Zum Feind erklärt (www.german-foreign-policy.com)

Zum Feind erklärt

Debatte um Ostasienfahrt der Fregatte Bayern hält an. Beijing akzeptiert Berliner Beschwichtigungsversuche nicht. Einflussreiche Tageszeitung erklärt China zum Feind.

11. August 2021

BERLIN/BEIJING(Eigener Bericht) - Anhaltende Debatten begleiten die Entsendung der Fregatte Bayern nach Ostasien und ins Südchinesische Meer. Bereits seit Monaten üben außenpolitische Hardliner massive Kritik daran, dass die Fregatte bislang keine speziellen Provokationen gegen die Volksrepublik zusätzlich zur Durchquerung des Südchinesischen Meeres plant; gefordert wurden immer wieder das Eindringen in die Hoheitsgewässer von China beanspruchter Inseln oder das Abhalten gemeinsamer Manöver mit verbündeten Streitkräften. Dass eine direkte "Konfrontation offensichtlich vermieden" werde, gehe den "Verbündeten" Berlins "nicht weit genug", moniert eine Mitarbeiterin des Mercator Institute for China Studies (MERICS). Beijing fordert unterdessen im Hinblick auf den von Deutschland zur Beschwichtigung erbetenen Hafenbesuch der Fregatte in Shanghai, die Bundesregierung müsse sich entscheiden, ob sie die Kooperation oder einen heftigen Konflikt mit Beijing anstrebe. Während die Spannungen eskalieren, geht ein einflussreicher deutscher Leitkommentator über NATO-Sprachregelungen hinaus und erklärt China zum "Feind".

Die deutsche Beschwichtigungsstrategie
Die Fregatte Bayern wird laut aktuellem Planungsstand auf zusätzliche Provokationen gegenüber China verzichten, wenn sie auf ihrer Rückfahrt aus Ostasien das Südchinesische Meer durchqueren wird. So soll sie weder die Taiwanstraße passieren noch gemeinsame Manöver mit Kriegsschiffen verbündeter Staaten abhalten. Auch ist, wie Marineinspekteur Kay-Achim Schönbach unlängst bestätigte, nicht vorgesehen, dass die "Bayern" in Zwölfmeilenzonen rings um umstrittene Inseln oder Atolle eindringt.[1] Kriegsschiffe der Vereinigten Staaten wie auch anderer westlicher Mächte tun das regelmäßig.[2] Laut Schönbach soll die deutsche Fregatte "die üblichen Handelsrouten benutzen". Ziel ist es offenkundig, Beijing zu beschwichtigen. Zum selben Zweck hat Berlin der chinesischen Marine einen Besuch bei der diesjährigen Kieler Woche im September angeboten und um einen Hafenbesuch der "Bayern" in Shanghai vor deren Einfahrt in das Südchinesische Meer ersucht. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer thematisierte die Fahrt am 6. Juli in einem Telefongespräch mit ihrem chinesischen Amtskollegen Wei Fenghe. Dabei betonte sie neben den üblichen Vorwürfen gegen Beijing "auch die Wichtigkeit eines Dialogs zwischen beiden Ländern", teilt das Bundesverteidigungsministerium mit.[3]

"Für China schwer zu akzeptieren"
Beijing allerdings ist nicht bereit, Berlins Beschwichtigungsversuche umstandslos zu akzeptieren. Man werde dem Hafenbesuch in Shanghai nicht zustimmen, wenn die Bundesregierung nicht vorab ihre widersprüchlichen Absichten kläre, teilte ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums Anfang vergangener Woche mit.[4] In der Tat sticht der Widerspruch zwischen dem von der Bundesregierung gewünschten Hafenbesuch und dem - öffentlich lautstark verkündeten - Ziel ins Auge, mit der Ostasienfahrt der Fregatte Bayern demonstrativ gegen die Volksrepublik Position zu beziehen: Die Fahrt und ihr Ziel reihen sich in rasch zunehmende militärische Aktivitäten der USA, ihrer europäischen und ihrer regionalen Verbündeten nicht nur im Südchinesischen Meer, sondern auch im Indischen und im Pazifischen Ozean ein (german-foreign-policy.com berichtete [5]). In dieser Situation sei es "für China schwer zu akzeptieren", dass Deutschland "beide Seiten zufrieden stellen" wolle, urteilt Cui Hongjian, Leiter der Abteilung für Europastudien am China Institute of International Studies (CIIS); Berlins ambivalente Stellung werde sich kaum halten lassen.[6] China und Deutschland seien derzeit dabei, ihre grundlegenden Positionen auszutesten - dies nicht zuletzt auch mit Blick auf eine etwaige Verschärfung der Berliner Chinapolitik nach der Bundestagswahl.

"Nicht konfrontativ genug"
Auch mit Blick auf die künftige Bundesregierung machen Verfechter eines noch aggressiveren Kurses gegen China massiv Druck. Die Entsendung der Fregatte Bayern nach Ostasien und in das Südchinesische Meer sei "für Deutschland ... ein positiver Schritt", urteilt etwa Helena Legarda vom Mercator Institute for China Studies (MERICS) in Berlin. Legarda begründet dies so: "Es ist ein Schritt, der China auf keinen Fall gefällt."[7] Allerdings gingen die geplanten Operationen der Fregatte "für die Verbündeten ... nicht weit genug", äußert die MERICS-Mitarbeiterin; das liege daran, dass "Konfrontation offensichtlich vermieden wird". Aggressive Konfrontationen sind demnach erwünscht: "Wenn sich die Fregatte wie angekündigt an die üblichen Handelsrouten hält und keine 'Freedom of Navigation'-Operationen mit den Partnern durchführt, dann unterwirft sich Berlin de facto den von China aufgestellten Regeln", behauptet Legarda. Die "Verbündeten" bestünden voraussichtlich zumindest darauf, "dass die Entsendung der Fregatte kein einmaliges Ereignis ist". Ein aggressiveres Vorgehen hatten bereits im Mai die FDP und die ihr verbundene Friedrich-Naumann-Stiftung verlangt. Dass die Fregatte sich "brav auf internationalen Handelsrouten bewegen" solle, läuft der Naumann-Stiftung zufolge auf einen "Schmusekurs" gegenüber China hinaus.[8]

Begriffsbestimmungen
Worauf die stetige Eskalation hinausläuft, hat Ende Juli ein sehr grundsätzlich gehaltener Leitkommentar eines führenden Transatlantikers in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gezeigt. Demnach müsse man von einem "geoökonomischen Expansionismus und territorialen Ausgreifen" der Volksrepublik sprechen - ein bemerkenswertes Urteil mit Blick auf die zahlreichen Kriege in Europa, Asien und Afrika, die nicht China, sondern der Westen verstärkt seit 1990 führt, aber auch im Blick auf dessen immer aggressivere Kriegsübungen im asiatisch-pazifischen Umfeld Chinas. "Die Kommunisten verfolgen ihre Expansionsstrategie auf zum Teil aggressive Weise", heißt es weiter - bis der Autor dann zu Begrifflichem übergeht. "Im Westen sieht man China heute in der Regel als Partner und als Wettbewerber", schreibt Klaus-Dieter Frankenberger, "weniger Zurückhaltende fügen Systemrivale hinzu, was das Grundsätzliche der Konkurrenz betont."[9] "Ehrlicherweise wäre ein weiteres Merkmal hinzuzufügen": China sei ein "Feind", der "westlichen Interessen offensiv entgegentritt". Um Missverständnisse auszuschließen, fügt Frankenberger dem Begriff "Feind" noch die englische Übersetzung "enemy" hinzu. Beide Begriffe bezeichnen im üblichen Sprachgebrauch den Gegner in einem Krieg.

Kein Plan zur Kriegsvermeidung
Indem ein führender Kommentator China zum "Feind" erklärt, geht er sogar über die Terminologie der Vereinigten Staaten und der NATO hinaus. US-Außenminister Antony Blinken hatte es Anfang Mai demonstrativ vermieden, die Volksrepublik als "enemy" einzustufen.[10] NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hatte Mitte Juni ausdrücklich betont, es gebe zwar Spannungen mit Beijing, doch sei China "nicht unser Feind" ("not our enemy").[11] Die gegenteilige Äußerung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung erfolgt, während in den USA die Warnungen vor einem heißen Krieg gegen die Volksrepublik zunehmen. So hieß es etwa nach dem jüngsten Treffen der stellvertretenden US-Außenministerin Wendy Sherman mit ihrem chinesischen Amtskollegen Xie Feng Ende Juli in Tianjin, zwar seien sich beide Seiten einig gewesen, keinen Krieg zu wollen; doch habe es keine Übereinstimmung bezüglich der Frage gegeben, wie man ihn vermeiden könne.[12] Es gebe zwar "keine Anzeichen für eine mögliche Verbesserung" der Beziehungen, doch viel "Raum für eine weitere Verschlechterung", wurde Willy Lam von der Chinese University in Hongkong zitiert. Vor allem "aktive und ehemalige US-Offiziere" seien "äußerst besorgt", äußerte Orville Schell, Direktor des Center on US China Relations an der New Yorker Asia Society.

Vielleicht schon in drei Jahren
Tatsächlich halten hochrangige US-Militärs einen Krieg zwischen den USA und China für recht wahrscheinlich. Dies bestätigt der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber Admiral a.D. James G. Stavridis, der einen solchen Krieg unlängst in Romanform beschrieben hat. Der Roman spielt im Jahr 2034. Stavridis berichtet, sein Buch habe bei seinen ehemaligen Kollegen viel Zustimmung erhalten - mit Ausnahme des Zeitpunkts. Nicht wenige seien der Auffassung, ein solcher Krieg werde früher eintreten: 2026, womöglich gar schon 2024 (german-foreign-policy.com berichtete [13]).

Mehr zum Thema: Der große Krieg, Illegal besetzte Inseln und unsere Video-Kolumne: Krieg gegen China.

[1] Thomas Wiegold: Deutsche Fregatte zum "Flagge zeigen" in den Indopazifik ausgelaufen. augengeradeaus.net 02.08.2021.
[2] S. dazu Ostasiens Mittelmeer (II).
[3] Kramp-Karrenbauer und chinesischer Amtskollege Wei tauschten sich virtuell aus. bmvg.de 06.07.2021.
[4] Amber Wang: Beijing to Berlin: clarify warship's intentions in South China Sea or forget Shanghai visit. scmp.com 03.08.2021.
[5] S. dazu Manöver in Ostasien und Manöver in Ostasien (II).
[6] Amber Wang: Why China is not saying yes - or no - to the German navy's port call request. scmp.com 07.08.2021.
[7] Leinen los in hochpolitische Gewässer. zdf.de 02.08.2021.
[8] S. dazu Die neue deutsche Kanonenbootpolitik (III).
[9] Klaus-Dieter Frankenberger: Partner, Konkurrent - und Feind? Frankfurter Allgemeine Zeitung 30.07.2021.
[10] US-China relations: Blinken accuses China of acting more aggressively. bbc.co.uk 03.05.2021.
[11] Beijing tells Nato to stop hyping up China threat. bbc.co.uk 15.06.2021.
[12] Ben Westcott, Nectar Gan: The US and China say they want to avoid military conflict, but no one can agree on how. edition.cnn.com 30.07.2021.
[13] S. dazu Der große Krieg und unsere Rezension: "2034".
german-foreign-policy.com/news/detail/8684/