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Der Doktor, der die Babies tötet

Robyn Reid war 15 und im dritten Monat schwanger, als sie beschloss abzutreiben. Die Großmutter brachte das Mädchen zur Klinik von Kermit Gosnell im westlichen Philadelphia, einem ärmlichen Viertel der größten Stadt Pennsylvanias mit einer hauptsächlich schwarzen Bevölkerung.

Doch als Robyn das Gebäude betrat und einer Frau begegnete, die es gerade verließ, "benommen und offenkundig verstört", änderte sie ihre Meinung. Sie wollte ihr Baby nun nicht mehr abtreiben lassen und sagte das auch Dr. Gosnell. Den kümmerte das jedoch nicht. "Als ich 'Nein' sagte, wurde der Doktor wütend, und am Ende zog er mir meine Kleider aus, schlug mich und meine Beine wurden in den Bügeln gefesselt", beschreibt Robyn ihren Kampf mit dem Mediziner, der eine halbe Stunde dauerte und mit der erzwungenen Abtreibung im Gynäkologenstuhl endete.

Die brutalen Ereignisse ereigneten sich im Januar 1998, aber jetzt holt die Erinnerung die mittlerweile 30-jährige Robyn Reid wieder ein, weil Gosnell vor Gericht steht. Sieben Morde ersten Grades an Babys und eine fahrlässige Tötung an einer Frau, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollte, werden ihm zur Last gelegt. Die Vorgänge, die sich in der von der Polizei als "Haus des Horrors" bezeichneten Klinik ereigneten, sind von unvorstellbarer Grausamkeit. Laut Staatsanwaltschaft beging der inzwischen 73-jährige Mediziner die Morde, indem er Geburten wenige Wochen vor der Niederkunft künstlich einleitete. Die lebenden Babys wurden dann durch einen Schnitt mit der Schere in den Nacken und durch die Wirbelsäule getötet. Zumeist griff Gosnell selbst zur Schere, mitunter ließ er den finalen Schnitt aber auch von Mitarbeitern durchführen.
Gosnell soll in zwei Kliniken zwischen 1972 und 2010 "Hunderte Fälle" von Abtreibungen überlebensfähiger Babys durchgeführt oder angeordnet haben. Bei den sieben Morden, die ihm die Anklage vorwirft, handelt es sich lediglich um die bislang eindeutig nachweisbaren Verbrechen. Die Unterlagen zu früheren Taten hat der Mediziner vernichtet.
In den USA sind Abtreibungen ausgesprochen umstritten. In einigen Städten und Bundesstaaten werden sie gar nicht durchgeführt. Aber seit dem Grundsatzurteil des Supreme Court im Verfahren Roe vs. Wade aus dem Jahr 1973 und einigen ergänzenden Richtersprüchen sind Schwangerschaftsabbrüche bis zur 24 Woche legalisiert. Trotzdem lehnen die meisten Ärzte Abtreibungen nach der 20. Woche ab. Gosnell führte jedoch Schwangerschaftsabbrüche auch im sechsten, siebten oder achten Monat durch. Für derartige Spätabtreibungen, die als Mord ersten Grades betrachtet werden, stellte der Mediziner besonders hohe Rechnungen. Zu seinen Opfern gehört "Baby Boy A", wie das getötete Kind vor Gericht heißt. Die 17-jährige Mutter war in der 30. Schwangerschaftswoche, als Gosnell die Geburt einleitete. Das Kind kam mit etwa sechs Pfund Gewicht zur Welt und atmete und bewegte sich, bis Gosnell ihm den Nacken durchschnitt und den kleinen Körper in einen Plastikkarton für die Müllentsorgung packte. Der Arzt witzelte, das Baby sei so groß, "dass es mich zur Bushaltestelle bringen könnte".
Die Polizei kam der schrecklichen Klinik durch einen Zufall auf die Spur. Sie wollten (zutreffende) Vorwürfe überprüfen, Gosnell verabreiche illegale Drogen. Aber als FBI-Beamte am Abend des 18. Februar 2010 eine Hausdurchsuchung in Gosnells "Women's Medical Society" durchführten, stießen sie auf Schlimmeres. "Auf dem Fußboden war Blut. Uringestank lag in der Luft", so ein Ermittler. "Halbbewusstlose Frauen, die für Abtreibungen vorgesehen waren, stöhnten im Wartezimmer oder im Aufwachraum, wo sie auf schmutzigen Liegen mit blutbefleckten Laken saßen. Alle diese Frauen waren von nicht-lizensierten Angestellten sediert worden."
In Kühlschränken fanden Beamte unzählige Föten. Mitunter waren komplette kleine Körper in Plastiktüten gepackt, manchmal nur Teile von Babys, die bei der Abtreibung zerstückelt wurden. Neben den Babymorden wird Gosnell die fahrlässige Tötung der 41-jährigen Karnamaya Mongar zur Last gelegt. Sie starb im November 2009 an einer überdosierten Anästhesie, die ihr in Abwesenheit Gosnells von Mitarbeitern verabreicht wurde. Als der Arzt kam, zögerte er lange, bis er Notärzte rief, und belog sie dann über die Medikation der aus Nepal geflüchteten Frau. Der Prozess, an dessen Ende die Todesstrafe für Gosnell stehen könnte, läuft seit Mitte März. Aber erst seit dem Wochenende ist das grausame Verbrechen in den Fokus überregionaler Zeitungen gerückt. Die konservative "Washington Times" vermutet dahinter eine Verschweigetaktik linker Medien. Gosnell ist Afroamerikaner und die meisten der Frauen, die bei ihm abtreiben ließen, sind ebenfalls schwarz. Das störe das gängige Täter-Opfer-Bild.
Allerdings: Auch die "Washington Times" selbst begnügte sich zum Prozessauftakt mit dem Stück einer Nachrichtenagentur. Danach kritisierte es in sieben Kommentaren das "schändliche Schweigen" anderer Blätter. Über den Fall schrieb auch die "Times" wenig.

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