mariokin
11,2 Tsd.

Wie ist Bischof Tissiers Standpunkt zu werten?

ein theologisches Statement von Klaus Obenauer:

„Und ihr sollt nicht richten – und ihr werdet nicht gerichtet werden; und ihr sollt nicht verdammen – und ihr werdet nicht verdammt werden“ (Lukas 6,37): Daran wollen wir uns halten. Auch im folgenden. Denn an je uns haben wir zuerst diesen Maßstab anzulegen, ansonsten wir das hohe Herrenwort in der Anwendung schlicht pervertieren würden.
An sich gebietet die sensible Phase, in der sich die Causa FSSPX inzwischen mal wieder befindet, auch große Zurückhaltung; Öl ins Feuer zu gießen, verbietet sich. Und schon gar nicht steht es Außenstehenden, wie z.B. unbedeutenden Theologen, wie (bei noch so vielem Engagement) ich einer bin, an, sich in die internen Streit der Piusbruderschaft über den künftigen Weg einzumischen. – Allein: Bischof Tissier de Mallerais hat jüngst der französischen Zeitung Rivarol ein Interview gegeben, dessen Inhalt, und sei es von einem unbedeutenden Theologen, unbedingt zur Sprache gebracht werden muß. Für die Meinungsbildung scheint es mir schier unerläßlich, darauf einzugehen. Denn darin melden sich in kaum verhohlener Deutlichkeit die Konsequenzen zu Wort, die eine Entscheidung für oder gegen eine Aussöhnung mit Rom mit sich bringt, beziehungsweise auch verborgene Leitmotive, die darin am Werk sind.
Was es in sich hat, ist bereits der erste Passus. Auf die Frage, wie es um die „Reintegration“ der Piusbruderschaft in die „offizielle Kirche“ genau stehe, antwortet Bischof Tissier:
“‚Réintégration‘: le mot est faux. La Fraternité Saint-Pie X (FSSPX) n'a jamais quitté l'Eglise. Elle est au cœur de l'Eglise. Là où est la prédication authentique de la foi, là est l'Eglise. Ce projet d'‚officialisation‘ de la FSSPX me laisse indifférent. Nous n'en avons pas besoin et l'Eglise n'en pas besoin. Nous somme déjà sur le pinacle, comme un signe de contradiction qui attire les âmes bien nées, qui attire beaucoup de jeunes prêtres malgré notre statut de paria.”
Deutsch: „‚Reintegration‘: das Wort ist falsch. Die Bruderschaft Sankt Pius X. (FSSPX) hat niemals die Kirche verlassen. Sie ist im Herzen der Kirche. Dort, wo die authentische Predigt des Glaubens ist, dort ist die Kirche. Dieses Projekt des ‚Offiziell-Machens‘ [/ ‚Veramtlichung‘] der FSSPX läßt mich gleichgültig. Wir haben es nicht nötig, und die Kirche hat es nicht nötig. Wir sind bereits auf der Spitze, als ein Zeichen des Widerspruchs, der die edlen Seelen anzieht, der viele junge Priester anzieht, trotz unseres Status‘ von Parias.“
Die Brisanz, besser: der zu denken gebende Skandal ist mit eben dem Satz gegeben: „Dort, wo die authentische Predigt des Glaubens ist, dort ist die Kirche.“ Noch dazu in seinem Kontext läßt sich dieser Satz nur mit der Bemerkung kommentieren: Das ist reformatorischer Trotz pur. „Was kümmert uns der Papst; bei uns wird die rechte Lehre verkündet – also ist bei uns die rechte Kirche.“ Luther und Calvin hätten es nicht „schöner“ sagen können.
Jedenfalls bin ich sehr versucht, so wie eben zu kommentieren. Aber ich will mich mehr zurücknehmen. Daher sachlich-nuancierter: Der Satz, an dem ich Anstoß nehme, ist das, fast wortgleiche, Pendant zur klassisch protestantischen Bestimmung der wahren („sichtbaren“) Kirche: „Die wahre Kirche ist dort, wo das Evangelium [das Wort] rein gepredigt wird (und die Sakramente stiftungsgemäß gereicht werden).“ So oder ähnlich liest man in der Augsburger Konfession oder in Calvins Institutionen. Nur um die Nuance, daß Bischof Tissier von der authentischen Predigt des Glaubens spricht, statt eben: des Wortes oder Evangeliums, weicht er vom altreformatorischen Axiom ab, eine Nuance, die zwar mit Blick auf den katholischen Kontext im Unterschied zum reformatorischen nicht uninteressant ist, für unsere Belange hier jedoch marginal.
Was ist nun zu Tissiers Satz wie zu seinem altprotestantischen Pendant zu sagen? 1.) Es gehört zum Standard der katholischen Apologetik seit Bellarmin, die reine Predigt des Wortes o.ä. (zusammen mit der rechten Sakramentenspendung) als Kennmal der wahren Kirche („nota ecclesiae“) zurückzuweisen: Dieses Kriterium ist unzulänglich. 2.) Vor allem aber: Dieser Satz ist, so wie er dasteht („sicut jacet“) beziehungsweise absolut genommen, häretisch. Man beachte: „Dort, wo die wahre Kirche ist, ist der rechte Glaube (und seine Verkündigung)“, dieser hochorthodoxe Satz legitimiert eben nicht die Umkehrung, wonach inhaltliche Richtigkeit der Verkündigung schon allein wahre Kirche konstituiert. Und letzteres besagt der Satz Tissiers dem Wortlaut nach ebenso wie das entsprechende protestantische Axiom. Richtig ist vielmehr: „Dort, wo garantiert der wahre Glaube verkündet (und geglaubt) wird, ist die wahre Kirche.“ Und diese Garantie besteht in der Apostolizität der Kirche und darin als Achse ihres hierarchischen Amtes. Und die Achse dieser Achse ist nun einmal die Sukzession im Petrusprimat, die dem Römischen Pontifex eigen ist. Ohne diese Achse nicht die Garantie des wahren Glaubens, mit welcher Garantie des wahren Glaubens eo ipso die wahre Kirche und alles, was zu ihr gehört, gegeben ist.
Ich bin mir wohl bewußt, daß Bischof Tissier dies „eigentlich auch weiß“ und in seinen Vorlesungen zum Beispiel sicher nicht protestantische Ekklesiologie vorgetragen hat. Und ebenso bin ich mir dabei bewußt, daß der Horizont der zitierten Ausführungen Tissiers die These von der Ausnahmesituation ist, wonach Rom „modernistisch besetzt“ sei durch zwar an sich rechtmäßige Amtsträger, die jedoch aufgrund ihrer Irrtumsbefangenheit unter Dysfunktion leiden; schon ausweislich des Gesamtinterviews. – Jedoch bin ich mir ebenso bewußt, daß die Entleerung des Bezuges auf den aktuellen Inhaber des Lehrstuhls Petri zugunsten eines „ewigen Rom“ mit einer gewissen Folgerichtigkeit jene häresioide Tendenz zeitigt, die (zumindest) sich in der ganzen obigen Zitatpassage ausdrückt. Sehr deutlich sich ausdrückt: Wird doch dort in schier beispielloser Selbstgefälligkeit inhaltliche Korrektheit (in Verkündigung und Praxis) gegen die hierarchische Anbindung ausgespielt: mit Blick auf die aktuellen Amtsinhaber ist diese Anbindung schlicht verzichtbar (auch wenn sie gar nichts Unannehmbares fordern). Ja, die Rede vom „Herzen der Kirche“ insinuiert gar einen Spiritualismus, der die Institution verachtet.
Und so komme ich mit Blick auf den besagten Horizont und den Gesamtkontext des Interviews, die noch „irgendwie“ relativieren mögen, zu der dann aber sehr bestimmten Folgerung, daß der oben zitierte Passus mit folgender theologischer Zensur zu belegen ist: „efformat complexionem sententiarum haeresim saltem sapientem“ („er bildet einen Komplex von Sätzen, der nach Häresie wenigstens schmeckt“). – Für den Inhalt gilt dies, wohlgemerkt; über die Person von Bischof Tissier maße ich mir kein Urteil an.
Nichts liegt mir ferner, als mit dieser knappen Analyse pauschal die Mitglieder der FSSPX zu brüskieren: mit Blick nämlich darauf, daß Erzbischof Lefebvre die Rede vom „ewigen Rom“ ja geprägt hat. Dazu ausführlich Stellung zu beziehen, ist hier nicht der Ort. Ad hoc nur so viel dazu: Das eine ist der Rekurs auf „das ewige Rom“ als Ausdruck einer Verlegenheit, einer Perplexität, in der man sich jedenfalls subjektiv sieht; das andere ist die Substitution des konkreten Bezuges auf den Nachfolger Petri durch die Spiritualisierung der Größe „Römischer Stuhl“ zu einer Art platonischer Hinterwelt, die die institutionelle Greifbarkeit im aktuellen Römischen Pontifex überflüssig macht.
Schließlich: In dem Maße man auf diese konkrete institutionelle Anbindung verzichtet, indem man sich bei einem ewigen Rom ohne konkretes Rom einrichtet, verzichtet man auf Orthodoxie überhaupt: insofern die Glaubensregel eben an der konkreten Institution festgemacht ist. – Es ist von daher nicht hinnehmbar, wenn Bischof Tissier im besagten Interview von einem aktuellen Rom spricht, das durch die Päpste vor dem Konzil verurteilt sei, um dabei zu übersehen, daß gerade das, was er sagt, von allen diesen Päpsten verurteilt wurde.
Bei diesem insgesamt knappen Hinweis will ich es lassen. Nach wie vor weiß ich mich der FSSPX in toto wie dem Versöhnungsprojekt gegenüber sehr wohlwollend eingestellt. Aber gerade im Angesicht des aktuellen Ringens scheint mir obiger Zwischenruf – von wem auch immer er gehört werden mag – angebracht. Mein Zwischenruf zeigt die Tiefendimension der Anfrage auf, welche das Generalat der Piusbruderschaft, allen voran Bischof Fellay, an die übrigen drei Bischöfe richten: Glaubt Ihr noch, daß Joseph Ratzinger alias Benedikt XVI. der rechtmäßige Papst ist? Denn mit Blick auf das, was Bischof Tissier artikuliert, tut sich hier schlicht die abgründige Alternative zwischen katholisch und protestantisch auf. Und hier zeigt sich: Was es auch immer mit dem Provisorium der Irregularität auf sich hatte; wer jetzt an ihm festhält, es auf unbestimmte Zeit hin verlängern will, steht vor dem Abgrund einer Option, die einen nicht mehr katholisch sein läßt. Da bleibt nur der Protestant. Der „methodische“ zunächst. Aber ohne Prophet spielen zu wollen: Es spricht einiges für die Prognose, daß der methodische Protestantismus durch die Dialektik von verschiedensten Verwerfungen hindurch zu einem inhaltlichen führen wird.
Respice, quo vadas!"

Originalquelle: www.katholisches.info/…/piusbruderschaf…
Maris
Der Teufel verwirrt eben auch von rechts! Hat Tissier vergessen, wie der Hase in der Kirche läuft? 😲