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Vom Außen und Innen: Eine Anekdote. Von Magdalena Veletta

"O ihr Pharisäer! Ihr haltet zwar Becher und Teller außen sauber, innen aber seid ihr voll Raubgier und Bosheit." (Lk 11,39)

Es kann aber auch das "außen" vorgetäuscht sein und doch einen Trugschluss auf das "innen" beinhalten, wie das in der Novelle des Schweizer Dichters Gottfried Keller "Kleider machen Leute" beschrieben wird.

Ein Mann, der Schneiderlehrling Wenzel Strapinski wird, obwohl er arm ist, wegen seiner vornehmen Kleidung für einen Grafen gehalten. Er nutzt diese Täuschung zu seinem Vorteil aus.

Seine Verlobte Nettchen sieht aber, dass seine Liebe zu ihr echt und nicht, wie seine Kleidung, vorgetäuscht ist und heiratet ihn schließlich doch.

Eine Anekdote

Vor 15 Jahren lebte ich für längere Zeit in Kairo, um die Kultur und das Leben der Ägypter näher kennen zu lernen. Wiederholte Besuche bei einem Freund, der im Kairoer Stadtteil "Heliopolis" wohnte, beeindruckten mich so sehr, dass ich noch heute oft daran denke.
Durch stundenlange Gespräche lernte ich ihn und sein Denken immer besser kennen und schätzen.

Er war Ägypter, Muslim und sprach fließend Englisch, da er 20 Jahre lang in London ein ungewöhnliches Business betrieb.

Aus einer Familie stammend, welche mit Lederwaren handelte, wurde er auch zum Berater des königlichen Hauses für alles, was die Restauration von alten Gegenständen oder von Spezialanfertigungen betraf.

So entwarf er zum Beispiel für Prinzessin Margaret, die Schwester von Queen Elizabeth II., eine lederne Tasche, in der sie ihr Lieblingskissen überall mitnehmen konnte, ohne dass man erraten konnte, was sich in dieser Tasche befindet. Natürlich entwarf er diese Tasche nicht nur, sondern fertigte sie auch gleich selbst an, ganz zur Zufriedenheit von Prinzessin Margaret.

Nach jahrzehntelanger Arbeit in London und nachdem er genügend Geld verdient hatte, zog es ihn zurück in seine Heimatstadt Kairo, wo er sich in Heliopolis eine Eigentumswohnung gekauft hatte.

Über ein Jahr, so erzählte er mir, lebte er in seiner leeren Wohnung, schlief auf dem Fußboden, zeichnete und notierte seine Gedanken für jedes einzelne Möbelstück minutiös auf und dialogisierte mit dem leeren Raum im Sinne von: "Was brauchst du?"

Diese Frage war aber nicht nur an den Raum, den er gestalten wollte, sondern auch an ihn selbst gerichtet.

Zuerst suchte er einen geeigneten Schreiner, der gewillt war, mit ihm über seine Ideen von Möbeln nachzudenken, um diese dann in die Realität umzusetzen. Auch kaufte er diesem Schreiner, als er ihn gefunden hatte, jedes Werkzeug, das er für die Realisierung dieser eigenwilligen Ideen brauchte.

Als ich meinen ägyptischen Freund zum ersten mal in seiner Wohnung besuchte, war diese schon nahezu fertig eingerichtet und so speziell, dass ich mich gerne mit ihm über die näheren Hintergründe unterhalten wollte.

Mein Freund ging darauf ein und erklärte mir, dass dies sein "Individuationsprozess" gewesen sei, in dem er seine innersten Träume, Gestalt werden ließ. Sein Unterbewusstsein hätte ihn dabei geleitet und sein Bewusstsein die Umsetzung ermöglicht. So seien alle seine Möbel eine Art Symbol, welche durch verschiedene Überlegungen und Möglichkeiten, Form angenommen hätten. Sie seien alle einzigartig und würden auch etwas über ihn selbst und seine kulturellen Wurzeln aussagen (siehe Bild).

Da dachte ich bei mir: C. G. Jung lässt grüßen!

Nun wollte ich es aber noch genauer wissen. Und da zeigte er mir, was er damit meinte, anhand einer schlichten Kommode, deren Schubladen voll von Kleidungsstücken waren.

Das Geheimnis der Kommode.

Zuerst räumte er die Schubladen der Kommode aus. Alle seine Kleidungsstücke, die er zum Teil auch selbst entworfen und geschneidert hatte, lagen auf dem Boden.

Ich schaute ihn an und wusste nicht, weshalb er das tat. "Schau genau hin", sagte er mir. Und dann sah ich es. Die Seitenwände und die Rückwand der Schubladen waren mit wunderbaren Intarsien verziert. Hierzu brauchte sein Schreiner nicht nur unendlich viele zusätzliche Arbeitsstunden, sondern auch, wie gesagt, ganz spezielle Werkzeuge.

Ich staunte und sagte: "Aber wozu? Wenn du die Kleider wieder hineinlegst, sieht das kein Mensch."

Er wartete einen Augenblick. Und mit stolzem Blick gab er mir zur Antwort: "Aber ich weiß es."

Wir legten gemeinsam seine Kleidungsstücke wieder in diese geheimnisvollen Schubladen, mit den reich ausgestatteten Innenwänden, zurück, schoben sie zu, und man sah nichts mehr von ihrer Pracht. Mein Staunen drückte sich in einem längeren Schweigen aus.

Dann erzählte ich ihm die Geschichte vom "Kleinen Prinzen" von Saint-Exupéry und zitierte daraus den weltweit bekannten Satz: "Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar."

Er kannte diesen Dichter nicht und war sehr gerührt. Ein "Seelenverwandter" sagte er nur.

Schlussbemerkung

Mit unseren "Herzen" ist es wie mit dieser Kommode. Wir müssen unser "Innerstes", obwohl es von aussen nicht sichtbar ist, genau so behandeln, wie mein ägyptischer Freund das Innere der Schubladen seiner Kommode.

Das bedeutet, mit geeigneten Werkzeugen und viel Arbeit daran zu arbeiten.

Sonst könnte unser Herr auch über uns sagen: "Alles, was sie tun, tun sie nur, damit die Menschen es sehen: Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, bei jedem Festmahl möchten sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben, und auf den Straßen und Plätzen lassen sie sich gern grüßen und von den Leuten Rabbi (Meister) nennen." (Mt 23,5-7)

Dieses Erlebnis führte mich auch näher an das Verständnis der Worte, welche Johannes über Jesus sagte: "Er kannte sie alle und brauchte von keinem ein Zeugnis über den Menschen; denn er wusste, was im Menschen ist." (Joh 2,24-25)