ständig andere nachzogen. Und in der DDR selber wurden oppositionelle Gruppen immer mutiger.

Die brutale Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des himmlischen Friedens wirkte auf viele Menschen in der DDR wie ein Schock – verstärkt durch die Tatsache, dass die Staats- und Parteiführung der DDR die Gewaltakte in Peking ausdrücklich billigte. Ausgerechnet der für Sicherheitsfragen zuständige ZK-Sekretär Egon Krenz sagte in der Nachrichtensendung Aktuelle Kamera beifällig, auf dem Platz des Himmlischen Friedens sei lediglich die Ordnung wiederhergestellt worden. Am 8. Juni 1989 stellte sich dann die Volkskammer einstimmig hinter das Vorgehen der chinesischen KP, die bis dahin eher wenig Sympathie in der SED-Führung genossen hatte.

Moralische Schwelle erhöhen

Die Hoffnung auch mancher SED-Genossen, jüngere und weniger verknöcherte Funktionäre wie Hans Modrow oder Günter Schabowski könnten die DDR doch noch auf den Kurs von Michail Gorbatschow bringen, verflogen. Bald machte das Wort von der chinesischen Lösung die Runde – die Sorge, dass auch in der DDR die Staatsgewalt mit Maschinenpistolen und Panzern gegen protestierende Bürger vorgehen könnte. Und doch mehrte sich der Widerstand.

Am 6. Juni wollten 20 Aktivisten aus dem Umfeld der Umweltbibliothek eine Protestnote an der chinesischen Botschaft in Pankow übergeben. Sie wurden schon auf dem Weg dorthin festgenommen. Am Tag darauf versammelten sich an die 200 Oppositionelle in Prenzlauer Berg, die Fälschungen bei der Kommunalwahl und der Tiananmen waren ihre Themen. Polizei und Staatssicherheit ließen sie abführen.

Aus der Sorge, die SED-Führung könnte militärisch auf die wachsenden Proteste in der DDR reagieren, entwickelte sich dann eine der wesentlichen Losungen der Opposition in den stürmischen Oktober- und Novembertagen des Jahres 1989: „Keine Gewalt“. Damit sollte die moralische Schwelle für die andere Seite erhöht werden.

Anfang Oktober reiste Egon Krenz zum 40. Jahrestag der chinesischen Revolution nach Peking. Doch anders als befürchtet, kam er nicht mit Anleitungen zur blutigen Unterdrückung einer Konterrevolution nach Ost-Berlin zurück. Eher im Gegenteil. Krenz gehörte zu jenen in der SED-Führung, die wenig später dafür sorgten, dass die Sicherheitskräfte nicht mit Waffengewalt auf die wachsenden Proteste und Demonstrationen reagierten und die Wende insgesamt friedlich verlaufen ist.

Allerdings ist auch von Stasi-Chef Erich Mielke angesichts der mächtigen Montagsdemonstrationen das Zitat überliefert: „Was sollen wir jetzt machen? Wir können doch nicht mit Panzern schießen!“


sazbike.de/…-strava-kunstwerk-2300539.html

Gorbatschow/Honecker-Bruderkuss als Strava-Kunstwerk

Pünktlich zum 30. Jubiläum des Mauerfalls veröffentlicht Strava ein digitales Kunstwerk, das den Bruderkuss zwischen Michail Gorbatschow und Erich Honecker darstellt und aus den GPS-Daten einer 100-Kilometer-Radfahrt durch Ost- und Westberlin entstanden ist.

Der Bruderkuss von Gorbatschow und Honecker als Strava-Kunstwerk
(Quelle: Strava )

Das Bild des Bruderkusses von Michail Gorbatschow, damaliger De-facto-Herrscher der Sowjetunion, und Erich Honecker, der führende Politiker der DDR, bei den Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag der DDR in Ostberlin im Oktober 1989 schlug Wellen. Zu diesem Anlass kündigte Gorbatschow, der sich klar von der Doktrin seines Vorgängers Breschnew distanzierte und eine friedliche Revolution in Osteuropa auslöste, neue demokratische Reformen an. Wenige Tage später wurde Honecker aus allen Ämtern verdrängt und die Mauer fiel am 9. November 1989.

Das 30-jährige Jubiläum des Mauerfalls nahm der Strava-Künstler Gary Cordery als Anlass für eine besondere Radfahrt. Noch vor 30 Jahren wäre seine Streckenwahl nicht denkbar gewesen. Der Brite radelte insgesamt 15 Stunden lang über drei Tage verteilt knapp 100 Kilometer durch ganz Berlin, von West nach Ost, ohne sich auch nur ein einziges mal über Grenzen Gedanken machen zu müssen oder gar in Lebensgefahr zu geraten. Heraus kam ein besonderes Bild.

Der Bruderkuss wurde als digitales Kunstwerk bis ins letzte Detail geplant: Die Strecke durchquert nicht nur das ehemalige Ost- und Westberlin, sondern trifft auch gezielt frühere Grenzübergänge wie den Bahnhof Friedrichstraße, die Oberbaumbrücke, Invalidenstraße/Sandkrugbrücke an Gorbatschows Feuermal – und den Checkpoint Charlie, an dem sich die Lippen Honeckers und Gorbatschows zum Kuss nähern.

Das digitale Kunstwerk verdeutlicht auf abstrakte Weise, dass Bewegungsfreiheit nicht immer selbstverständlich ist und doch vieles bewirken kann.