Tugendschule für Deutschland (10) Bereitschaft zuzuhören
Tugendschule für Deutschland (10)
Bereitschaft zuzuhören
Es ist von größter Wichtigkeit, einem in Not geratenen Menschen zuzuhören, denn das kann in ihm wieder den nötigen Mut anfachen, die Dinge mit Vertrauen anzu- gehen, obwohl es zum Zeitpunkt des Gesprächs noch so erscheint, wie wenn sich die Probleme unlösbar auf- türmen.
Zuhören gibt dem Mitmenschen das Gefühl, dass man ihn ernst nimmt, für ihn da ist, für ihn ein Ohr hat, ihm helfen möchte und ihm die Würde gibt, die er verdient hat, weil ihn möglicherweise andere auf die Seite ge- schoben haben nach dem Motto, er solle alleine damit zurecht kommen. Es gibt aber Situationen im Leben, wo man es möglicherweise sehr schwer findet, alleine eine Lösung zu finden und das kann zu Depression oder Krankheit führen.
Zuhören ist auch deswegen wichtig, weil viele Menschen eher dazu neigen, viel zu reden als dem Nächsten zuzu- hören. Es ist aber eine wichtige Eigenschaft der Liebe, sich selber für den anderen zurückstellen zu können, wodurch ein Mehrwert für den andern entsteht. Wer zuerst auf sich selber schaut, kann in die Gefahr eines immer schlimmer werdenden Egoismus kommen, der sich bis zum Schmarotzertum, Eigenverliebtheit und Ich-Ver- götzung steigert.
Darum spricht der Apostel im NT: "Wisset, meine geliebten Brüder und Schwestern: Jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn" (Jak 1,19) und der Weisheitslehrer Jesus, der Enkel des Sirach, im AT: "Sei schnell in deinem Hören und erhebe mit Bedacht deine Stimme zur Antwort!" (Sir 5,11)
Wer nicht schnell antwortet, hält viel Unheil zurück, nämlich das Unheil durch die Zunge. Das kennt man zu genüge, dass Worte aus einer situativen Laune heraus schon mal schnell unhöflich, garstig, mürrisch oder jähzornig werden können. Wenn man aber erst mal kurz abwartet, kann man sich die Worte nochmal überlegen, man kann sie nochmal in Zucht halten, obwohl die Zunge schon vorpreschen wollte. Wer zuhören kann, zeigt geistige Reife. Er gibt dem andern das Gefühl, dass ihm dessen Worte mindestens genau- so wichtig sind wie seine eigenen, womit man das Gesetz der Liebe erfüllt: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.
Für den Nächsten auf diese schlichte Weise da zu sein ist mehr wert als wir es uns auf Erden vorstellen können. Den wahren Wert davon werden wir erst im Himmel erfahren.
Die Eigenschaft des Zuhörens ist aktuell besonders wichtig, weil der Pluralismus immer mehr zugenommen hat. Verbohrte und hartnäckig Eingestellte haben oft die Haltung, nicht zuhören zu wollen, sondern nur Platti- tüden oder sogar Beleidigungen von sich zu geben. Wer aber nicht zuhören will, kann sich in seiner Ein- stellung nicht überprüfen. Oder steht irgendwo, dass man selber immer recht hat und alles weiß ?
Eine sinnvolle Argumentationskultur erfordert es, dem andern zuhören, seine eigene Einstellung den besseren Argumenten des andern anpassen und einsichtig sein zu können. Eine Diskussion, wo von vornherein fest- steht, dass man bessere Argumente des Gesprächs- partners sowieso nicht ernst nehmen wird, macht keinen Sinn, sondern fördert Unfrieden. Reden macht ohnehin nur Sinn, wenn sich mindestens zwei gegenüberstehen, die die Würde des andern respektieren. Zuhören ist eine Form des kommunikativen Miteinanders, welche die Würde des andern achtet.
Bild: "Frauen können erst mal gut zuhören, reden dann aber auch mehr."