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Religionsfreiheit contra Gottesrecht? Religionsfreiheit contra Gottesrecht? Gibt es für die Konzilserklärung Dignitatis humanae eine Hermeneutik der Reform in Kontinuität mit der überlieferten Lehre …Mehr
Religionsfreiheit contra Gottesrecht?

Religionsfreiheit contra Gottesrecht?
Gibt es für die Konzilserklärung
Dignitatis humanae eine Hermeneutik der Reform in Kontinuität mit der
überlieferten Lehre der Kirche?
Von Wolfgang Schüler.

Teil 2

,, Kirche und Staat handeln in ihren Grenzen souverän,,

Die Bestimmung des Menschen erweist sich als der geeignete Ausgangspunkt, um die Aufgaben von Staat und Kirche sowie deren Verhältnis zueinander zu erfassen, sind beide Institutionen doch um des Menschen willen geschaffen. Diesen Ausgangspunkt wählt der Ottaviani-Entwurf, indem
er mit den Worten beginnt:

„Der von Gott für ein übernatürliches Ziel bestimmte Mensch bedarf sowohl
der Kirche wie auch der bürgerlichen Gesellschaft, um zur Vollkommenheit zu
gelangen. Der bürgerlichen Gesellschaft, zu welcher der Mensch aufgrund seiner Sozialnatur gehört, insoweit sie auf die irdischen Güter ausgerichtet ist, obliegt die Erreichung dieses Zieles im Hinblick darauf, daß die Bürger auf Erden
‘ein stilles und ruhiges Leben’ (1 Tim 2,2) führen können. Was die Kirche angeht, welcher sich der Mensch aufgrund seiner übernatürlichen Berufung anschließen muß, so ist sie von Gott gegründet worden, damit sie, beständig wachsend, die Gläubigen durch Lehre, ihre Sakramente, ihr Gebet und ihre Gesetze zu ihrem ewigen Ziel führe.“ (16)

Von den für die Durchführung ihrer Aufgaben erforderlichen Mitteln her gesehen, sind beide Institutionen unabhängig voneinander:
„Jede dieser beiden Gesellschaften ist mit den für die rechte Erfüllung ihrer
Sendung erforderlichen Mitteln
ausgestattet. Daher sind auch beide vollkommen. Das bedeutet, daß jede von ihnen innerhalb der ihr zukommenden Ordnung souverän ist und demnach der anderen nicht unterworfen, ausgestattet mit der gesetzgebenden, der richterlichen und der ausführenden Gewalt. Einer beständigen Tradition entsprechend beruht die Unterscheidung zwischen den beiden Gemeinwesen auf den Worten des Herrn:

‘Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottesist.’ (Mt22,21).“
(Ottaviani-Entwurf, 16)
Die Souveränität der kirchlichen und der staatlichen Gewalt hebt auch Leo
XIII. in seiner Enzyklika Immortale Dei wie folgt hervor:

„So hat denn Gott die Sorge für das Menschengeschlecht zwei Gewalten zuge-
teilt: der kirchlichen und der staatlichen. Die eine hat Er über die göttlichen
Dinge gesetzt, die andere über die menschlichen. Jede ist in ihrer Art die höchste; jede hat ihre sicheren Grenzen, gezogen von ihrer Natur und vom unmittel-
baren Gegenstand ihrer Herrschaft, sodaß eine jede wie von einem Kreise umschlossen ist, innerhalb dessen sie sich selbständig bewegt.“ (Ottaviani-Entwurf, 16)

,,Wechselseitige Unterstützung,,

Da der Staat sich nach dem Willen Gottes richten soll, soll er darauf bedacht sein, dass die zeitlichen Güter, die er anstrebt, nicht das überzeitliche Gut gefährden, das dem Menschen zuteil werden soll, nämlich das Heil seiner Seele. Deshalb darf es nicht zu einer Verselbständigung der zeitlichen Güter kommen, sondern diese sind, wenigstens indirekt, auf das überzeitliche Gut hinzuordnen. Der Ottaviani-Entwurf führt aus:
„Sobald aber diese beiden Gesellschaften ihre Gewalt über die gleichen Personen ausüben, ja sogar in bezug auf den gleichen Gegenstand, dürfen sie einander nicht ignorieren. Es ist vielmehr im höchsten Grad angemessen, daß sie zu ihrem eigenen größten Nutzen und zum größten Nutzen ihrer Glieder gemeinsam handeln. … Sowohl die Kirche wie auch die bürgerliche Gesellschaft sind zum Wohl des Menschen eingesetzt worden. Dabei nützt es ihm allerdings nichts, in den von der Staatsgewalt zu gewährleistenden Genuß des irdischen Glücks zu gelangen, wenn er darüber seine Seele verliert (Mt 16,26; Mk 8,36; Lk 9,25).

Darum darf das Ziel der bürgerlichen Gesellschaft niemals unter Ausschluß oder zum Nachteil des letzten Zieles – des ewigen Heiles nämlich – erstrebt werden.“ (17)
Diese Lehre hatte bereits Leo XIII. in seiner Enzyklika Immortale Dei wie folgt zum Ausdruck gebracht:

„Darum soll die bürgerliche Gesellschaft, die ja keine andere Aufgabe hat, als
das allgemeine Beste zu fördern, in einer solchen Weise für das Gedeihen des
Staates sorgen, daß die Bürger in diesem ihrem innersten Verlangen nach dem
Besitz des höchsten und unvergänglichen Gutes nicht nur nicht geschädigt, sondern auf alle mögliche Art gefördert werden. Letzteres geschieht in erster Linie
aber dadurch, daß die Regierung auf die Heiligkeit und Unverletzlichkeit der
Religion ganz besondere Mühe verwendet:
denn deren Vollzug knüpft das Band
zwischen dem Menschen und Gott.“ (Freude an der Wahrheit, Nr. 74, 7)

Bemerkenswerterweise sagte noch rund drei Jahre vor dem Beginn des
Konzils Johannes XXIII. in seiner Enzyklika Grata recordatio vom 26. Juni 1959 in Übereinstimmung mit dieser Lehre:

„… mögen sie [die verantwortlichen Lenker der Völker] doch nie die ewigen
Gesetze übersehen, die von Gott kommen und die das Fundament und gleichsam der Dreh- und Angelpunkt der zu regierenden Völker sind. Mögen sie stets
besorgt sein um die übernatürliche Bestimmung des Menschen, dessen Seele
von Gott geschaffen worden ist, damit sie zu ihm gelangen und ihn ewig genießen kann.“ (AAS, Band 51, 676f)

Zutreffend bemerkt auch Pater M. Gaudron:

„Das zeitliche Gemeinwohl ist nur dann ein wahres Gut, wenn es dem Menschen hilft, das ewige Ziel zu erreichen. Darum muß der Staat der Kirche helfen, ihr Ziel zu erreichen, nämlich die Seelen zu retten.
Diese Anschauung wurde von der Kirche immer gelehrt. Sobald sie die Freiheit
erlangt hatte, mahnte sie auch die Könige und Fürsten, die Kirche zu schützen
und zu unterstützen. Die indirekte Überordnung der Kirche über den Staat ist
darum mindestens eine sichere Lehre (sententia certa).“ (G1, 2f)
Andererseits ist auch die Kirche dem Staat bei der Bewältigung seiner Aufgaben von Nutzen. Der Ottaviani-Entwurf bemerkt dazu:

„Die Regierenden dürfen die zahlreichen Wohltaten, welche die Kirche in Erfüllung ihrer Sendung der bürgerlichen Gesellschaft verschafft, nicht ignorieren.
Die Kirche selber trägt dazu bei, daß die Bürger gute Bürger seien, indem sie
ihnen die christliche Tugend und Frömmigkeit einschärft. Auf diese Weise wird
das Wohl des Staates zuverlässig gesichert, wie der hl. Augustinus bemerkt, und
zwar in dem Maße, wie sie dem entsprechen, was ihnen die christliche Lehre vorschreibt.
Gleichfalls verlangt sie von den Bürgern den Gehorsam gegenüber den für sie
erlassenen, legitimen, Vorschriften, … Sie schärft die religiöse Hochachtung
vor dem Naturgesetz und dem übernatürlichen Gesetz ein, mittels derer die gesamte Sozialordnung sowohl unter den Bürgern wie auch unter den Nationen in
Frieden und Gerechtigkeit organisiert werden muß.“ (19f)

Die vorangegangenen Ausführungen dürften zu Genüge gezeigt haben,
dass die Behauptung falsch ist, in der vorkonziliaren Lehre über das Verhältnis von Kirche und Staat hätte die Kirche den Staat als ihren „verlängerten Arm“ betrachtet.
Die Anerkennung der Souveränität von Kirche und Staat im Rahmen ihrer
Grenzen, sowie die Lehre vom der wechselseitigen Unterstützung, widerlegt die These vom „verlängerten Arm“, was für unsere Auseinandersetzung mit M. Rhonheimer wichtig werden wird.

Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass der Staat der Kirche indirekt
untergeordnet ist, weil das überzeitliche Heil dem zeitlichen Heil des Menschen übergeordnet ist. Deshalb soll sich der Staat dort, wo sich die Bereiche beider überschneiden, wie z. B. in der Ehe- und Schulgesetzgebung, nach der Kirche richten.

,,Keine Trennung von Kirche und Staat,,

Die Souveränität beider Bereiche, des kirchlichen wie des staatlichen, von
der oben die Rede war, darf nicht als Grund für eine Trennung von Kirche und Staat missverstanden werden. Von den Vertretern einer solchen Trennung wird oft das Wort des Herrn angeführt:
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist.“ Dazu stellt Erzbischof Lefebvre zutreffend fest:

„Zur Stützung ihrer unheilvollen These der Trennung von Kirche und Staat zitieren die Liberalen von gestern und heute gerne diesen Satz Unseres Herrn …;
sie vergessen nur zu sagen, was der Kaiser Gott schuldet!“ (Lefebvre, 93)

Pius IX. verurteilt in Nr. 55 seines Syllabus (1864) den Satz:
„Die Kirche ist vom Staate, und der Staat von der Kirche zu trennen“ (Freude an der Wahrheit, Nr. 52, 15)

Aus der großen Zahl von Verlautbarungen des vorkonziliaren Lehramtes,
die sich gegen die These der Trennung von Kirche und Staat wenden, greifen wir noch die folgende Passage aus der Enzyklika Vehementer nos von
Pius X. heraus:

„Daß die Angelegenheiten des Staates von den Angelegenheiten der Kirche getrennt werden müßten: das ist fürwahr ein ganz falscher und im höchsten Grade
verderblicher Grundsatz. Denn wer sich auf den Boden der Annahme stellt, daß
der Staat sich in keiner Weise um die Religion bekümmern dürfe, der fügt erstens Gott ein großes Unrecht zu, der selbst ebenso der Begründer und Erhalter der menschlichen Gesellschaft wie des Lebens der einzelnen Menschen ist.

Deshalb ist Gott nicht bloß im privaten Bereich zu ehren, sondern auch im öffentlichen Leben. Ferner leugnet dieser Grundsatz deutlich genug, daß es überhaupt einen über dem Natürlichen liegenden Bereich gibt. Denn es wird hierbei die Tätigkeit des Staates ganz allein nach dem erfolgreichen Gedeihen dieses
sterblichen Lebens bemessen. Wohl besteht darin zunächst die Veranlassung für
das bürgerliche gesellschaftliche
Zusammenleben. Das höchste Interesse der
Bürger aber: die ewige Seligkeit, welche jenseits dieses kurzen Erdenlebens den
Menschen verheißen ist, vernachlässigt er vollständig als eine dem Staate fremde Sache. Und doch sollte im Gegenteil die ganze Ordnung der wandelbaren irdischen Dinge auf die Erreichung des absoluten, höchsten Gutes gerichtet sein:
der Staat soll hierbei nicht bloß nicht hinderlich, sondern in Wahrheit förderlich
sein.“ (Freude an der Wahrheit, Nr. 113, 5)
Eugenia-Sarto
Deus Rex Regum!