Kardinal Schönborns Interview
Sehr geehrter Iacobus,
vielen Dank dafür, dass Sie das Interview mit Kardinal Schönborn eingestellt haben.
Herr Steinke empfahl mir kürzlich, gelegentlich einen Artikel für Gloria.tv zu schreiben. Da ich über die subsistit-in-Lehre des Konzils publiziert habe, war dieses Interview für mich von besonderem Interesse, weshalb ich den nachstehenden Artikel dazu verfasst habe. Da die Ausführungen von Kardinal Schönborn langatmig sind, habe ich seine wichtigsten Aussagen zunächst wiederholt.
Es würde mich freuen, wenn Sie meinen Artikel einstellen würden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schüler
Kardinal Schönborn will die Ehe-Moral unter Hinweis auf die subsistit-in-Lehre des Pastoralkonzils verändern
Gloria.tv übermittelt heute ein Interview, das Kardinal Schönborn dem Journalisten Iacopo Scaramuzzi von Vatican Insider gegeben hat, der darüber in einem Artikel berichtete. Ich greife aus diesem Interview diejenigen Passagen heraus, die sich auf die subsistit-in-Lehre des Konzils beziehen:
Scaramuzzi bemerkt: Schönborn macht zunächst einen grundsätzlichen Vorschlag von größter Tragweite für „alle Sakramente“. Das umstrittene subsistit in, mit dem das Zweite Vatikanische Konzil den Anspruch aufweichte, die eine Kirche Jesu Christi zu sein, außerhalb derer es kein Heil gibt, auch auf die Sakramente zu übertragen, „besonders das Ehesakrament“.
Scaramuzzi: Eminenz, wovon haben Sie in Ihrer ersten Wortmeldung in der Synodenaula gesprochen?
Kardinal Schönborn: Ich habe empfohlen, die Vision des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche zu vertiefen und eine Analogie zwischen Kirche und Sakrament herzustellen, besonders dem Ehesakrament. …Beim Zweiten Vaticanum wurde ein doktrinell sehr wichtiger Schritt in Bezug auf die anderen Kirchen und christlichen Gemeinschaften und in Bezug auf die anderen Religionen getan.
Die patristische Sicht versuchte immer nicht nur zu sehen, was in den anderen Religionen fehlt, sondern auch das, was positiv ist, als Verheißung, Same, Hoffnung. Und das Zweite Vaticanum hat diese patristische Sichtweise der anderen Religionen und der anderen kirchlichen Gemeinschaften aufgegriffen, um zu sagen: „sicher, die eine Kirche Christi ist konkret verwirklicht, „subsistit in“, der katholischen Kirche. Fügt aber sofort hinzu: was aber nicht daran hindert, daß auch außerhalb des Körpers der katholischen Kirche viele Elemente der Heiligung und der Wahrheit sein können, die zur katholischen Einheit drängen.
Und auf der Grundlage dieses berühmten Satzes der Konzilskonstitution Lumen Gentium, Paragraph 8 wurde das ganze Dekret über die Ökumene und das ganze Dekret über die anderen Religionen Nostra Aetate formuliert.
Meine Empfehlung ist einfach. Man nehme diese Analogie um zu sagen: sicher, die Fülle des Ehesakraments „subsistit“ in der katholischen Kirche, wo das Sakrament mit den drei Zielsetzungen fides, proles, sacramentum, die Treue, die Kinder und die unauflösliche Bindung gegeben sind. Das ist die Fülle des Sakraments. In Anwendung des Zweiten Vaticanums könnte man aber sagen, daß dies nicht daran hindert, daß auch außerhalb dieser Vollform des Ehesakraments vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit sein können.
Scaramuzzi: Können Sie ein Beispiel nennen?
Kardinal Schönborn: Wir haben zum Beispiel in der ganzen Welt, und man sieht das sehr deutlich in den Zeugnissen der Synodenväter, die Tatsache des Zusammenlebens ohne Trauschein, ohne offizielle Ehe. Und natürlich sagt die Kirche – und sie tut gut daran, es zu sagen – daß hier etwas fehlt, der ausdrückliche sakramentale Ehebund fehlt. Aber das hindert nicht daran, daß es auch Elemente geben kann, die von diesem Versprechen fast versprochen sind [gemeint ist wohl: die in dieses Versprechen fast eingeschlossen sind]: die Treue, die Achtung des einen für den Anderen, der Wille eine Familie zu gründen. Das alles ist nicht das, was wir uns von einer vollständigen Ehe erwarten, aber es ist schon etwas. Ich denke, daß uns dieser Ansatz helfen kann bei dem, was uns Papst Franziskus sehr nahelegt: begleitet sie, bevor geurteilt und Noten ausgeteilt werden, begleitet sie und macht, daß sie Schritt um Schritt, mit der Hilfe Gottes und dem Zeugnis der christlichen Paare und Familien, die Fülle des Ehesakraments entdecken. …
Kommentar
In der Neuausgabe der Dokumente des Pastoralkonzils durch P. Hünermann lautet die Übersetzung des subsistit-in-Satzes, auf den Kardinal Schönborn Bezug nimmt:
„Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, existiert in der katholischen Kirche, [subsistiert in ecclesia catholica] die vom Nachfolger des Petrus und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird, auch wenn sich außerhalb ihres Gefüges mehrere Elemente der Heiligung und der Wahrheit finden, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“[1]
Man hat wohl mit Recht behauptet, dass über keine Stelle in den Texten des Pastoralkonzils so viel Tinte geflossen sei, wie über das subsistit in, und Kardinal Ratzinger bemerkte dazu, dass diese Passage
„wie vorherzusehen war – die widersprüchlichsten Deutungen gefunden hat“[2].
Ist es nicht unverantwortlich gewesen, dass das Konzil an einer so entscheidenden Stelle, wo es um das Zentrum des Selbstverständnisses der Kirche geht, einen Begriff eingeführt hat, um den in nachkonziliarer Zeit das große Rätselraten begann!
Rom hat in mehreren Veröffentlichungen die subsistit-in-Problematik erörtert, zuletzt in der Erklärung der Glaubenskongregation vom 10.7.2007.
Ausschlaggebend ist dabei folgende Denkfigur:
Das Konzil rückt von der immerwährenden Lehre der katholischen Kirche ab, derzufolge die Kirche Christi exklusiv identisch mit der katholischen Kirche ist und behauptet nur noch, dass die Kirche Christi in ihr vollständig verwirklicht ist bzw. in ihr existiert.
Die vollständige Verwirklichung besagt, dass die katholische Kirche alle kirchlichen Elemente besitzt, und die anderen christlichen Gemeinschaften besitzen sie nur in mehr oder weniger großem Umfang.
Danach ist die katholische Kirche nicht mehr die einzige Verwirklichung der Kirche Christi, was die Tradition lehrt, und was noch Pius XII. in seiner Enzyklika Mystici corporis ausdrücklich sagt, sondern sie ist nur noch die einzige vollständige Verwirklichung derselben, und die anderen christlichen Gemeinschaften sind unvollständige Verwirklichungen der Kirche Christi, weil sie nicht alle Heilselemente besitzen.
Diejenigen Elemente aber, die sie besitzen, so die Behauptung des Konzils, sind so substantiell, dass diese Gemeinschaften eine Heilswirksamkeit besitzen (Ökumenismusdekret, Art.3).
Diese falsche Elemente-Ekklesiologie wurde kürzlich schon von Kardinal Kasper auf die Ehe übertragen, wovon gloria.tv berichtete. Er sagte im Prinzip: Die sakramentale Ehe besitzt alle Ehe-Elemente und die bloß bürgerliche Ehe besitzt nicht alle Ehe-Elemente, ihr fehlt nämlich die Sakramentalität.
In dieser Argumentation folgt ihm Kardinal Schönborn, denn man kann seine Darstellung so formulieren: Die Ehe ist vollständig in der sakramentalen Ehe verwirklicht und in der bürgerlichen Ehe ist sie in unvollständiger Weise verwirklicht.
In Analogie zur angeblichen Heilswirksamkeit der anderen christlichen Religionen soll sowohl nach Kardinal Kasper als auch nach Kardinal Schönborn, wenn man einmal von beschwichtigenden Floskeln absieht, den staatlich Geschiedenen und Wiederverheirateten der Zugang zur Kommunion gestattet werden.
Ihre Denkfigur, die beide Kardinäle dem Pastoralkonzil entnehmen, lautet: So wie die kirchlichen Elemente, die die anderen christlichen Religionen besitzen, dazu hinreichen, diesen eine Heilswirksamkeit zuzuerkennen, so reichen diejenigen Elemente der Ehe, die die bürgerliche Ehe besitzt, dazu hin, den staatlich Geschiedenen und Wiederverheirateten den Zugang zur Kommunion zu gestatten.
Wie man sieht, votiert auch Kardinal Schönborn dafür, Geschiedenen und Wiederverheirateten den Zugang zur Kommunion zu gestatten, obwohl sie sich im Zustand der schweren Sünde befinden, weil sie gegen das Gebot Gottes gehandelt haben, das Christus mit der Forderung zum Ausdruck gebracht hat: „Was nun Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,6).
Wenn es auf der Bischofsversammlung zu einer Auseinandersetzung um die Übertragung der subsistit-in-Lehre und der mit ihr verbundenen Elemente-Ekklesiologie kommt, dann haben die konservativen Bischöfe schlechte Karten. Denn die Vertreter der progressistischen Fraktion können sie darauf hinweisen, dass sie mit ihrem Ja zum Konzil auch die subsistit-in-Lehre des Konzils und die mit ihr verbundene Elemente-Ekklesiologie anerkannt haben.
Wenn dann die konservativen Bischöfe versuchen sollten, sich mit dem Hinweis aus der Affäre zu ziehen, dass mit den Heilselementen doch Sakramente in ihrer Ganzheit gemeint seien, dann können die Progressisten ihnen entgegnen, dass das nirgendwo im Konzilstext steht.
Außerdem können ihre Wortführer die konservativen Bischöfe daran erinnern, dass das Konzil selbst die Denkweise „vollständig – unvollständig“ bereits in Bezug auf ein Sakrament, nämlich in Bezug auf das Altarsakrament, angewendet hat, heißt es doch in Art.22.3 des Ökumenismusdekrets, mit Bezug auf die protestantischen Gemeinschaften, dass die
„ … von uns getrennten kirchlichen Gemeinschaften … das ursprüngliche und vollständige Wesen des eucharistischen Mysteriums nicht gewahrt haben, …“[3],
Danach hätten die protestantischen Denominationen, im Gegensatz zur katholischen Kirche, das eucharistische Mysterium zwar nicht vollständig bewahrt, aber immerhin doch bewahrt, wenn auch unvollständig. Die Progressisten können also geltend machen, dass das Konzept eines unvollständigen Sakraments bereits im Konzilstext in Bezug auf das Altarsakrament enthalten ist, und man habe jetzt erkannt, dass man dieses Konzept auch auf das Sakrament der Ehe anwenden könne. Da die Konservativen mit ihrem Ja zum Konzil diese Denkweise im Prinzip anerkannt hätten, sei ihre Weigerung, sie auf das Ehe-Sakrament anzuwenden, inkonsequent.
Auf diese Weise in Bedrängnis gebracht, haben die Konservativen, wie uns scheint, nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie resignieren und akzeptieren die Ausweitung der Elemente-Denkweise auf das Ehe-Sakrament, oder sie bekennen: Wir haben leider erst jetzt, an den Folgen der Elemente-Ekklesiologie, erkannt, dass diese selbst falsch ist, und deshalb erkennen wir sie nicht mehr an.
Da aber wenig Hoffnung besteht, dass sie sich dazu aufraffen werden, ihr Ja zur Elemente-Ekklesiologie des Konzils zurückzuziehen, ist zu befürchten, dass die Progressisten auf dieser Bischofssynode, wie auch schon auf dem Konzil, den Sieg davon tragen werden, und dass im kommenden Jahr die Beschlüsse zu Ehe und Familie in ihrem Sinne ausfallen werden.
Sie werden aber wohl kaum ahnen, dass sie mit diesem zu erwartenden Sieg die große Wende in der Kirche, von der Pfarrer Milch so eindrucksvoll sprach, beschleunigt herbeiführen werden.
[1] „Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils“, Hrsg. P. Hünermann, Freiburg 2004 S. 84f.
[2] J. Ratzinger: „Die Ekklesiologie der Konstitution Lumen gentium“, in J. Ratzinger: „Gesammelte Schriften“, Band 8/1, Freiburg 2010, S. 576.
[3] „Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils“, Hrsg. P. Hünermann, Freiburg 2004, S. 239.
vielen Dank dafür, dass Sie das Interview mit Kardinal Schönborn eingestellt haben.
Herr Steinke empfahl mir kürzlich, gelegentlich einen Artikel für Gloria.tv zu schreiben. Da ich über die subsistit-in-Lehre des Konzils publiziert habe, war dieses Interview für mich von besonderem Interesse, weshalb ich den nachstehenden Artikel dazu verfasst habe. Da die Ausführungen von Kardinal Schönborn langatmig sind, habe ich seine wichtigsten Aussagen zunächst wiederholt.
Es würde mich freuen, wenn Sie meinen Artikel einstellen würden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Wolfgang Schüler
Kardinal Schönborn will die Ehe-Moral unter Hinweis auf die subsistit-in-Lehre des Pastoralkonzils verändern
Gloria.tv übermittelt heute ein Interview, das Kardinal Schönborn dem Journalisten Iacopo Scaramuzzi von Vatican Insider gegeben hat, der darüber in einem Artikel berichtete. Ich greife aus diesem Interview diejenigen Passagen heraus, die sich auf die subsistit-in-Lehre des Konzils beziehen:
Scaramuzzi bemerkt: Schönborn macht zunächst einen grundsätzlichen Vorschlag von größter Tragweite für „alle Sakramente“. Das umstrittene subsistit in, mit dem das Zweite Vatikanische Konzil den Anspruch aufweichte, die eine Kirche Jesu Christi zu sein, außerhalb derer es kein Heil gibt, auch auf die Sakramente zu übertragen, „besonders das Ehesakrament“.
Scaramuzzi: Eminenz, wovon haben Sie in Ihrer ersten Wortmeldung in der Synodenaula gesprochen?
Kardinal Schönborn: Ich habe empfohlen, die Vision des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche zu vertiefen und eine Analogie zwischen Kirche und Sakrament herzustellen, besonders dem Ehesakrament. …Beim Zweiten Vaticanum wurde ein doktrinell sehr wichtiger Schritt in Bezug auf die anderen Kirchen und christlichen Gemeinschaften und in Bezug auf die anderen Religionen getan.
Die patristische Sicht versuchte immer nicht nur zu sehen, was in den anderen Religionen fehlt, sondern auch das, was positiv ist, als Verheißung, Same, Hoffnung. Und das Zweite Vaticanum hat diese patristische Sichtweise der anderen Religionen und der anderen kirchlichen Gemeinschaften aufgegriffen, um zu sagen: „sicher, die eine Kirche Christi ist konkret verwirklicht, „subsistit in“, der katholischen Kirche. Fügt aber sofort hinzu: was aber nicht daran hindert, daß auch außerhalb des Körpers der katholischen Kirche viele Elemente der Heiligung und der Wahrheit sein können, die zur katholischen Einheit drängen.
Und auf der Grundlage dieses berühmten Satzes der Konzilskonstitution Lumen Gentium, Paragraph 8 wurde das ganze Dekret über die Ökumene und das ganze Dekret über die anderen Religionen Nostra Aetate formuliert.
Meine Empfehlung ist einfach. Man nehme diese Analogie um zu sagen: sicher, die Fülle des Ehesakraments „subsistit“ in der katholischen Kirche, wo das Sakrament mit den drei Zielsetzungen fides, proles, sacramentum, die Treue, die Kinder und die unauflösliche Bindung gegeben sind. Das ist die Fülle des Sakraments. In Anwendung des Zweiten Vaticanums könnte man aber sagen, daß dies nicht daran hindert, daß auch außerhalb dieser Vollform des Ehesakraments vielfältige Elemente der Heiligung und der Wahrheit sein können.
Scaramuzzi: Können Sie ein Beispiel nennen?
Kardinal Schönborn: Wir haben zum Beispiel in der ganzen Welt, und man sieht das sehr deutlich in den Zeugnissen der Synodenväter, die Tatsache des Zusammenlebens ohne Trauschein, ohne offizielle Ehe. Und natürlich sagt die Kirche – und sie tut gut daran, es zu sagen – daß hier etwas fehlt, der ausdrückliche sakramentale Ehebund fehlt. Aber das hindert nicht daran, daß es auch Elemente geben kann, die von diesem Versprechen fast versprochen sind [gemeint ist wohl: die in dieses Versprechen fast eingeschlossen sind]: die Treue, die Achtung des einen für den Anderen, der Wille eine Familie zu gründen. Das alles ist nicht das, was wir uns von einer vollständigen Ehe erwarten, aber es ist schon etwas. Ich denke, daß uns dieser Ansatz helfen kann bei dem, was uns Papst Franziskus sehr nahelegt: begleitet sie, bevor geurteilt und Noten ausgeteilt werden, begleitet sie und macht, daß sie Schritt um Schritt, mit der Hilfe Gottes und dem Zeugnis der christlichen Paare und Familien, die Fülle des Ehesakraments entdecken. …
Kommentar
In der Neuausgabe der Dokumente des Pastoralkonzils durch P. Hünermann lautet die Übersetzung des subsistit-in-Satzes, auf den Kardinal Schönborn Bezug nimmt:
„Diese Kirche, in dieser Welt als Gesellschaft verfasst und geordnet, existiert in der katholischen Kirche, [subsistiert in ecclesia catholica] die vom Nachfolger des Petrus und von den Bischöfen in Gemeinschaft mit ihm geleitet wird, auch wenn sich außerhalb ihres Gefüges mehrere Elemente der Heiligung und der Wahrheit finden, die als der Kirche Christi eigene Gaben auf die katholische Einheit hindrängen.“[1]
Man hat wohl mit Recht behauptet, dass über keine Stelle in den Texten des Pastoralkonzils so viel Tinte geflossen sei, wie über das subsistit in, und Kardinal Ratzinger bemerkte dazu, dass diese Passage
„wie vorherzusehen war – die widersprüchlichsten Deutungen gefunden hat“[2].
Ist es nicht unverantwortlich gewesen, dass das Konzil an einer so entscheidenden Stelle, wo es um das Zentrum des Selbstverständnisses der Kirche geht, einen Begriff eingeführt hat, um den in nachkonziliarer Zeit das große Rätselraten begann!
Rom hat in mehreren Veröffentlichungen die subsistit-in-Problematik erörtert, zuletzt in der Erklärung der Glaubenskongregation vom 10.7.2007.
Ausschlaggebend ist dabei folgende Denkfigur:
Das Konzil rückt von der immerwährenden Lehre der katholischen Kirche ab, derzufolge die Kirche Christi exklusiv identisch mit der katholischen Kirche ist und behauptet nur noch, dass die Kirche Christi in ihr vollständig verwirklicht ist bzw. in ihr existiert.
Die vollständige Verwirklichung besagt, dass die katholische Kirche alle kirchlichen Elemente besitzt, und die anderen christlichen Gemeinschaften besitzen sie nur in mehr oder weniger großem Umfang.
Danach ist die katholische Kirche nicht mehr die einzige Verwirklichung der Kirche Christi, was die Tradition lehrt, und was noch Pius XII. in seiner Enzyklika Mystici corporis ausdrücklich sagt, sondern sie ist nur noch die einzige vollständige Verwirklichung derselben, und die anderen christlichen Gemeinschaften sind unvollständige Verwirklichungen der Kirche Christi, weil sie nicht alle Heilselemente besitzen.
Diejenigen Elemente aber, die sie besitzen, so die Behauptung des Konzils, sind so substantiell, dass diese Gemeinschaften eine Heilswirksamkeit besitzen (Ökumenismusdekret, Art.3).
Diese falsche Elemente-Ekklesiologie wurde kürzlich schon von Kardinal Kasper auf die Ehe übertragen, wovon gloria.tv berichtete. Er sagte im Prinzip: Die sakramentale Ehe besitzt alle Ehe-Elemente und die bloß bürgerliche Ehe besitzt nicht alle Ehe-Elemente, ihr fehlt nämlich die Sakramentalität.
In dieser Argumentation folgt ihm Kardinal Schönborn, denn man kann seine Darstellung so formulieren: Die Ehe ist vollständig in der sakramentalen Ehe verwirklicht und in der bürgerlichen Ehe ist sie in unvollständiger Weise verwirklicht.
In Analogie zur angeblichen Heilswirksamkeit der anderen christlichen Religionen soll sowohl nach Kardinal Kasper als auch nach Kardinal Schönborn, wenn man einmal von beschwichtigenden Floskeln absieht, den staatlich Geschiedenen und Wiederverheirateten der Zugang zur Kommunion gestattet werden.
Ihre Denkfigur, die beide Kardinäle dem Pastoralkonzil entnehmen, lautet: So wie die kirchlichen Elemente, die die anderen christlichen Religionen besitzen, dazu hinreichen, diesen eine Heilswirksamkeit zuzuerkennen, so reichen diejenigen Elemente der Ehe, die die bürgerliche Ehe besitzt, dazu hin, den staatlich Geschiedenen und Wiederverheirateten den Zugang zur Kommunion zu gestatten.
Wie man sieht, votiert auch Kardinal Schönborn dafür, Geschiedenen und Wiederverheirateten den Zugang zur Kommunion zu gestatten, obwohl sie sich im Zustand der schweren Sünde befinden, weil sie gegen das Gebot Gottes gehandelt haben, das Christus mit der Forderung zum Ausdruck gebracht hat: „Was nun Gott verbunden hat, soll der Mensch nicht trennen“ (Mt 19,6).
Wenn es auf der Bischofsversammlung zu einer Auseinandersetzung um die Übertragung der subsistit-in-Lehre und der mit ihr verbundenen Elemente-Ekklesiologie kommt, dann haben die konservativen Bischöfe schlechte Karten. Denn die Vertreter der progressistischen Fraktion können sie darauf hinweisen, dass sie mit ihrem Ja zum Konzil auch die subsistit-in-Lehre des Konzils und die mit ihr verbundene Elemente-Ekklesiologie anerkannt haben.
Wenn dann die konservativen Bischöfe versuchen sollten, sich mit dem Hinweis aus der Affäre zu ziehen, dass mit den Heilselementen doch Sakramente in ihrer Ganzheit gemeint seien, dann können die Progressisten ihnen entgegnen, dass das nirgendwo im Konzilstext steht.
Außerdem können ihre Wortführer die konservativen Bischöfe daran erinnern, dass das Konzil selbst die Denkweise „vollständig – unvollständig“ bereits in Bezug auf ein Sakrament, nämlich in Bezug auf das Altarsakrament, angewendet hat, heißt es doch in Art.22.3 des Ökumenismusdekrets, mit Bezug auf die protestantischen Gemeinschaften, dass die
„ … von uns getrennten kirchlichen Gemeinschaften … das ursprüngliche und vollständige Wesen des eucharistischen Mysteriums nicht gewahrt haben, …“[3],
Danach hätten die protestantischen Denominationen, im Gegensatz zur katholischen Kirche, das eucharistische Mysterium zwar nicht vollständig bewahrt, aber immerhin doch bewahrt, wenn auch unvollständig. Die Progressisten können also geltend machen, dass das Konzept eines unvollständigen Sakraments bereits im Konzilstext in Bezug auf das Altarsakrament enthalten ist, und man habe jetzt erkannt, dass man dieses Konzept auch auf das Sakrament der Ehe anwenden könne. Da die Konservativen mit ihrem Ja zum Konzil diese Denkweise im Prinzip anerkannt hätten, sei ihre Weigerung, sie auf das Ehe-Sakrament anzuwenden, inkonsequent.
Auf diese Weise in Bedrängnis gebracht, haben die Konservativen, wie uns scheint, nur zwei Möglichkeiten: Entweder sie resignieren und akzeptieren die Ausweitung der Elemente-Denkweise auf das Ehe-Sakrament, oder sie bekennen: Wir haben leider erst jetzt, an den Folgen der Elemente-Ekklesiologie, erkannt, dass diese selbst falsch ist, und deshalb erkennen wir sie nicht mehr an.
Da aber wenig Hoffnung besteht, dass sie sich dazu aufraffen werden, ihr Ja zur Elemente-Ekklesiologie des Konzils zurückzuziehen, ist zu befürchten, dass die Progressisten auf dieser Bischofssynode, wie auch schon auf dem Konzil, den Sieg davon tragen werden, und dass im kommenden Jahr die Beschlüsse zu Ehe und Familie in ihrem Sinne ausfallen werden.
Sie werden aber wohl kaum ahnen, dass sie mit diesem zu erwartenden Sieg die große Wende in der Kirche, von der Pfarrer Milch so eindrucksvoll sprach, beschleunigt herbeiführen werden.
[1] „Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils“, Hrsg. P. Hünermann, Freiburg 2004 S. 84f.
[2] J. Ratzinger: „Die Ekklesiologie der Konstitution Lumen gentium“, in J. Ratzinger: „Gesammelte Schriften“, Band 8/1, Freiburg 2010, S. 576.
[3] „Die Dokumente des Zweiten Vatikanischen Konzils“, Hrsg. P. Hünermann, Freiburg 2004, S. 239.