Josefa Menendez
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Wenn die Seele den Körper verlässt - Teil 4

Der Kreis der Dunkelheit

In dieser Fegefeuerstufe weiß die Seele immer noch nichts von Gott. Sie hat auch keine Ahnung davon, was sie in Zukunft erwartet. Dafür ist sie jetzt gezwungen, sich fortwährend und mit peinlicher Genauigkeit an ihre Schuld, an alle ihre Sünden, Fehler, Versäumnisse und Nachlässigkeiten zu erinnern. Es wird ihr bewußt, wie jämmerlich und nichtig der damals erzielte Nutzen im Vergleich zu dem jetzigen Verlust ist. Es ist das einzige, was sie versteht.

Sie wird gequält von den ständigen Gedanken an Zeiten, in denen sie Böses getan hat, sowie von dem Gefühl ihrer eigenen Machtlosigkeit, da sie jetzt nichts mehr nachholen oder rückgängig machen kann. Durch den Blick auf das Verlorene und auf die Strafe dafür wird sie überwältigt von Reue und Verzweiflung. Ohnmächtige Verzweiflung, Bitterkeit und Wehmut, das Gefühl von Verlassenheit, Abscheu gegen die eigenen Taten; daraus besteht die nie erlöschende Glut, die sie verzehrt.

Der Kreis der Götzenanbeter

Alle jene, die irgendwann einmal gegen das erste Gebot verstoßen und an die höchste Stelle Menschen, die Wissenschaft, eigene Ambitionen, sich selbst oder irgendwelche Gegenstände gesetzt haben, sie haben jetzt das volle Bewußtsein der Existenz eines einzigen Gottes und mit einer verzweifelten, hoffnungslosen Sehnsucht sehnen sie sich nach ihm.

Sie sehen jedoch, wohin sie auch blicken, nur ihre früheren Götzen vor sich. So gern sie jetzt den wirklichen Gott anbeten und preisen würden, sie sehen ihn nicht, sondern erinnern sich ständig an ihre früheren, albernen

Ehrenbezeugungen. Sie wollen Gott um Hilfe bitten, müssen sich jedoch damit an jene Götzen wenden, obwohl sie jetzt bereits die ganze Sinnlosigkeit einer solchen Bitte erkennen und verstehen. Sie möchten gern das Licht sehen, das sie irgendwo über sich spüren, aber all das, dem sie früher anstelle von Gott huldigten, schiebt sich wie eine feindliche Wolke vor diese Helligkeit und verdunkelt ihnen die Sicht. Jeder Gedanke an das zu Lebzeiten Versäumte, an die durch eigenen Willen herbeigeführte Verfälschung der Werte vertieft noch ihre Trauer und Qual.

Der Kreis der Mitschuldigen

Hier treffen sich diejenigen wieder, die einander zu Lebzeiten auf irgendeine Weise geholfen haben, zu sündigen. Obwohl ihnen dieses Zusammensein empfindliche Schmerzen bereitet, können sie sich nicht voreinander verstecken und haben einander ständig vor Augen.

Die meisten, die sich hier aufhalten, waren einmal in sündiger Liebe miteinander verbunden. Sie fühlen sich schuldig und durch den jeweils anderen benachteiligt. Sie sind einander böse - und haben gleichzeitig Gewissensbisse. Sie möchten einander gern aus ihrem Gedächtnis streichen, können aber nicht auseinandergehen. Wie elend, abscheulich und schmutzig erscheint ihnen jetzt das, was sie einmal verband. Wie deutlich können sie jetzt den wirklichen Wert eines Menschen erkennen! Sie verstehen absolut nicht, wie sie jemals so blind sein konnten. Wie gern würden sie die ganze Verantwortung auf die Person schieben, die ihnen zu Lebzeiten so vertraut und teuer war!

Mit welcher Wut würde einer dem anderen die gemeinsam verübten Missetaten zuschreiben! Dabei können sie sich an jede Einzelheit, jeden Augenblick, jede schmutzige Regung ihres Herzens erinnern. Reue und Scham brennen in ihnen, Gefühle, die sie zu Lebzeiten nicht kannten!

Aus: kath-zdw.ch/maria/besuche.html